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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 947

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 369/13, Beschluss v. 02.09.2013, HRRS 2013 Nr. 947


BGH 1 StR 369/13 - Beschluss vom 2. September 2013 (LG Deggendorf)

Unwirksame Ermächtigung zur Revisionsrücknahme durch den Betreuer; begrenzte Kompetenz des Tatgerichts zur Verwerfung der Revision als unzulässig (vorgreifliche Beurteilung einer Rechtsmittelzurücknahme).

§ 302 Abs. 2 StPO; § 346 Abs. 1 StPO; § 349 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

1. Ist auch die vorgreifliche Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme zu prüfen war, obliegt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem Revisionsgericht.

2. Die Zustimmung des Betreuers stellt keine ausdrückliche Ermächtigung zur Rechtsmittelzurücknahme dar, weil sein Aufgabenbereich die Vertretung in Strafsachen nicht umfasst.

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 19. April 2013 wird aufgehoben.

2. Die Revision der Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 31. Januar 2013 wird als unzulässig verworfen.

3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das in ihrer Abwesenheit verkündete Urteil vom 31. Januar 2013 wurde der Beschuldigten am 22. Februar 2013 zugestellt. Ihre Revision ging fristgerecht am 27. Februar 2013 ein. Mit Schriftsatz vom 18. März 2013 nahm der Pflichtverteidiger die Revision zurück.

Das Landgericht forderte den Verteidiger auf, die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung zur Revisionsrücknahme vorzulegen. Dieser übersandte ein Schreiben des Betreuers der Beschuldigten, in dem um Rücknahme der Revision gebeten wird.

Nach dem Betreuerausweis vom 20. Oktober 2011 (Blatt 17 der Sachakten) vertritt der Betreuer die Betroffene im Rahmen seines Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich. Der Aufgabenbereich umfasst insbesondere die Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögensvorsorge, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten.

Durch Beschluss vom 19. April 2013 hat das Landgericht gemäß § 346 Abs. 1 StPO die Revision als unzulässig verworfen, da eine wirksame Revisionsrücknahme nicht vorliege und die Revisionsanträge und ihre Begründung nicht in der Frist des § 345 Abs. 1 StPO angebracht worden seien.

Dieser Beschluss wurde am 26. April 2013 dem Verteidiger zugestellt. Am 30. April 2013 legte der Verteidiger gegen diesen Beschluss "Beschwerde" ein. Mit weiterem Schriftsatz stellte er klar, dass damit eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO) begehrt wird.

II.

Der als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) zu wertende Schriftsatz vom 30. April 2013 hat im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar ist der Beschluss des Landgerichts vom 19. April 2013 aufzuheben; doch war die Revision vom Senat als unzulässig zu verwerfen (§ 349 Abs. 1 StPO).

1. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts führt zur Aufhebung des Beschlusses, mit dem das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen hat. Für diese Entscheidung war das Landgericht nicht zuständig.

Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen und Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Kann sich die Unzulässigkeit der Revision aus einem anderen Grund ergeben, so hat allein das Revisionsgericht zu entscheiden, das sich nach § 349 Abs. 1 StPO umfassend mit dem Gesamtkomplex der Zulässigkeit befassen muss. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Formund Fristeinhaltung zusammentrifft (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2008 - 3 StR 23/08, vom 17. Juli 2007 - 1 StR 271/07, vom 5. Oktober 2006 - 4 StR 375/06, vom 8. November 2000 - 2 StR 426/00 jeweils mwN).

Da im vorliegenden Fall auch die vorgreifliche Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme zu prüfen war, obliegt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem Revisionsgericht (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Rn. 2 zu § 346 StPO).

2. Die Rechtsmittelrücknahme war nicht wirksam, da der (Pflicht-)Verteidiger nicht gemäß § 302 Abs. 2 StPO zur Zurücknahme ausdrücklich ermächtigt war. Die Zustimmung des Betreuers stellt hier keine ausdrückliche Ermächtigung dar; denn sein Aufgabenbereich umfasst nicht auch die Vertretung in Strafsachen (vgl. u.a. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, Rn. zu § 298 StPO; Meyer-Goßner, aaO, Rn. 3 zu § 302 i.V.m. Rn. 1 zu § 298; vgl. auch OLG Hamm, NStZ 2008, 119).

Die Beschuldigte selbst hat keine Ermächtigung zur Revisionsrücknahme erteilt.

3. Die Revision ist vom Senat als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist (§ 349 Abs. 1 StPO). Die für den Fristbeginn maßgebliche Urteilszustellung (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist am 22. Februar 2013 erfolgt.

Innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO ist eine Revisionsbegründung nicht abgegeben worden.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 947

Bearbeiter: Karsten Gaede