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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1170

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 34/19, Beschluss v. 05.06.2019, HRRS 2019 Nr. 1170


BGH 1 StR 34/19 - Beschluss vom 5. Juni 2019 (LG Ravensburg)

BGHSt 64, 80; räuberische Erpressung mit Todesfolge (Rücktritt vom der versuchten Erfolgsqualifikation durch Verhinderung der Todesfolge: kein Rücktritt vom Grunddelikt erforderlich); Rücktritt vom Versuch durch Verhinderung der Vollendung (Kausalität für Nichteintritt ausreichend, kein ernsthaftes Bemühen erforderlich).

§ 255 StGB; § 251 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB

Leitsätze

1. Ein wirksamer Rücktritt vom Versuch der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 255, 22 StGB) durch Verhinderung der Todesfolge gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter auch vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung (§§ 250, 255 StGB) zurücktritt. Dies gilt selbst dann, wenn der Täter für den Fall, dass seine Forderungen nicht erfüllt werden, damit droht, erneut ein Mittel einzusetzen, das geeignet ist, den Tod anderer Menschen herbeizuführen. (BGHSt)

2. Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt, dessen Versuch nicht nur in der Form begangen werden kann, dass der Täter durch eine in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme stehende räuberische Nötigungshandlung den Tod des Opfers verursacht, es aber nicht zur Vollendung des Raubdelikts kommt - sog. erfolgsqualifizierter Versuch -, sondern auch dadurch, dass der Einsatz der i.S.d. § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt zugleich (bedingt) vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierten Erfolg nicht bewirkt - sog. versuchte Erfolgsqualifizierung. Dasselbe gilt für die versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 255 StGB). (Bearbeiter)

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB auch dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht (vgl. BGHSt 48, 147, 149 ff.). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist (vgl. BGHSt 33, 295, 301). Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten (vgl. BGHSt 33, 295, 301 mwN). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 22. Oktober 2018

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig ist,

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte vor dem Hintergrund seiner desolaten finanziellen Situation dazu, als „Lebensmittelerpresser“ mehrere Gläser Babynahrung mit der Chemikalie Ethylenglykol zu versetzen und diese im Anschluss in mehreren Lebensmittel- und Drogeriemärkten verschiedener Einzelhandelsketten auszubringen. Er wollte sodann die Verantwortlichen der Einzelhandelskonzerne - unter Hinweis auf die mit einer tödlichen Menge Gift kontaminierten Gläser und unter Androhung der Ausbringung weiterer kontaminierter Gläser - zur Zahlung eines Bargeldbetrages in Millionenhöhe bewegen. Um an das Geld zu gelangen, nahm er den Tod von Säuglingen oder Kleinkindern zumindest billigend in Kauf.

Die Vorbereitungshandlungen des Angeklagten zogen sich über mehrere Monate hin. Zunächst verschaffte sich der Angeklagte über ein Internethandelsunternehmen zwei Liter reines Ethylenglykol. Sodann erstellte er von Österreich aus über ein Mobiltelefon mit einer österreichischen SIM-Karte einen Fantasie-Google-Account, um diesen für die beabsichtigte anonyme Übermittlung seiner Geldforderung zu nutzen. Schließlich verschaffte er sich insgesamt fünf verschiedene Gläser mit jeweils 190 g Babynahrung zweier verschiedener Marken, öffnete jeweils den Deckel der vakuumverschlossenen Gläser und brachte in die enthaltene breiige Babynahrung jeweils zwischen ca. 41 und 50 ml reines Ethylenglykol ein. Anschließend schraubte er die Deckel wieder auf die Gläser. Bei reinem Ethylenglykol handelt es sich, wie der Angeklagte wusste, um eine farb- und geruchslose Flüssigkeit mit einem süßlichen Geschmack. Die Einnahme von Ethylenglykol ist für Säuglinge und Kleinkinder ab einer Dosis von ca. 1,4 ml pro Kilogramm Körpergewicht tödlich. Nach dem Konsum einer tödlichen Menge tritt der Tod in einem Zeitraum von bis zu 72 Stunden nach der Einnahme infolge Nierenversagens ein. Zuvor kommt es zu einer schweren stoffwechselbedingten Übersäuerung, zu Krampfanfällen, Bewusstseinseintrübungen, Komazuständen und einer beginnenden Niereninsuffizienz und dann zu Störungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Atmung.

Am Samstag, den 16. September 2017 verteilte der Angeklagte die fünf mit jeweils für Säuglinge und Kleinkinder tödlichen Ethylenglykolmengen versehenen Gläser im Zeitraum von 16.38 Uhr bis 19.02 Uhr auf fünf zu dieser Zeit regulär geöffnete Lebensmittel- und Drogeriemärkte in F. In vier dieser Märkte stellte er jeweils eines der Gläser in ein Verkaufsregal für Babynahrung, in dem jeweils eine Vielzahl weiterer Gläser Babynahrung derselben Marke und Geschmacksrichtung zum Verkauf bereitstanden. Im fünften Markt, der keine entsprechende Babynahrung führte, stellte er das Glas in ein Süßwarenregal. Einer der Märkte schloss an diesem Tag um 19 Uhr, die anderen um 20 Uhr, 21 Uhr bzw. 22 Uhr.

Die kontaminierten Gläser Babynahrung wiesen keine Markierungen auf und waren auch sonst optisch nicht von nicht kontaminierten Gläsern zu unterscheiden. Sie enthielten eine für die „Zielgruppe“ der Babynahrung um das drei- bis fünffache tödliche Dosis Ethylenglykol, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm. Jedenfalls hinsichtlich der vier Märkte, die entsprechende Babynahrung im Sortiment führten, nahm der Angeklagte billigend in Kauf, dass das jeweilige Glas mit kontaminierter Babynahrung schon bis zum Ladenschluss oder ab Öffnung des Marktes am darauffolgenden Montag verkauft werden und nach dem anschließenden Verzehr zum Tod eines Säuglings oder Kleinkindes führen könnte.

Um 19.02 Uhr verschickte der Angeklagte dann unter dem von ihm eingerichteten Fantasie-E-Mail-Account eine E-Mail mit der Betreffzeile „Vergiftete Babynahrung in Geschaeften in F.“ an das Bundeskriminalamt, eine Verbraucherschutzorganisation sowie sechs Einzelhandelskonzerne. In dieser anonym verfassten E-Mail teilte der Angeklagte wahrheitsgemäß mit, dass sich in fünf Märkten namentlich bezeichneter Einzelhandelskonzerne, die in F. zum Teil mehrere Filialen hatten, fünf mit einer tödlichen toxischen Menge versetzte Produkte befänden. Dabei bezeichnete der Angeklagte Marke und Geschmacksrichtung konkret, nicht aber die direkt betroffene Filiale. In der E-Mail forderte der Angeklagte von den Verantwortlichen der Einzelhandelskonzerne die Zahlung von Bargeld in Höhe von 11,75 Mio. Euro und machte detaillierte Angaben zur Geldübergabe. Sollten seine Forderungen vollumfänglich erfüllt werden, werde niemand zu Schaden kommen. Weiter kündigte er an, dass sich am Samstag, den 30. September 2017 20 weitere vergiftete Produkte in „nationalen und internationalen“ Filialen der betroffenen Einzelhandelskonzerne befinden würden. Nach Erfüllung seiner Forderungen würde er die Verbraucherschutzorganisation und das Bundeskriminalamt per E-Mail darüber informieren, welche 20 vergifteten Produkte am 30. September 2017 ausgebracht worden seien bzw. wo sie sich befänden. Würden seine Forderungen nicht erfüllt, werde er die „Aktion“ abbrechen und noch mehr vergiftete Produkte platzieren, worüber er das Bundeskriminalamt und die Verbraucherschutzorganisation dann aber erst nach dem Verkauf und Verzehr der Produkte informieren werde.

