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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 280

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 284/19, Beschluss v. 14.01.2020, HRRS 2020 Nr. 280


BGH 2 StR 284/19 - Beschluss vom 14. Januar 2020 (LG Erfurt)

Rücktritt vom Versuch (Grundsätze der Freiwilligkeit).

§ 24 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (st. Rspr.). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (st. Rspr.).

2. Dass ein Angeklagten die Weiterverfolgung des Geschädigten nicht möglich war, ohne eine andere Person, der sein vorrangiges Interesse galt, aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will. Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb.

3. Zwar kann grundsätzlich nur derjenige strafbefreiend zurücktreten, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgibt. Diese Erwägung betrifft aber stets nur den Entschluss, von der Vollendung eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens im Sinne eines gesetzlich umschriebenen Straftatbestandes abzusehen. Dementsprechend steht einem Rücktritt nicht entgegen, wenn der Täter den zunächst Geschädigten nicht weiterverfolgt, um sich einem anderen Opfer zuzuwenden, dessen Tötung er für vordringlich erachtet.

4. Die Gefahr einer Entdeckung kann erst dann die Annahme einer Freiwilligkeit des Rücktritts hindern, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei einem weiteren Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. Allein die Erhöhung des Entdeckungsrisikos steht der Annahme der Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. März 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im Fall II.4 der Urteilsgründe, soweit es Straftaten zum Nachteil des Geschädigten P. betrifft;

b) im gesamten Strafausspruch sowie hinsichtlich der Dauer des Vorwegvollzugs.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem räuberischen Diebstahl und mit gefährlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei einem Vorwegvollzug der erkannten Strafe von vier Jahren und neun Monaten angeordnet. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

I.

Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem räuberischen Diebstahl und gefährlicher Körperverletzung, des gesamten Strafausspruchs sowie der angeordneten Dauer des Vorwegvollzugs. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem räuberischen Diebstahl und gefährlicher Körperverletzung hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten von dem versuchten Tötungsdelikt nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der Angeklagte am 26. Juli 2018 gegen 4.45 Uhr mit der Geschädigten Z., derer er sich zu diesem Zeitpunkt gewaltsam bemächtigt hatte, um mit ihr ? nach Ende ihrer Beziehung ? zu reden und sie für sich zurückzugewinnen, auf den in einem Gebüsch schlafenden Geschädigten P. Der Angeklagte führte in seiner rechten Hand ein Messer. Ihm kam die Idee, P. dessen Geld zu entwenden. Er zog dem schlafenden Geschädigten das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und steckte es in seine Gürteltasche. Sodann durchsuchte er dessen Rucksack nach Stehlenswertem. Als er den Rucksack wieder auf den Boden legte, erwachte P. Um sich den Besitz der Geldbörse zu sichern und die befürchtete Gegenwehr des Geschädigten im Keim zu ersticken, stach der Angeklagte unvermittelt viermal kraftvoll auf P. ein, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm.

Der völlig überraschte Geschädigte sprang nach dem vierten Stich plötzlich auf und lief in Richtung einer nahegelegenen Böschung. Der Angeklagte setzte ihm etwa zwei bis drei Meter nach und versetzte ihm noch einen weiteren Stich in die linke Schulter. Es gelang dem Geschädigten, die Böschung zu einer Straße hochzulaufen. In dieser Situation ließ der Angeklagte von dem Geschädigten ab, weil er nicht gleichzeitig diesen weiterverfolgen und die Geschädigte Z., der sein Interesse in erster Linie galt, überwachen konnte. Er entschloss sich daher, mit der Geschädigten Z. seinen Weg fortzusetzen und P. nicht weiter zu verfolgen. Der lebensgefährlich verletzte Geschädigte wurde kurz darauf von Passanten gefunden und gerettet.

Das Landgericht ist - rechtsfehlerfrei ? von einem unbeendeten Tötungsversuch ausgegangen. Es hat einen strafbefreienden - freiwilligen ? Rücktritt verneint, weil der Angeklagte „zwangsläufig und notgedrungen von dem Nebenkläger abgelassen (habe) …, um die Zeugin Z. weiter im Auge behalten zu können, ihr keine Fluchtmöglichkeit zu geben und um mit ihr zur Verfolgung seines angestrebten Ziels, sie zurückzugewinnen und für sich zu haben, den Weg fortzusetzen“. Damit habe er „nicht aus selbst gesetzten Motiven von der weiteren Tatbegehung Abstand genommen“. Zudem habe bei einer weiteren Verfolgung die Gefahr bestanden, entdeckt zu werden. Schließlich liege auch ein fehlgeschlagener Versuch vor.

b) Die Erwägungen des Schwurgerichts, mit denen es einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch abgelehnt hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

aa) Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 3. April 2014 - 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241; BGH, Urteile vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 10; vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18, juris Rn. 8, jeweils mwN). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18, aaO).

bb) Hieran gemessen tragen die Feststellungen des Landgerichts den Ausschluss eines strafbefreienden, freiwilligen Rücktritts des Angeklagten nicht. Weder war er durch objektive Umstände noch aufgrund seiner psychischen Verfassung daran gehindert, dem bereits schwer verletzten Geschädigten weiter nachzusetzen und seine Tötungshandlung fortzusetzen. Dass dem Angeklagten die Weiterverfolgung des Geschädigten nicht möglich war, ohne die Geschädigte Z., der sein vorrangiges Interesse galt, aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Denn die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will (vgl. Senat, Urteil vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151). Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb.

cc) Einem Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht die Durchführung seines gesamten strafrechtlich relevanten Vorhabens aufgab, sondern nur darauf verzichtete, den Geschädigten P. weiter zu verfolgen, und stattdessen seine Tat zum Nachteil der Geschädigten Z. fortsetzte. Zwar kann grundsätzlich nur derjenige strafbefreiend zurücktreten, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgibt. Diese Erwägung betrifft aber stets nur den Entschluss, von der Vollendung eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens im Sinne eines gesetzlich umschriebenen Straftatbestandes abzusehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 1985 - 3 StR 481/84, BGHSt 33, 142, 144 f.; Senat, Beschluss vom 13. Januar 1988 - 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184, 186 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 - 4 StR 539/17, juris Rn. 6; Beschluss vom 5. Juni 2019 - 1 StR 34/19, juris Rn. 18 f. mit Anm. Kudlich in JA 2020, 64, 66 und Anm. Schiemann in NJW 2019, 3662). Dementsprechend steht einem Rücktritt nicht entgegen, wenn der Täter den zunächst Geschädigten nicht weiterverfolgt, um sich einem anderen Opfer zuzuwenden, dessen Tötung er für vordringlich erachtet (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Januar 1988 - 2 StR 665/87, aaO).

dd) Auch dass der Angeklagte mit der Flucht des P. sein weitergehendes, mit Blick auf den Tötungsversuch außertatbestandliches Ziel der Beutesicherung erreicht hatte, rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder die Annahme eines Fehlschlags noch der Unfreiwilligkeit (vgl. zur außertatbestandlichen Zielerreichung BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 230 ff.; Senat, Beschluss vom 26. Juni 2019 - 2 StR 110/19, NStZ-RR 2019, 271).

ee) Einem freiwilligen Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsdelikt steht schließlich auch nicht die Feststellung der Strafkammer entgegen, dass dem Angeklagten die Gefahr drohte, bei der Verfolgung des P. entdeckt zu werden. Abgesehen davon, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob der Angeklagte die aus Sicht der Strafkammer bestehende objektive Gefahr der Entdeckung in sein Vorstellungsbild aufgenommen hatte, kann die Gefahr einer Entdeckung erst dann die Annahme einer Freiwilligkeit des Rücktritts hindern, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei einem weiteren Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2013 - 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9, 10 und vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f. mwN). Allein die Erhöhung des Entdeckungsrisikos steht der Annahme der Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2018 - 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169, 170 mwN). Umstände, die die Vorstellung des Angeklagten belegen könnten, er sei von einer unvertretbaren Risikosteigerung im Falle einer Verfolgung des P. ausgegangen, hat die Strafkammer indes nicht festgestellt.

