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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 874

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 138/21, Beschluss v. 04.05.2022, HRRS 2022 Nr. 874


BGH 1 StR 138/21 - Beschluss vom 4. Mai 2022 (LG München I)

Betrug durch AGG-Hopping (konkludente Täuschung: Erklärungsinhalt bei Geltendmachung einer Forderung bei nicht gefestigter Rechtslage; Inhalt von Erklärungen innerhalb eines Zivilprozesses, Umfang der zivilprozessualen Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht bei Einreden); Versuch (unmittelbares Ansetzen bei mehraktigen Tatbeständen).

§ 263 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 22 StGB; § 15 AGG; § 138 Abs. 1 ZPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Welcher Inhalt ein (ausdrücklichen oder konkludenten) (Täuschungs-)Erklärung zukommt, bestimmt sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die Erwartungen der Beteiligten. In aller Regel muss der Inhalt konkludenter Kommunikation deshalb auch unter Bezugnahme auf die Verkehrsanschauung und den rechtlichen Rahmen bestimmt werden, von denen die Erwartungen der Kommunikationspartner ersichtlich geprägt sind. Bei der Ermittlung des Erklärungswertes eines konkreten Verhaltens sind sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 51, 165 Rn. 20 mwN).

2. Danach kann auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Denn der Verkehr erwartet in diesem Zusammenhang vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen kann (vgl. BGHSt 65, 110 Rn. 22). Die Annahme einer schlüssigen Täuschung setzt voraus, dass mit dem Einfordern einer Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird. Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung einer Forderung schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen beimisst, ist Tatfrage.

3. Findet Kommunikation - wie in einem zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren - im Rahmen eines geregelten Verfahrens statt, wird der für die Frage des Vorliegens einer Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont durch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Vorschriften bestimmt. Für den Zivilprozess hat der Gesetzgeber in § 138 ZPO im Interesse einer geordneten Rechtspflege geregelt, dass die Prozessparteien subjektiv wahrhaftig im Sinne eines Verbots wissentlicher Falschangaben die tatsächlichen Umstände behaupten und bestreiten müssen. Diese Wahrheitspflicht besteht als echte Pflicht gegenüber dem Gericht und dem Gegner. Deshalb erwarten die Beteiligten in einem zivil- oder arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit - nicht anders als das zur Entscheidung berufene Gericht - einen Sachvortrag, der den Vorgaben des § 138 ZPO entspricht.

4. Das Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot des § 138 ZPO verlangt, dass von Amts wegen zu prüfende rechtsvernichtende Einwendungen offenzulegen sind. Gleichzeitig untersagt § 138 ZPO grundsätzlich nur bewusst falschen und unvollständigen Vortrag; insoweit bildet die zivilprozessuale Wahrheitspflicht die Grenze der Strafbarkeit des Angeklagten.

5. Das Wahrheitsgebot des § 138 Abs. 1 ZPO gilt zwar für alle Verfahren der Zivilprozessordnung und alle Verfahrensabschnitte, nicht jedoch für die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Die Verkehrsauffassung und die Sicht des Empfängerhorizonts im außergerichtlichen Bereich vermag die Vorschrift deshalb nicht maßgeblich zu prägen.

6. Zwar genügt es regelmäßig zur Überschreitung der für den Versuchsbeginn maßgeblichen Schwelle, wenn ein Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht hat. Dies gilt allerdings nicht ohne Ausnahme. Handelt es sich bei einem Betrug um ein mehraktiges Geschehen, so ist erst diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die nach der Vorstellung des Täters den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Vermögensverfügung bestimmen und den Vermögensschaden herbeiführen soll; entscheidend ist, ob die Täuschung ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte Vermögensverschiebung mündet oder diese nur vorbereitet.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 6. Juli 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte und sein Bruder, der frühere Mitangeklagte S., fassten im Jahr 2011 den Entschluss, auf der Grundlage von Scheinbewerbungen des früheren Mitangeklagten wiederholt Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend zu machen, um den früheren Mitangeklagten zu bereichern und diesem eine Einnahmequelle von einiger Dauer und Erheblichkeit zu verschaffen.

Nach dem Tatplan sollte sich der 42-jährige frühere Mitangeklagte zum Schein auf Stellenangebote bewerben, deren Ausschreibungen aus seiner Sicht Anhaltspunkte für eine Alters- oder sonstige Diskriminierung im Sinne des AGG boten; nach Ablehnung der Bewerbung sollte der Angeklagte die ausschreibenden Unternehmen in seiner Funktion als Rechtsanwalt anschreiben und sie im Namen des früheren Mitangeklagten auffordern, an diesen wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot im Auswahlverfahren eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern zu zahlen. Bei Ausbleiben der Zahlung sollte der behauptete Anspruch in aussichtsreichen Fällen gerichtlich weiter verfolgt werden, um auf diesem Wege die geforderte Entschädigung zu erhalten oder die beklagten Unternehmen zum Abschluss eines Vergleichs zu bewegen; die anfallenden Kosten und Gebühren sollten von einer Rechtsschutzversicherung getragen werden, die der frühere Mitangeklagte zur Begehung der Taten abgeschlossen hatte, um kein finanzielles Risiko zu tragen.

Sowohl der Angeklagte als auch sein Bruder hielten es für möglich und nahmen billigend in Kauf, dass ein Anspruch auf Entschädigung auf der Grundlage einer bloßen Scheinbewerbung tatsächlich nicht bestand.

b) In Umsetzung des Tatplans kam es zu den folgenden zwölf Taten:

Im Zeitraum vom 30. Juli 2011 bis zum 1. März 2012 bewarb sich der frühere Mitangeklagte im gesamten Bundesgebiet auf zwölf Stellenangebote, in deren Ausschreibungstexten er jeweils einen möglichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot erkannte, insbesondere, weil sich die Ausschreibung nur an Berufseinsteiger oder Bewerber aus dem näheren Umkreis des jeweiligen Beschäftigungsstandorts richtete. Seine Bewerbung wurde - wie von ihm erwartet und letztlich auch provoziert - in allen zwölf Fällen abgelehnt. Nach Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung übersandte er die Ablehnungsschreiben an den Angeklagten, der die ausschreibenden Unternehmen in der Zeit von Ende September 2011 bis Mai 2012 jeweils mit anwaltlichem Schreiben im Namen des früheren Mitangeklagten aufforderte, an diesen eine Entschädigung in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern zu zahlen, weil sie bei der Auswahl der Bewerber gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen hätten.

Angaben zur subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung enthielten diese Schreiben bewusst nicht; gleichwohl gingen der Angeklagte und sein Bruder davon aus, dass die verantwortlichen Personen der ausschreibenden Unternehmen hierüber bereits mit den außergerichtlichen Aufforderungsschreiben getäuscht werden und aufgrund ihres irrigen Eindrucks, die zuvor vom früheren Mitangeklagten abgegebene Bewerbung sei ernsthaft gewesen, den geltend gemachten Anspruch erfüllen.

In keinem der zwölf Fälle kamen die Unternehmen jedoch der Forderung nach, weswegen der frühere Mitangeklagte - prozessual vertreten durch den Angeklagten - jeweils arbeitsgerichtliche Verfahren anstrengte. Diese Verfahren endeten in den Fällen C. II. 1 bis 4, 6 bis 10 und 12 der Urteilsgründe mit Vergleichen, wobei die dem Vergleich auf Beklagtenseite zustimmenden Personen nur in den Fällen C. II. 2, 3 und 8 der Urteilsgründe irrtümlich von einer ernsthaften Bewerbung des früheren Mitangeklagten ausgingen; in den übrigen Fällen, in denen ein Vergleich geschlossen wurde (Fälle C. II. 1, 4, 6, 7, 9, 10 und 12 der Urteilsgründe), erkannten die Verantwortlichen die eigentliche Motivation des früheren Mitangeklagten, Entschädigungsansprüche zu generieren, oder sie schlossen den Vergleich nicht aufgrund einer Fehlvorstellung über die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung, sondern, weil sie die Angelegenheit erledigen wollten. Im Fall C. II. 5 der Urteilsgründe sprach das Landesarbeitsgericht Stuttgart nach Klageabweisung in der ersten Instanz dem früheren Mitangeklagten 7.000 Euro zu; im Fall C. II. 11 der Urteilsgründe wies das Bundesarbeitsgericht die vom Angeklagten für seinen Bruder eingelegte Revision wegen fehlender Passivlegitimation des beklagten Unternehmens zurück.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten in den Fällen C. II. 2, 3 und 8 der Urteilsgründe wegen vollendeten Betruges und in den Fällen C. II. 1, 4 bis 7 sowie 9 bis 12 der Urteilsgründe wegen versuchten Betruges verurteilt. In rechtlicher Hinsicht ist es dabei von folgender Bewertung ausgegangen:

a) Bereits das Versenden der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben sei als maßgebliche Täuschungshandlung zu qualifizieren. Zwar enthalten diese Schreiben keine ausdrücklichen Angaben über die den Bewerbungen zugrundeliegende Motivation und daher zunächst keine unmittelbare falsche Tatsachenbehauptung; jedoch werde mit dem Einfordern der Entschädigung nach der Verkehrsanschauung und der Erwartung des Erklärungsempfängers konkludent auch die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung behauptet, über deren Vorliegen der Angeklagte deshalb getäuscht habe (UA S. 176).

b) In den Fällen C. II. 2, 3 und 8 der Urteilsgründe haben die in den Aufforderungsschreiben enthaltenen Täuschungen zu einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung und damit zu einem vollendeten Betrug geführt; in den übrigen Fällen, in denen die Gegenseite einem Vergleich zugestimmt habe (Fälle C. II. 1, 4, 6, 7, 9, 10 und 12 der Urteilsgründe), sei lediglich ein versuchter Betrug gegeben, weil die verantwortlichen Personen bei Zustimmung keinem täuschungsbedingten Irrtum unterlegen seien oder der Irrtum nicht kausal für die in der Zustimmung liegende Vermögensverfügung gewesen sei (UA S. 183 f.). Auch in den Fällen C. II. 5 und 11 der Urteilsgründe fehle es an einem täuschungsbedingten Irrtum, weil das beklagte Unternehmen im Fall C. II. 5 der Urteilsgründe nicht irrtumsbedingt, sondern aufgrund der Verurteilung gezahlt habe (UA S. 24), und im Fall C. II. 11 der Urteilsgründe nach Zurückweisung der Revision keine Zahlung geleistet worden sei (UA S. 36).

c) In den Versuchsfällen (Fälle C. II. 1, 4 bis 7 sowie 9 bis 12 der Urteilsgründe) sei die Schwelle zum Versuch bereits mit dem Versenden der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben überschritten. Nach der Vorstellung des Angeklagten sei hierdurch alles Erforderliche zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs getan; auch habe er nach seinem Tatplan unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt (UA S. 181 f. und 184).

II.

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung bereits insgesamt nicht stand. Auf die mit der Revision erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an. Dies gilt auch für die - beachtliche - Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO aufgrund der in Abwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung beschlossenen Verfahrenstrennung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2010 - 3 StR 24/10 Rn. 5 ff.).

1. In den Fällen C. II. 2, 3 und 8 der Urteilsgründe kann der Schuldspruch wegen vollendeten Betruges keinen Bestand haben, weil eine Täuschung durch den Angeklagten nicht festgestellt ist.

a) Die Täuschungshandlung besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Täuschung ist danach jedes Verhalten, das objektiv irreführt oder einen Irrtum unterhält und damit auf die Vorstellung eines anderen einwirkt (BGH, Beschluss vom 25. November 2003 - 4 StR 239/03, BGHSt 49, 17, 21). Dabei ist allgemein anerkannt, dass - außer durch eine ausdrückliche Erklärung - eine Täuschung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB auch konkludent erfolgen kann, insbesondere durch irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist; davon ist auszugehen, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2001 - 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 3).

Welcher Inhalt der (ausdrücklichen oder konkludenten) Erklärung zukommt, bestimmt sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die Erwartungen der Beteiligten. In aller Regel muss der Inhalt konkludenter Kommunikation deshalb auch unter Bezugnahme auf die Verkehrsanschauung und den rechtlichen Rahmen bestimmt werden, von denen die Erwartungen der Kommunikationspartner ersichtlich geprägt sind. Bei der Ermittlung des Erklärungswertes eines konkreten Verhaltens sind sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2006 - 5 StR 181/06, BGHSt 51, 165 Rn. 20 mwN).

Allerdings kann auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2019 - 4 StR 426/18 Rn. 13; Urteil vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15 Rn. 18). Denn der Verkehr erwartet in diesem Zusammenhang vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen kann (vgl. BGH, Urteile vom 19. August 2020 - 5 StR 558/19, BGHSt 65, 110 Rn. 22 und vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 405/13 Rn. 11; Beschlüsse vom 25. Juli 2017 - 5 StR 46/17 Rn. 44; vom 9. Juni 2009 - 5 StR 394/08 Rn. 16 und vom 6. September 2001 - 5 StR 318/01 Rn. 6). Dagegen sind bloße Werturteile, seien es Rechtsauffassungen, Meinungsäußerungen oder reklamehafte Anpreisungen grundsätzlich keine Tatsachen im Sinne des § 263 StGB (BGH, Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 344). Die Annahme einer schlüssigen Täuschung setzt daher voraus, dass mit dem Einfordern einer Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird. Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung einer Forderung schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen beimisst, ist Tatfrage (BGH, Beschluss vom 14. März 2019 - 4 StR 426/18 Rn. 13; Urteil vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15 Rn. 18).

b) An diesen Grundsätzen gemessen hat der Angeklagte mit dem Versenden der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben nicht über die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung getäuscht; es mangelt an einer konkludent erklärten unwahren Tatsachenbehauptung.

aa) Soweit das Landgericht zur Begründung einer nach der Verkehrsauffassung schlüssig erklärten Ernsthaftigkeit der Bewerbung anführt, dass der Ernsthaftigkeit seit jeher eine wesentliche Bedeutung bei Entschädigungsansprüchen zugekommen sei und dem subjektiv nicht ernsthaften Bewerber nach der auch im Jahr 2011 bereits gefestigten Rechtsprechung keine Entschädigungsansprüche zugestanden haben, entweder, weil diesem nicht der Status eines Bewerbers zugebilligt oder dessen Begehren als rechtsmissbräuchlich eingeordnet worden sei (UA S. 177 ff.), erweist sich diese Erwägung nicht als tragfähig. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu allein pekuniär motivierten Entschädigungsklagen auf der Grundlage von Scheinbewerbungen stellt bei der Frage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auf den jeweiligen Einzelfall ab (vgl. etwa BAG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 Rn. 53); sie zielt auch nicht auf ein Befolgen, sondern - vor dem Hintergrund einer atypischen Interessenlage - auf ein Abweichen von der gesetzlichen Rechtslage ab (vgl. BAG, aaO Rn. 52). Mit dieser einzelfallbezogenen Korrektur der Rechtslage trifft sie aber, anders als das Landgericht meint, gerade keine generelle Aussage zum normativen Gesamtzusammenhang und prägt insoweit auch nicht den Empfängerhorizont.

Da die von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelten Versuche zur Eindämmung von Rechtsmissbrauch auch auf die Vorstellungen und Erwartungen des Rechtsverkehrs abstellen, gehen diese Entscheidungen den Erwartungen des Verkehrs nicht voraus, sondern folgen ihnen regelmäßig nach. Auch insoweit können entsprechenden Judikaten allenfalls indizielle, jedoch keine prägenden Wirkungen für die Vorstellungen des Empfängerhorizonts und der Erwartungen der Beteiligten zugeschrieben werden.

bb) Unabhängig davon gab es - entgegen der Wertung des Landgerichts - im angenommenen Tatzeitraum keine gefestigte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, die eine eindeutige rechtliche Einordnung der geltend gemachten Entschädigungsansprüche zuließ; die Rechtsprechung zur Behandlung von Entschädigungsklagen von Scheinbewerbern war in den Jahren 2011 und 2012 vielmehr noch im Fluss und konnte auch deshalb keinen maßgeblichen Einfluss auf die Vorstellungen und Erwartungen der Beteiligten ausüben.

(1) Erstmals im Oktober 2011 und damit erst nach dem Versenden des Aufforderungsschreibens im Fall C. II. 1 der Urteilsgründe am 30. September 2011 judizierte das Bundesarbeitsgericht, dass im Falle von Ansprüchen nach § 15 AGG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der Rechtsstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen könne, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche zu erlangen (vgl. BAG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 Rn. 51 ff.).

(2) Zwar nahm das Bundesarbeitsgericht in späteren, jedenfalls zum Teil ohnehin erst nach dem Versenden der weiteren außergerichtlichen Aufforderungsschreiben in dem Zeitraum vom 17. Oktober 2011 bis 3. Mai 2012 ergangenen Entscheidungen auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs Bezug (vgl. BAG, Urteile vom 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669; vom 23. August 2012 - 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 39 f. und vom 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11, NZA 2013, 498, 504). Indes können die ab dem Jahr 2011 ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen deshalb nicht ohne Weiteres den vom Landgericht angenommenen tauglichen Anknüpfungspunkt bilden, weil das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob der von ihm angenommene Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB unionsrechtlichen Bedenken begegne, im Jahr 2015 noch dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat (vgl. BAG, EuGH-Vorlage vom 18. Juni 2015 - 8 AZR 848/13 [A], NZA 2015, 1063 ff.). Dies verneinte der EuGH mit Urteil vom 28. Juli 2016 zwar, er konkretisierte jedoch die Voraussetzungen des durchgreifenden Rechtsmissbrauchs und stellte insoweit strenge Anforderungen auf (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 - C-423/15 Rn. 36 ff.; vgl. auch BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 Rn. 123 ff. und 134).

(3) Auch die vor dem Jahr 2011 ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung vermag die Annahme einer gefestigten Rechtsprechung zur Behandlung von Entschädigungsansprüchen von subjektiv nicht ernsthaften Bewerbern nicht zu tragen. Das Bundesarbeitsgericht hatte zunächst die vor Inkrafttreten des AGG zum 18. August 2006 zu der Vorschrift des § 611a Abs. 2 BGB in der Fassung vom 2. Januar 2002 entwickelten Grundsätze auf das AGG übertragen; Entschädigungsansprüche von subjektiv nicht ernsthaften Bewerbern hatte es nicht an dem - von der Gegenseite darzulegenden und zu beweisenden - Einwand des Rechtsmissbrauchs scheitern lassen, sondern zunächst entschieden, dass im Stellenbesetzungsverfahren nur benachteiligt werden könne, wer sich subjektiv ernsthaft beworben habe und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht komme, es im Fall einer Scheinbewerbung demnach bereits an den Anspruchsvoraussetzungen fehle (vgl. BAG, Urteil vom 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08, BAGE 131, 232 Rn. 50; zu § 611a Abs. 2 BGB aF: vgl. BAG, Urteile vom 12. November 1998 - 8 AZR 365/97, BAGE 90, 170, 180; vom 27. April 2000 - 8 AZR 295/99 Rn. 45 und vom 16. September 2008 - 9 AZR 791/07, BAGE 127, 367 Rn. 57). Noch vor der Begehung der ersten verfahrensgegenständlichen Tat stellte das Bundesarbeitsgericht jedoch klar, dass die objektive Eignung keine Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch nach § 15 AGG sei und ließ insbesondere ausdrücklich offen, ob die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung Voraussetzung für die Begründetheit des Anspruchs sei (vgl. BAG, Urteil vom 18. März 2010 - 8 AZR 77/09, NZA 2010, 872, 873), wobei es in einer späteren Entscheidung die Frage der subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung aber wieder prüfte (vgl. BAG, Urteil vom 19. August 2010 - 8 AZR 466/09, NZA 2011, 203, 204 f.).

(4) Dass das Bundesarbeitsgericht seit der Entscheidung des EuGH in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass dem Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG mit dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) entgegen getreten werden kann, sofern der Anspruchsteller sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm um das ausschließliche Ziel ging, Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen (vgl. BAG, Urteile vom 27. August 2020 - 8 AZR 45/19, BAGE 172, 78 Rn. 66; vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 Rn. 46; vom 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 Rn. 123 ff.; vom 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 Rn. 48 ff. und vom 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14, BAGE 155, 149 Rn. 32 ff.), ist als spätere Entwicklung für die Bewertung des normativen Gesamtzusammenhangs zur Tatzeit in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Taten ohne tragfähige Relevanz.

cc) Auch aus sonstigen Gründen lässt sich die vom Landgericht angenommene Erwartung des geschäftlichen Verkehrs, nach der mit dem außergerichtlichen Einfordern einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zugleich erklärt werde, die vorherige Bewerbung sei ernsthaft und nicht allein pekuniär motiviert gewesen, nicht begründen.

(1) Soweit das Landgericht hierfür als weiteren Beleg das Vollständigkeits- und Wahrheitsgebot des § 138 Abs. 1 ZPO anführt (UA S. 179 f.), ist dies rechtsfehlerhaft, weil dieses Gebot zwar für alle Verfahren der Zivilprozessordnung und alle Verfahrensabschnitte gilt (vgl. nur MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 138 Rn. 1), nicht jedoch für die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Die Verkehrsauffassung und die Sicht des Empfängerhorizonts im außergerichtlichen Bereich vermag die Vorschrift deshalb nicht maßgeblich zu prägen.

(2) Auch aus dem normativen Kontext lassen sich keine entsprechenden Erwartungen des Verkehrs ableiten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Rechte der Beschäftigten und die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, die in §§ 13 bis 16 AGG geregelt sind.

(a) Mit der Einführung des AGG sollten der Schutz vor Diskriminierung verbessert und verschiedene EU-Richtlinien umgesetzt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/1780, S. 20). Bei Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber entschieden, dass dabei - anders als in etlichen Mitgliedstaaten praktiziert (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2020 - IX ZB 11/19 Rn. 22) - auf öffentlich-rechtliche Elemente, z.B. Bußgelder oder eine behördliche Aufsicht, verzichtet wird (vgl. BT-Drucks. 16/1780, S. 25). Vielmehr sollte nach dem Willen des Gesetzgebers ein rein individualistisches Haftungssystem die Forderung der umzusetzenden EU-Richtlinien sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion bei Verletzung des Benachteiligungsverbots durch den Arbeitgeber erfüllen (vgl. BT-Drucks. 16/1780, S. 38). In diesem Sinne verfolgt die zentrale Haftungsnorm des § 15 AGG einen doppelten Sanktionszweck, indem sie spezialpräventiv den Arbeitgeber zukünftig zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten nach dem AGG an- und generalpräventiv Dritte von ähnlichen Verstößen abhält (vgl. BAG, EuGH-Vorlage vom 18. Juni 2015 - 8 AZR 848/13 [A], NZA 2015, 1063, 1065; BGH, Beschluss vom 18. Juni 2020 - IX ZB 11/19 Rn. 23).

(b) Namentlich vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber gewollten und zur Umsetzung der EU-Vorgaben unverzichtbaren Rechtsdurchsetzung durch Private im Sinne eines „private enforcement“ (vgl. zum „private enforcement“ im Kartellrecht und zum Kartellschadensersatz etwa Dannecker/Müller in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., 19. Kapitel Rn. 329 ff.) kann dem außergerichtlichen Einfordern von Entschädigungsansprüchen nicht die konkludente Aussage entnommen werden, der Anspruchsteller verfolge nicht allein pekuniäre Motive, sondern habe ein ernsthaftes Interesse an der Stelle gehabt. Dies gilt umso mehr, als § 15 Abs. 2 AGG, anders als § 15 Abs. 1 AGG, einen materiellen Schaden nicht voraussetzt und - als Ausdruck einer gesetzgeberischen Entscheidung - auch demjenigen einen Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden zubilligt, dem ein materieller Schaden nicht entstanden ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780, S. 38); mit der Geltendmachung eines solchen Entschädigungsanspruchs wird das Vorliegen eines materiellen Schadens gerade nicht behauptet. Zudem trägt auch ein allein auf eine Entschädigung abzielendes Vorgehen spezial- und generalpräventiv dazu bei, die ordnungsmäßige Pflichterfüllung zu sichern. Insbesondere die Sorge vor so genannten AGG-Hoppern, also Personen, die sich nur zum Schein auf eine freie Stelle bewerben, um wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Fehler im Bewerbungsverfahren oder einer Absage unter diskriminierenden Umständen Schadensersatzansprüche nach dem AGG geltend zu machen (vgl. hierzu etwa Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 23. Juni 2010 - 5 Sa 14/10, NZA-RR 2010, 629, 631), dürfte in der Vergangenheit erheblich zu einem gesetzeskonformen Verhalten beigetragen haben.

(c) Maßgeblich tritt hinzu, dass der Gesetzgeber - anders als im Gesetz zum unlauteren Wettbewerb - im AGG nicht normiert hat, dass die Geltendmachung von Ansprüchen unzulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist; auch das Fehlen einer mit § 8c Abs. 1 UWG (§ 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF) vergleichbaren Missbrauchsklausel prägt den normativen Gesamtzusammenhang. Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu dem vom Senat mit Beschluss vom 8. Februar 2017 - 1 StR 483/16 - entschiedenen Fall betreffend die Geltendmachung von Abmahnkosten, bei dem es allein um die bloße Generierung von Rechtsanwaltsgebühren ging. Dort lag eine Täuschung der abgemahnten Wettbewerber vor, weil mit dem Aufforderungsschreiben aus Sicht der Empfänger zumindest konkludent erklärt wurde, dass der Forderung ein wettbewerbsrechtlich bedeutsamer Abmahnvorgang zugrunde lag und dass es nicht um die bloße Generierung von Rechtsanwaltsgebühren ging, es sich mithin um keine im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG aF rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Ansprüche handelte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2017 - 1 StR 483/16 Rn. 11 f.).

(3) Anhaltspunkte, die in tatsächlicher Hinsicht die Annahme einer konkludenten Erklärung über die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung begründen könnten, zeigen die Urteilsgründe nicht auf. Bei der Ermittlung des Erklärungswertes hat das Landgericht die konkreten faktischen Umstände nicht erkennbar eingestellt. Damit bleibt die Tatfrage letztlich offen, aus welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die Verkehrsanschauung aus der Geltendmachung der Entschädigung ableitet, die vorangegangene Bewerbung sei subjektiv ernsthaft gewesen. Dies umso mehr als das Landgericht auch den konkreten Inhalt der Aufforderungsschreiben nicht mitteilt, worauf es zur Begründung einer konkludenten Täuschung über Tatsachen aber entscheidend ankommen könnte. Eine allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, kennt der Rechtsverkehr nicht; diese reicht für die Annahme entsprechender konkludenter Erklärungen auch nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2006 - 5 StR 181/06, BGHSt 51, 165 Rn. 22).

Mit Blick auf die vom Landgericht getroffenen Feststellungen, nach denen sich der frühere Mitangeklagte auf für sein Bewerberprofil nicht zugeschnittene Stellen bewarb, die Ablehnung seiner Bewerbung erwartete und diese sogar durch sein Verhalten im Bewerbungsprozess provozierte, liegt es eher fern, dass die sonstigen tatsächlichen Umstände eine entsprechende Erwartung des Verkehrs begründen könnten. Angesichts der festgestellten tatsächlichen Gesamtumstände vermögen allein die Aspekte, dass die ausschreibenden Unternehmen die Motivation für die Bewerbung nicht ohne weiteres überprüfen konnten und die Entschädigung mit einem Anwaltsschreiben eingefordert wurde, nicht die Annahme zu rechtfertigen, dass mit der Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs die Ernsthaftigkeit der Bewerbung entgegen dem normativen Kontext miterklärt werde.

c) Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtsfehlerfrei. Zwar hat das Landgericht zur Begründung der Strafbarkeit des Angeklagten ergänzend auf die gerichtliche Geltendmachung der Entschädigungsansprüche abgestellt und ist insoweit konkurrenzrechtlich von einer einheitlichen Tat ausgegangen (UA S. 182). Es fehlen jedoch auch insoweit die erforderlichen und auf den Einzelfall bezogenen Feststellungen. Insbesondere hat das Landgericht konkrete Feststellungen zum schriftsätzlichen Vortrag des Angeklagten in den jeweiligen arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht getroffen. Der Senat vermag deshalb nicht im Einzelfall zu überprüfen, ob der Angeklagte die Gegenseite über die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung zwar nicht in dem außergerichtlichen Verfahren, jedoch im sich daran anschließenden arbeitsgerichtlichen Prozess getäuscht hat.

2. Der Schuldspruch wegen vollendeten Betruges in den Fällen C. II. 2 und 8 der Urteilsgründe kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Feststellungen des Landgerichts, nach denen die getäuschten Personen einem Irrtum über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung unterlagen und aufgrund dieses Irrtums dem Prozessvergleich zustimmten, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2022 - 1 StR 371/21 Rn. 7; Beschluss vom 31. Mai 2021 - 1 StR 125/21 Rn. 7; jeweils mwN) beweiswürdigend nicht tragfähig belegt ist.

a) Nach den Feststellungen zum Fall C. II. 2 der Urteilsgründe ermächtigte der vom Angeklagten getäuschte Zeuge M. als Geschäftsführer des beklagten Unternehmens den von ihm beauftragten Rechtsanwalt zum Abschluss eines Prozessvergleichs aus wirtschaftlichen Erwägungen „im Vertrauen auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung“ (UA S. 19). In seiner Beweiswürdigung führt das Landgericht dazu aus, der glaubhaft aussagende Zeuge M. habe angegeben, dass er das Gefühl gehabt habe, dass die Bewerbung nicht ernsthaft gewesen sein könnte und auch mit seinem Rechtsanwalt über die fehlende Ernsthaftigkeit gesprochen habe. Man sei sich jedoch einig gewesen, dass man diese nicht nachweisen könne; er habe daher ein Prozessrisiko gesehen und deshalb dem Vergleich aus wirtschaftlichen Erwägungen zugestimmt (UA S. 98). Mit diesen Angaben ist jedoch entgegen der Wertung des Landgerichts gerade nicht belegt, dass der Zeuge seine als Vermögensverfügung wirkende Zustimmung zum Vergleich aufgrund eines Irrtums erteilte und dabei „mangels ausreichender entgegenstehender Argumente von einer subjektiv ernsthaften Bewerbung“ ausging (UA S. 101).

b) Zum Fall C. II. 8 der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass die Zeugin K. als bevollmächtigte Vertreterin des vom früheren Mitangeklagten wegen behaupteter Diskriminierung beklagten Landratsamts L. einem Prozessvergleich zustimmte, weil sie sich über die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung irrte (UA S. 30). Nach den Urteilsausführungen gab die Zeugin in ihrer Vernehmung jedoch an, sich über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Gedanken gemacht zu haben (UA S. 133). Entgegen der Wertung des Landgerichts ist mit dieser Aussage ein Irrtum wiederum nicht belegt; denn das in der Aussage der Zeugin zum Ausdruck kommende gänzliche Fehlen einer Vorstellung begründet keinen Irrtum (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 - 4 StR 854/51, BGHSt 2, 325, 326); auch ein - grundsätzlich ausreichendes - gedankliches Mitbewusstsein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 69) ergibt sich hieraus nicht.

3. Schließlich unterliegt das Urteil auch in den übrigen Fällen (Fälle C. II. 1, 4 bis 7 sowie 9 bis 12 der Urteilsgründe) der Aufhebung, in denen das Landgericht keinen vollendeten, sondern einen versuchten Betrug angenommen hat. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, mit der Übersendung der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben bereits alles Erforderliche getan zu haben und habe damit unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt, ist beweiswürdigend nicht hinreichend begründet.

a) Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Handlungen vor, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. August 2011 - 2 StR 91/11 Rn. 8).

Zwar genügt es regelmäßig zur Ãœberschreitung der für den Versuchsbeginn maßgeblichen Schwelle, wenn ein Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht hat (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 2 StR 43/16 Rn. 4). Dies gilt allerdings nicht ohne Ausnahme. Handelt es sich bei einem Betrug um ein mehraktiges Geschehen, so ist erst diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Vermögensverfügung bestimmen und den Vermögensschaden herbeiführen soll; entscheidend ist, ob die Täuschung ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte Vermögensverschiebung mündet oder diese nur vorbereitet (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 - 1 StR 265/16 Rn. 95; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 540/10 Rn. 7).

b) Hieran gemessen erweist sich die Beweiswürdigung der Strafkammer als widersprüchlich und lückenhaft und damit als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

aa) Soweit das Landgericht zur Begründung seiner Überzeugung, der Angeklagte sei bereits bei der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche davon ausgegangen, die angeschriebenen Unternehmen werden die Entschädigung jedenfalls teilweise zahlen, darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte im Rahmen von einigen Vergleichsverhandlungen angedroht habe, den Rechtsstreit bis zum Bundesarbeitsgericht oder sogar bis zum Bundesverfassungsgericht „hochzutreiben“, um die Gegenseite zum Abschluss eines Vergleichs zu bewegen (UA S. 163), verkennt es, dass es diese zeitlich nachgelagerten Aspekte zum Beleg der Vorstellung des Angeklagten beim Versenden der außergerichtlichen Schreiben nicht hätte heranziehen dürfen.

bb) Unabhängig davon ist die Beweiswürdigung des Landgerichts auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil es nicht erörtert hat, dass die außergerichtliche Zahlungsaufforderung in keinem der verfahrensgegenständlichen Fälle zu einer Entschädigungszahlung geführt hat. Diesen Umstand hätte das Landgericht zwingend in seine Würdigung einstellen müssen, da ansonsten offenbleibt, warum der Angeklagte gleichwohl in allen Fällen davon ausgegangen ist, die Übersendung des außergerichtlichen Schreibens genüge bereits, um die hierzu aufgeforderten Unternehmen zu einer Entschädigungszahlung zu veranlassen. Zu einer eingehenderen Auseinandersetzung hätte sich das Landgericht auch deshalb gedrängt sehen müssen, weil es sich bei den angeschriebenen Unternehmen um professionelle Marktteilnehmer mit einer Vielzahl von Mitarbeitern handelt und es auch vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht naheliegt, dass der Angeklagte geglaubt hat, dass es keiner weiteren (Zwischen-)Schritte bedarf.

cc) Darüber hinaus hat es das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen, die konkreten Umstände des Einzelfalls in seine Überzeugungsbildung einzustellen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Als weitere beweiserhebliche Umstände hätte das Landgericht insoweit in den Blick nehmen müssen, dass der frühere Mitangeklagte sich auf Stellen bewarb, die nicht seinem Profil entsprachen, sein Verhalten im Rahmen des Bewerbungsprozesses - entsprechend dem festgestellten Tatplan - darauf ausgerichtet war, eine Absage zu erhalten und er diese im Einzelfall sogar provozierte. Schließlich lässt das Urteil Ausführungen zu der Frage vermissen, wie es sich auf die Vorstellung des Angeklagten ausgewirkt hat, dass das unter dem Stichwort „AGG-Hopper“ diskutierte Phänomen missbräuchlicher Entschädigungsansprüche den Marktteilnehmern durchaus bekannt war.

4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung; die Feststellungen werden aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Der neu zur Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird Gelegenheit haben, eingehender als bisher geschehen das Verhalten des Angeklagten in den der außergerichtlichen Geltendmachung nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren aufzuklären und strafrechtlich zu würdigen. Sollte er sich erneut die Überzeugung verschaffen, dass sich der frühere Mitangeklagte auf die ausgeschriebenen Stellen nur zum Schein und allein aus pekuniären Gründen beworben hat, gilt insoweit:

a) Hat der Angeklagte damit gerechnet, dass durch sein Vorbringen im Prozess die auf Beklagtenseite auftretenden Personen getäuscht werden und diese irrtumsbedingt zu einer selbstschädigenden Vermögensverfügung veranlasst werden, kann er sich - wovon das Landgericht im Ansatz auch zutreffend ausgegangen ist - wegen Betruges im Prozess strafbar machen; seine Strafbarkeit entfällt auch dann nicht, wenn das unwahre oder unvollständige Vorbringen in erster Linie für den Richter bestimmt war (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 - 1 StR 265/16 Rn. 101 und 105).

b) In den Fällen, in denen die Gegenseite im Prozess den Rechtsmissbrauchseinwand erhoben und als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei behauptet hat, der Angeklagte habe sich nur zum Schein und allein deshalb beworben, um eine Entschädigung verlangen zu können, liegt eine Täuschung durch eine ausdrückliche Erklärung vor, wenn der Angeklagte dieses Vorbringen explizit bestritten und sich nicht nur auf die Beweislastregeln zurückgezogen hat. Gleiches gilt in den Fällen, in denen der Angeklagte im Prozess schriftsätzlich hat vortragen lassen, er habe sich subjektiv ernsthaft beworben. Auf die Frage einer konkludenten Täuschung kommt es dann nicht an.

c) Wurde hingegen ein auf die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit gestützter Einwand eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht erhoben und hat sich der Angeklagte allein auf die gerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs beschränkt, bemisst sich die Frage der konkludenten Täuschung über die (fehlende) Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung danach, ob er gegen die Vollständigkeits- und Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen hat. Ist dies der Fall, ist bereits die gerichtliche Geltendmachung der unberechtigten Forderung als konkludente Täuschung zu qualifizieren.

aa) Findet Kommunikation - wie in einem zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren - im Rahmen eines geregelten Verfahrens statt, wird der für die Frage des Vorliegens einer Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont durch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Vorschriften bestimmt; dies sind hier die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2013 - 4 StR 292/13, BGHSt 59, 68 Rn. 11). In § 138 ZPO hat der Gesetzgeber im Interesse einer geordneten Rechtspflege geregelt, dass die Prozessparteien subjektiv wahrhaftig im Sinne eines Verbots wissentlicher Falschangaben die tatsächlichen Umstände behaupten und bestreiten müssen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 138 Rn. 1 f.). Diese Wahrheitspflicht besteht als echte Pflicht gegenüber dem Gericht und dem Gegner (vgl. MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 138 Rn. 1). Deshalb erwarten die Beteiligten in einem zivil- oder arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit - nicht anders als das zur Entscheidung berufene Gericht - einen Sachvortrag, der den Vorgaben des § 138 ZPO entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 - 1 StR 219/17 Rn. 59), wobei das Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot des § 138 ZPO auch verlangt, dass von Amts wegen zu prüfende rechtsvernichtende Einwendungen offenzulegen sind (vgl. MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 138 Rn. 6).

bb) Bei seiner Bewertung eines Verstoßes gegen das Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot wird der neue Tatrichter allerdings in den Blick zu nehmen haben, dass § 138 ZPO grundsätzlich nur bewusst falschen und unvollständigen Vortrag untersagt; insoweit bildet die zivilprozessuale Wahrheitspflicht die Grenze der Strafbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 - 1 StR 219/17 Rn. 58 mwN).

cc) Ob der Angeklagte in diesem Sinne bewusst gegen seine prozessualen Vortragspflichten verstoßen hat, ist Tatfrage, die nach einer Gesamtbewertung aller maßgeblichen Umstände zu beantworten ist. Hierbei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, dass die Rechtslage aus Sicht des Rechtssuchenden im Tatzeitraum unklar gewesen ist, der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sanktionen auf öffentlich-rechtliche Elemente zugunsten eines rein individualistischen Haftungssystems verzichtet hat und zudem eine mit § 8c Abs. 1 UWG vergleichbare Missbrauchsklausel im Gesetz nicht normiert wurde.

d) Es beschwert den Angeklagten nicht, dass ihn das Landgericht im Fall C. II. 5 der Urteilsgründe - nach den insoweit getroffenen Feststellungen sprach das Landesarbeitsgericht Stuttgart dem früheren Mitangeklagten eine Entschädigung von 7.000 Euro zu - lediglich wegen versuchten Betruges gegenüber und zu Lasten des ausschreibenden Unternehmens verurteilt hat. Soweit dies von der Anklageschrift umfasst ist, wird jedoch - unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze - im neuen Rechtsgang eine Strafbarkeit des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des vollendeten Prozessbetruges zu prüfen sein.

2. Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter die Überzeugung von einem strafbaren Verhalten des Angeklagten verschafft, wird er auch die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen haben. Damit hat sich das Landgericht bisher nicht auseinandergesetzt.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 874

Bearbeiter: Christoph Henckel