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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 944

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 199/10, Beschluss v. 11.08.2010, HRRS 2010 Nr. 944


BGH 1 StR 199/10 vom 11. August 2010 (LG Detmold)

Steuerhinterziehung und Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Berechnungsdarstellung; Anforderungen an die Urteilsgründe; Beweiswürdigung; Schätzung; Schwarzlohnabrede: fiktives Bruttoentgelt, geringfügiges Beschäftigungsverhältnis).

§ 370 AO; § 266a StGB; § 261 StPO; § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 2 Abs. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Hochrechnung auf ein fiktives Bruttogehalt findet gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV keine Anwendung, wenn es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelt.

2. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) sind in den Urteilsgründen diejenigen Parameter festzustellen, die die Grundlage für die Steuerberechnung bilden (vgl. BGH NStZ 2009, 639, 640). Liegt dem Angeklagten demgegenüber eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind zunächst die Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abgabe der fraglichen Steuererklärungen verpflichtet war. Sodann sind in den Urteilsgründen die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärungen hinterzogenen Steuer ergibt.

3. Bei einem geständigen Angeklagten ist auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und der Beweiswürdigung zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar ist, bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise, die diesen Feststellungen zugrunde liegen. Räumt der Angeklagte die Besteuerungsgrundlagen ein und hat sich der Tatrichter von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt, dann genügt eine knappe Würdigung der so gefundenen Überzeugung. Jedenfalls, soweit es um das "reine Zahlenwerk" - etwa den Umsatz, die Betriebseinnahmen oder die Betriebsausgaben - geht, wird regelmäßig davon ausgegangen werden können, dass selbst ein steuerrechtlich nicht versierter Angeklagter diese Parameter aus eigener Kenntnis bekunden kann. Der Tatrichter kann seine Überzeugung insoweit auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung zu den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen stützen. Angaben von Finanzbeamten zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatrichters sein.

4. Dieselben Grundsätze gelten für die Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer und die Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht.

5. Auch bei einem geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter sowie der Beitragssätze der zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses sein. Im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgrundlagen kann sich der Tatrichter auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen.

6. Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne und Gehälter zu schätzen und daraus den Umfang der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH wistra 2010, 148 mwN).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten A. C. wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 30. November 2009, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte

a) im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und b) im Fall II. 83 der Urteilsgründe wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. C. und die Revision der Angeklagten E. C. werden verworfen.

3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. C. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 55 Fällen, wegen Betruges in zehn Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Die Angeklagte E. C. hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwölf Fällen und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf Sachrügen gestützten Revisionen. Die Revision des Angeklagten A. C. hat zum Schuldspruch den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte A. C. - ein in der Türkei ausgebildeter Steuerberater - betrieb im Zeitraum von 1998 bis 2008 - zum Teil zeitlich überlappend - mehrere Unternehmen im Baugewerbe, deren Gewinne er mit illegalen Mitteln maximieren wollte. Außer bei seiner Einzelfirma verschleierte er bei den Firmen jeweils seine beherrschende Stellung als tatsächlicher Inhaber und faktischer Geschäftsführer, indem er jeweils andere Personen als Inhaber bzw. als Geschäftsführer auftreten ließ. Bei der Firma C. Bau trat seine Ehefrau, die Angeklagte E. C., nach außen als Firmeninhaberin auf. Daneben betrieb der Angeklagte eine Tabledance-Bar, in der er mindestens zwei weibliche Arbeitnehmer beschäftigte, die ein monatliches Gehalt von jeweils mindestens 140 Euro erhielten.

Um seinen Gewinn zu erhöhen, kam der Angeklagte A. C. bei diesen Unternehmen den ihm obliegenden steuerlichen Erklärungspflichten nicht nach und meldete auch den ganz überwiegenden Teil der bei den Firmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht den Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger. Bei der C. Bau handelte er dabei im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Angeklagten E. C.

Indem er für die von ihm beherrschten Firmen in den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 trotz getätigter Umsätze keine Umsatzsteuererklärungen abgab, verkürzte der Angeklagte A. C. Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt mehr als 47.000 Euro. Daneben verkürzte er zugunsten der Es. GmbH, für die er im Veranlagungszeitraum 2004 weder eine Körperschaftsteuer- noch eine Gewerbesteuererklärung abgab, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer von insgesamt mehr als 19.000 Euro. Ebenfalls für den Veranlagungszeitraum 2004 gab der Angeklagte A. C. keine Einkommensteuererklärung ab und verkürzte dadurch Einkommensteuer in Höhe von 3.642 Euro. Indem er die in den von ihm beherrschten Baufirmen beschäftigen Arbeitnehmer bei den zuständigen Stellen nicht anmeldete, bewirkte er, dass mehr als 238.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen vorenthalten und Lohnsteuer in Höhe von 19.130 Euro verkürzt wurden.

2. Darüber hinaus veranlasste der Angeklagte A. C., indem er in entsprechenden Anträgen bewusst wahrheitswidrige Angaben über seine Beschäftigungs- und Vermögensverhältnisse machte, zum einen die Bundesagentur für Arbeit zur ungerechtfertigten Bewilligung und Zahlung von Arbeitslosengeld I in Höhe von mehr als 9.000 Euro und zum anderen - gemeinschaftlich mit der Angeklagten E. C. handelnd - die L. GmbH zur Bewilligung und Zahlung von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in Höhe von insgesamt mehr als 31.000 Euro, auf die er ebenfalls keinen Anspruch hatte.

Gegenüber der Landesbrandversicherungsanstalt, bei der er eine Wohngebäudeversicherung unterhielt, meldete der Angeklagte wahrheitswidrig einen Sturmschaden und veranlasste dadurch die Versicherung zur Zahlung einer nicht gerechtfertigten Versicherungsleistung in Höhe von mehr als 2.300 Euro.

3. Schließlich besaß der Angeklagte A. C. im Jahr 2008 eine Pistole Kaliber 7,65 mm und insgesamt 13 Patronen Munition, ohne die dafür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.

II.

Die Revision des Angeklagten A. C. bleibt, abgesehen von einer Schuldspruchberichtigung in den Fällen II. 8 und II. 83 der Urteilsgründe, im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar sind die Feststellungen zum Teil sehr knapp und teilweise sogar lückenhaft. Der Senat kann jedoch sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch ausschließen, dass dies den Angeklagten beschwert.

1. Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14, 15 und 18 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung und in den Fällen II. 9 bis 13 sowie 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt hält rechtlicher Nachprüfung noch stand. Soweit das Landgericht der Strafzumessung einen geringfügig zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt hat, kann der Senat ausschließen, dass sich dies auf den Strafausspruch ausgewirkt hat.

a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) sind in den Urteilsgründen diejenigen Parameter festzustellen, die die Grundlage für die Steuerberechnung bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640). Liegt dem Angeklagten demgegenüber - wie hier - eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind zunächst die Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abgabe der fraglichen Steuererklärungen verpflichtet war. Sodann sind in den Urteilsgründen die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärungen hinterzogenen Steuer ergibt.

Bei einem geständigen Angeklagten ist auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und der Beweiswürdigung zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar ist, bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise, die diesen Feststellungen zugrunde liegen. Räumt der Angeklagte die Besteuerungsgrundlagen ein und hat sich der Tatrichter von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt, dann genügt eine knappe Würdigung der so gefundenen Überzeugung. Jedenfalls, soweit es um das "reine Zahlenwerk" - etwa den Umsatz, die Betriebseinnahmen oder die Betriebsausgaben - geht, wird regelmäßig davon ausgegangen werden können, dass selbst ein steuerrechtlich nicht versierter Angeklagter diese Parameter aus eigener Kenntnis bekunden kann. Der Tatrichter kann seine Überzeugung insoweit auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung zu den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen stützen. Angaben von Finanzbeamten zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatrichters sein.

b) Dieselben Grundsätze gelten für die Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer und die Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 544/06, wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht.

Auch bei einem geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter sowie der Beitragssätze der zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses sein. Im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgrundlagen kann sich der Tatrichter auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen.

Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne und Gehälter zu schätzen und daraus den Umfang der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 mwN).

c) Gemessen an diesen Grundsätzen halten Schuldspruch und Strafausspruch in den vorgenannten Fällen rechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14 und 18 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat die in den jeweiligen Besteuerungszeiträumen erzielten Umsätze mitgeteilt und sodann unter Anwendung des sich aus dem Gesetz ergebenden Umsatzsteuersatzes die verkürzte Umsatzsteuer zutreffend berechnet. Der Angeklagte hat - was ihm möglich war, weil er die Umsätze kannte - die Höhe der verkürzten Umsatzsteuern auch eingeräumt. Dieses Geständnis hat das Landgericht unter Heranziehung des übrigen Ermittlungsergebnisses rechtsfehlerfrei als glaubhaft angesehen.

bb) Demgegenüber sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und im Fall II. 15 der Urteilsgründe wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt hat. In den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, welche Beitragssätze der Krankenkassen es der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt hat. Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2004) hat das Landgericht nicht alle Besteuerungsgrundlagen, die für die Bestimmung des zu versteuernden Einkommens bedeutsam sind, mitgeteilt. Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen jedoch sicher ausschließen, dass sich diese Darstellungsmängel auf den Schuldspruch und den Strafausspruch ausgewirkt haben.

(1) Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für das Jahr 2004) hat das Landgericht zwar nicht alle zur Berechnung der verkürzten Steuer erforderlichen Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich aber, dass weitere als die vom Landgericht berücksichtigten Faktoren, die sich einkommensteuerrechtlich zugunsten des Angeklagten auswirken könnten, nicht vorhanden waren. Solche hat der steuerlich vorgebildete und kaufmännisch versierte, zudem anwaltlich verteidigte Angeklagte auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er ein vollumfängliches Geständnis abgelegt, das sich auch auf die festgestellten Umsätze und Gewinne bezogen hat und für das er ersichtlich auch eine ausreichende Sachkunde besaß. Angesichts der festgestellten Höhe des von dem Angeklagten nicht erklärten Arbeitslohnes und der von ihm vereinnahmten verdeckten Gewinnausschüttung aus der Es. GmbH schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei vollständiger Darstellung der maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen zu einem Hinterziehungsumfang gelangt wäre, bei dem es eine noch mildere Strafe als die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen festgesetzt hätte. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass sich ausgehend von den vom Landgericht mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen ein geringfügig niedrigerer Verkürzungsumfang als vom Landgericht angenommen ergibt.

(2) In den Fällen II. 9 bis 13, 31 bis 38 und 40 bis 50 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) kann der Senat trotz der vorhandenen Darstellungsmängel zu den sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlagen sicher ausschließen, dass das Landgericht bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zum Nachteil des Angeklagten einen zu großen Schuldumfang angenommen hat. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen die der Beitragsberechnung zu Grunde liegenden Schwarzlohnsummen mitgeteilt. Ausgehend von diesen Beträgen kann der Senat die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 9 ff.) gebotene Hochrechnung der ausgezahlten Löhne auf ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt selbst vornehmen und davon ausgehend den Beitragsschaden auch selbst berechnen.

(3) Demgegenüber hat das Landgericht in den Fällen II. 39 sowie 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt. Der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Landgericht niedrigere als die verhängten Einzelstrafen festgesetzt hätte, wenn es in diesen Fällen von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen wäre.

(a) Bei Fall II. 39 der Urteilsgründe (Straftat gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht - was grundsätzlich zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 Rn. 21) - die Schwarzlohnsumme auf zwei Drittel der Nettoumsätze geschätzt. Allerdings lässt sich hier die festgestellte Schwarzlohnsumme mit den festgestellten Nettoumsätzen nicht in Einklang bringen, weshalb auch die weiteren Berechnungen fehlerhaft sind. Angesichts einer Abweichung von etwa 2.000 Euro gegenüber der zutreffenden Schadenssumme kann der Senat im Hinblick auf die seitens der Strafkammer vorgenommene, an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.

(b) In den Fällen II. 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht die Zahlungen an die weiblichen Beschäftigten der Tabledance-Bar in Höhe von jeweils 140 Euro pro Monat als Nettolöhne gewertet und diese nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein fiktives Bruttogehalt hochgerechnet. Dieses Bruttogehalt wurde der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt; dabei wurden die regelmäßigen Beitragssätze angewendet, wie sie für ein in vollem Umfang sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gelten.

Dieses Vorgehen erweist sich als rechtsfehlerhaft. Denn die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet in Fällen der vorliegenden Art - jedenfalls für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens - keine Anwendung, weil es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelte. Einer Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt steht insoweit sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, auf den § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verweist, als auch der Zweck, den der Gesetzgeber bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verfolgte (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/8221 S. 14), entgegen. Die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist in diesen Fällen insbesondere nicht zur Verhinderung und Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen geboten. Denn auch bei rechtmäßigem Verhalten müsste der Arbeitgeber nicht mehr als die Pauschalbeiträge und -steuern tragen. Eine Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem Bruttoentgelt ermittelt werden müssten, kann somit rechtmäßig getroffen werden (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 14). Hierin liegt der Unterschied zu sonstigen Fällen illegaler Beschäftigung.

Die im Tatzeitraum i.S.v. § 266a Abs. 2 StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge betrugen daher auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zu den ausgezahlten Löhnen nach Maßgabe von § 249b Satz 1 SGB V (Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13 % bzw. bis 30. Juni 2006 11 % des Arbeitsentgelts) und § 172 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 15 % bzw. bis 30. Juni 2006 12 %) bis einschließlich Juni 2006 lediglich 64,40 Euro und ab Juli 2006 78,40 Euro pro Monat. Auch insoweit kann der Senat im Hinblick auf vom Landgericht vorgenommene, an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Berechnung in diesen Fällen noch niedrigere Einzelstrafen festgesetzt hätte.

2. In den Fällen II. 19 bis 30 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Lohnsteuer) wird der vom Landgericht angenommene tatbestandliche Schuldumfang von den Feststellungen getragen. Die der Berechnung der Lohnsteuer zu Grunde liegenden Schwarzlohnzahlungen hat das Landgericht im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in den Fällen II. 2 bis 13 der Urteilsgründe festgestellt. Ausgehend von diesen rechtsfehlerfrei festgestellten Lohnsummen, die nicht auf ein Bruttoentgelt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochzurechnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 16), hat das Landgericht die hinterzogene Lohnsteuer zutreffend berechnet.

3. In den Fällen II. 16 und 17 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer betreffend die Es. GmbH im Veranlagungszeitraum 2004) hat das Landgericht bei der Berechnung der verkürzten Steuern zwar die in diesem Veranlagungszeitraum noch vorzunehmende Gewerbesteuerrückstellung nicht berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2004 - 5 StR 547/07, wistra 2008, 310, 313 sowie § 4 Abs. 5b i.V.m. § 52 Abs. 12 Satz 7 EStG). Wegen der lediglich geringfügigen Abweichungen zum tatsächlichen Verkürzungsumfang ist der Angeklagte aber nicht beschwert.

4. In den übrigen Fällen enthält das Urteil - abgesehen von den aus der Urteilsformel ersichtlichen Schuldspruchberichtigungen - keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. C.

a) In den Fällen II. 2 bis 7 der Urteilsgründe (Straftaten zum Nachteil von Sozialversicherungsträgern) betreffend die Beitragsmonate November und Dezember 2003 sowie März bis Juni 2004 tragen die Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung wegen Betruges gemäß § 263 StGB. Der Angeklagte hat in diesen Fällen die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht den zuständigen Sozialversicherungsträgern gemeldet, obwohl er hierzu gemäß § 28a SGB IV verpflichtet war. Infolgedessen haben diese von der Beitreibung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge abgesehen. Die auch bei Betrug durch Unterlassen erforderliche Täuschung mit Irrtumserregung beim Getäuschten (hier: Einzugsstelle) hat das Landgericht vorliegend ausdrücklich festgestellt.

Von einer Schuldspruchberichtigung in diesen Fällen im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten gemäß § 266a StGB hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 5 StR 165/02, NJW 2003, 1821, 1823; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 173/06, NStZ-RR 2006, 308) sieht der Senat ab. Bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise bei Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Änderung des § 266a StGB mit Wirkung vom 1. August 2004 (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 5 StR 482/07, wistra 2008, 180, 181) kann ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte insoweit beschwert ist.

b) Im Fall II. 8 der Urteilsgründe betreffend den Beitragsmonat Juli 2004 verdrängt der am 1. August 2004 in Kraft getretene § 266a Abs. 2 StGB den 31 - 16 - Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch insoweit auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB ab.

c) Im Fall II. 83 der Urteilsgründe rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffenG. Da das Landgericht in den Tenor lediglich einen "Verstoß gegen das Waffengesetz" aufgenommen hat, berichtigt der Senat die Urteilsformel zur Klarstellung entsprechend.

III.

Die Revision der Angeklagten E. C. bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Wie bereits hinsichtlich des Angeklagten A. C. ausgeführt, kann der Senat bezüglich der Fälle II. 40 bis 50 der Urteilsgründe - in Mittäterschaft begangene Taten der Angeklagten A. und E. C. - trotz der vorhandenen Darstellungsmängel ausschließen, dass das Landgericht der Strafzumessung einen zu großen Schuldspruch zugrunde gelegt hat. Im Fall II. 39 der Urteilsgründe schließt der Senat - ebenfalls wie beim Angeklagten A. C. - angesichts der an der Schadenshöhe ausgerichteten Staffelung der verhängten Einzelstrafen aus, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Auch im Übrigen ist die Revision der Angeklagten E. C. unbegründet.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 944

Externe Fundstellen: NJW 2011, 97; NStZ-RR 2010, 376

Bearbeiter: Karsten Gaede