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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 70

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 92/21, Beschluss v. 10.11.2022, HRRS 2023 Nr. 70


BGH 2 StR 92/21 - Beschluss vom 10. November 2022 (LG Köln)

Urteilsgründe (zur Anwendung gebrachtes Strafgesetz; weitere Rechtausführungen: Gebotenheit, sachlich-rechtliche Gesichtspunkte, keine Zweifel, Erkennen und Beurteilen der durch die getroffenen Feststellungen ergebenden rechtlichen Fragen durch das Tatgericht, Widerspruch zwischen Urteilsformel und -gründen, offensichtliches Verkündungsversehen, nachträgliche Berichtigung, Sachrüge, Urteilsaufhebung); Inverkehrbringen von qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln (taugliches Tatobjekt: Qualitätsminderung, gefälschtes Arzneimittel oder Wirkstoff, bloße unrichtige Angabe, Täuschungseignung).

§ 267 StPO; § 95 Abs 1 Nr. 3a AMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG setzt ein Handeln „entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1“ voraus und verbietet es damit, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind. Erforderlich ist folglich - ungeachtet der Frage, ob sich die Erheblichkeit der Qualitätsminderung nach einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall bestimmt - die Feststellung, dass überhaupt eine Qualitätsminderung gegeben ist.

2. Allein die bloße (objektiv) unrichtige Angabe begründet indes keine tatbestandsmäßige Fälschung im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG. Dies ergibt sich aus der auch hinsichtlich gefälschter Arzneimittel und Wirkstoffe in Bezug genommenen Bestimmung des § 8 Abs. 1 AMG, die - wie die übrigen Verbote des § 8 AMG - „zum Schutz vor Täuschung“ der Verbraucher dienen soll. Nach diesem schon in der amtlichen Gesetzesüberschrift zum Ausdruck gekommenen Schutzzweck der Vorschrift wird eine Falschangabe vom Verbot nur erfasst, wenn ihr Täuschungseignung zukommt.

3. Zwar ist das Tatgericht verfahrensrechtlich lediglich dazu verpflichtet, das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz in den Urteilsgründen zu bezeichnen, § 267 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz StPO. Inwieweit daneben weitere Rechtsausführungen geboten sind, richtet sich nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten. Es dürfen aber keine Zweifel verbleiben, ob das Tatgericht die sich aus den getroffenen Feststellungen ergebenden rechtlichen Fragen erkannt und zutreffend beurteilt hat. Solche Zweifel können insbesondere dann bestehen, wenn ein Widerspruch zwischen Urteilsformel und -gründen vorliegt. Beide bilden eine untrennbare Einheit. Bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen darf der Fehler im Urteilstenor berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann. Lässt sich indes nicht mit Sicherheit klären, dass lediglich ein - noch nachträglich zu berichtigendes - offensichtliches Versehen bei der Fassung bzw. Verkündung der Urteilsformel vorliegt, führt ein solcher Widerspruch bereits auf die Sachrüge hin zur Urteilsaufhebung.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten V. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 21. September 2020, soweit es ihn und die Mitangeklagten K. und P. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln und Wirkstoffen in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in zwei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln und Wirkstoffen in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in 14 Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit „vorsätzlichem Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Nichtrevidenten K. hat es wegen Handeltreibens mit qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in acht Fällen sowie wegen Inverkehrbringens von qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie den Nichtrevidenten P. wegen Herstellens qualitätsgeminderter und gefälschter Arzneimittel in sieben Fällen zu einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass wegen rechtstaatswidriger Verfahrensverzögerung jeweils ein Teil als vollstreckt gilt. Schließlich hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen.

Gegen seine Verurteilung richtet sich der Angeklagte V. mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat - unter Erstreckung der Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten K. und P. - mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Im Februar 2012 kam der Angeklagte mit dem gesondert verfolgten Pa. und nicht näher identifizierten Personen überein, verschreibungs- und apothekenpflichtige Anabolikapräparate zum leistungssteigernden Einsatz in der „Bodybuildingszene“ zu vertreiben. Hierdurch beabsichtigte er, erhebliche Gewinne zu erzielen und davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Präparate konnten von sogenannten Großhändlern über eine Internetplattform bei dem Angeklagten bestellt werden. Im Zeitraum zwischen Sommer 2012 und Ende Juni 2013 bezog der Angeklagte jeweils nach Eingang entsprechender Anfragen in acht Fällen über Kontaktpersonen in China anabole Stoffe zur Herstellung der Präparate (Fälle II. B. 1 bis 8 der Urteilsgründe). Diese wurden durch Pa. nach Erhalt der Lieferungen aus China produziert und sodann durch den Angeklagten an die „Großhändler“ gewinnbringend veräußert. Deren Kunden beabsichtigten, was der Angeklagte wusste, durch die Einnahme der Präparate den Aufbau von Muskelmasse zu erreichen.

Zeitgleich mit den anabolen Stoffen (Fälle II. B. 1 bis 8) und darüber hinaus mit acht weiteren Bestellungen im Zeitraum zwischen Anfang August 2013 und Ende September 2014 (Taten II. B. 9 bis 16) orderte der Angeklagte bei seinen Kontaktpersonen zudem den verschreibungs- und apothekenpflichtigen Wirkstoff Sildenafil, um diesen den Nichtrevidenten K. und P. zu überlassen. Diese stellten damit ein Präparat zur Behandlung erektiler Dysfunktion her, das dem eines indischen Pharmaunternehmens nachempfunden war, wobei die entsprechend gestaltete und beschriftete Verpackung eine so geringe Verarbeitungsqualität aufwies, dass die Konsumenten jeweils erkannten, nicht das Originalprodukt erworben zu haben. Der Angeklagte V. wurde teilweise am Erlös aus dem Verkauf des Präparats beteiligt.

Technisch waren der Angeklagte V., die Nichtrevidenten und Pa. weder in der Lage, die Qualität der Ausgangsstoffe zu kontrollieren, noch sterile Herstellungsbedingungen einzuhalten.

2. a) Der Angeklagte V. habe sich nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts in den Fällen II. B. 1 bis 16 jeweils wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) strafbar gemacht, in den Fällen II. B. 1 bis 8 jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Sport zu Dopingzwecken (§ 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG aF), darüber hinaus in den Fällen II. B. 1 und 2 in Tateinheit mit Inverkehrbringen bzw. in den Fällen II. B. 3 bis 16 mit Handeltreiben mit qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG).

b) Das Verhalten der Nichtrevidenten hat das Landgericht in den sie betreffenden Fällen - hinsichtlich des K. tateinheitlich mit anderen Delikten - als Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG gewertet.

II.

Die Revision des Angeklagten V. ist begründet. Zwar kann sie aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen mit der Verfahrensrüge nicht durchdringen, sie deckt aber durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.

1. Das angefochtene Urteil leidet bereits an einem Widerspruch zwischen dem Urteilstenor und den Urteilsgründen.

a) Zwar ist das Tatgericht verfahrensrechtlich lediglich dazu verpflichtet, das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz in den Urteilsgründen zu bezeichnen, § 267 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz StPO. Inwieweit daneben weitere Rechtsausführungen geboten sind, richtet sich nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 22). Es dürfen aber keine Zweifel verbleiben, ob das Tatgericht die sich aus den getroffenen Feststellungen ergebenden rechtlichen Fragen erkannt und zutreffend beurteilt hat (vgl. LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 267 Rn. 186). Solche Zweifel können insbesondere dann bestehen, wenn ein Widerspruch zwischen Urteilsformel und -gründen vorliegt (vgl. hierzu MüKo-StPO/Maier, § 260 Rn. 210 ff.). Beide bilden eine untrennbare Einheit (vgl. RG, Urteil vom 22. November 1912 - II 820/12, RGSt 46, 326; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2016 - 2 StR 433/15, NStZ 2017, 375, 376; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 337 Rn. 27). Bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen darf der Fehler im Urteilstenor berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 - 3 StR 570/18, Rn. 2 mwN). Lässt sich indes nicht mit Sicherheit klären, dass lediglich ein - noch nachträglich zu berichtigendes - offensichtliches Versehen bei der Fassung bzw. Verkündung der Urteilsformel vorliegt, führt ein solcher Widerspruch bereits auf die Sachrüge hin zur Urteilsaufhebung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 - 2 StR 544/11, NStZ-RR 2012, 179 f.; vom 11. November 2020 - 2 StR 48/20, NStZ-RR 2021, 181; vom 12. Oktober 2021 - 2 StR 299/21, Rn. 2; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 5 StR 46/09, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 5; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 260 Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 267 Rn. 39a).

b) Die vorliegend - in Bezug auf den Angeklagten V. - rund neunseitige rechtliche Würdigung des Landgerichts korreliert mit Blick auf das konkurrenzrechtliche Verhältnis zwischen den durch das Landgericht angenommenen Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a aF und § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG nicht mit der Urteilsformel. Nach letzterer stehen sämtliche acht Fälle des Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport unter anderem in Tateinheit mit einem Handeltreiben mit qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln. Nach der rechtlichen Würdigung trifft dies jedoch nur auf sechs Fälle (Fälle II. B. 3 bis 8) zu, während die übrigen zwei Fälle des Vergehens nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG aF in Tateinheit mit der Tatvariante des Inverkehrbringens von qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG stehen (Fälle II. B. 1 und 2).

2. Darüber hinaus erweist sich die Verurteilung des Angeklagten V. wegen Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Nach dieser Vorschrift - in der vom Landgericht jeweils zutreffend angewendenten Fassung (für die Fälle II. B. 1 und 2 in der bis zum 25. Oktober 2012 und für die übrigen Fälle in der ab dem 26. Oktober 2012 geltenden Fassung, vgl. BGBl. I S. 2192) - macht sich insbesondere strafbar, wer qualitätsgeminderte oder gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe in den Verkehr bringt. Das Vorliegen eines solchen Tatobjekts im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG ist in keinem der abgeurteilten Fälle belegt.

a) Weder mit Blick auf den verschreibungs- und apothekenpflichtigen Wirkstoff Sildenafil und das daraus hergestellte Präparat, noch hinsichtlich der durch den Angeklagten V. bestellten anabolen Stoffe und die damit hergestellten Anabolikapräparate ist eine „Qualitätsminderung“ im Sinne der Vorschrift belegt.

aa) Vielmehr lassen die Urteilsgründe besorgen, dass das Landgericht nicht in den Blick genommen hat, dass nicht jeder qualitative Mangel von dem Verbot des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG erfasst ist. Denn die Vorschrift setzt ein Handeln „entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1“ voraus und verbietet es damit, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind. Erforderlich ist folglich - ungeachtet der Frage, ob sich die Erheblichkeit der Qualitätsminderung nach einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall bestimmt (vgl. Weber/Kornprobst/Maier/Weber, AMG, 6. Aufl., § 8 Rn. 15; MüKo-StGB/Freund, 4. Aufl., AMG, § 8 Rn. 8; Rehmann, AMG, 5. Aufl., § 8 Rn. 2; Spickhoff/Heßhaus, Medizinrecht, 3. Aufl., AMG, § 8 Rn. 4) - die Feststellung, dass überhaupt eine Qualitätsminderung gegeben ist.

bb) Demgegenüber hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Angeklagte V. - ebenso wie die Nichtrevidenten - technisch nicht in der Lage war, die Qualität der Ausgangsstoffe umfassend zu kontrollieren und sterile Herstellungsbedingungen einzuhalten. Ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen dies auf die Qualität der hergestellten Präparate tatsächlich hatte, lassen die Urteilsgründe unerörtert. Eine Qualitätsminderung kann auch nicht daraus geschlussfolgert werden, dass die Präparate ausweislich der Urteilsgründe generell geeignet waren, den menschlichen Organismus zu schädigen. Denn nach den durch die Strafkammer hierzu in Bezug genommenen Ausführungen des Sachverständigen lässt sich jedenfalls nicht ausschließen, dass damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Präparate bzw. die darin enthaltenen Wirkstoffe allgemein - und damit auch bei einer qualitätswahrenden Herstellung - Gesundheitsrisiken in sich bergen und deshalb verschreibungspflichtig sind.

b) Ausgehend von den Feststellungen lagen auch keine gefälschten Arzneimittel oder Wirkstoffe im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG vor.

aa) Eine Fälschung kam allein in Bezug auf das dem Produkt eines indischen Pharmaunternehmens nachempfundene Präparat mit dem Wirkstoff Sildenafil in Betracht. Anhaltspunkte für eine Fälschung der übrigen Tatgegenstände („Anabolika“) ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht.

bb) Auch hinsichtlich des Präparats mit dem Wirkstoff Sildenafil ist eine Fälschung im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG nicht belegt. Dieses ist zwar im Hinblick auf seine Herkunft falsch gekennzeichnet, denn es stammte nicht von dem auf der Verpackung angegebenen indischen Pharmaunternehmen (vgl. auch nach derzeit geltender Rechtslage § 4 Abs. 40 Nr. 2 AMG). Allein die bloße (objektiv) unrichtige Angabe begründet indes keine tatbestandsmäßige Fälschung im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG. Dies ergibt sich aus der auch hinsichtlich gefälschter Arzneimittel und Wirkstoffe in Bezug genommenen Bestimmung des § 8 Abs. 1 AMG, die - wie die übrigen Verbote des § 8 AMG - „zum Schutz vor Täuschung“ der Verbraucher dienen soll (vgl. zum Normzweck BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - I ZR 29/14, PharmR 2016, 15, 16, MüKo-StGB/Freund, AMG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, AMG, 6. Aufl., § 8 Rn. 1). Nach diesem schon in der amtlichen Gesetzesüberschrift zum Ausdruck gekommenen Schutzzweck der Vorschrift wird eine Falschangabe vom Verbot nur erfasst, wenn ihr Täuschungseignung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 136/14, PharmR 2015, 127, 132 mwN; OVG Nordrhein-Westfalen, PharmR 2008, 383 f.; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, AMG, 6. Aufl., § 4 Rn. 131). Eine solche Täuschungseignung hat das Landgericht nicht festgestellt, vielmehr war ausweislich der Urteilsgründe für alle Konsumenten erkennbar, nicht das Originalprodukt erworben zu haben.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen hier der Verurteilung des Angeklagten V. insgesamt die Grundlage. Die deswegen gebotene Urteilsaufhebung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die Nichtrevidenten K. und P. zu erstrecken. Die rechtsfehlerbehaftete Anwendung des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG betrifft diese in gleicher Weise wie den Angeklagten V. .

4. Der Senat hebt auch die getroffenen Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass - jedenfalls mit Blick auf das Vorliegen von qualitätsgeminderten Arzneimitteln oder Wirkstoffen - noch Feststellungen getroffen werden können, die eine entsprechende Verurteilung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG tragen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Durchgreifende Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit von § 6a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AMG aF bestehen im vorliegenden Fall nicht (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 18. September 2013 - 2 StR 365/12, BGHSt 59, 11; BGH, Urteil vom 27. November 2019 - 3 StR 233/19, PharmR 2020, 152, 154 f.; Beschlüsse vom 7. August 2018 - 3 StR 345/17, NStZ-RR 2019, 86, 87; vom 14. Februar 2019 - 4 StR 283/18, PharmR 2019, 393; kritisch hingegen Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz - Untersuchung des Arzneimittelbegriffs und der Blankettverweisungen am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG, S. 149 ff.).

2. Mit Blick auf § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG wird sich das neue Tatgericht - jedenfalls hinsichtlich des Schuldumfangs - näher damit auseinanderzusetzen haben, ob auszuschließen ist, dass die Lieferungen in den Fällen II. B. 1 bis 8 neben Sildenafil lediglich Trenbolon enthalten haben könnten; bei diesem handelt es sich nicht um ein den Apotheken vorbehaltenes Arzneimittel (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2019 - 3 StR 233/19, PharmR 2020, 152, 156).

3. Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls zu prüfen haben, ob mit Blick auf die Verfahrensdauer (namentlich der Dauer des Revisionsverfahrens) eine Kompensation zu gewähren ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 70

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede