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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 356

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 393/14, Beschluss v. 27.01.2015, HRRS 2015 Nr. 356


BGH 1 StR 393/14 - Beschluss vom 27. Januar 2015 (LG Nürnberg-Fürth)

Mitteilungspflicht über Verständigungsgespräche (Zeitpunkt; Anforderungen an die Revisionsbegründung)

§ 243 Abs. 4 StPO; § 212 StPO; § 344 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO schreibt seinem Wortlaut nach keinen Zeitpunkt für die Mitteilungspflicht vor. Zwar ergibt sich aus dem Gesetzeszweck Transparenzgedanken, dass in aller Regel eine umgehende Information nach dem Verständigungsgespräch geboten ist. Doch sind hiervon auch Ausnahmen möglich, so dass ein später erfolgter Hinweis ausreichend gewesen sein kann.

2. Um dem Revisionsgericht diesbezüglich eine umfassende Prüfung zu ermöglichen, liegt nahe, dass die Revision dazu vortragen muss.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24. Oktober 2013 werden verworfen.

2. Die Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Betrugs in 79 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Angeklagte V. hat es wegen Betrugs in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte kümmerte sich um die Organisation der Pflege sowie die finanziellen Belange seiner seit mehreren Jahren pflegebedürftigen Mutter I. und seiner Schwester M. (beide Pflegestufe III). I. ist gesetzlich bei der T. Krankenkasse versichert, während M. zu 70 % beihilfeberechtigt und zu 30 % bei der Ba. privat versichert ist. Die beiden Pflegebedürftigen lebten gemeinsam in einer Wohnung und wurden dort von der Angeklagten V., der vom Angeklagten B. getrennt lebenden Ehefrau, und privaten Pflegediensten dreimal täglich versorgt. Von Oktober 2009 bis Januar 2010 übernahm die nichtrevidierende Mitangeklagte G. mit ihrem privaten Pflegedienst teilweise die Betreuung. Obwohl der private Pflegedienst der Mitangeklagten G. nicht jeden Tag vor Ort war (in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 6. Dezember 2009 z.B. nur an jeweils vier Tagen die Woche), rechnete die Mitangeklagte G. entsprechend des gemeinsamen Tatplans mit dem Angeklagten gegenüber der T. Krankenkasse eine Vollpflege (dreimal täglich an sieben Tagen die Woche) ab und stellte auch in entsprechender Höhe die Rechnungen an den Angeklagten, die dieser monatlich bei der Beihilfestelle des Landes und der Ba. einreichte. An den übrigen Tagen übernahm die Angeklagte V. die Pflege von I. und M., was zu einem erheblich geringeren Pflegegeldanspruch geführt hätte. Der T. Krankenkasse entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von 4.441,17 Euro, der Beihilfe in Höhe von 4.598,44 Euro und der Ba. in Höhe von 1.427,42 Euro. Der Angeklagte und die Mitangeklagte G. handelten bei den insgesamt zwölf Taten in der Absicht, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen.

2. Im Zeitraum vom 5. Januar 2008 bis 21. Dezember 2010 legten die beiden Angeklagten entsprechend ihres gemeinsamen Tatplans bei der Beihilfe quittierte Rezepte für M. vor, obwohl sie die entsprechenden Medikamente nie bezogen und bezahlt hatten. Vielmehr hatte sich die Angeklagte V. mit den Rezepten jeweils kurz vor Ladenschluss in die A. -Apotheke in Nürnberg begeben und gegenüber Teilzeitkräften, denen diesbezüglich der Überblick fehlte, wider besseren Wissens behauptet, sie habe die Medikamente bereits bezogen und bezahlt, nur das Quittieren sei vergessen worden. Die derart getäuschten Apothekenmitarbeiter quittierten daraufhin die Rezepte entsprechend. Die Beihilfe erstattete in dem Glauben, dass die Rezepte tatsächlich eingelöst worden waren, die entsprechenden Beträge, die der Angeklagte vom Konto der M. auf sein eigenes oder das der Angeklagten V. transferierte. Der Beihilfe entstand durch die 67 Taten im Jahr 2008 ein Schaden in Höhe von insgesamt 25.294,29 Euro, im Jahr 2009 in Höhe von 27.825,87 Euro und im Jahr 2010 in Höhe von insgesamt 20.489,09 Euro. Auch hier handelten die Angeklagten, um sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Gewicht zu verschaffen. Eine Schadenswiedergutmachung durch die Angeklagten fand bisher nicht statt. Die Beihilfe erklärte jedoch die Aufrechnung mit Versorgungsbezügen von M. und behielt bis November 2013 13.009,13 Euro ein.

