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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 721

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 50/19, Beschluss v. 13.03.2019, HRRS 2019 Nr. 721


BGH 1 StR 50/19 - Beschluss vom 13. März 2019 (LG Augsburg)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (steuerliche Erklärungspflicht: besonderes persönliches Merkmal).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 28 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Oktober 2018, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dreier Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat es angeordnet, dass hiervon drei Monate als vollstreckt gelten. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der Angeklagte ein europaweit tätiges „Umsatzsteuerbetrugssystem“, das von einer Organisation um den anderweitig Verfolgten S. betrieben wurde. Zum „Geschäftsmodell“ in diesem System gehörte die Schaffung von Rechnungsketten unter Beteiligung von Unternehmen, die keine unternehmerische Tätigkeit ausübten, gegenüber den Finanzbehörden aber vorspiegeln sollten, Handel mit Kupferkathoden zu betreiben. Sie sollten zum Schein Waren erwerben und weiterveräußern, welche unter Hinterziehung von Umsatzsteuer verbilligt wurden. Teil dieses Systems waren in den Jahren 2010 und 2011 das Einzelunternehmen des vom Landgericht wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in vier Fällen verurteilten Mitangeklagten Ko. sowie die N. GmbH und die C. GmbH.

Die Aufgabe des Angeklagten bestand bei dem Einzelunternehmen des Mitangeklagten Ko. insbesondere darin, Scheinrechnungen auszudrucken, diese in der Buchhaltung des Unternehmens abzulegen und später zum Steuerberater zu bringen. Für die N. GmbH und die C. GmbH, deren Rolle als „Missing Trader“ im „Umsatzsteuerbetrugssystem“ er kannte, ließ der Angeklagte Strohmänner anwerben.

Obwohl - wie dem Angeklagten bekannt war - wegen der in den Scheinrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG Umsatzsteuern entstanden und gegenüber den Finanzbehörden anzumelden waren (§ 18 Abs. 1 bis 3, 4a und 4b UStG), wurden von den hierzu gemäß §§ 34, 35 AO verpflichteten Personen keine Steueranmeldungen abgegeben. Durch die hierdurch durch Unterlassen begangenen Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), die der Angeklagte durch seine drei einheitlichen Unterstützungshandlungen bezogen auf das Einzelunternehmen Ko., die N. GmbH und die C. GmbH jeweils förderte, wurden in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt Steuern von mehr als 11 Mio. Euro verkürzt. Für sein Tätigwerden erhielt der Angeklagte einen Geldbetrag von lediglich 1.500 Euro.

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Demgegenüber hat der Strafausspruch keinen Bestand, weil das Landgericht neben einer Verschiebung des Strafrahmens des § 370 Abs. 1 AO gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB keine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB vorgenommen hat. Dies begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.

a) Durch Urteil vom 23. Oktober 2018 im Verfahren 1 StR 454/17 hat der Senat seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 1 StR 491/94, BGHSt 41, 1 mwN) geändert und entschieden, dass es sich bei der vom Straftatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vorausgesetzten steuerlichen Erklärungspflicht um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB handelt, der eine Strafrahmenverschiebung eröffnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs scheidet eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB lediglich dann aus, wenn die Tat allein wegen des Fehlens des strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmals als Beihilfe statt als Täterschaft zu werten ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 - 4 StR 476/14; vom 25. Oktober 2017 - 1 StR 310/16, Rn. 23; vom 22. Januar 2013 - 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115 Rn. 10 und vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 309/11, Rn. 3).

b) Ein solcher Fall lag hier indes nicht vor. Zwar kann Täter - auch Mittäter - einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. dazu BGH, Urteile vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17, Rn. 19 und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 52; Beschlüsse vom 23. August 2017 - 1 StR 33/17 und vom 14. April 2010 - 1 StR 105/10), was beim Angeklagten nicht der Fall war. Jedoch hat das Landgericht die Unterstützung des Angeklagten bereits ohne Anknüpfung an den Umstand, dass den Angeklagten keine steuerliche Erklärungspflicht traf, als Gehilfenbeitrag qualifiziert. Die Voraussetzungen einer weiteren Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der des § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB lagen daher vor.

3. Auf der Nichtbeachtung des § 28 Abs. 1 StGB beruht der Strafausspruch. Auch wenn das Landgericht strafschärfend gewürdigt hat, „der geleistete Tatbeitrag (Vermittlung geeigneter Schein-Geschäftsführer)“ habe „ganz erhebliche Bedeutung“ für den erfolgreichen Betrieb des „Umsatzsteuerbetrugssystems“ gehabt (UA S. 32), kann der Senat nicht ausschließen, dass es bei Anwendung des sich aus § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB ergebenden Strafrahmens niedrigere Strafen verhängt hätte.

4. Einer Aufhebung von Feststellungen, die von dem Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch führt, nicht betroffen sind, bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

5. Die Kompensationsentscheidung wird von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 1 StR 234/12, Rn. 13 und Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 721

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 213; StV 2019, 751

Bearbeiter: Christoph Henckel