ff) Da dem Angeklagten nach seiner Vorstellung die weitere Ausführung der Tötungshandlung möglich war, scheidet auch die Annahme eines Fehlschlags aus (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 4 StR 493/18, juris Rn. 7 mwN). Fehlgeschlagen ist ein Versuch erst dann, wenn dem Täter die Herbeiführung des Erfolgseintritts nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr möglich ist und er dies erkennt, oder wenn er den Erfolg subjektiv nicht mehr für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228). Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann der Tatplan des Angeklagten für die Annahme eines Fehlschlags nur insoweit eine Rolle spielen, als der Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen die Notwendigkeit erkennt, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2013 - 3 StR 205/13, juris Rn. 7). Der Angeklagte hatte jedoch nach seiner Vorstellung die Möglichkeit, P. nachzusetzen, um diesem weitere Messerstiche zuzufügen.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler bedingt die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen des tateinheitlich verwirklichten besonders schweren räuberischen Diebstahls in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

2. Die Schuldsprüche wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung zum Nachteil der Geschädigten Z. weisen, ebenso wie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil auf. Hingegen hält der Strafausspruch in beiden Fällen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.

a) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Sachverständige zur Frage der Schuldfähigkeit ausgeführt, dass er „eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten für die Taten in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2018“ zum Nachteil der Geschädigten Z. „und am 26. Juli 2018 zum Nachteil von Pascal P.“ ausschließe. „Indes hat er eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit und zwar sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit aufgrund des wechselhaften Verhaltens des Angeklagten gegenüber Z., das ihr gegenüber nicht realitätsnah gewesen sei, für das Tatgeschehen am 26. Juli 2018 in der Wohnung der Zeugin Z. angenommen.“ Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen nicht gefolgt. Dies hat sie damit begründet, es bestünden keine Anhaltspunkte für eine fehlende oder erheblich verminderte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Dessen langjährige Betäubungsmittelabhängigkeit habe zu keiner schweren Persönlichkeitsveränderung geführt; ein akuter Rauschzustand könne aufgrund seines Leistungsverhaltens während der Tat ausgeschlossen werden.

b) Diese Wertung des Landgerichts leidet an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Das Urteil enthält einen Darlegungsmangel im Hinblick auf das eingeholte Gutachten.

aa) Zwar ist ein Gericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen, weil die gutachterlichen Ausführungen stets lediglich eine Grundlage der eigenen richterlichen Überzeugungsbildung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - 3 StR 368/17, juris Rn. 11 mwN). Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (Senat, Beschluss vom 11. Januar 2017 - 2 StR 323/16, juris Rn. 6 mwN). Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (Senat, Beschlüsse vom 10. April 2019 - 2 StR 338/18, juris Rn. 8 mwN; vom 11. Januar 2017 - 2 StR 323/16, aaO mwN; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - 3 StR 368/17, aaO).

bb) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht teilt bereits nicht mit, welche psychische Störung aus Sicht des Sachverständigen bei dem Angeklagten anlässlich der Tat vom 26. Juli 2018 zum Nachteil der Geschädigten Z. vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Die Urteilsgründe verhalten sich auch nicht zu den Ausführungen des Sachverständigen zum Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten, um dessen erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit und zwar - aus dessen Sicht ? sowohl hinsichtlich der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit (vgl. zur grundsätzlichen Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Beschluss vom 30. Januar 2019 - 4 StR 365/18, juris) zu begründen. Ohne nähere Kenntnis dieser Umstände ist es dem Senat jedoch nicht möglich nachzuprüfen, ob der gegenläufigen Einschätzung der Strafkammer die hierfür erforderliche Sachkunde zugrunde liegt. Dies gilt umso mehr, als sie das wechselhafte Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten - abweichend vom Gutachter - nicht erkennbar in den Blick genommen hat.

Dieser Darlegungsmangel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs hinsichtlich beider Taten zum Nachteil der Geschädigten Z., da sich das wechselhafte Verhalten des Angeklagten nach den Feststellungen nicht nur bei der Tat vom 26. Juli 2018, sondern auch bei der Tat vom 28. Juni auf den 29. Juni 2018 zeigte, und die Urteilsgründe nicht mitteilen, warum der Sachverständige die Schuldfähigkeit des Angeklagten für die beiden Taten zum Nachteil der Geschädigten Z. unterschiedlich beurteilt hat.

3. Die Aufhebung im Fall II.4 der Urteilsgründe und der vorgenannten Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe und der Anordnung über die Dauer deren Vorwegvollzugs die Grundlage.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 280

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 341; StV 2021, 113

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner