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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 446

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 1/23, Beschluss v. 09.02.2023, HRRS 2023 Nr. 446


BGH AK 1/23 - Beschluss vom 9. Februar 2023 (OLG Celle)

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (Fristberechnung bei Anpassung des Haftbefehls; dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen); Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat; mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 89a StGB; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Celle übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte wurde am 13. Juni 2022 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. Juni 2022 (2 BGs 324/22) festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl warf dem Angeschuldigten vor, er habe eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die bestimmt und geeignet sei, die Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen, indem er am 14. September 2020 aus der Bundesrepublik in die Türkei ausgereist sei, um sich in Syrien der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS) anzuschließen und nach militärischen Unterweisungen im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen sowie Spreng- oder Brandvorrichtungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen teilzunehmen; außerdem habe er sich seit spätestens April 2021 von Deutschland aus als Mitglied am IS und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, indem er deutsche Übersetzungen von arabischsprachigen IS-Texten anfertigte und verbreitete.

Im Anschluss an die Inhaftierung des Angeschuldigten sind den Ermittlungsbehörden eine zweite Ausreise zum Zweck der Eingliederung in den IS als Kämpfer und weitere, intensivere Tätigkeiten für den IS bekannt geworden. Daraufhin hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den vorgenannten Haftbefehl am 10. November 2022 aufgehoben und durch einen neuen ersetzt (2 BGs 658/22). Gegenstand des neuen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe durch zwei rechtlich selbständige Handlungen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er nicht nur am 14. September 2020 in die Türkei, sondern auch am 4. Juli 2021 aus der Bundesrepublik nach Pakistan ausgereist sei, um sich dem IS anzuschließen und nach militärischen Unterweisungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen teilzunehmen; er habe sich außerdem - allerdings erst ab dem 20. März 2022 und nicht bereits ab April 2021 - als Mitglied am IS beteiligt, strafbar gemäß § 89a Abs. 2a in Verbindung mit § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 53 StGB.

Der Generalbundesanwalt hat wegen der vorstehenden Taten unter dem 26. Januar 2023 Anklage zum Oberlandesgericht Celle erhoben. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Angeschuldigte habe bereits vor dem 20. März 2022 propagandistische Aktivitäten für den IS entfaltet, hat er nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Gegenstand der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO ist der zweite, derzeit vollzogene Haftbefehl. Dieser enthält - wie aufgezeigt - zumindest einen Tatvorwurf, dessen tatsächliches Geschehen erst nach der Inhaftierung bekannt geworden ist und der für sich genommen ebenfalls den Erlass eines Haftbefehls trüge. In einem solchen Fall ist der ursprüngliche Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 7 mwN; vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 8, 39 mwN). Das wäre hier der 9. August 2022 gewesen, der damit für den Beginn der neuen Sechsmonatsfrist maßgeblich ist. Die Haftprüfung ist deshalb erst jetzt veranlasst. Hinsichtlich der weiteren diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2022 (Haft-Sachakte, Abschnitt Haftprüfung) Bezug genommen.

2. Der Angeschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Kurz nach dem Tod al-Baghdadis berief die Organisation Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi zu dessen Nachfolger.

Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.

bb) Der Angeschuldigte, den das Oberlandesgericht Koblenz bereits 2009 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung al-Qaida zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilte, ist Anhänger radikalislamistischen und militant-jihadistischen Gedankenguts. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 2015 wandte er sich dem IS zu, mit dessen Ideologie, Zielen und Methoden er sich identifizierte. Er wollte sich nunmehr dieser Organisation anschließen und nach Erhalt militärischer Unterweisungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen mitwirken.

Zu diesem Zweck reiste der Angeschuldigte zunächst am 14. September 2020 aus der Bundesrepublik aus. Er flog von Frankfurt nach Istanbul und begab sich weiter in das türkischsyrische Grenzgebiet, um von dort aus zu den im syrischen Untergrund operierenden IS-Verbänden zu gelangen. Sein Vorhaben scheiterte unter anderem daran, dass man ihn nicht für vertrauenswürdig hielt. Am 28. Oktober 2020 kehrte er deshalb nach Deutschland zurück.

Am 4. Juli 2021 reiste er in Umsetzung seines fortbestehenden Entschlusses nach Pakistan, um sich in dort operierende Einheiten der Organisation als Kämpfer einzugliedern und nach entsprechender Ausbildung Anschläge zu begehen. Vor Ort gelang es ihm jedoch nicht, Anschluss an die örtlichen Strukturen des IS zu bekommen. Deshalb unterzog er sich einer telefonischen Zuverlässigkeitsprüfung durch syrische IS-Verantwortliche und erlangte so eine Einreiseberechtigung in das Kerngebiet der Vereinigung in Syrien. Seine Reise dorthin von Pakistan über die Türkei scheiterte allerdings abermals, weil ihm die türkischen Behörden am 21. Januar 2022 in Istanbul die Einreise verweigerten.

Anschließend wohnte der Angeschuldigte einen Monat lang bei dem gesondert Verfolgten B. in W. /Schweiz. Im Zusammenwirken mit diesem und weiteren Personen übersetzte er arabischsprachige Texte, Videos und Audiobotschaften offizieller IS-Medienstellen sowie andere organisationsbezogene Dokumente ins Deutsche und verbreitete sie im Internet. Anfang März 2022 richtete er von Deutschland aus einen eigenen, öffentlichen Telegram-Kanal ein und bestückte auch diesen mit IS-Propaganda. Am 20. März 2022 verpflichtete er sich gegenüber einem höherrangigen IS-Mitglied auf Dauer zur Übersetzung von IS-Propagandaprodukten aus dem Arabischen in die deutsche Sprache nach den Vorgaben der Vereinigung, damit diese anschließend auf Kanälen der Organisation veröffentlicht werden konnten. Diese Tätigkeit übte er im Folgenden aus, wobei er von dem ihm übergeordneten IS-Mitglied A. konkrete Weisungen und technische Anleitung erhielt. Bis zum 11. April 2022 übersetzte er mit Unterstützung von B. und anderen über 140 IS-Dokumente, darunter Berichte zu Anschlägen der Organisation. Seine Übersetzungen leitete er weisungsgemäß an A. weiter, der sie zeitnah ins Internet stellte, vornehmlich auf die öffentlich einsehbare IS-Plattform der I´lam Foundation. Dadurch sollten neue Mitglieder und Unterstützer für die Vereinigung gewonnen werden. Nachdem es zwischen dem Angeschuldigten und der Gruppe um B. zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war und die Verantwortlichen des IS ihm am 12. April 2022 die Veröffentlichung seiner Texte vorläufig untersagt hatten, übersetzte er bis zu seiner Festnahme weiterhin aktuelle IS-Dokumente, um diese nach Beilegung des Streits zu publizieren, gab einem Mitstreiter Ratschläge und leitete organisationsbezogene Nachrichten weiter.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS beruht auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie verschiedenen Behördenerklärungen der Geheimdienste und polizeilichen Auswerteberichten. Hierzu liegen Sonderbände vor. Die Vorverurteilung des Angeschuldigten folgt aus dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz.

Die Erkenntnisse zu den Tatvorwürfen, zu denen sich der Angeschuldigte bisher nicht eingelassen hat, beruhen maßgeblich auf der Auswertung umfangreicher Chatkommunikation auf seinen sichergestellten Mobiltelefonen, der akustischen Überwachung des Wohnraums unter anderem von B. durch die Schweizer Behörden sowie gesicherten Flugreisedaten, Telegram-Inhalten und Publikationen auf der Webseite der I´lam Foundation. Wegen der Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweisergebnisse wird auf den vollzogenen Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter Gliederungspunkt II. 2. a) geschilderte Sachverhalt im Haftbefehl zutreffend dahin gewürdigt, dass der Angeschuldigte der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 2a in Verbindung mit § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB in zwei Fällen sowie der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) dringend verdächtig ist.

aa) Nach vorläufiger Bewertung der Beweislage war er bei seinen Ausreisen jeweils fest entschlossen, sich sowohl im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB unterweisen zu lassen als auch anschließend Gewalttaten nach § 89a Abs. 1 StGB zu begehen. Hierfür reicht es aus, wenn der Entschluss zur Tatbegehung als solcher - zum „Ob“ der Verwirklichung - gefasst ist. Die konkrete Art der Ausführung, Zeit und Ort sowie potentielle Opfer müssen noch nicht festgelegt sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 3 StR 243/13, BGHSt 59, 218 Rn. 41, 45; Beschlüsse vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, BGHSt 62, 102 Rn. 13; vom 22. August 2019 - StB 17/18, juris Rn. 34).

bb) Die ab dem 20. März 2022 erbrachten Tathandlungen erfüllten mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatbestandlichen Anforderungen an die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Seine einvernehmliche Eingliederung und damit seine Stellung innerhalb des IS manifestierte sich zunächst im Gewicht seiner Leistung für die Organisation. Sie ermöglichte es der Vereinigung, mit den eigenen, zunächst nur auf Arabisch verfassten Texten und Medienprodukten ein deutschsprachiges Publikum zu erreichen und dadurch neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen. Außerdem ging der Angeschuldigte - wenngleich von Deutschland aus - seiner Arbeit im stetigen Austausch mit verschiedenen IS-Verantwortlichen nach, die ihn anleiteten und ihm besonderes Vertrauen entgegenbrachten. Denn es war ihnen mangels Deutschkenntnissen nicht möglich, Qualität und Inhalt seiner Arbeit zu überprüfen. Angesichts der Veröffentlichung seiner Übersetzungen auf offiziellen IS-Plattformen mussten sie sich auf den Angeschuldigten verlassen. Eine solche Vertrauensstellung wird üblicherweise nur Gefolgsleuten eingeräumt, die zum Kreis der Mitglieder der Vereinigung zählen. Hinzu kommt, dass die Leistung des Angeschuldigten beiderseits auf Dauer angelegt war und er sich durchweg der Autorität und den Anweisungen seiner IS-Kontaktpersonen unterwarf. Seine Arbeit stellte sich damit insgesamt hochwahrscheinlich als vereinigungstypische, besonders gewichtige Förderung des IS durch ein Mitglied der Organisation und nicht als Unterstützung durch einen Außenstehenden dar.

3. Der deutsche Angeschuldigte verübte seine Delikte in Deutschland. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes folgt damit aus § 3 StGB, zugleich ergibt sich hieraus der nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erforderliche Inlandsbezug. Die Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Strafverfolgung liegt vor.

Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Verfolgung der Tat nach §§ 129a, 129b StGB folgt aus § 142a Abs. 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG. Die jeweiligen Vorbereitungen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat stehen damit in einem engen Zusammenhang, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob sie eine besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 aE GVG aufweisen (zum Maßstab BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 253 f.; Beschlüsse vom 24. November 2009 - 3 StR 327/09, BGHR GVG § 120 Abs. 2 Nr. 3a Sicherheit 4 aE; vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 40 f.).

4. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie derjenige der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO.

a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte, sollte er auf freien Fuß gelangen, dem Strafverfahren entziehen als dass er sich ihm stellen wird. Angesichts des Gewichts der ihm vorgeworfenen Taten und seiner einschlägigen Vorstrafe hat er mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die einen hohen Fluchtanreiz auslöst. Persönliche oder berufliche Bindungen, die ihn von einer Flucht abhalten könnten, bestehen nicht. Vor seiner Inhaftierung lebte er von staatlichen Transferleistungen und allein, nachdem er im September 2020 seine Ehefrau ins Gesicht geschlagen sowie seiner Tochter die Nase gebrochen hatte und gegen ihn eine Gewaltschutzanordnung ergangen war. Nach den bisherigen Erkenntnissen verfolgt der Angeschuldigte noch immer das Ziel, sich als Kämpfer in das Kerngebiet des IS zu begeben. Er verfügt hochwahrscheinlich über vielfältige Verbindungen dorthin und nach Pakistan.

b) Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. etwa BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) ebenso auf den dort geregelten (subsidiären) Haftgrund gestützt werden kann.

5. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

6. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Die Vorwürfe der Ausreise nach Pakistan und der besonderen Einbindung in die Propagandaabteilung des IS ab dem 20. März 2022 haben sich erst im Anschluss an die Festnahme des Angeschuldigten ergeben und im Folgenden weiterer Aufklärung bedurft. Insbesondere sind - nach Entschlüsselung - seine Mobiltelefone mit fast 60.000 meist arabischsprachigen Chatnachrichten und weitere Audiodateien aus der schweizerischen Wohnraumüberwachung auszuwerten gewesen. Der Aktenumfang beläuft sich derzeit auf 60 Stehordner. Die Anklage ist bereits erhoben.

7. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe derzeit nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 446

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede