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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 778

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 125/21, Beschluss v. 31.05.2021, HRRS 2021 Nr. 778


BGH 1 StR 125/21 - Beschluss vom 31. Mai 2021 (LG Konstanz)

Beweiswürdigung (erforderliche Darlegungen, wenn das Gericht einer Zeugenaussage in Teilen folgt).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 23. Oktober 2020 aufgehoben

a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte im Fall II. 22. der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und über die Anordnung der Führungsaufsicht.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 20 Fällen, davon in 17 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in weiteren drei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, und wegen Zwangsprostitution zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Zudem hat es Führungsaufsicht angeordnet.

Die auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat zu Fall II. 22. der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte versorgte die schwer drogenabhängige Geschädigte S. seit Anfang 2019 mit Fentanylpflastern. Ihm war bewusst, dass die - nur über begrenzte Geldmittel verfügende - Geschädigte auf die Lieferung von einem Fentanylpflaster pro Tag durch ihn dringend angewiesen war und Angst davor hatte, er werde ihre Fentanylversorgung einstellen. Vor diesem Hintergrund schlug der Angeklagte der Geschädigten vor, die Fentanylpflaster künftig durch sexuelle Dienstleistungen an verschiedenen Männern zu ?bezahlen?. Wie der Angeklagte wusste, war die Geschädigte aufgrund ihrer starken Drogenabhängigkeit und des Fehlens anderer Bezugsquellen nicht in der Lage, das Ansinnen abzulehnen. In Umsetzung dieses Vorhabens kam es im Zeitraum vom 25. März 2019 bis zum 13. Mai 2019 zu mindestens drei Zusammenkünften mit dem Zeugen F. und zu mindestens einer Zusammenkunft mit G., bei denen die Geschädigte sexuelle Handlungen an diesen vornahm. Der Angeklagte initiierte und organisierte sämtliche Zusammenkünfte, gab vor, auf welche Weise die Beteiligten miteinander intim werden durften und vereinnahmte jeweils vor den Treffen den Preis, den F. und G. für die Vornahme der sexuellen Handlungen zahlen mussten; er war bei den Zusammenkünften anwesend.

2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe zu Fall II. 22. der Urteilsgründe bestritten. Es stimme nicht, dass er der Geschädigten täglich ein Pflaster verkauft habe; er habe ihr nicht den Vorschlag gemacht, dass sie mit G. oder F. sexuelle Handlungen ausübe; die Initiative dazu sei nicht von ihm ausgegangen. Die Strafkammer hat die Verurteilung im Fall II. 22. der Urteilsgründe im Wesentlichen auf die Angaben der Geschädigten, des Zeugen F. sowie die Telekommunikationsüberwachung gestützt.

Den Freispruch vom Vorwurf von drei weiteren Fällen der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Nachteil der Geschädigten hat das Landgericht damit begründet, dass es sich insoweit jeweils keine Überzeugung davon zu bilden vermochte, dass der Angeklagte die Geschädigte anlässlich jeder der angeklagten vier Zusammenkünfte mit dem Zeugen F. im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 13. Mai 2019 erneut zur Prostitution veranlasst habe (UA S. 41).

II.

1. Im Fall II. 22. der Urteilsgründe hält die Beweiswürdigung sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die insoweit mit der Revision erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Juli 2019 - 4 StR 231/19 Rn. 7; Urteil vom 5. September 2019 - 3 StR 219/19 Rn. 8 jeweils mwN).

b) Allerdings vermag der Senat nicht der Auffassung des Generalbundesanwalts zu folgen, der von einer Aussage-gegen-Aussage Konstellation ausgeht und die daraus folgenden besonderen Darlegungsanforderungen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 5. April 2016 - 1 StR 53/16 Rn. 3 ff.; vom 12. Februar 2020 - 1 StR 612/19 Rn. 4 und vom 6. August 2020 - 1 StR 178/20 Rn. 8) als nicht beachtet ansieht. Denn die Strafkammer stützt ihre Beweiswürdigung nicht nur auf die Angaben der Geschädigten, sondern überdies auf diejenigen des Zeugen F. und die deren Angaben bestätigende Telekommunikationsüberwachung, die das Landgericht auch zum Beleg für die Veranlassung der Vornahme der sexuellen Handlungen durch den Angeklagten heranzieht (UA S. 31).

c) Die Urteilsgründe genügen hinsichtlich Fall II. 22. jedoch nicht den Anforderungen, die an die Darlegung der Überzeugungsbildung - unter anderem - in Fällen zu stellen sind, in denen das Tatgericht den Angeklagten aufgrund derselben Zeugenaussage teilweise verurteilt, während es sich von anderen angeklagten Taten nicht überzeugen kann. In dieser Konstellation hat es genau darzulegen, warum es der Zeugenaussage in den Verurteilungsfällen folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2021 - 1 StR 489/20 Rn. 13 und vom 12. Februar 2020 - 1 StR 612/19 Rn. 4 mwN).

Vorliegend ist bereits nicht erkennbar, weshalb sich das Landgericht nicht hat davon überzeugen können, dass die Geschädigte in insgesamt vier Fällen sexuelle Handlungen mit dem Zeugen F. vorgenommen hat. Das Landgericht hat lediglich drei sexuelle Kontakte mit dem Zeugen F. und einen Kontakt mit G. festgestellt. Angeklagt waren hingegen - als selbständige Taten - die Vornahme von sexuellen Handlungen in vier Fällen mit dem Zeugen F. Die Vornahme von sexuellen Handlungen mit dem Freier G. findet in der Anklageschrift lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen Erwähnung.

Sollte das Landgericht hinsichtlich der Anzahl der Zusammentreffen mit dem Zeugen F. dessen Angaben oder denen der Geschädigten S. nicht gefolgt sein, wäre nach dem zuvor Ausgeführten darzulegen, weshalb es deren Angaben teilweise gefolgt und teilweise nicht gefolgt ist.

2. Die Sache bedarf daher in dem Fall II. 22. der Urteilsgründe der neuen Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Verurteilung in diesem Fall zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe und der Anordnung der Führungsaufsicht (§ 68 Abs. 1 StGB) nach sich.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 778

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede