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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 765

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 92/19, Beschluss v. 21.05.2019, HRRS 2019 Nr. 765


BGH 1 StR 92/19 - Beschluss vom 21. Mai 2019 (LG Mannheim)

Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (steuerliche Erklärungspflicht als besonderes persönliches Merkmal).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 27 Abs. 1 StGB; § 28 Abs. 1 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die sich auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gründende steuerliche Erklärungspflicht ist nach der geänderten Rechtsprechung des Senats ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB. Bei einem Gehilfen, der im Zeitpunkt der Gehilfenhandlung nicht selbst zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist, ist daher eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen Fehlens der Erklärungspflicht Beihilfe statt Täterschaft angenommen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. Oktober 2018, soweit es den Angeklagten und den Mitangeklagten Ö. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und den Mitangeklagten Ö. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte S. mit einer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt insoweit zur Erstreckung der Revision auf den Mitangeklagten Ö. (§ 357 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Strafausspruch hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat die Strafe für den Angeklagten S. dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 1, Abs. 3 AO entnommen, ohne die weitere in § 28 Abs. 1 StGB zwingend vorgesehene Strafrahmenverschiebung in Betracht zu ziehen. Dies erweist sich hier als rechtsfehlerhaft.

a) Gemäß § 28 Abs. 1 StGB ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn bei dem Teilnehmer besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Die sich auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gründende steuerliche Erklärungspflicht ist nach der geänderten Rechtsprechung des Senats, die das Landgericht bei seiner Entscheidung noch nicht kennen konnte, ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17). Bei einem Gehilfen, der im Zeitpunkt der Gehilfenhandlung nicht selbst zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist, ist daher eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen Fehlens der Erklärungspflicht Beihilfe statt Täterschaft angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17 und Beschluss vom 13. März 2019 - 1 StR 50/19, jeweils mwN).

b) Eine solche Pflicht zur Aufklärung der Finanzbehörden bestand nach den Feststellungen des Landgerichts beim Angeklagten S. nicht. Dieser ist - anders als die Mitangeklagten A. und Y. (UA S. 213) - nicht wie ein faktischer Geschäftsführer als Verfügungsbefugter der verfahrensgegenständlichen Gesellschaften aufgetreten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 232). Vielmehr bestand seine Aufgabe als Bandenmitglied vor allem darin, Scheinrechnungen für den Handel mit Abdeck- bzw. Scheinrechnungen und damit für die Hinterziehung von Umsatzsteuer zu erstellen. Die Voraussetzungen einer weiteren Strafrahmenmilderung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB hätten daher erörtert werden müssen.

Der Senat kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Erörterungsmangel nicht ausschließen. Denn die Urteilsgründe lassen nicht hinreichend deutlich erkennen, ob das Landgericht allein wegen des Fehlens eines Auftretens nach außen und damit mangels einer sich aus § 35 AO ergebenden Erklärungspflicht nicht von Täterschaft, sondern von Beihilfe ausgegangen ist, was freilich angesichts der Ausführungen auf UA S. 216 und der Hervorhebung bei der Strafzumessung, dass der Angeklagte S. eine bedeutende Rolle im Gesamtgefüge spielte (UA S. 224), nicht fernliegt. Es bedarf daher, erforderlichenfalls auf der Grundlage ergänzender Feststellungen, einer neuen tatrichterlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen einer doppelten Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB und § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB vorliegen.

2. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier allein vorliegenden Rechtsanwendungsfehler nicht. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer kann aber ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs ist auf den Mitangeklagten Ö. zu erstrecken (§ 357 StPO), der vom Landgericht ebenfalls wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen schuldig gesprochen wurde. Für ihn gelten die Ausführungen zum Angeklagten S. entsprechend.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 765

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 279

Bearbeiter: Christoph Henckel