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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 964

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 83/21, Urteil v. 29.07.2021, HRRS 2021 Nr. 964


BGH 1 StR 83/21 - Urteil vom 29. Juli 2021 (LG Augsburg)

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Bandendelikten (banden- und gewerbsmäßiger Betrug; hier: falscher Polizeibeamter).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1, Abs. 5 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben (st. Rspr.). Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. BGHSt 47, 214, 216 ff.).

2. Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.).

3. Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 25. November 2020 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten. Hinsichtlich eines Teilbetrages von 90.000 Euro entfällt die Einziehung.

2. Im verbleibenden Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in vier Fällen sowie wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer verbotenen Waffe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Ferner hat es zwei Mobiltelefone des Angeklagten als Tatmittel eingezogen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von insgesamt 301.400 Euro angeordnet.

Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Wesentlichen Erfolg; lediglich die Urteilsfeststellungen haben Bestand.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte als Mitglied einer Gruppierung an Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen mit dem Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“.

Hinter den Taten stand eine professionell organisierte Tätergruppierung, die arbeitsteilig vorging. Von der Türkei aus führten von eigens zu diesem Zweck eingerichteten Call-Centern aus sogenannte Keiler Telefonate mit den meist älteren Opfern. Darin gaben sie sich als Polizeibeamte aus und täuschten den Angerufenen vor, diese stünden im Visier einer Einbrecherbande, die sie bestehlen oder die Geld von ihrem Bankkonto abheben wolle. Den älteren Menschen wurde dringend geraten, ihr Vermögen alsbald durch die Polizei sichern zu lassen. Unter dem irrigen Eindruck, es handele sich tatsächlich um Anrufe echter Polizeibeamter, wurden die Opfer dazu veranlasst, ihre im Haus aufbewahrten Wertgegenstände vermeintlichen Polizeibeamten auszuhändigen oder ihr auf dem Bankkonto befindliches Geld abzuheben und es auf Weisung der Anrufer zwecks Abholung und Sicherung durch die Polizei an einem bestimmten Ort zu deponieren. Parallel dazu koordinierten sogenannte Logistiker die Abholung der Tatbeute und deren Weiterleitung in die Türkei, indem sie „Abholer“ rekrutierten und diese instruierten, die Vermögenswerte abzuholen und nach näherer Weisung an weitere Tatbeteiligte weiterzugeben.

Dem Angeklagten kam die Rolle eines „Abholers“ zu. Für seine Tätigkeit erhielt er einmal 5.000 Euro und ein weiteres Mal 1.000 Euro.

II.

Die Revision des Angeklagten führt zur vollständigen Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen und in Höhe eines Betrages von 90.000 Euro zum Wegfall der Einziehung des Wertes von Taterträgen.

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar begegnet die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe als Mitglied einer Bande gehandelt, keinen rechtlichen Bedenken. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (zum Teil nur versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges gemäß § 263 Abs. 5 StGB kann jedoch deswegen keinen Bestand haben, weil das Landgericht dessen Handlungen als mittäterschaftliche Tatbeiträge (§ 25 Abs. 2 StGB) eingestuft hat, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob sie nicht auch nur Beihilfehandlungen (§ 27 Abs. 1 StGB) darstellen könnten. In den Urteilsgründen fehlen jegliche Ausführungen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Dies stellt hier einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, da es sich angesichts der vom Landgericht zur Tatbegehung getroffenen Feststellungen nicht von selbst versteht, dass der Angeklagte jeweils als Mittäter und nicht lediglich als Gehilfe gehandelt hat.

a) Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 665/11 Rn. 17 und Beschluss vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03 Rn. 14). Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 - 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216 ff.).

b) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. April 2020 - 3 StR 85/20 Rn. 4 mwN). Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 2019 - 2 StR 139/19 Rn. 26; vom 26. April 2012 - 4 StR 665/11 Rn. 17 und vom 10. Januar 1956 - 5 StR 529/55, BGHSt 8, 393, 396; Beschlüsse vom 26. November 2019 - 3 StR 323/19 Rn. 7; vom 26. März 2019 - 4 StR 381/18 Rn. 13; vom 13. September 2017 - 2 StR 161/17 Rn. 7 und vom 14. November 2012 - 3 StR 403/12 Rn. 6).

c) Die für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe erforderliche wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls hat das Landgericht nicht vorgenommen; die Urteilsgründe enthalten hierzu keine Ausführungen. Zwar können solche Erörterungen dann entbehrlich sein, wenn angesichts der Urteilsfeststellungen die Einbindung des jeweiligen Tatbeteiligten als Mittäter ohne weiteres ersichtlich ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Allerdings kam dem Angeklagten als „Abholer“ eine wesentliche Rolle innerhalb der Tätergruppierung zu. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, die Tatbeute unmittelbar bei den Opfern abzuholen (vgl. zu einem insoweit abweichenden Sachverhalt BGH, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 StR 104/20 Rn. 6). Er war der einzige Tatbeteiligte vor Ort und auch dem größten Entdeckungsrisiko ausgesetzt. In einem Fall wirkte er selbst auf die Geschädigte ein, indem er sie aufforderte, eine Plastiktüte mit Bargeld aus dem Fenster zu werfen (UA S. 19). Damit hing die Durchführung der Taten auch objektiv wesentlich von seinem Tatbeitrag ab; ohne diesen hätten die Taten nicht verwirklicht werden können. Auf der anderen Seite war der Angeklagte nicht nur nicht an der Organisation der Taten beteiligt, die vielmehr den „Logistikern“ übertragen war. Nur in einem Fall hatte er überhaupt persönlichen Kontakt mit einer Geschädigten. In den übrigen Fällen holte der Angeklagte die von den Geschädigten täuschungsbedingt herausgegebenen Vermögensgegenstände lediglich an den Orten ab, an denen die Geschädigten sie nach Vorgabe der „Logistiker“ zuvor zur Abholung durch Polizeibeamte abgelegt hatten. Auch diese Umstände hätte das Landgericht zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe in eine Gesamtbetrachtung einbeziehen müssen. Neben diesen objektiven Faktoren ist auch das Eigeninteresse des Angeklagten an der Tat und an einer eigenen Tatherrschaft in den Blick zu nehmen.

Damit kann in keinem der verfahrensgegenständlichen Fälle die Verurteilung des Angeklagten wegen (versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges Bestand haben. Es bedarf für jeden einzelnen Tatvorwurf einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf der Grundlage einer vom neuen Tatrichter vorgenommenen Gesamtwürdigung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht diejenige des gesamten Rechtsfolgenausspruchs und damit auch der Einziehungsanordnung nach sich.

3. Demgegenüber sind die Feststellungen von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand. Das Landgericht kann weitere, mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

4. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Dies gilt auch für die Frage der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB). Hiervon ausgenommen ist die Einziehungsanordnung, soweit sie sich auf einen die Tat C.II.2 der Urteilsgründe betreffenden Betrag von 90.000 Euro bezieht. Sie entfällt, weil die Voraussetzungen einer Einziehung jedenfalls seit der vom Landgericht vorgenommenen vorläufigen Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich dieser Tat nicht mehr gegeben waren.

Mit dieser Einstellung war diese Tat nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 1 StR 326/18 Rn. 7). Der ihr zugeordnete Tatertrag von 90.000 Euro kann damit nur noch nach § 76a Abs. 3 StGB im selbständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden, das einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO Abs. 1 Satz 1 StPO voraussetzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 142/20 Rn. 10; vom 25. April 2019 - 1 StR 54/19 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18 Rn. 13). Fehlt es - wie hier - an einem solchen Antrag, steht einer dennoch ausgesprochenen Einziehung das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 142/20 Rn. 10 und vom 25. April 2019 - 1 StR 54/19 Rn. 16). Die vom Landgericht insoweit gleichwohl angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen aus der Tat C.II.2 der Urteilsgründe in Höhe von 90.000 Euro hat daher zu entfallen.

5. Der neue Tatrichter hat auch über die Kosten der Revision des Angeklagten zu entscheiden. Einer Entscheidung über die Kosten des von der Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO betroffenen Verfahrensteils bedarf es demgegenüber auch bezüglich der Einziehung nicht mehr. Denn das Landgericht hat bereits bei der Teileinstellung des Verfahrens der Staatskasse die im Hinblick auf die Tat C.II.2 der Urteilsgründe entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt (SA Bd. V Bl. 928). Dies schließt die Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten hinsichtlich der wegen dieses Tatvorwurfs drohenden Einziehung ein.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 964

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 95; StV 2022, 731

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede