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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 243

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 39/21, Beschluss v. 21.12.2021, HRRS 2022 Nr. 243


BGH StB 39/21 3 StE 2/21-4 - Beschluss vom 21. Dezember 2021 (OLG Frankfurt am Main)

Umgrenzungsfunktion der Anklage (Prozessvoraussetzung; Tat; unverwechselbare Kennzeichnung des geschichtlichen Vorgangs; Sachverhaltsschilderung; Serientaten; Verwirklichung weiterer gleichförmiger Taten).

§ 200 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO hat die Anklageschrift den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen und sie keine notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthält, mit dem sich das Gericht auf Grund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Insofern gilt im Einzelnen:

a) Die Umgrenzungsfunktion erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen.

b) Die Schilderung des Sachverhalts muss umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden.

c) Soweit bei Serientaten eine konkrete Bezeichnung oder nähere Beschreibung der Einzeltaten in der Anklage wegen deren Gleichförmigkeit nicht möglich ist, muss der Verfahrensstoff zumindest durch Festlegung des Tatzeitraums hinreichend umgrenzt werden. Regelmäßig ist in solchen Fällen erforderlich, in der Anklage den bestimmten Tatzeitraum, das Tatopfer, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, die Tatfrequenz und die (Höchst-)Zahl der vorgeworfenen Straftaten, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, anzugeben.

d) Wird eine Mindestzahl von Taten angegeben, steht der Umgrenzung der Anklage nicht entgegen, dass der Angeklagte möglicherweise noch an weiteren ähnlichen beteiligt war. Vielmehr folgt aus der Möglichkeit, in der Anklageschrift bei bestimmten Serientaten eine Mindestzahl der innerhalb eines umgrenzten Rahmens begangenen - und somit eine Höchstzahl von der gerichtlichen Kognitionspflicht unterfallenden - Taten zu nennen, dass die Verwirklichung weiterer gleichförmiger Taten in dem bezeichneten Zeitraum gerade nicht ausgeschlossen und eine insoweit fehlende trennscharfe Abgrenzung hinzunehmen ist.

Entscheidungstenor

Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird

1. der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 2021 aufgehoben, soweit in den Fällen 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14 und 15 der Anklageschrift die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist,

2. die Anklage des Generalbundesanwalts vom 9. Juli 2021 auch hinsichtlich der Fälle 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14 und 15 der Anklageschrift unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugelassen.

Gründe

Der Generalbundesanwalt hat bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main Anklage wegen des Vorwurfs in der Zeit von April 2011 bis Ende 2012 in H. und D. (Syrien) begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 18 tatmehrheitlichen Fällen sowie verschiedener damit in Tateinheit stehender weiterer Delikte erhoben. Das Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 10. November 2021 in acht Fällen das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage unter teils abweichender Wertung zur Hauptverhandlung zugelassen. In zehn Fällen hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Begründung abgelehnt, der Anklagesatz werde insoweit seiner Umgrenzungsfunktion nicht gerecht. Hiergegen wendet sich der Generalbundesanwalt mit seiner sofortigen Beschwerde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Mit der Anklageschrift ist dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt worden:

Eingebettet in das Geschehen im Zusammenhang mit der Niederschlagung und Unterdrückung der Opposition in Syrien nach Beginn des sogenannten „Arabischen Frühlings“ Anfang 2011 folterte der Angeklagte, der als Assistenzarzt im Militärkrankenhaus H. und im Militärkrankenhaus M. in D. tätig war, Zivilisten. Diese waren wegen der tatsächlichen oder mutmaßlichen Teilnahme an Demonstrationen, der Teilnahme an sonstigen regimekritischen Aktivitäten oder wegen ihrer Herkunft aus einem der Opposition zugerechneten Ort oder Stadtteil durch syrische Sicherheitskräfte festgenommen und in den genannten Krankenhäusern sowie im Gefängnis des militärischen Geheimdienstes in H. inhaftiert worden. Durch schwere Misshandlungen, Beleidigungen, Disziplinierungen und Demütigungen von inhaftierten Zivilisten sowie durch die Tötung eines Patienten beteiligte sich der Angeklagte an dem Vorgehen des syrischen Regimes:

a) An einem nicht näher konkretisierbaren Tag im Sommer 2011 zog der Angeklagte einem in die Notaufnahme des Militärkrankenhauses in H. eingelieferten 14 bis 15 Jahre alten Jungen die Hose herunter, goss Alkohol auf seinen Penis und zündete diesen an, wobei er den Verlust der Zeugungsfähigkeit zumindest billigend in Kauf nahm (Fall 1).

b) An einem nicht näher konkretisierbaren Tag im Juli oder August 2011 entkleidete der Angeklagte einen in das Militärkrankenhaus in H. eingelieferten Mann, goss Alkohol über dessen Penis und zündete ihn an, wobei er den Verlust der Zeugungsfähigkeit auch in diesem Fall billigend in Kauf nahm. Der Mann trug großflächige Verbrennungen an seinen Genitalien davon, die sich stark entzündeten (Fall 2).

c) Bei weiteren Gelegenheiten zwischen April und November 2011 misshandelte der Angeklagte in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses in H. mindestens acht namentlich nicht bekannt gewordene Gefangene, die während der Taten von Krankenpflegern festgehalten wurden. Dabei schlug er einen Gefangenen mit einem Urinkatheter, einen anderen mit einem Tourniquet. Als er sich bei der Misshandlung eines Patienten mittels Faustschlags ins Gesicht eine Verletzung an der Hand zuzog, wählte er weichere Körperregionen für Misshandlungen aus. Mindestens einmal schlug er einen Gefangenen in den Bauch und einen weiteren Patienten mit der Faust in die Genitalien. Einen Gefangenen packte er so fest an die Genitalien, dass dieser vor Schmerz schrie. Einen mit einem Knochenbruch eingelieferten Patienten schlug er an der Stelle des Bruches. Einen weiteren Häftling misshandelte er durch Fußtritte.

Im selben Zeitraum begann er eine Operation zur Korrektur einer Knochenfraktur am Bein, ohne dem Patienten zuvor die erforderliche Narkose verabreicht zu haben (Fälle 3 bis 11).

d) Einen Tag, nachdem im Oktober oder November 2011 zwei Brüder in das Gefängnis des militärischen Geheimdienstes in H. gebracht worden waren, erlitt einer der Brüder einen epileptischen Anfall. Der daraufhin verständigte Angeklagte schlug dem anderen Bruder in das Gesicht, so dass dieser zu Boden ging, und sodann mit einem Plastikschlauch auf beide Brüder ein. Einem von ihnen trat er gegen den Kopf. Als der Angeklagte am nächsten Tag erneut um ärztliche Hilfe gebeten wurde, versetzten er und ein weiterer Arzt den Brüdern heftige Schläge mit dem Schlauch am ganzen Körper. Einen weiteren Tag später verabreichte der Angeklagte dem unter Epilepsie leidenden Bruder eine Tablette; dieser verstarb am selben Tag (Fall 12).

e) Im Zeitraum zwischen Ende 2011 und März 2012 schlug der Angeklagte gemeinsam mit anderen Krankenhausangehörigen bei mindestens drei Gelegenheiten in die Ambulanz des Militärkrankenhauses M. aufgenommene Patienten. Bei mindestens einer Gelegenheit trat er gemeinsam mit weiteren Beteiligten mit dem beschuhten Fuß auf einen am Boden liegenden Patienten in Richtung des Kopfes ein. Bei einer anderen Gelegenheit fügte er einem Patienten Fußtritte gegen den Bauch zu. Einen weiteren Patienten schlug er mit einem medizinischen Instrument, das er mit sich trug (Fälle 13 bis 15).

f) Wenige Stunden, nachdem ein Inhaftierter etwa Ende Juli/Anfang August 2012 aus dem Zentralgefängnis in H. in das dortige Militärkrankenhaus verlegt worden war, begann der Angeklagte den bis auf die Unterwäsche entkleideten Gefesselten mit Händen, Fäusten und Tritten am ganzen Körper zu misshandeln. Zudem wurde der Gefangene an der Decke aufgehängt und mit einem grünen Plastikschlauch geschlagen. Solche Misshandlungen wiederholten sich unter Beteiligung des Angeklagten täglich, mindestens aber an zehn Tagen. Etwa eine Woche nach der Einlieferung goss der Angeklagte eine entzündliche Flüssigkeit auf die Hand des am Boden Liegenden, zündete sie an und forderte einen seiner Begleiter auf, das Feuer zu löschen. Der Geschädigte erlitt Brandverletzungen (Fall 16).

g) Im Juli/August 2012 wurde ein weiterer Inhaftierter in das Militärkrankenhaus in H. verlegt. Etwa zwei bis drei Tage später beschimpfte der Angeklagte die in einer Zelle im Keller untergebrachten, mit den Händen auf dem Rücken gefesselten Patienten und schlug sie mit einem Schlagstock. Er ließ sich mehrere vereiterte Wunden des Gefangenen zeigen, führte ihn vor die Zelle, forderte ihn auf, sich auf den Boden zu legen, und trat mit schmutzigen Schuhen auf eine Wunde. Als diese zu bluten und eitern begann, ließ er ein Desinfektionsmittel darüber laufen, entzündete es und ließ das Feuer durch einen seiner Begleiter löschen. Dann trat er mit dem beschuhten Fuß in das Gesicht des Festgehaltenen, so dass drei Zähne stark beschädigt und später ersetzt werden mussten. Zudem schlug er den Verletzten bis zur Bewusstlosigkeit mit einem flexiblen Schlagstock am ganzen Körper (Fall 17).

h) Wenige Tage später betrat der Angeklagte erneut die Zelle, in der sich bis zu 25 Inhaftierte befanden. Als er auf sie einschlug und sich einer der Gefangenen wehrte, ließ er ihn auf dem Boden fixieren und setzte ihm eine Spritze, um diesen zu töten, so seine absolute Macht über die Gefangenen zu demonstrieren und dazu beizutragen, das Aufbegehren gegen das diktatorische Unrechtsregime zu unterdrücken. Der in der Zelle Zurückgelassene verstarb (Fall 18).

i) Der Generalbundesanwalt hat das dem Angeklagten zur Last gelegte Geschehen in den Fällen 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14 und 15 der Anklageschrift als - tatmehrheitliche - Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, in den Fällen 8 bis 10 und 13 bis 15 zudem nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet.

2. Das Oberlandesgericht hat die Anklage in den Fällen 1, 2, 3, 11, 12, 16, 17 und 18 unter modifizierenden Maßgaben zugelassen. In den Fällen 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14 und 15 der Anklageschrift hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung abgelehnt. Hierzu hat es zur Begründung näher ausgeführt, die Taten in den genannten Fällen seien durch die Anklageschrift nicht hinreichend umgrenzt. Da dem Angeklagten jeweils einzelne täterschaftlich begangene Handlungen und nicht Beihilfe zu einem Massenverbrechen zur Last gelegt würden, genüge eine bloß numerische Angabe der Taten ohne jedweden Ansatz einer Individualisierung der Opfer jedenfalls dort nicht, wo auch die Beschreibung der Modalitäten oder der Begleitumstände der Tat keine Unterscheidung von anderen gleichförmigen Taten des Angeklagten ermöglichten, die er in demselben Tatzeitraum und an denselben Tatorten mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit begangen habe. Eine solche Wahrscheinlichkeit ergebe sich aus der Vernehmung maßgeblicher Zeugen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts ist begründet.

1. Der Anklage fehlt in den Fällen 4 bis 10 und 13 bis 15 nicht die zur Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes notwendige Bestimmtheit.

a) Nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO hat die Anklageschrift den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen und sie keine notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthält, mit dem sich das Gericht auf Grund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat (vgl. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88 Rn. 12; vom 11. März 2020 - 2 StR 478/19, BGHR StPO § 200 Abs. 1 S. 1 Tat 28 Rn. 9 f.).

Die Umgrenzungsfunktion erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen. Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden (s. insgesamt BGH, Urteil vom 11. März 2020 - 2 StR 478/19, BGHR StPO § 200 Abs. 1 S. 1 Tat 28 Rn. 10 mwN).

Soweit bei Serientaten eine konkrete Bezeichnung oder nähere Beschreibung der Einzeltaten in der Anklage wegen deren Gleichförmigkeit nicht möglich ist, muss der Verfahrensstoff zumindest durch Festlegung des Tatzeitraums hinreichend umgrenzt werden. Regelmäßig ist in solchen Fällen erforderlich, in der Anklage den bestimmten Tatzeitraum, das Tatopfer, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, die Tatfrequenz und die (Höchst-)Zahl der vorgeworfenen Straftaten, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, anzugeben (BGH, Urteil vom 25. September 2014 - 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1 Rn. 12 mwN). Wird eine Mindestzahl von Taten angegeben, steht der Umgrenzung der Anklage nicht entgegen, dass der Angeklagte möglicherweise noch an weiteren ähnlichen beteiligt war (s. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, NJW 2019, 1470 Rn. 28). Vielmehr folgt aus der Möglichkeit, in der Anklageschrift bei bestimmten Serientaten eine Mindestzahl der innerhalb eines umgrenzten Rahmens begangenen - und somit eine Höchstzahl von der gerichtlichen Kognitionspflicht unterfallenden - Taten zu nennen (vgl. allgemein zu Sexualdelikten BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 47; zu Betäubungsmitteldelikten BGH, Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 234/14, StraFo 2015, 68; zu Körperverletzungen BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 297/13, juris Rn. 42; anders dagegen in Bezug auf Wirtschaftsstraftaten BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10, BGHSt 56, 109 Rn. 20), dass die Verwirklichung weiterer gleichförmiger Taten in dem bezeichneten Zeitraum gerade nicht ausgeschlossen und eine insoweit fehlende trennscharfe Abgrenzung hinzunehmen ist.

b) Nach diesen allgemeinen Maßstäben wird die Anklage der Umgrenzungsfunktion hinsichtlich derjenigen Fälle, in Bezug auf die das Oberlandesgericht die Eröffnung abgelehnt hat, noch gerecht. Die jeweiligen Lebenssachverhalte werden nach den sich aus der Anklageschrift ergebenden Gesamtumständen durch Tatort, Tatzeitraum und Tatmodalitäten in ausreichendem Maße umrissen.

Die einzelnen Tatvorwürfe sollen sich jeweils in einem bestimmten Militärkrankenhaus ereignet haben. Wenngleich ihnen kein konkretes Datum zugeordnet wird, sind sie zeitlich durch den angegebenen mehrmonatigen Rahmen begrenzt. Die gesonderten Fälle betreffen jeweils unterschiedliche Personen, werden durch den geschilderten Hergang individualisiert und sind so von den anderen in der Anklageschrift genannten Geschehnissen abgrenzbar. Sie haben durch die verschiedenen Handlungen jeweils für sich genommen ein eigenes Gepräge und werden teils durch weitere Besonderheiten gekennzeichnet. Beispielsweise erklärte der Angeklagte laut Anklagesatz nach der Misshandlung eines Gefangenen durch Tritte, er habe „heute eine Küchenschabe mit den Füßen“ getreten.

Unter den konkreten Gegebenheiten steht der erforderlichen Bestimmtheit nicht entgegen, dass die Geschädigten nicht namentlich bekannt sind und der Angeklagte möglicherweise ähnliche - gegebenenfalls einem Strafklageverbrauch unterworfene - Taten beging (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, NJW 2019, 1470 Rn. 8, 28). Insoweit unterscheidet sich die Anklage etwa von einer Konstellation, in der die Anklageschrift als Tatort lediglich geographisch ein Land nennt und weder die Person des Opfers noch die Art sowie die Umstände der Tat mitteilt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - StB 15/15, NStZ 2016, 745, 746 [dort unter dem Az. 2 StE 7/15-3]).

Dementsprechend hat das Oberlandesgericht selbst die Anklage insofern für ausreichend bestimmt gehalten und als Fall 3 zur Hauptverhandlung zugelassen, als dem Angeklagten der Schlag mit einem Urinkatheter zur Last gelegt wird. Dass dieser Fall in Bezug auf die Umgrenzungsfunktion anders einzuordnen ist als derjenige, in welchem dem Angeklagten der Schlag mit einem Tourniquet vorgeworfen wird, erschließt sich nicht. Hinsichtlich beider Begehungsweisen kommt in Betracht, dass der Angeklagte darüber hinaus ähnliche Misshandlungen beging.

c) Da die Umgrenzungsfunktion mithin im Ergebnis insgesamt gewahrt ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass es in Bezug auf Tatvorwürfe aus dem Bereich des Völkerstrafrechts weder erforderlich noch geboten ist, die grundsätzlich geltenden Anforderungen an die Bestimmtheit einer Anklage zu modifizieren. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist mit Blick insbesondere auf die berechtigten Verteidigungsinteressen des Angeklagten grundlegenden strafprozessualen Erwägungen folgend eine Abweichung von den prinzipiell zu beachtenden Regeln nicht angezeigt.

2. Die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen vor. Der Angeklagte ist hinsichtlich der in Rede stehenden Fälle einer Straftat hinreichend im Sinne des § 203 StPO verdächtig.

Die in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Würdigung begegnet nach dem gegenwärtigen Sachstand keinen Bedenken. Einzelne von den konkreten Umständen abhängige Gesichtspunkte, wie etwa die Erheblichkeit zugefügter Schäden oder Leiden gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, die Einordnung verwendeter Gegenstände als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und die konkurrenzrechtliche Bewertung (vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, NJW 2021, 1326 Rn. 65 ff.; vom 28. August 2019 - 5 StR 298/19, juris Rn. 10 mwN; Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 38, 45 ff.), werden aufgrund der im Rahmen der Hauptverhandlung zu treffenden Feststellungen abschließend zu beurteilen sein.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 243

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 75

Bearbeiter: Christian Becker