HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 764
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 195/05, Beschluss v. 05.08.2005, HRRS 2005 Nr. 764
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 23. Dezember 2004 aufgehoben, soweit die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht Kassel hatte den Angeklagten durch Urteil vom 16. August 2002 wegen Totschlags in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie wegen Erwerbs einer solchen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und die Einziehung der Tatwaffe angeordnet. Vom Vorwurf eines weiteren Tötungsdelikts hatte das Landgericht den Angeklagten freigesprochen.
Dieses Urteil hat der Senat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers durch Urteil vom 6. August 2003 - 2 StR 180/03 - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; ausgenommen die Verurteilung wegen Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe und deren Einziehung. Die äußeren Feststellungen zur Tötung der Ehefrau des Angeklagten wurden aufrecht erhalten.
Durch Urteil vom 23. Dezember 2004 hat das Landgericht den Angeklagten nun wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe, und wegen des rechtskräftig festgestellten Erwerbs dieser Waffe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Es hat die besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Die auf eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit die besondere Schwere der Schuld (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) festgestellt wurde; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Zurückweisung des Antrags, der Entscheidung nicht diejenigen Feststellungen zu Grunde zu legen, deren Aufrechterhaltung der Senat im Urteil vom 6. August 2003 angeordnet hatte, und das Absehen von einer erneuten Beweisaufnahme zu diesen Tatsachen verstieß entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; es sind auch weder die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) noch § 353 Abs. 2 StPO verletzt. Die Aufrechterhaltung rechtsfehlerfrei getroffener tatrichterlicher Feststellungen entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 14, 30, 34 f.; 33, 378, 382; vgl. Kuckein in KK-StPO 5. Aufl. § 353 Rdn. 24 ff.; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 353 Rdn. 15; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 353 Rdn. 18 ff., jeweils m.w.N.). Ihr steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass die beiden angeklagten Tötungshandlungen in unmittelbarem zeitlichem und örtlichem Zusammenhang standen und dass die rechtskräftigen Feststellungen zur Tötung der Ehefrau des Angeklagten Indizwirkung auch für die Tötung des weiteren Tatopfers A. haben konnten. Die äußeren Umstände waren daher in dem durch Senatsurteil vom 6. August 2003 bezeichneten Umfang, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, auch insoweit rechtskräftig festgestellt, als sie Grundlagen für Feststellungen zur Tötung des A. enthielten.
2. Auf dieser verfahrensrechtlich zutreffenden Grundlage begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft und zum Schuldspruch wegen Mordes auch hinsichtlich des Tatopfers A. unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken.
Nicht rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auflistung von lediglich drei möglichen Varianten des Tathergangs (UA S. 20/21) und ihre Kombination mit als möglich angesehenen Varianten eines denkbaren Motivs für die Tötung des A. entweder durch die Ehefrau des Angeklagten oder durch diesen selbst (UA S. 34 f.).
Als mögliche Tatvarianten hat das Landgericht zum Ersten angenommen, der Angeklagte könne von vornherein entschlossen gewesen sein, seine Ehefrau und den A. zu töten; er könne daher nach dem Zusammentreffen in der Wohnung sofort auf den völlig überraschten A. geschossen haben. Zum Zweiten sei es möglich, dass es zunächst zu einer Aussprache über das Gerücht eines außerehelichen Verhältnisses des A. mit der Ehefrau des Angeklagten gekommen sei. Im Verlaufe dieser Aussprache, die nicht zu einer Entkräftung des Gerüchts geführt haben könne, habe sich der Angeklagte möglicherweise spontan entschlossen, seine Pistole zu ziehen und den hiervon überraschten A. zu erschießen. Zum Dritten sei es möglich, dass der Angeklagte den A. zunächst mit vorgehaltener Waffe zu einer Aussprache gezwungen habe, jedoch von vornherein und schon beim überraschenden Ziehen der Pistole zur Tötung entschlossen war, gleichgültig, was der A. erklärte.
Diese Aufzählung denkbarer Tatvarianten hat das Landgericht ersichtlich als denkgesetzlich abschließend behandelt; die weitere Beweiswürdigung nimmt hierauf in teilweise schematisch wirkender Weise Bezug. Das ist unzutreffend, denn es ist eine weitere Variante denkbar: Der Angeklagte könnte den A. und seine Ehefrau mit vorgehaltener Waffe zu einer "Aussprache" gezwungen haben, ohne zu diesem Zeitpunkt bereits zur Tötung entschlossen gewesen zu sein. Die Aussprache könnte - was das Landgericht ausdrücklich für möglich hält (UA S. 42) - ergeben haben, dass das Gerücht über ein außereheliches Verhältnis entweder zutraf oder jedenfalls nicht widerlegt wurde. Der Angeklagte könnte sich nunmehr, als Reaktion auf das Ergebnis der erzwungenen Aussprache, zur Tötung entschlossen haben. Diese Tatvariante ist nicht nur theoretisch denkbar, sondern erscheint auch jedenfalls lebensnäher als die dritte vom Landgericht erwogene Variante.
Auch unter Berücksichtigung dieser rechtsfehlerhaften Verengung und der teilweise missverständlichen Formulierungen der Urteilsgründe ist die Beweiswürdigung zur Tötung des A. durch den Angeklagten aber im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Zwar könnten einzelne Formulierungen der Urteilsgründe darauf hindeuten, das Landgericht habe die Beweiswürdigung als schematische, denkgesetzlich zwingende Ableitung angesehen. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt aber, dass der Tatrichter seine Überzeugung auf eine Gesamtwürdigung aller - gravierenden - Indizien für die Täterschaft des Angeklagten gestützt hat.
Der Schuldspruch wegen zweifachen Mordes ist nicht zu beanstanden.
Die Annahme des Mordmerkmals niedriger Beweggründe bei beiden Tötungen begegnet keinen Bedenken. Die Annahme des weiteren Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht bei der Tötung der Ehefrau des Angeklagten hat das Landgericht zwar nicht im Einzelnen begründet. Es drängt sich aber nach den Feststellungen auf, wonach der Angeklagte die Tatwaffe nach der Tötung seiner Ehefrau abwischte und in die Hand der Toten schob, um seine Einlassung zu stützen, seine Ehefrau habe zunächst den A. und dann sich selbst erschossen.
Auch der Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei.
3. Keinen Bestand hat aber die Feststellung besonders schwerer Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das Landgericht hat dieser Feststellung als einen von drei "wesentlichen Gesichtspunkten" zu Grunde gelegt, "dass gleich bei beiden Mordtaten jeweils zwei Mordmerkmale erfüllt waren" (UA S. 48); hinsichtlich der Tötung des A. hat es den eigenständigen schweren Unrechtsgehalt der Heimtücke neben dem Merkmal der niedrigen Beweggründe ausdrücklich hervorgehoben (UA S. 48 f.).
Diese Wertung beruht nicht auf tragfähigen Grundlagen. Wie oben unter 2. ausgeführt, hat das Landgericht eine mögliche, nach den Umständen nicht fern liegende Tatvariante nicht gesehen, bei welcher die Annahme von Heimtücke nicht gerechtfertigt wäre, weil A. zum Zeitpunkt des Tötungsentschlusses nicht arglos gewesen wäre. Wenn diese Möglichkeit aber nicht auszuschließen war, musste sie als dem Angeklagten Günstigste der Bewertung der Schuldschwere zu Grunde gelegt werden; diese durfte daher nicht auf das Vorliegen von zwei Mordmerkmalen gestützt werden.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Feststellung besonders schwerer Schuld. Die tatsächlichen Feststellungen hierzu können aber aufrecht erhalten werden, da es sich um einen Wertungsfehler auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage handelt, die aber insoweit vom Senat abschließend beurteilt werden kann. Der neue Tatrichter wird die Möglichkeit einer auf niedrigen Beweggründen beruhenden, aber nicht heimtückischen Tötung des A. zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen und einer erneuten umfassenden Gesamtwürdigung zur Frage der besonderen Schuldschwere zu Grunde zu legen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 764
Bearbeiter: Ulf Buermeyer