Im Rahmen der auf die E-Mail hin noch am 16. September 2017 eingeleiteten polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen, die durch die Vielzahl der zu überprüfenden Filialen erschwert wurden, gelang es der Polizei, drei der Gläser mit kontaminierter Babynahrung am nicht verkaufsoffenen Sonntag, den 17. September 2017 sicherzustellen. Die beiden weiteren Gläser konnten erst im Laufe des darauffolgenden Montags bzw. am Abend des Dienstags von Mitarbeitern des jeweiligen Marktes in Verkaufsregalen für Babynahrung aufgefunden werden; an diesen Tagen waren die Märkte regulär für den Kundenverkehr geöffnet. Weshalb diese Gläser nicht bereits am Sonntag von den in diesen Märkten eingesetzten Polizeibeamten gesichert werden konnten, konnte nicht aufgeklärt werden.

Zu der vom Angeklagten erstrebten Zahlung von 11,75 Mio. Euro kam es nicht. Er konnte identifiziert und festgenommen werden, nachdem im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung am 28. September 2017 Lichtbilder aus Überwachungskameras von zwei der betroffenen Märkte veröffentlicht worden waren, die den Angeklagten beim Ausbringen der Gläser mit kontaminierter Babynahrung zeigten.

2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als versuchten Mord (§§ 211, 22, 23 StGB) - unter Annahme der Mordmerkmale Habgier, Ermöglichungsabsicht und Heimtücke - in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 253, 255, 22, 23 StGB) in der Konstellation des Versuchs der Erfolgsqualifikation gewertet. Dabei ist das Landgericht trotz des nacheinander erfolgten Angriffs auf das Leben mehrerer Menschen und damit auf höchstpersönliche Rechtsgüter wegen der zufälligen Opferwahl, der einheitlichen Ausgangslage bei den Ausbringungsvorgängen, der einheitlichen subjektiven Zielsetzung bei einem zuvor gefassten Tatplan und wegen des identischen Vorgehens von einem einheitlichen Vorgang ausgegangen.

II.

Die Revision des Angeklagten führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Abänderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Zwar hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die Tatbestandmerkmale des versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 StGB) und der versuchten schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 255, 22, 23 StGB) als gegeben angesehen (nachfolgend 1.). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen jedoch, dass der Angeklagte wirksam vom Versuch des Mordes und vom Versuch der Todesfolge beim versuchten Erpressungsdelikt zurückgetreten ist (nachfolgend 2.). Damit verbleibt lediglich eine Strafbarkeit wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung (§§ 255, 22, 23 StGB). Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab und hebt den Strafausspruch auf (nachfolgend 3.). Die weitergehende Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Wertung, dass das Verhalten des Angeklagten sowohl den Tatbestand des versuchten Mordes mit den Mordmerkmalen der Ermöglichungsabsicht, der Habgier und der Heimtücke (§§ 211, 22, 23 StGB) als auch denjenigen der versuchten schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 255, 22, 23 StGB) verwirklicht hat, weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt, dessen Versuch nicht nur in der Form begangen werden kann, dass der Täter durch eine in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme stehende räuberische Nötigungshandlung den Tod des Opfers verursacht, es aber nicht zur Vollendung des Raubdelikts kommt - sog. erfolgsqualifizierter Versuch -, sondern auch dadurch, dass der Einsatz der i.S.d. § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt zugleich (bedingt) vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierten Erfolg nicht bewirkt - sog. versuchte Erfolgsqualifizierung (BGH, Beschlüsse vom 29. März 2001 - 3 StR 46/01, BGHR StGB § 251 Versuch 1 und vom 10. Mai 2001 - 3 StR 99/01, BGHR StGB § 251 Versuch 2; vgl. auch Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 18 Rn. 82). Dasselbe gilt für die versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 255 StGB).

b) Indem der Angeklagte zur Erpressung unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 255 StGB) fünf Gläser mit in für Kleinkinder tödlicher Dosis vergifteter Babynahrung in die Verkaufsregale von Einzelhandelsmärkten stellte, verwendete er ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2009 - 4 StR 473/08, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Gefährliches Werkzeug 1; vom 6. März 2018 - 2 StR 65/18 Rn. 4 und vom 9. Oktober 2018 - 1 StR 418/18 Rn. 4). Eine Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 255 StGB kann auch zum Nachteil von mit dem Erpressungsopfer nicht identischen Personen angedroht werden - hier gegenüber Kindern der Käufer von Babynahrung (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 332/98 Rn. 20).

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Angeklagte jedoch deshalb nicht wegen der Taten des versuchten Mordes und der versuchten (besonders) schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge bestraft werden, weil er im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB die Vollendung dieser Tatbestände verhindert hat. Der Schuldspruch hat daher keinen Bestand.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB auch dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 201/18, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Verhinderung 2 Rn. 8). Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht (BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2002 - 2 StR 251/02, BGHSt 48, 147, 149 ff. und vom 5. Juli 2018 - 1 StR 201/18, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Verhinderung 2 Rn. 8). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301; vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 2 Bemühen 7 und vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10 Rn. 8). Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten (vgl. BGH aaO, BGHSt 33, 295, 301 mwN; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 201/18, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Verhinderung 2 Rn. 8).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Angeklagte durch Verhinderung des Taterfolgs der Tötung von Menschen gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB wirksam vom - beendeten - Versuch des Mordes zurückgetreten.

Indem er in einer anonym verfassten E-Mail auf die kontaminierten Produkte aufmerksam machte, setzte der Angeklagte eine neue Kausalkette in Gang, die nicht nur aus seiner Sicht zur Sicherstellung der vergifteten Babynahrung führen sollte, sondern tatsächlich zu deren Auffinden führte und sich damit für die Verhinderung der Tatvollendung auch als ursächlich erwies. Den Feststellungen des Landgerichts ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Angeklagte mit seiner E-Mail auch auf die Vereitelung des von ihm freilich als möglich erkannten Tötungserfolges abzielte. Dies kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass der Angeklagte darauf hinwies, dass „niemand zu Schaden“ (UA S. 13) kommen werde, sollten seine Forderungen vollumfänglich erfüllt werden. Sollte dies aber nicht der Fall sein, werde er für weitere vergiftete Produkte, die er jedoch erst am 30. September 2017 in den Verkehr bringen wollte, nicht rechtzeitig darauf hinweisen, wo sie ausgebracht worden seien bzw. wo sie sich befänden. Diese Äußerungen können nicht anders verstanden werden, als dass der Angeklagte zwar seine Entschlossenheit zum Ausdruck bringen wollte, zur Erreichung seiner Ziele auch den Tod von Kleinkindern in Kauf zu nehmen, er aber wollte, dass die von ihm bereits in Einkaufsmärkte verbrachte vergiftete Babynahrung aufgefunden wird, bevor sie verzehrt wird. Damit erachtete er seinen Hinweis auf die vergifteten Produkte für eine Verhinderung des Tötungserfolgs auch für ausreichend.

Zwar ist es für einen Rücktritt erforderlich, dass der Täter den Tatvorsatz vollständig aufgibt. Deshalb reicht es nicht aus, wenn der Täter den Taterfolg weiterhin billigend in Kauf nimmt, etwa indem er dem Opfer „nach Art eines Glücksspiels eine Chance gibt“ (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 30, 35). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Vielmehr enthielt der an die Polizei und die betroffenen Einzelhandelsunternehmen gegebene Hinweis auf die vergiftete Babynahrung konkrete Angaben, die der Polizei gezielte Maßnahmen zum Auffinden und zur Sicherstellung der vergifteten Produkte vor dem Verzehr ermöglichten. Zwar wählte der Angeklagte nicht die sicherste oder optimale Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung, weil er nicht die direkt betroffenen Einzelhandelsfilialen benannte und auch nicht die lokalen Sicherheitsbehörden informierte (UA S. 58). Indem er angab, dass sich in F. in fünf Märkten namentlich bezeichneter Einzelhandelskonzerne genau fünf mit einer tödlichen toxischen Menge versetzte und nach Marke und Geschmacksrichtung konkret bezeichnete Produkte befänden, machte er jedoch so genaue Angaben zur Ermöglichung von deren Sicherstellung, dass damit eine Wertung, er habe eine mögliche Tötung von Kleinkindern mit diesen Produkten weiterhin gebilligt, nicht mehr zu vereinbaren wäre.

Einem wirksamen Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte seinen Willen nicht aufgegeben hatte, zu einem späteren Zeitpunkt erneut vergiftete Babynahrung in die Regale von Lebensmittelmärkten zu stellen, sofern seine Zahlungsforderungen nicht erfüllt würden. Denn zu einem hierdurch begangenen erneuten Mordversuch hatte der Angeklagte noch nicht im Sinne von § 22 StGB angesetzt. Die Androhung einer solchen Gefährdung von Leib oder Leben wird aber vom Tatbestand der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB) erfasst (s. u. 3.).

3. Auch vom (beendeten) Versuch der (besonders) schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 250, 255, 22, 23 StGB) ist der Angeklagte wirksam zurückgetreten, indem er die Vollendung der Todesfolge als Erfolgsqualifikation im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB verhindert hat.

Rücktritt vom versuchten erfolgsqualifizierten Delikt ist in den Fällen des Versuchs der Erfolgsqualifikation auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert (vgl. Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 18 Rn. 84; Sander in Müko-StGB, 3. Aufl., § 251 Rn. 14; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 18 Rn. 10; vgl. zum „Teilrücktritt“ von der Qualifikation auch BGH, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 34/07, BGHSt 51, 276 Rn. 9). So verhält es sich hier.

4. Der Rücktritt vom versuchten Mord und von der Erfolgsqualifikation des § 251 StGB lässt die Strafbarkeit wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung unberührt, weil der Angeklagte hiervon nicht zurückgetreten ist.

Mit seinem Hinweis auf die in Lebensmittel- und Drogeriemärkten in F. befindlichen fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung hat der Angeklagte zwar insoweit eine Tötung von Kleinkindern verhindert. Sein Verhalten erfüllt aber den Tatbestand der versuchten räuberischen Erpressung (§§ 255, 253, 22, 23 StGB), weil der Angeklagte zur Durchsetzung seiner unberechtigten Geldforderung gegen die Einzelhandelsunternehmen mit der weiteren Verbreitung vergifteter Babynahrung „in nationalen und internationalen“ Filialen der Unternehmen gedroht hat.

Der Angeklagte hat das Qualifikationsmerkmal des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs) verwirklicht, indem er als Drohmittel am 16. September 2017 fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung in die Verkaufsregale von Einzelhandelsgeschäften stellte. Ein Rücktritt von dieser Qualifikation scheidet aus, weil der Angeklagte durch die Verwendung des Drohmittels die Qualifikation bereits vollendet hatte und die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon eingetreten war (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 2007 - 2 StR 34/07, BGHSt 51, 276 Rn. 9 und vom 23. August 1983 - 5 StR 408/83). Durch die Verhinderung des Verzehrs der von ihm ausgebrachten fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung infolge seiner E-Mail ist der Angeklagte daher von dieser Qualifikation nicht wirksam zurückgetreten. Hierfür hätte er seinen Tatentschluss im Ganzen aufgeben müssen (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 27). Der Erpressungsvorsatz des Angeklagten bestand jedoch bis zu seiner Festnahme durchgehend fort.

5. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Dies zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Demgegenüber bedarf es bei dem hier allein vorliegenden Wertungsfehler keiner Aufhebung von Feststellungen. Der neue Tatrichter kann zum Strafausspruch ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

6. Nach Wegfall der die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tatvorwürfe des versuchten Mordes und der versuchten räuberischen Erpressung mit Todesfolge verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 - 2 StR 264/94 Rn. 22 mwN [insoweit in BGHSt 40, 251 nicht abgedruckt]).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1170

Externe Fundstellen: BGHSt 64, 80; NJW 2019, 3659; NStZ 2020, 221; StV 2020, 240

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede