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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1006

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 205/13, Beschluss v. 23.07.2013, HRRS 2013 Nr. 1006


BGH 3 StR 205/13 - Beschluss vom 23. Juli 2013 (LG Düsseldorf)

Fehlgeschlagener Versuchs (Misslingen des Tatplans); rechtsfehlerhaft unterlassene Prüfung der Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 24 StGB; § 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Das Misslingen des ursprünglichen Tatplans ist für sich genommen keine tragfähige Grundlage zur Bejahung eines rücktrittsunfähigen fehlgeschlagenen Versuchs. Das Scheitern eines Tatplanes kann indes zur Begründung dafür herangezogen werden, dass dem Täter die Undurchführbarkeit seines deliktischen Vorhabens i.S.e. fehlgeschlagenen Versuchs klar geworden ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 1. Februar 2013, soweit es den Angeklagten R. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

im Strafausspruch,

soweit das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten R. - unter Freisprechung im Übrigen - wegen schweren Raubes, schwerer räuberischen Erpressung und versuchter schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zur Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei in den Fällen B I. 3. und 5. der Urteilsgründe, in denen er jeweils wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung verurteilt worden ist, nicht gemäß § 24 StGB strafbefreiend von der versuchten Tat zurückgetreten, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt:

Im Fall B I. 3. der Urteilsgründe überfielen der Angeklagte und die drei Mitangeklagten ein Imbisslokal. Einer der Täter bedrohte die anwesende Reinigungskraft mit einer ungeladenen Selbstladepistole, ein anderer forderte sie auf, die Kasse zu öffnen und schob sie in deren Richtung. Noch bevor dieser Täter mit der Reinigungskraft die Kasse erreicht hatte, betrat der kurz abwesende Imbissinhaber das Lokal, worauf nun der Täter mit der Waffe diesen bedrohte und sein Tatgenosse äußerte: "Geld raus". Der Imbissinhaber antwortete: "Es gibt kein Geld" und fügte sodann hinzu: "Nichts gibt's". Daraufhin liefen die Angeklagten zügig aus dem Lokal, verschwanden in eine seitlich abgehende Gasse und fuhren mit einem Auto davon.

Im Fall B I. 5. der Urteilsgründe überfielen der Angeklagte und zwei Tatgenossen einen Imbiss. Nachdem der Angeklagte zwei Gäste des Lokals vergeblich mit einer ungeladenen Selbstladepistole bedroht hatte, einer der beiden auf seine Forderung: "Geld her" nicht wie gewollt reagiert und der Imbissbetreiber die drei Täter mit den Worten "raus" und "ihr habt wohl ne Macke" angeherrscht hatte, verließen die Täter das Lokal und rannten davon.

b) In beiden Fällen hat das Landgericht einen fehlgeschlagenen Versuch angenommen. Dies lässt bei einer Gesamtschau der Urteilsgründe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

Ein Versuch ist fehlgeschlagen und damit ein strafbefreiender Rücktritt nicht mehr möglich, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung entweder erkennt, dass der erstrebte Taterfolg im unmittelbaren Handlungsfortgang unter Einsatz der zur Hand liegenden Tatmittel objektiv nicht mehr erreicht werden kann, oder wenn er dies zumindest subjektiv nicht mehr für möglich hält. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt dagegen nicht vor, wenn der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufes unmittelbar zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden (s. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228 mwN). Entscheidend ist danach nicht, ob der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatplan nicht verwirklichen konnte, sondern ob ihm - infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmungen - das Erreichen seines Zieles nicht mehr möglich erschien (vgl. BGH, aaO). War der Angeklagte aber noch "Herr seiner Entschlüsse", hielt er die Ausführung der Tat - wenn auch mit anderen Mitteln - noch für möglich, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91). Der Tatplan kann daher nur insoweit eine Rolle spielen, als eine vom Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen erkannte Notwendigkeit, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen, die Annahme eines Fehlschlags nahe legt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2007 - 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393).

Diesen Maßstäben wird das Landgericht letztlich gerecht. Zwar hat es seine Feststellung, der Angeklagte und seine jeweiligen Mittäter hätten ihr Vorhaben in beiden Fällen als fehlgeschlagen erachtet, wesentlich damit unterlegt, dass die als Drohmittel verwendeten ungeladenen Pistolen ihre beabsichtigte Wirkung verfehlt hätten, es der Tatplanung entsprochen habe, die Beute nur durch Drohung mit den Pistolen zu erlangen, und zur Überwindung etwaigen Widerstands deren anderweitiger Einsatz, etwa als Schlaginstrument, genauso wenig vorgesehen gewesen sei wie die Anwendung sonstiger Gewalt oder anderweitiger Drohung. Indes wird aus der rechtlichen Würdigung des Landgerichts hinreichend deutlich, dass es damit keinen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt und den Fehlschlag der beiden Versuchstaten allein aus dem Misslingen des jeweiligen ursprünglichen Tatplans abgeleitet hat; denn es hat sich ausdrücklich auf das Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Mai 2010 (2 StR 278/09, NStZ 2010, 690, 691) bezogen, dem die oben zitierte (neuere) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegt. Daraus erhellt hinreichend, dass die Darlegungen des Landgerichts zum Misslingen des jeweiligen Tatplans nicht das allein tragende Element für die Annahme fehlgeschlagener Versuche benennen, sondern lediglich die nähere Begründung dafür liefern, warum den Tätern das Scheitern des Vorhabens klar war (UA S. 21) bzw. sie sofort erkannten, dass es "hier nichts zu holen gab" (UA S. 24), nämlich weil ihnen - zumindest nach ihrer Vorstellung und subjektiven Handlungsmöglichkeiten - keine anderen Tatmittel zur Verfügung standen, die die Erlangung der erstrebten Beute noch ermöglicht hätten.

2. Der Ausspruch über die Rechtsfolgen hält hingegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Prüfung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Konsum des Angeklagten von Alkohol und illegalen Drogen und dessen Auswirkungen aufdrängte. Dies führt hier auch zur Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Jugendstrafe.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der zu den Tatzeiten (22. bis 29. April 2012) 17 Jahre alte Angeklagte etwa ab Herbst 2010 begann, Cannabis zu rauchen, anfangs wöchentlich ein- bis zweimal. Ab Anfang des Jahres 2011 konsumierte er regelmäßig Marihuana, wenn er Geld hatte täglich und bis zu zwei Gramm; er trank jetzt häufiger Alkohol, auch "schon mal" im Übermaß, aber nicht täglich. Bis zu zweimal wöchentlich nahm er neben dem Cannabis oder dem Alkohol auch Amphetamine (Pep) und alle paar Tage auch Subutex zu sich und zwar nach Zerreiben der Tabletten jeweils nasal. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten zu den Tatzeiten hat die sachverständig beratene Jugendkammer festgestellt, dass sich die Rauschmittelkonsumgewohnheiten des Angeklagten zu einem Abhängigkeitssyndrom von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.2) entwickelt habe. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht das Vorliegen schädlicher Neigungen des Angeklagten im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG bejaht und dabei auch berücksichtigt, dass "er nach früh begonnenem schädlichen Gebrauch in ein Rauschmittelkonsumverhalten abgeglitten" sei, das "bereits als Abhängigkeitssyndrom zu betrachten" sei.

Diese Feststellungen und Wertungen legen es nahe, dass bei dem Angeklagten der Hang im Sinne von § 64 StGB gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind, zumal den Gründen des angefochtenen Urteils insgesamt nicht zu entnehmen ist, dass die weiteren Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht erfüllt sind.

Die Nachholung der Unterbringungsanordnung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Umstand, dass die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Angeklagten nicht beschwert, hindert das Revisionsgericht nicht, auf eine zulässig erhobene - und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362) - Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen dazu gedrängt haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO).

Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt hier den Strafausspruch nicht unberührt. Der Senat kann unter den gegebenen Umständen nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, gegen den Angeklagten eine Jugendstrafe zu verhängen. Der neue Tatrichter wird daher über den Strafausspruch und die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erneut zu befinden haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1006

Bearbeiter: Christian Becker