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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 424

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 14/17, Beschluss v. 06.04.2017, HRRS 2017 Nr. 424


BGH AK 14/17 - Beschluss vom 6. April 2017

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (Reservehaltung von Tatvorwürfen; Begriff „derselben Tat“; im Laufe der Ermittlungen bekanntwerdende neue Vorwürfe; Beginn einer neuen Sechsmonatsfrist; Zeitpunkt des Fristbeginns; keine Berücksichtigung der bisherigen Haftdauer); dringender Tatverdacht wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Begehung von Kriegsverbrechen (Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person; nichtinternationaler bewaffneter Konflikt); Beweiswert der Aussage eines Zeugen mit dem Gericht unbekannter Identität; niedrige Beweggründe beim Tötung aufgrund der politischen Überzeugung des Opfers.

§ 68 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB; § 8 VStGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Begriff „derselben Tat“ im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm - Sicherung der Verfahrensbeschleunigung und Wahrung der Verhältnismäßigkeit - weit auszulegen und erfasst deshalb alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können. Das gilt unabhängig davon, ob die Taten Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Dadurch wird vermieden, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende Taten des Beschuldigten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen (sog. Reservehaltung von Tatvorwürfen).

2. Danach beginnt keine neue Sechsmonatsfrist zu laufen, falls ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren. Gleiches hat zu gelten, falls der Haftbefehl um Tatvorwürfe erweitert wird, die erst während der Ermittlungen im vorgenannten Sinne bekannt geworden sind, für sich allein den Erlass eines Haftbefehls jedoch nicht rechtfertigen.

3. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt; für den Fristbeginn ist dann der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat. Entscheidend ist insoweit mithin, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist.

4. Nicht geboten ist allerdings, bei im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen, für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls tragenden Tatvorwürfen die bisherige Haftdauer mit zu berücksichtigen. Vielmehr setzt die nachträglich im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt gewordene Straftat eine neue Sechsmonatsfrist in Gang, um den Strafverfolgungsbehörden Gelegenheit zur Durchführung weiterer Ermittlungen zu geben.

5. Niedrige Beweggründe im Sinne des Mordtatbestandes liegen in der Regel vor, wenn sich der Täter in Verfolgung seiner selbst gesetzten Ziele mit der Tötung über gesellschaftliche Wertentscheidungen bewusst hinwegsetzt, deren Beachtung für das Funktionieren eines demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens schlechthin konstitutiv ist, insbesondere indem er einen Gegner allein aufgrund von dessen politischer Betätigung oder Überzeugung tötet (hier: Ansehen der Opfer als „Ungläubige“).

Entscheidungstenor

Eine Haftprüfung durch den Senat nach den §§ 121, 122 StPO ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 2. Juni 2016 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. Juni 2016 (2 BGs 353/16). Gegenstand dieses Haftbefehls war im Wesentlichen der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Mitglied an der Gruppierung „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS) und damit an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB und Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen zu begehen, und sich zugleich mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen (Mord, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und vorsätzlicher unerlaubter Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe) zu begehen, indem er im Oktober 2014 im Auftrag einer Führungsperson des IS als Angehöriger einer sog. Schläferzelle nach Deutschland gereist sei, um sich an einem in Düsseldorf geplanten terroristischen Anschlag zu beteiligen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 4, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 211, 308 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 2, § 52 StGB, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 22a Abs. 1 Nr. 2 KWKG i.V.m. Nr. 29c der Kriegswaffenliste. Außerdem wurde dem Beschuldigten mit dem Haftbefehl vom 1. Juni 2016 vorgeworfen, sich seit dem Jahr 2013 in Raqqa durch eine weitere selbständige Handlung als Mitglied an der Gruppierung „Jabhat al Nusra Li Ahli Sham“ (im Folgenden: Jabhat al Nusra) und damit an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, beteiligt und eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben, indem er sich zumindest im Jahr 2013 als Anführer der zur Jabhat al Nusra gehörenden Gruppe „Katiba Mohamed Ibm Abd Allah“ (im Folgenden: Katiba) an den Kämpfen gegen das Regime des Staatspräsidenten Bashar al Assad beteiligt und zu dieser Zeit in Raqqa Sprenggürtel und Granaten hergestellt habe, die zum Einsatz bei bewaffneten Auseinandersetzungen und bei Anschlägen auf syrische Soldaten bestimmt gewesen seien, strafbar gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 52, 53 StGB.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2016 (AK 63 - 65/16) die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus angeordnet.

Am 13. März 2017 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl vom 1. Juni 2016 abgeändert und neu gefasst. Gegenstand des neu gefassten Haftbefehls ist - über die bereits dem früheren Haftbefehl zugrunde liegenden Tatvorwürfe hinaus - der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich durch eine weitere rechtlich selbständige Handlung als Mitglied an der Gruppierung Jabhat al Nusra und damit an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB und Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen zu begehen; zugleich habe er gemeinschaftlich handelnd in 36 tateinheitlichen Fällen im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person aus niedrigen Beweggründen getötet, indem er sich im März 2013 als „Emir“ der zur Jabhat al Nusra gehörenden Katiba gemeinsam mit anderen an der Hinrichtung von 36 behördlichen Mitarbeitern der syrischen Regierung beteiligt habe, strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 4, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 211, 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

Der Generalbundesanwalt hat vorsorglich beantragt, gemäß §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus anzuordnen. Er hält es indes für zweifelhaft, ob die Vorlagepflicht nach § 122 Abs. 1 StPO zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt besteht.

II.

Der Senat gibt die Sache an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zurück, weil eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO derzeit nicht veranlasst ist. Der Beschuldigte befindet sich zwar mittlerweile seit mehr als neun Monaten in Untersuchungshaft. Im Hinblick auf die ihm mit dem Haftbefehl vom 13. März 2017 vorgeworfene Beteiligung an der Hinrichtung von 36 syrischen Regierungsmitarbeitern ist jedoch eine neue Sechsmonatsfrist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO in Gang gesetzt worden, deren Ablauf noch nicht bevorsteht.

1. Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat vor dem Erlass eines Urteils nur unter besonderen Voraussetzungen länger als sechs Monate aufrechterhalten werden. Dadurch soll dem Anspruch des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten auf beschleunigte Durchführung des Verfahrens (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK) sowie dem aus Art. 2 Abs. 2 GG herzuleitenden verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 1966 - 1 BvR 58/66, NJW 1966, 1259) Rechnung getragen werden. Der Senat teilt die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur inzwischen nahezu einhellig vertretene Auffassung, dass der Begriff „derselben Tat“ im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO mit Rücksicht auf diesen Schutzzweck der Norm weit auszulegen ist und deshalb alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an erfasst, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juni 2016 - 1 Ws 257/16 H, juris Rn. 6, 16; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. April 2015 - 1 Ws 7/15 (H), juris Rn. 7; KG, Beschluss vom 15. August 2013 - 4 Ws 108/13, juris Rn. 13; OLG Rostock, Beschluss vom 13. Juni 2013 - 2 HEs 9/13 (5/13), juris Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 32 HEs 1/12, juris Rn. 21; OLG Jena, Beschluss vom 16. November 2010 - 1 Ws 446/10 (32), juris Rn. 9; OLG Koblenz (2. Strafsenat), Beschluss vom 30. Juli 2009 - 2 HEs 8/09, juris Rn. 8; OLG Dresden, Beschluss vom 31. März 2009 - 2 AK 6/09, NJW 2010, 952; OLG Naumburg, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 Ws 674/08, juris Rn. 7 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 4 HEs 86/07, juris Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 3 Ws 460/03, NStZ-RR 2004, 125 f.; OLG Koblenz (1. Strafsenat), Beschluss vom 3. Januar 2001 - (1) 4420 BL - III - 71/00, 6 NStZ-RR 2001, 152; OLG Hamm, Beschluss vom 21. April 1998 - 2 BL 62/98, NStZ-RR 1998, 277, 278; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. Januar 1998 - 1 BL 4/98, NStZ-RR 1998, 182; OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. März 1997, 2 (3) HEs 16/97, StV 1997, 536, 537; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. März 1990 - 1 HEs 259/88, NJW 1990, 2144; OLG Hamburg, Beschluss vom 29. August 1989 - 1 Ws 243/89, StV 1989, 489; KK/Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 10; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 121 Rn. 14b; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 121 Rn. 11). Dadurch wird vermieden, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende Taten des Beschuldigten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen (sog. Reservehaltung von Tatvorwürfen).

Danach beginnt keine neue Sechsmonatsfrist zu laufen, falls ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren. Gleiches hat zu gelten, falls der Haftbefehl um Tatvorwürfe erweitert wird, die erst während der Ermittlungen im vorgenannten Sinne bekannt geworden sind, für sich allein den Erlass eines Haftbefehls jedoch nicht rechtfertigen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juni 2016 - 1 Ws 257/16 H, juris Rn. 11; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. April 2015 - 1 Ws 7/15 (H), juris Rn. 11; OLG Celle, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 32 HEs 1/12, juris Rn. 26; vgl. auch OLG Koblenz (2. Strafsenat), Beschluss vom 30. Juli 2009 - 2 HEs 8/09, juris Rn. 8; OLG Jena, Beschluss vom 16. November 2010 - 1 Ws 446/10 (32), juris Rn. 9; KK/Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 10 f.).

Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt; für den Fristbeginn ist indes der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat. Entscheidend ist insoweit mithin, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (vgl. etwa KG, Beschluss vom 15. August 2013 - 4 Ws 108/13, juris Rn. 13 mwN).

Demgegenüber gebietet es der Gesetzeszweck nicht, auch in den letztgenannten Fällen die bisherige Haftdauer mit zu berücksichtigen (so aber OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. September 2010 - 1 Ws 202 - 204/10, juris Rn. 3; OLG Koblenz (2. Strafsenat), Beschluss vom 10. April 2000 - (2) 4420 BL - III - 97/00, aufgegeben durch Beschluss vom 30. Juli 2009 - 2 HEs 8/09, juris Rn. 9). Denn die zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft nach § 121 Abs. 1 StPO soll die Strafverfolgungsbehörden dazu anhalten, die Ermittlungen hinsichtlich der dem Haftbefehl zugrunde liegenden Tat und das weitere Verfahren zu beschleunigen. Anlass, diesem Beschleunigungsgebot entsprechend Ermittlungen wegen weiterer Taten durchzuführen, die ihrerseits zum Erlass eines Haftbefehls führen oder in einen bestehenden Haftbefehl aufgenommen werden können, haben die Ermittlungsbehörden aber erst dann, wenn sie von den betreffenden Taten Kenntnis erlangen. Die nachträglich im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt gewordene Straftat setzt daher eine neue Sechsmonatsfrist in Gang, um den Strafverfolgungsbehörden Gelegenheit zur Durchführung weiterer Ermittlungen zu geben (OLG Koblenz (1. Strafsenat), Beschluss vom 3. Januar 2001 - (1) 4420 BL - III - 71/00), NStZ-RR 2001, 152, 154 mwN; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - III - 3 Ws 460/03, NStZ-RR 2004, 125 f.; KK/Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 10; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 121 Rn. 14b).

2. An diesen Maßstäben gemessen hat der erweiterte Haftbefehl vom 13. März 2017 eine neue Sechsmonatsfrist eröffnet.

a) Der Beschuldigte ist der ihm nunmehr über die dem Haftbefehl vom 1. Juni 2016 zugrunde liegenden Tatvorwürfe hinaus zur Last gelegten Beteiligung an der Hinrichtung von 36 Mitarbeitern der syrischen Regierung dringend verdächtig.

aa) Insoweit ist nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

(1) Bei der Jabhat al Nusra handelt es sich um eine Ende 2011 von Abu Muhammad al Jaulani in Syrien gegründete Vereinigung, die es sich - von radikal religiösen Anschauungen geleitet - zum Ziel gesetzt hat, das Assad-Regime in Syrien zu stürzen und durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia zu ersetzen. Darüber hinaus erstrebt sie die „Befreiung“ des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Teilen der südlichen Türkei, des Libanons, Jordaniens, Israels und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgt die Jabhat al Nusra mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen sowie gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär- und Sicherheitsapparates. Insgesamt werden der Gruppierung allein bis Ende 2014 mehr als 1.500 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 8.700 Menschen getötet wurden. So hat sich die Jabhat al Nusra auch zu mehreren Selbstmordanschlägen auf Angehörige der syrischen Armee am 14. April 2014 und am 25. Mai 2014 mittels mit Sprengstoff beladener Fahrzeuge bekannt.

Die Jabhat alNusra ist militärisch-hierarchisch organisiert. Abu Muhammad al Jaulani, der die Organisation nach wie vor anführt, ist ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura Rat zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene stehen die Kommandeure der kämpfenden Einheiten, die ihrerseits untergliedert sind in die vor Ort agierenden Kampfgruppen. Die Zahl der Kämpfer der Jabhat alNusra wird derzeit auf 4.000 bis 6.000 geschätzt. Ihre militärische Ausbildung erhalten diese in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gibt es Hinweise auf sogenannte „Scharia Komitees“ in den von der Jabhat al Nusra kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regeln und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantreiben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bedient sich die Jabhat al Nusra der eigenen Medienstelle „almanara albaida“ („Der weiße Leuchtturm“), über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitet. Darüber hinaus unterhält sie ein Netzwerk von „Korrespondenten“ in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichen.

Seit Juli 2016 nennt sich die Organisation offiziell „Jabhat Fath al Sham“. Am 28. Januar 2017 hat sie sich mit weiteren Gruppierungen zu dem Bündnis „Hai´at Tahrir al Sham“ zusammengeschlossen.

(2) Der Beschuldigte beteiligte sich zumindest im Jahr 2013 als Anführer der zur Jabhat al Nusra gehörenden Gruppe Katiba an den Kämpfen gegen das Regime des Staatspräsidenten Bashar al Assad. Gemeinsam mit den anderweitig verfolgten A. und H. sowie weiteren Personen tötete er im März 2013 auf einem Müllplatz entlang einer Straße zwischen den syrischen Städten Tabka und Al Safsafa insgesamt 36 behördliche Mitarbeiter der syrischen Regierung, insbesondere Polizeibeamte, Sicherheitsdienstmitarbeiter, Grenzschützer, Armeeangehörige und Milizionäre, durch das Erschlagen mit einem Stein sowie unter Verwendung eines Maschinengewehrs, mehrerer Pistolen und eines Messers. Die Getöteten hatte die Katiba zuvor bei der Eroberung des Gouverneurspalasts in Raqqa gefangen genommen. Die Hinrichtung der gefangen genommenen Opfer wurde durch den Beschuldigten und seine Mittäter auf Anweisung des Scharia Richters von Tabka, der selbst Mitglied der Jabhat al Nusra war, vollzogen. Dem Beschuldigten und den anderen an den Exekutionen beteiligten Personen ging es dabei um die Beseitigung von Angehörigen des politischen Gegners, um letztlich den Weg für die Übernahme der Macht in Syrien durch die Jabhat al Nusra vorzubereiten.

bb) Hinsichtlich der Umstände, die den dringenden Tatverdacht betreffend die terroristische Vereinigung Jabhat al Nusra und die mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an der Organisation begründen, nimmt der Senat auf seine Haftfortdauerentscheidung vom 15. Dezember 2016 Bezug. Im Hinblick auf die dem Beschuldigten zur Last gelegte Beteiligung an der Hinrichtung von 36 syrischen Regierungsangestellten ergibt sich der dringende Tatverdacht aus den Angaben eines am 9. Februar 2017 vernommenen Zeugen, die durch weitere Ermittlungsergebnisse gestützt werden.

Der Zeuge, dessen Personalien nach § 68 Abs. 3 Satz 1 StPO gesperrt sind, hat die Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter, die er seiner Darstellung zufolge miterlebt hat, detailreich und anschaulich geschildert. Insbesondere hat er bekundet, dass der Beschuldigte, den er im Rahmen einer Lichtbildvorlage als Anführer der Katiba wiedererkannt hat, die anderen Kämpfer ermutigt habe, die Gefangenen zu töten, und dem letzten Gefangenen selbst die Kehle durchgeschnitten habe. Bei daraufhin durchgeführten Internetrecherchen wurden u.a. zwei am 7. März 2013 im Internet veröffentlichte Videoaufnahmen gefunden, welche die Angaben des Zeugen stützen. In einem der Videos wird über die Gefangennahme von 36 Personen im Zusammenhang mit der Eroberung des Gouverneurspalasts in Raqqa durch die Katiba berichtet, und in dem anderen Video ist zu sehen, wie gefangen genommene Personen in einen Bus verbracht werden, wobei eine männliche Person arabisch spricht.

Der sich daraus ergebende Tatverdacht wird durch Äußerungen des Beschuldigten erhärtet, die er am 21. Januar 2016 im Rahmen einer „Facebook"-Kommunikation mit einer Person namens „M.“ gemacht hat. Dabei berichtete er darüber, dass „Interpol“ drei Monate lang gegen ihn ermittelt habe. In diesem Zusammenhang sprach er davon, „verraten“ worden zu sein, obwohl er keinem „davon“ erzählt habe; er wisse dies, da er „mit dem Massaker konfrontiert“ worden sei: „Sie“ hätten ihm „Details von dem Gouvernement-Gefangenen-Massaker“ erzählt, die er selbst vergessen gehabt habe. Ein - verhältnismäßig geringer - Beweiswert kommt insoweit schließlich auch den Angaben des Zeugen Ma. zu, wonach Angehörige der Katiba zwischen August und Dezember 2013 nach den Kämpfen um das Rathaus in Raqqa insgesamt 176 Zivilisten töteten und Ma. von einem „Augenzeugen“ erfuhr, dass der Beschuldigte dabei gewesen sei und selbst acht Menschen getötet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl vom 13. März 2017 und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.

Wenngleich den Angaben eines Zeugen, dessen Identität dem Gericht nicht bekannt ist, nur ein eingeschränkter Beweiswert zukommt (vgl. BGH, 19 20 21 Urteile vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 25; vom 11. Februar 2000 - 3 StR 377/99, NJW 2000, 1661 jeweils mwN), und noch nicht alle im Rahmen der Internetrecherche aufgefundenen Videoaufnahmen übersetzt und ausgewertet werden konnten, begründen die Angaben des am 9. Februar 2017 vernommenen Zeugen in der Gesamtschau mit den beiden am 7. März 2013 im Internet veröffentlichten Videos sowie den weiteren Beweisanzeichen die für die Annahme eines dringenden Tatverdachts notwendige hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte wegen seiner Beteiligung an der Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter verurteilt werden wird.

cc) Danach hat sich der Beschuldigte im Zusammenhang mit diesem Vorfall mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an der Jabhat al Nusra und damit an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt und zugleich in 36 rechtlich zusammentreffenden Fällen aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 4, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 211, 25 Abs. 2, § 52 StGB. Es kann dahinstehen, ob er zugleich in 36 rechtlich zusammentreffenden Fällen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person getötet hat (strafbar nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB), oder ob ihm unter dem Gesichtspunkt eines Kriegsverbrechens lediglich zur Last fällt, in 36 tateinheitlichen Fällen gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe, vollstreckt zu haben, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist, strafbar nach § 8 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 6 Nr. 2 VStGB. Denn schon der dringende Tatverdacht wegen des (in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in der Jabhat al Nusra stehenden) Kriegsverbrechens im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB in 36 rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie des tateinheitlich damit verwirklichten Mordes in 36 tateinheitlichen Fällen trägt für sich die Anordnung der Untersuchungshaft.

(1) Bei den im Tatzeitraum in Syrien stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten bezeichnet, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als (nichtinternationale) bewaffnete Konflikte eingestuft werden (vgl. zu allem: BT-Drucks. 14/8524, S. 25; BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 23; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1131, 1136, 1148 ff.; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 108 ff.).

Die in Syrien stattfindenden Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften und oppositionellen bewaffneten Gruppen gingen zur Tatzeit über bloße innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte oder vereinzelt auftretende Gewalttaten weit hinaus. Sie dauerten im Frühjahr 2013 bereits längere Zeit an und hatten nahezu das ganze Land erfasst. Zumindest solche Konfliktparteien wie die FSA, die Jabhat al Nusra und der - damals noch so genannte - „Islamische Staat im Irak und in Syrien“ (ISIG) waren zudem in hohem Maße organisiert: Sie waren hierarchisch strukturiert, verfügten über ein großes Ausmaß an militärischer Ausrüstung, kontrollierten weite Landesteile und waren in der Lage, ihre Kämpfer militärisch auszubilden sowie koordinierte Angriffe durchzuführen (vgl. zu diesen Kriterien Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1152 Fn. 194). Dementsprechend handelte es sich um einen bewaffneten Konflikt, der jedenfalls zur Tatzeit noch als nichtinternationaler anzusehen war. Ungeachtet dessen, ob der Bürgerkrieg durch das Eingreifen ausländischer Kräfte inzwischen soweit „internationalisiert“ ist, dass von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre (vgl. zur Internationalisierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 101 ff.), war dies zumindest im Frühjahr 2013 noch nicht der Fall.

(2) Bei den getöteten 36 Mitarbeitern der syrischen Regierung handelte es sich um nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB, wonach in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt insbesondere solche Personen als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende anzusehen sind, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Das war hier hinsichtlich der 36 Getöteten der Fall. Sie haben - auch soweit es sich um Grenzschützer, Armeeangehörige und Milizionäre handelte - nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen, sondern waren im Zusammenhang mit der Eroberung des Gouverneurspalasts in Raqqa gefangen genommen worden.

Die Geschädigten befanden sich infolgedessen auch in der Gewalt der gegnerischen Partei. Das ergibt sich schon daraus, dass es sich um Mitarbeiter der syrischen Regierung handelte, gegen die sich die Kampfhandlungen der Jabhat al Nusra richteten.

(3) Die Tat ist schließlich auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen worden. Der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts begangen werden (Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1163 ff.). Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (BT-Drucks. 14/8524, S. 25).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Beschuldigte war militärischer Anführer einer aktiv in den syrischen Bürgerkrieg eingebundenen Kampfeinheit. Die Getöteten waren im Zuge von Kampfhandlungen von der Katiba gefangen genommen worden und wurden getötet, weil sie als Angehörige der gegnerischen syrischen Regierung angesehen wurden.

(4) Die Gefangenen wurden auch aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 Variante 4 StGB getötet. Beweggründe sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Anschauung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 460/14, NStZ-RR 2015, 308, 309). Das ist der Fall, wenn sich der Täter in Verfolgung seiner selbst gesetzten Ziele mit der Tötung über gesellschaftliche Wertentscheidungen bewusst hinwegsetzt, deren Beachtung für das Funktionieren eines demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens schlechthin konstitutiv ist, insbesondere indem er einen Gegner allein aufgrund von dessen politischer Betätigung oder Überzeugung tötet (MüKoStGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 89 f.). So verhielt es sich hier. Es ging dem Beschuldigten und seinen Mittätern nach Lage der Dinge ausschließlich darum, die wehrlosen Gefangenen zu töten, weil es sich aus ihrer Sicht um Angehörige des politischen Gegners und damit um „Ungläubige“ handelte, die es zu töten galt, um den Machtanspruch der Jabhat al Nusra in Syrien durchzusetzen.

dd) Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts folgt hinsichtlich des dem Beschuldigten zur Last gelegten Kriegsverbrechens gegen Personen unmittelbar aus § 1 VStGB, bezüglich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der außereuropäischen terroristischen Vereinigung Jabhat al Nusra infolge seines Aufenthalts im Inland aus § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.) und im Hinblick auf die Mordtat zumindest aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Mord aus niedrigen Beweggründen ist gemäß Art. 534 Nr. 1 des syrischen Strafgesetzbuchs auch in Syrien mit Strafe bedroht, und eine Auslieferung des Beschuldigten kommt angesichts der Verhältnisse in Syrien derzeit nicht in Betracht.

ee) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern der Jabhat al Nusra liegt vor.

b) Wie sich bereits den Ausführungen unter II. 2. a) bb) entnehmen lässt, hat sich der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Beteiligung des Beschuldigten an der Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter erst nach Erlass des Haftbefehls am 1. Juni 2016 ergeben. Er resultiert aus einer Gesamtschau der Angaben des am 9. Februar 2017 vernommenen Zeugen, der anschließend bei einer Internetrecherche aufgefundenen Videoaufnahmen, der Äußerungen des Beschuldigten im Rahmen einer „Facebook"-Kommunikation vom 21. Januar 2016 sowie der Angaben des Zeugen Ma. Bei Erlass des Haftbefehls vom 1. Juni 2016 waren den Ermittlungsbehörden lediglich die Äußerungen des Beschuldigten anlässlich des am 29. April 2016 ausgewerteten „Facebook"-Chats bekannt. Sie allein begründeten indes ebenso wenig einen dringenden Tatverdacht wie die Angaben des Zeugen Ma., der am 29. Juni 2016 vernommen wurde, und die - in ihrem Beweiswert eingeschränkten - Angaben des am 9. Februar 2017 vernommenen gesperrten Zeugen. Auch aus einer Gesamtschau dieser Umstände ergab sich noch keine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit. Zum dringenden Tatverdacht haben sich die Verdachtsmomente erst durch die Übersetzung und islamwissenschaftliche Bewertung der bei der Internetrecherche gefundenen Videoaufnahmen am 14. und 16. Februar 2017 verdichtet.

c) Die dem Beschuldigten vorgeworfene Beteiligung an der Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter ist nicht dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, wie sie dem Beschuldigten im Haftbefehl vom 1. Juni 2016 angelastet worden ist; sie rechtfertigt auch für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls.

aa) Das dem Beschuldigten nunmehr angelastete Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 oder jedenfalls § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB) nebst mehrfachem Mord steht zwar ebenso in Tateinheit zur mitgliedschaftlichen Beteiligung des Beschuldigten an der außereuropäischen terroristischen Vereinigung Jabhat al Nusra wie die ihm in dem ursprünglichen Haftbefehl vorgeworfene Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Indes verbindet diese mitgliedschaftliche Beteiligung die beiden Tatkomplexe nicht zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinn (§ 52 Abs. 1 StGB). Da es sich um unterschiedliche geschichtliche Vorgänge handelt, liegt auch keine einheitliche Tat im prozessualen Sinne des § 264 StPO vor (zu allem BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 319 f.). Unbeschadet der Frage, unter welchen - hier nicht gegebenen - besonderen Umständen bei Beachtung haftrechtlicher Gesichtspunkte die beiden Tatkomplexe dennoch als dieselbe Tat gemäß § 121 Abs. 1 StPO zu bewerten wären (s. oben II. 1.), handelt es sich somit auch nach den allgemeinen materiell- und verfahrensrechtlichen Maßstäben bei dem neuen Tatvorwurf nicht um eine schon von dem ursprünglichen Haftbefehl erfasste Tat.

bb) Der Beschuldigte hat schon im Falle seiner Verurteilung wegen des ihm nunmehr zur Last gelegten Kriegsverbrechens gegen Personen sowie Mordes mit einer so hohen Freiheitsstrafe zu rechnen, dass angesichts fehlender fluchthemmender Umstände - insoweit nimmt der Senat auf seine Haftfortdauerentscheidung vom 15. Dezember 2016 Bezug - zumindest die Gefahr besteht, dass die Ahndung der Tat ohne weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist deshalb auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) jedenfalls auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO zu stützen.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind nicht erfolgversprechend.

cc) Schließlich steht die Anordnung der Untersuchungshaft im Hinblick auf die Beteiligung des Beschuldigten an der Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem in Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zukommt, falls sich - wie hier - die Haftdauer insgesamt verlängert, weil während des Vollzugs der Untersuchungshaft eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt worden ist und eine (erneute) Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO deshalb nicht stattfindet (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juni 2016 - 1 Ws 257/16 H, juris Rn. 10; OLG Koblenz, Beschluss vom 3. Januar 2001 - (1) 4420 BL - III - 71/00, NStZ-RR 2001, 152, 153).

3. Der Ablauf der durch den Haftbefehl vom 13. März 2017 in Gang gesetzten Sechsmonatsfrist steht noch nicht bevor. Da der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Beteiligung des Beschuldigten an der Hinrichtung der 36 syrischen Regierungsmitarbeiter letztlich seit dem 16. Februar 2017 besteht, ist davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens am 17. Februar 2017 um den neuen Tatvorwurf hätte erweitert werden können. Die neue Sechsmonatsfrist hat folglich erst an diesem Tag zu laufen begonnen.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 424

Bearbeiter: Christian Becker