II.

Die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg. Einer Erörterung bedarf nur die Rüge, es liege ein Verstoß gegen "§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO" vor.

Der von beiden Angeklagten gerügte Verfahrensfehler greift nicht durch. Die Revision beanstandet, das Landgericht habe seiner Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (gemeint wohl § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, da zunächst vom Vorsitzenden festgestellt worden war, "dass bislang keine Verständigung erfolgt ist und auch keine entsprechenden Gespräche geführt wurden.") nicht Genüge getan, indem es nach Unterbrechung der Hauptverhandlung und einem Verständigungsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung nur zu Protokoll nahm: "Der Vorsitzende gab bekannt, dass Verständigungsgespräche stattgefunden haben, welche allerdings ohne Ergebnis geendet haben." Es bestehen bereits Bedenken an der Zulässigkeit dieser Rüge, da die Revision nicht vorgetragen hat, dass der Vorsitzende nach den entsprechenden dienstlichen Stellungnahmen der zuständigen Staatsanwältin vom 4. August 2014 und des Vorsitzenden vom 5. August 2014 sowie der Protokollberichtigung vom 12. September 2014 später wiederholt in der Hauptverhandlung unter Bezugnahme auf das Verständigungsgespräch darauf hingewiesen hatte, dass für die Angeklagten eine Bewährungsstrafe nur im Falle eines Geständnisses in Betracht komme. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO schreibt seinem Wortlaut nach keinen Zeitpunkt für die Mitteilungspflicht vor. Zwar ergibt sich aus dem Gesetzeszweck Transparenzgedanken, dass in aller Regel eine umgehende Information nach dem Verständigungsgespräch geboten ist. Doch sind hiervon auch Ausnahmen möglich (vgl. hierzu z.B. KK-StPO/Schneider, 7. Aufl., § 243 Rn. 39), so dass ein später erfolgter Hinweis ausreichend gewesen sein kann. Um dem Revisionsgericht diesbezüglich eine umfassende Prüfung zu ermöglichen, liegt nahe, dass die Revision dazu hätte vortragen müssen.

Dies kann hier aber dahinstehen, da die Rüge jedenfalls deshalb im Ergebnis nicht durchgreift, weil der Senat ausschließt, dass das Einlassungsverhalten der Angeklagten auf einem etwaigen Informationsdefizit beruht. Denn aus den Urteilsgründen sowie den dienstlichen Stellungnahmen und der Protokollberichtigung ergibt sich, dass die Angeklagten sich in Kenntnis der Tatsache, dass nur bei einer geständigen Einlassung noch eine Bewährungsstrafe in Betracht kommen würde, dafür entschieden haben, den Tatvorwurf zu bestreiten. Der Senat schließt daher aus, dass sie sich bei einer weitergehenden Mit7teilung anders verhalten hätten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, StV 2014, 651, 653).

Es liegt auch kein durchgreifendes Informationsdefizit der Öffentlichkeit vor, weil der Vorsitzende in öffentlicher Hauptverhandlung jedenfalls den Verständigungsvorschlag des Gerichts und die Tatsache mitgeteilt hat, dass Verständigungsgespräche stattgefunden haben und diese gescheitert sind; angesichts der im Revisionsverfahren eingeholten dienstlichen Erklärungen ist eine informelle Absprache sicher auszuschließen. Der Zulässigkeit der Rüge dürfte insoweit auch entgegenstehen, dass die Revision nicht vorgetragen hat, ob bei der Hauptverhandlung überhaupt Öffentlichkeit anwesend war, deren Informationsinteresse durch das Vorgehen des Vorsitzenden hätte verletzt werden können.

Wegen der weiteren Verfahrensbeanstandungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 22. Oktober 2014 Bezug genommen.

III.

Die auf die Sachrüge vorgenommene Nachprüfung hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Betrugs in 79 Fällen beim Angeklagten B. bzw. wegen 67 Fällen bei der Angeklagten V. .

Die nachfolgend aufgezeigten Darlegungsmängel bei der jeweiligen Schadensberechnung lassen den Schuldspruch unberührt, da nach den Urteilsgründen sicher ist, dass in jedem der abgeurteilten Fälle ein Schaden entstanden ist.

2. Im Rahmen der Strafzumessung begegnet es allerdings Bedenken, dass die Schadensberechnung des Landgerichts zu den Betrugstaten im Tatkomplex 1 zulasten der Beihilfe und der Ba. sowie im gesamten Tatkomplex 2 anhand der allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist.

Bei derartigen Abrechnungsbetrügereien stellt die Schadensberechnung keinen einfachen Rechenschritt dar, bei dem die bloße Ergebnismitteilung genügen würde. Vielmehr muss der konkrete Rechenweg in seinen Grundzügen dargelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546; Beschluss vom 12. Juni 2013 - 5 StR 581/12, NStZ-RR 2013, 313). Daran mangelt es bei der Tabelle zum Schaden der Beihilfe, in der offensichtlich jeweils ein weiterer in Abzug gebrachter Betrag fehlt, und bei den Rezept-Tabellen, die nicht deutlich machen, wie sich der jeweils angeführte Beihilfeanspruch der Höhe nach errechnet. Auch die Schadensdarstellung der Ba. ist schwer nachvollziehbar.

Zwar sind gewisse Vereinfachungen bei der Darlegung der Berechnungsgrundlage zulässig, wenn der ausreichend sachkundige Täter in vollem Umfang geständig ist (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10). Die im Pflegebereich sachkundige Mitangeklagte G. war hier bezüglich der sie und den Angeklagten B. betreffenden Anklagepunkte vollumfänglich geständig. Fraglich erscheint jedoch, ob das Geständnis eines anderen Angeklagten ausreicht, um geringere Anforderungen an die Schadensdarstellung zu richten. Bezüglich des zweiten Tatkomplexes (Einreichen der Rezepte) liegt auch kein "Geständnis" vor, da hier die Mitangeklagte G. nicht Mittäterin war.

Im vorliegenden Einzelfall schließt der Senat aber aus, dass das Landgericht zu anderen Einzelstrafen gelangt wäre. Denn das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung (bei rechtsfehlerfreier Annahme eines besonders schweren Falles des Betrugs wegen Gewerbsmäßigkeit, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB, also einer Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe) nur zwischen Schäden unter und über 1.000 Euro differenziert und bei beiden Angeklagten danach ausschließlich Einzelfreiheitsstrafen von acht bzw. zehn Monaten verhängt. Selbst wenn es in Einzelfällen zu geringfügigen Abweichungen bei der Schadenshöhe gekommen sein sollte, ist jedenfalls auszuschließen, dass sich dies auf die jeweilige Strafzumessung bei der einzelnen Tat ausgewirkt hat, da das Landgericht bei einem Schaden von 200 Euro die gleiche Einzelfreiheitsstrafe verhängt hat wie bei einem Schaden von 900 Euro. Aus dem Gesamtkontext der Schadensberechnung ergibt sich jedenfalls, dass in keinem der Fälle eine Überschreitung der 1.000-EuroSchwelle in Betracht kommt, so dass die mangelnde Darlegung der Schadensberechnung die Angeklagten im Ergebnis nicht beschwert.

IV.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 356

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 353

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel