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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 593

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 581/12, Beschluss v. 12.06.2013, HRRS 2013 Nr. 593


BGH 5 StR 581/12 - Beschluss vom 12. Juni 2013 (LG Lübeck)

Voraussetzungen des Betruges bei der Erlangung von Rabatten für preisgebundene Medikamente (Vermögensschaden beim Rabattbetrug: Krankenhauspreise und alternative Beschaffungsmöglichkeiten; Mittäterschaft: Darlegungsanforderungen); Abgrenzung Tun und Unterlassen (Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit); Verweisungen auf Selbstleseverfahren; Grenzen der Verständigung (geeignete Fälle; Einstellungen).

§ 263 StGB; § 13 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 78 AMG; § 1 Abs. 3 Nr. 2 AMPreisV; § 249 StPO; § 257c StPO; § 153 StPO; § 153a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auch bei der unberechtigten Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AMPreisV auf einen Verkauf von verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln außerhalb des Krankenhausbereichs darf sich die Schadensfeststellung nicht in einem Vergleich der Preise für Fertigarzneimittel aus dem Krankenhaus- und dem Offizinbereich erschöpfen. Die täuschungsbedingte Erzielung niedrigerer Preise begründet nicht ohne weiteres einen Vermögensschaden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die erzielten Preise zumindest kostendeckend sind. Da der Betrug nicht die Vermögensmehrung schützt, sondern nur den Vermögensbestand, kommt eine Verurteilung wegen Betruges nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit des Absatzes für das liefernde Unternehmen auch zu dem höheren Preis gesichert erscheint. Nur in diesem Fall läge nämlich ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB vor (BGH NJW 2004, 2603; 1991, 2573).

2. Bei der Schadensberechnung sind in diesem Fall mögliche andere Bezugsquellen zu berücksichtigen. Es bedarf der Erörterung, ob sich die Arzneimittel auf dem Generika-Markt oder dem Markt für Parallelimporte zu ähnlichen, jedenfalls günstigeren Bedingungen hätten beschaffen lassen. Die Differenz zum Offizinpreis stellt nicht zwangsläufig den Schaden dar, wenn das Arzneimittel anderweitig hätte günstiger beschafft werden können.

3. Dies gilt auch für die Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln. Insoweit muss geprüft werden, ob ohne den Ansatz des Herstellerrabatts (§ 130a SGB V) vergleichbar günstig Produktalternativen zur Verfügung gestanden hätten.

4. Ist die Schadensberechnung beim Betrug kein lediglich einfacher Rechenschritt, bei dem die bloße Ergebnismitteilung ausreichen könnte, müssen die Urteilsgründe den konkreten Rechnungsweg wenigstens in seinen grundlegenden Zügen aufnehmen.

5. Entsteht der Vermögensschaden durch eine Fehlinterpretation gesetzlichen Preisfestsetzung, muss für den Vorsatz des Angeklagten beim Betrug belegt sein, dass die Angeklagten nicht von der Zulässigkeit der von ihnen vorgenommenen Preisansetzung ausgegangen sind (hier: ambulante Behandlung von Patienten durch ermächtigte Krankenhausärzte in den Räumen des Krankenhauses).

6. Die Formulierung: "Die Angeklagten wirkten mit", ist zu floskelhaft, um dem Revisionsgericht insbesondere bei der Beurteilung eines Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen eine Überprüfung der Verurteilung der Angeklagten als Mittäter zu ermöglichen.

7. Gegen nicht geständige Angeklagte kann eine Verständigung nach § 257c StPO allenfalls in Ausnahmekonstellationen möglich sein (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO), weil in solchen Fällen eine nicht hinnehmbare Beschränkung der unbedingten Pflicht zur umfassenden Wahrheitsermittlung zu besorgen sein könnte (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1068 f.).

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 6. Juni 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen, den Angeklagten H. zudem noch wegen versuchter Erpressung verurteilt und gegen beide Angeklagten Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichteten Revisionen der beiden Angeklagten haben in vollem Umfang Erfolg.

1. Das Landgericht hat die Verurteilungen wegen Betruges nicht rechtsfehlerfrei begründet.

a) Es sieht einen (mittäterschaftlichen) Betrug darin, dass die Angeklagten als für die A. in S. tätige Beratungsapotheker bei der Versorgung von Krebspatienten durch ermächtigte Krankenhausärzte der Abrechnung von Medikamenten zu Klinikpreisen zustimmten. Ebenso hätten die Angeklagten betrügerisch gehandelt, indem sie im Zusammenwirken mit der beliefernden Apotheke bei aus Fertigarzneimitteln zusammengestellten Medikamenten die Abrechnung eines hierfür nicht vorgesehenen Herstellerrabatts veranlassten. Beides hat das Landgericht als jeweils selbständige Betrugshandlung (Verkaufs- und Rabattschaden) gewertet, welche die Angeklagten jeweils in Mittäterschaft mit den leistenden und abrechnenden Apothekern begangen hätten.

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Wirtschaftsstrafkammer nicht hinreichend konkret dargelegt hat, wie die beiden Angeklagten in das System der Arzneimittelbeschaffung eingebunden waren. Dies war erforderlich, weil sowohl der Bezug auf die Verschreibung der ermächtigten Ärzte als auch deren Abrechnung durch die leistenden Apotheker ohne unmittelbare Beteiligung der Angeklagten erfolgt ist. Die Formulierung: "Die Angeklagten wirkten mit", ist zu floskelhaft, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verurteilung der Angeklagten als Mittäter zu ermöglichen. Ebenso wenig erlauben die insoweit wenig aussagekräftigen Urteilsgründe eine Einordnung des Handelns der Angeklagten als Tun. Es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass der soziale Handlungsschwerpunkt auf einem Unterlassen liegt, etwa in Form einer - dann nicht einmal zwingend gegen eine Garantenpflicht verstoßenden - Nichtbeanstandung namens der A. gegenüber den bei dieser geltend gemachten Abrechnungen. Schließlich genügen auch die Ausführungen zur Schadenshöhe den rechtlichen Anforderungen nicht, weil sich das Landgericht insoweit allein auf die Ergebnisse der sachverständigen Zeugin K. stützt, ohne konkret den Rechenweg wenigstens in seinen grundlegenden Zügen mitzuteilen. Die Schadensberechnung war hier kein lediglich einfacher Rechenschritt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546), bei dem die bloße Ergebnismitteilung ausreichen könnte.

c) Durchgreifenden Bedenken begegnet aber jedenfalls die Feststellung des Vermögensschadens im Sinne des § 263 StGB. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel preisgebunden sind. Für diese werden nach § 78 AMG i.V.m. der Arzneimittelpreisverordnung Preise und Spannen durch Rechtsverordnung festgelegt (vgl. zur Entstehungsgeschichte Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 78 Rn. 2 ff.). Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 dieser Verordnung (AMPreisV) gelten die durch die Verordnung vorgegebenen Spannen nicht für die Abgabe an Krankenhäuser (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2012 - 5 StR 1/12, NStZ 2012, 628).

Das Landgericht beschränkt sich jedoch darauf, die Preise für Fertigarzneimittel aus dem Krankenhaus- und dem Offizinbereich (gegebenenfalls unter Berücksichtigung zusätzlicher zulässiger Rabatte) gegenüberzustellen. Dies begegnet hier durchgreifenden Bedenken. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, begründet die täuschungsbedingte Erzielung niedrigerer Preise nicht ohne weiteres einen Vermögensschaden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die erzielten Preise zumindest kostendeckend sind. Da der Betrug nicht die Vermögensmehrung schützt, sondern nur den Vermögensbestand, kommt eine Verurteilung wegen Betruges nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit des Absatzes für das liefernde Unternehmen auch zu dem höheren Preis gesichert erscheint. Nur in diesem Fall läge nämlich ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB vor (BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2004 - 5 StR 136/04, NJW 2004, 2603, und vom 14. Juni 1991 - 3 StR 155/91, NJW 1991, 2573).

Mit dieser Frage setzt sich die Wirtschaftsstrafkammer hier nicht auseinander, weil sie mögliche andere Bezugsquellen nicht berücksichtigt. Es hätte nämlich der Erörterung bedurft, ob sich die Arzneimittel auf dem Generika-Markt oder dem Markt für Parallelimporte dann zu ähnlichen, jedenfalls günstigeren Bedingungen hätten beschaffen lassen. Die Differenz zum Offizinpreis stellt deshalb nicht zwangsläufig den Schaden dar, wenn das Arzneimittel anderweitig hätte günstiger beschafft werden können. Dies gilt im Übrigen auch für die Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln. Insoweit muss geprüft werden, ob ohne den Ansatz des Herstellerrabatts (§ 130a SGB V) vergleichbar günstig Produktalternativen zur Verfügung gestanden hätten.

Die Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Bundesgerichte (Beschluss vom 22. August 2012 - GemS-OBG 1/10, BGHZ 194, 354) schließt ein solches vergleichendes Vorgehen nicht aus. Dort ist zwar ausgeführt, dass die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auch für verschreibungspflichtige Arzneimitteln gelten, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben. In der Entscheidung wird aber auch darauf hingewiesen, dass der (Preis-)Wettbewerb auf der Ebene der pharmazeutischen Unternehmer (§ 4 Abs. 18 AMG) zulässig bleibt. Nur um diesen Beschaffungsvorgang von dem pharmazeutischen Unternehmer geht es hier. Daneben gilt, dass der Herstellerrabatt ebenso wenig wie das deutsche Preisrecht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für eingeführte Arzneimittel gelten würde (BSGE 101, 161). Jedenfalls bis zur Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Bundesgerichte ist von dieser Rechtsprechung auszugehen (vgl. dazu Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 78 Rn. 79 ff.).

d) Die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand reichen hier ebenfalls nicht aus. Das Landgericht schließt aus dem Gespräch der Angeklagten mit dem Apotheker B. wie auch aus der Höhe der abgerechneten Preise, dass die beiden Angeklagten den Einsatz von Klinikware kannten. Gleichfalls folgert es aus den Bekundungen des Zeugen B. auch ihr Wissen um die unberechtigte Inanspruchnahme des Herstellerrabatts. Die Wirtschaftsstrafkammer verhält sich jedoch nicht zu der Frage, ob die Angeklagten auch die vorgelagerte rechtliche Bewertung in ihrer (als Nichtjuristen) jedenfalls partiell laienhaften Sphäre zutreffend gewürdigt haben.

Die Regelung des § 14 Abs. 4 ApoG lässt nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass die Belieferung der ermächtigten Krankenhausärzte zwingend zu Offizinpreisen zu erfolgen hätte. Ebenso wenig ergibt sich eine solche Rechtsfolge aus § 1 Abs. 3 AMPreisV. Insoweit hat das Landgericht diesen Normbefehl, auf den sich die Betrugsstrafbarkeit bezog, nicht deutlich herausgearbeitet (vgl. BVerfG [Kammer] NJW 2002, 3693). Insbesondere hätte sich das Landgericht mit der Frage befassen müssen, welche Vorstellung die Angeklagten hatten. Der bloße Bezug auf ein Schreiben, in dem diese Auffassung vertreten wird, vermag isoliert keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Belieferung mit Krankenhausware begründen. Auch in-soweit kommt es auf den - vom Landgericht nicht näher beleuchteten - Gesamtkontext der Bestellungen an. Hielten die Angeklagten nämlich eine Versorgung der von ermächtigten Krankenhausärzten in den Räumen des Krankenhauses ambulant behandelten Patienten für rechtlich möglich, dann könnte ihnen gegenüber den beliefernden pharmazeutischen Unternehmen der Täuschungsvorsatz im Sinne des § 263 StGB fehlen.

Zudem arbeitet das Landgericht in diesem Teil der Urteilsgründe mit Verweisungen auf im Selbstleseverfahren eingeführte Urkunden. Dies ist nicht zulässig (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12 Rn. 41, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

2. Soweit der Angeklagte H. wegen versuchter Erpressung verurteilt wurde, hat schon der Generalbundesanwalt gemäß § 349 Abs. 4 StPO die Aufhebung beantragt. Er hat zutreffend ausgeführt, dass eine Drohung im Sinne der §§ 240, 253 StGB nicht hinreichend belegt ist, zudem die Ausführungen im Urteil zum Vermögensnachteil unzureichend sind.

3. Die Aufhebung der Schuldsprüche zieht auch die umfassende Aufhebung der Feststellungen nach sich, weil die bislang getroffenen Feststellungen lückenhaft sind. Das Verfahren gibt Anlass zu dem Hinweis, dass gegen nicht geständige Angeklagte eine Verständigung nach § 257c StPO allenfalls in - hier nicht in Betracht kommenden - Ausnahmekonstellationen möglich sein kann (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO), weil in solchen Fällen eine nicht hinnehmbare Beschränkung der unbedingten Pflicht zur umfassenden Wahrheitsermittlung zu besorgen sein könnte (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, NJW 2013, 1058, 1068 f.). Im Hinblick auf die Vielzahl der Strafmilderungsgründe und die lange zurückliegenden Tatzeiten wird eine Sachbehandlung nach § 153 StPO, allenfalls nach § 153a StPO naheliegen. Gänzlich fernliegend erscheint es allerdings, bei den Angeklagten im Verurteilungsfalle erneut den Regelstrafrahmen des besonders schweren Falles nach § 263 Abs. 3 StGB zugrunde zu legen.

Mit der Urteilsaufhebung erledigt sich die Kostenbeschwerde des He.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 593

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 313; StV 2014, 78

Bearbeiter: Karsten Gaede