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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 126

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 24/10, Beschluss v. 13.04.2010, HRRS 2011 Nr. 126


BGH 3 StR 24/10 - Beschluss vom 13. April 2010 (LG Hildesheim)

Abwesenheit während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung; Verfahrenstrennung; prozessuales Verhältnis zwischen Mitangeklagten; Betrug (psychische Beihilfe; bloßes Dabeisein; aktives Tun).

§ 338 Nr. 5 StPO; § 2 StPO; § 3 StPO; § 4 StPO; § 263 StGB; § 27 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Werden Strafsachen gegen mehrere Angeklagte, die wegen eines sachlichen Zusammenhangs miteinander verbunden waren (§§ 2, 3 StPO), wieder getrennt, so führt dies zu einer grundlegenden Veränderung des prozessualen Verhältnisses der Angeklagten zueinander.

2. Zwar liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nur vor, wenn die Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung abwesend war. Dies ist bei der Verhandlung und Entscheidung über die Abtrennung des Verfahrens im Hinblick auf einen von mehreren Angeklagten jedoch der Fall, da nicht denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass das Urteil gegen den Angeklagten, im Hinblick auf den das Verfahren letztlich abgetrennt wurde, auf der Abwesenheit seines Verteidigers während des Verfahrensabschnitts beruht, in dem über die Abtrennung verhandelt und entschieden wurde.

3. Dass der Tatrichter eine Trennung auch außerhalb der Hauptverhandlung beschließen kann, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn darin läge eine andere Gestaltung des Verfahrens mit eigenständigen prozessualen Regelungen zur Wahrung der Rechte der Verteidigung. Wählt der Tatrichter jedoch den Weg der Entscheidung in der Hauptverhandlung, so muss sich das Verfahren an den hier geltenden Vorschriften - auch zur notwendigen Anwesenheit - messen lassen.

4. Geht der Haupttäter einen Vertrag ein und erfüllt er damit den Tatbestand des Betruges, so genügt die Anwesenheit eines Dritten an seiner Seite bei Vertragsschluss für sich allein noch nicht den Anforderungen, die nach § 27 Abs. 1 StGB an eine Beihilfe durch den Dritten zu stellen sind. Soweit keine Garantenpflicht besteht, setzt auch die psychische Beihilfe ein aktives Handeln voraus; sie muss den Haupttäter im Tatplan, im Tatentschluss oder im Tatausführungswillen bestärken und so dessen tatbestandsmäßiges Handeln erleichtern oder fördern. Dies bedarf der konkreten Feststellung.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 26. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 19 Fällen, versuchten Betrugs, Beihilfe zum Betrug in drei Fällen, davon in einem Falle in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung, Urkundenfälschung in fünf Fällen und Beihilfe zur Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es ein Notebook des Angeklagten eingezogen. Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge vorschriftswidriger Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers in der Hauptverhandlung Erfolg; auf die Sachrüge und auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

I.

Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO).

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 10. Oktober 2008 bestellte der Vorsitzende der Strafkammer die Rechtsanwälte A. und S. zu Verteidigern des Angeklagten. In der nachfolgenden Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten Ar. bestimmte das Landgericht für die Schlussvorträge der Verteidiger Fortsetzungstermin auf den 9. Juni 2009. In diesem Termin blieb sowohl Rechtsanwalt A. als auch Rechtsanwalt S. aus. Stattdessen erschien Rechtsanwalt Sch. und erklärte, er komme als "Vertreter" für den erkrankten Rechtsanwalt A., könne aber nicht als Verteidiger des Angeklagten auftreten, da er mit dem Verfahrensstoff nicht vertraut sei. Auf Anregung des Verteidigers des Mitangeklagten beschloss das Landgericht hierauf die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten und bestimmte insoweit Fortsetzungstermin auf den 22. Juni 2009. Der Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten gab es sodann mit dem Schlussvortrag des Verteidigers und der Verkündung des Urteils Fortgang.

2. Die Rüge hat Erfolg, denn während der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung war entgegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO kein Verteidiger des Angeklagten anwesend.

a) Rechtsanwalt Sch. war nicht der Verteidiger des Angeklagten. Zum allgemeinen Vertreter von Rechtsanwalt A. war er weder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) noch - wie sich aus der eingeholten Erklärung von Rechtsanwalt A. zur Überzeugung des Senats ergibt - durch diesen selbst bestellt (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO). Eine "Untervollmacht" für die Verteidigung des Angeklagten konnte Rechtsanwalt A. nicht erteilen, denn die Bestellung zum Verteidiger blieb auf seine Person beschränkt (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 142 Rdn. 15). Da Rechtsanwalt Sch. nach dem unwidersprochen gebliebenen Revisionsvorbringen die Übernahme der Verteidigung abgelehnt hat, konnte der Angeklagte ihn auch nicht ausdrücklich oder stillschweigend zum Verteidiger wählen (Meyer-Goßner aaO vor § 137 Rdn. 4).

b) Allerdings liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nur vor, wenn die Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung abwesend war. Bei der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung war dies indes der Fall, denn es ist nicht bereits denkgesetzlich ausgeschlossen, dass das Urteil gegen den Angeklagten auf der Abwesenheit eines Verteidigers während dieses Verfahrensabschnitts beruht (vgl. Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 36; BGH NStZ 2006, 713).

aa) Werden Strafsachen gegen mehrere Angeklagte, die wegen eines sachlichen Zusammenhangs miteinander verbunden waren (§§ 2, 3 StPO), wieder getrennt, so führt dies zu einer grundlegenden Veränderung des prozessualen Verhältnisses der Angeklagten zueinander. Die Trennung kann den weiteren Gang der Untersuchung beeinflussen und die Verteidigung beschränken, denn ihre Wirkung erschöpft sich nicht allein darin, dass ein bisheriger Mitangeklagter die verfahrensrechtliche Stellung eines Zeugen erhält. Sie kann auch die Möglichkeiten des Gerichts und des Angeklagten beeinträchtigen, sich mit Abweichungen oder Übereinstimmungen in den wechselseitigen Einlassungen unmittelbar auseinanderzusetzen. Dem entspricht es, dass eine Verfahrenstrennung im Einzelfall die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO verletzen kann (Meyer-Goßner aaO § 2 Rdn. 14). Aus demselben Grund sind auch der Schlussvortrag des Verteidigers eines Mitangeklagten und dessen letztes Wort grundsätzlich wesentliche Teile der Hauptverhandlung (vgl. BGHSt 32, 270; BGH NStZ 1983, 34). Der denkbare Ausnahmefall, dass es an jeglichem Bezug der den Mitangeklagten (noch) angelasteten Taten zueinander fehlt, liegt hier nicht vor, denn dem Mitangeklagten lagen vier Fälle der Urkundenfälschung zur Last, zu denen dem Angeklagten Anstiftung vorgeworfen wurde (vgl. Taten 9, 13 und 14 der Urteilsgründe).

Die Verfahrenstrennung steht nach § 4 Abs. 1 StPO im Ermessen des Gerichts. Damit bleibt die Möglichkeit, dass der Angeklagte, wäre er verteidigt gewesen, der Verfahrenstrennung widersprochen und das Landgericht zu einer anderen Entscheidung bewogen hätte.

bb) Dass das Landgericht die Trennung auch außerhalb der Hauptverhandlung hätte beschließen können, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn darin läge eine andere Gestaltung des Verfahrens mit eigenständigen prozessualen Regelungen zur Wahrung der Rechte der Verteidigung. So wäre eine dem Angeklagten gegen die Trennung abweichend von § 305 StPO eröffnete Beschwerde (Meyer-Goßner aaO Rdn. 13) nicht durch den unmittelbaren Fortgang der Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten gegenstandslos geworden. Hier hat das Landgericht den Weg der Entscheidung in der Hauptverhandlung gewählt; das Verfahren muss sich deshalb an den dafür geltenden Vorschriften messen lassen. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die Nichtbeachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit bei Verfahrensvorgängen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung stattfinden können, nicht zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO führt. Solche Vorgänge sind jedoch vom Schutzbereich des Öffentlichkeitsgrundsatzes von vornherein nicht erfasst, so dass es bereits an einer Rechtsverletzung fehlt (BGH NStZ 2002, 106, 107; NJW 2003, 2761; 2004, 865, 867). Für den hier in Frage stehenden Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO lassen sich daraus keine Schlüsse ziehen, denn das Recht des Angeklagten auf wirksame Verteidigung besteht auch bei einer Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung fort.

II.

Für die neue Hauptverhandlung geben die Urteilsgründe Anlass zu folgenden Hinweisen:

1. Geht der Haupttäter einen Vertrag ein und erfüllt er damit den Tatbestand des Betruges, so genügt die Anwesenheit an seiner Seite bei Vertragsschluss für sich allein noch nicht den Anforderungen, die nach § 27 Abs. 1 StGB an eine Beihilfe zu stellen sind. Soweit keine Garantenpflicht besteht, setzt auch die psychische Beihilfe ein aktives Handeln voraus; es muss den Haupttäter im Tatplan, im Tatentschluss oder im Tatausführungswillen bestärken und so dessen tatbestandsmäßiges Handeln erleichtern oder fördern (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 27 Rdn. 11, 14). Dies bedarf der konkreten Feststellung.

2. Erbringt ein Mittäter seinen mehrere Einzeldelikte umfassenden Tatbeitrag bereits im Vorfeld, so werden ihm die Einzeltaten eines anderen Mittäters als in gleichartiger Tateinheit begangen zugerechnet (Fischer aaO § 25 Rdn. 23 m. w. N.). Soweit der neue Tatrichter wiederum zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe auf sein Betreiben bestellte GmbH-Geschäftsführer jeweils zum Abschluss einer Mehrzahl betrügerischer Finanzierungsverträge veranlasst, wird deshalb zu prüfen sein, ob dies durch eine Handlung im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB geschah.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 126

Bearbeiter: Ulf Buermeyer