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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 11

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 297/13, Urteil v. 09.10.2013, HRRS 2014 Nr. 11


BGH 2 StR 297/13 - Urteil vom 9. Oktober 2013 (LG Kassel)

Zuhälterei (Begriff der Ausbeutung: Erforderlichkeit von Feststellungen zur Höhe der der Prostituierten entzogenen Einnahmen); Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (Verhältnis von Abs. 1 und Abs. 4; Begriff der List; Tateinheit durch Verklammerung durch andauernde Zuhälterei); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); Umfang des Verfahrensgegenstandes (Veränderungen oder Ergänzungen der angeklagten Tat).

§ 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 232 Abs. 1, Abs. 4 StGB; § 52 StGB; § 267 Abs. 1 StPO; § 261 StPO; § 200 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Ausbeutung im Sine des § 181a Abs. 1 Nr. 1 liegt vor, wenn dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, dem Opfer die Lösung aus der Prostitution zu erschweren. Zwar setzt eine solche Annahme im Regelfall Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und Abgaben der Prostituierten voraus (vgl. BGH NStZ 1989, 67). Allerdings steht das Fehlen exakter Feststellungen zu Einnahmen und Ausgaben einer Verurteilung wegen ausbeuterischer Zuhälterei nicht zwingend entgegen. Wenn die Prostituierten ihre gesamten Einnahmen abgeben müssen und nur gelegentlich geringe Summen zur Weiterleitung an ihre Familie zurückerhalten, ist ohne Weiteres von einer Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB auszugehen (vgl. BGH NStZ 1994, 32, 33).

2. § 232 Abs. 4 StGB ist keine Qualifikation des § 232 Abs. 1 StGB, sondern ein eigenständiger Straftatbestand mit von § 232 Abs. 1 StGB unabhängigen Voraussetzungen.

3. Eine "List" im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfordert die ein Ausschalten des Widerstands des Opfers gegen die Prostitution durch täuschende Machenschaften. Das lediglich unredliche und arglistige Schaffen eines Anreizes gegenüber einer Person, die sich frei für oder gegen eine Prostitutionsaufnahme oder -fortsetzung entscheiden kann, genügt zur Verwirklichung des Verbrechenstatbestands nicht (vgl. BGHSt 27, 28).

4. Sieht der Tatrichter von einer Verurteilung ab, weil er Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt insoweit nur, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn er an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. Februar 2013, auch soweit es die Mitangeklagte R. betrifft und soweit beide Angeklagten verurteilt worden sind, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die Revision der Nebenklägerin A. gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.

Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen ausbeuterischer Zuhälterei in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dirigistischer Zuhälterei und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall 1 der Urteilsgründe), sowie wegen versuchten schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall 2 der Urteilsgründe), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte R. hat es wegen Beihilfe zur ausbeuterischen Zuhälterei in Tateinheit mit dirigistischer Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat das Landgericht beide Angeklagten freigesprochen.

Die Revision des Angeklagten S., mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg. Von der Aufhebung erfasst wird auch die Verurteilung der nichtrevidierenden Mitangeklagten R. .

Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision, mit der sich die Nebenklägerin A. gegen den Teilfreispruch beider Angeklagten wendet, ist unbegründet.

A.

Die Revision des Angeklagten S. ist begründet.

I.

1. Der Verurteilung des Angeklagten liegen folgende Feststellungen des Landgerichts zugrunde:

Der Angeklagte war mit der Mitangeklagten R. befreundet, die in einer Wohnung im ersten Stock des Hauses Sch. der Prostitution nachging. Im März 2012 bezog die Geschädigte M. ein Zimmer im zweiten Stock und ging dort auf Veranlassung einer Frau namens J. ebenfalls der Prostitution nach. Der Angeklagte hatte zwischenzeitlich beschlossen, sich als gewerblicher Zimmervermieter zu betätigen, und besprach mit dem Vermieter des Hauses, die Wohnung im ersten und eine weitere im vierten Stock des Hauses anzumieten. Er plante, die einzelnen Zimmer dieser Wohnungen selbständig an Prosituierte unterzuvermieten, deren sämtliche Einkünfte an sich zu nehmen und ihnen nur nach Gutdünken Geld zum Eigenbedarf zuzuweisen; den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte wollte er für sich selbst verwenden.

a) In Umsetzung dieses Plans "kaufte" der Angeklagte die Geschädigte M. für 1.400 € von J. ab. Er einigte sich mit der Geschädigten dahin, dass diese ab dem 20. März 2012 in der Wohnung im ersten Stock arbeiten und dafür die Hälfte ihrer Einnahmen an den Angeklagten abgeben sollte. Die Geschädigte nahm ihre Arbeit auf, hatte aber vom 20. März bis zum 26. April 2012 ihre sämtlichen Einnahmen der Mitangeklagten R. zu übergeben, die die Gelder jeweils an den Angeklagten weiterleitete. Die Preise bezüglich der Art und Dauer ihrer sexuellen Dienstleistungen waren ihr vorgegeben. Die Geschädigte hatte keinen Überblick über ihre Einnahmen. Sie konnte weder lesen noch schreiben; auch das Rechnen sowie die deutsche Sprache beherrschte sie nur rudimentär. In dem genannten Zeitraum überwies sie mit Hilfe des Angeklagten bei drei Gelegenheiten 100 €, 130,50 € und 145 € an ihre Familie in B. .

Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt während ihres Aufenthalts hatte die Geschädigte keine Lust mehr, in dem Haus Sch. zu arbeiten. Der Angeklagte teilte ihr daraufhin mit, dass sie erst gehen könne, wenn sie das Geld, das er für sie bezahlt habe, abgearbeitet habe; sie könne allerdings ihre Schwester zum Weiterarbeiten schicken. Da die Schwester der Geschädigten dies ablehnte, blieb die Geschädigte in der Sch. Zu einem weiteren nicht feststellbaren Zeitpunkt schlug der Angeklagte die Geschädigte mindestens einmal mit der flachen Hand ins Gesicht, schubste sie gegen die Wand und trat sie, weil er den Verdacht hegte, sie liefere nicht ihren gesamten Verdienst an ihn ab. Am 22. April 2012 unterschrieb die Geschädigte einen Untermietvertrag (Tagesmietpreis von 75 € für ein Zimmer) und einen weiteren Vertrag, in dem sie erklärte, dem Angeklagten 1.300 € zu schulden.

b) In Umsetzung seines Plans "kaufte" der Angeklagte auch die Geschädigte St., die bislang in einem anderen Haus der Prostitution nachging, von einem Y. und einer weiteren Person. Die Geschädigte bezog am 27. März 2012 ein Zimmer im ersten Stock des Hauses Sch. und ging jedenfalls drei Tage lang der Prostitution nach. Ihre gesamten Einnahmen hatte sie der Mitangeklagten R. zu übergeben, die die Gelder an den Angeklagten S. weiterleitete. Am 31. März 2012 wurde bei der Geschädigten eine Schwangerschaft festgestellt. Sie verbrachte unter wechselnder Aufsicht der Mitangeklagten R., der Nebenklägerin A. und der Geschädigten M. zwei Tage im Krankenhaus. Nach ihrer Rückkehr weigerte sie sich, der Prostitution nachzugehen. Der Angeklagte verlangte ihre Weiterarbeit und verbot ihr in der Folgezeit, das Haus zu verlassen, was die Mitangeklagte R. und die Nebenklägerin A. überwachten. Am 4. April 2012 unterzeichnete sie einen Darlehnsvertrag über 7.000 € und am 13. April 2012 einen Untermietvertrag (Tagesmietpreis von 75 € für ein Zimmer). Nach einem am 10. April 2012 erfolgten Schwangerschaftsabbruch floh die Geschädigte zu Y., der sie aber zu dem Angeklagten zurückbrachte. Am 25. April 2012 gelang der Geschädigten wiederum die Flucht. Der Angeklagte spürte sie auf und brachte sie zurück. In Anwesenheit der Mitangeklagten R., der Geschädigten M. sowie der Nebenklägerin A. und der Zeugin T. M. schlug er auf die Geschädigte St. mit der Faust ein. Nachdem sie zu Boden gegangen war, trat er weiter mit Schuhen auf sie ein, um ihr klar zu machen, dass sie im Haus zu bleiben und der Prostitution nachzugehen habe. Das Verprügeln in Gegenwart der anderen Frauen diente aber auch dazu, diesen eindrucksvoll deutlich zu machen, was passieren werde, wenn sie weglaufen und ihre vertraglichen Verpflichtungen ihm gegenüber nicht erfüllen würden. Später ging der Angeklagte mit der Geschädigten in ein Nebenzimmer und prügelte gemeinsam mit dem hinzugerufenen Zeugen H. weiter auf sie ein.

2. Die Handlungen zum Nachteil der Geschädigten St. hat das Landgericht als tateinheitlich begangene ausbeuterische und dirigistische Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) - (Fall 1) - sowie als versuchten schweren Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1, § 22, 23 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4) - (Fall 2) - gewertet.

Die Handlungen zum Nachteil der Geschädigten M. hat das Landgericht als tateinheitlich begangene ausbeuterische Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB), schweren Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) und vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB) gewertet und Tateinheit zu den zum Nachteil der Geschädigten St. im Fall 1) erfolgten Handlungen angenommen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

1. Die Verurteilung hat im Ergebnis keinen Bestand, auch wenn die Annahme einzelner tateinheitlich verwirklichter Straftatbestände an sich nicht zu beanstanden ist. Im Einzelnen ergibt sich dies aus Folgendem:

a) Der Schuldspruch wegen ausbeuterischer Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Nachteil der Geschädigten St. und M. begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Eine Ausbeutung liegt vor, wenn dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, dem Opfer die Lösung aus der Prostitution zu erschweren (Fischer, StGB, 60. Aufl. § 181a Rdn. 7). Zwar setzt eine solche Annahme im Regelfall Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und Abgaben der Prostituierten voraus (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1988 - 4 StR 413/88, NStZ 1989, 67). Allerdings steht das Fehlen exakter Feststellungen zu Einnahmen und Ausgaben einer Verurteilung wegen ausbeuterischer Zuhälterei nicht zwingend entgegen. Wenn - wie hier - die Prostituierten ihre gesamten Einnahmen abgeben müssen und nur gelegentlich geringe Summen zur Weiterleitung an ihre Familie zurückerhalten, ist ohne Weiteres von einer Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 21. Juli 1993 - 2 StR 160/93, NStZ 1994, 32, 33 und vom 3. März 1999 - 2 StR 608/98, NStZ 1999, 349, 350; BGH, Beschluss vom 20. April 2004 - 4 StR 67/04). Ob und inwieweit es sich bei den Zahlungen der Geschädigten auch um eine Begleichung von Mietverbindlichkeiten handelte, kann dabei offen bleiben. Eine Ausbeutung der Geschädigten bestand jedenfalls darin, dass sie ungeachtet möglicherweise bestehender konkreter Mietverbindlichkeiten täglich ihre gesamten Einnahmen an den Angeklagten abgeben mussten.

b) Auch die Annahme einer dirigistischen Zuhälterei zu Lasten der Nebenklägerin St. im Fall 1) hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Der rechtlichen Würdigung des Landgerichts ist zwar nicht zu entnehmen, von welcher Variante des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB es ausgegangen ist.

Die Feststellungen belegen aber, dass der Angeklagte jedenfalls im Sinn der 3. Variante des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB "Maßnahmen getroffen" hat, die die Geschädigte davon abhalten sollten, die Prostitution aufzugeben. Erfasst werden hiervon Vorkehrungen, die das Opfer in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen geeignet und darauf gerichtet sind, ihm den Weg aus der Prostitution zu verbauen (BGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 4 StR 66/02, StV 2003, 163; Beschluss vom 13. November 2001 - 4 StR 408/01). Dass es sich hier so verhält, kann den Urteilsgründen noch entnommen werden. Nachdem die Geschädigte wegen Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert worden war, befürchtete der Angeklagte, sie könne weglaufen und die Prostitution aufgeben. Er ließ sie deshalb tagsüber von der Mitangeklagten R. und der Nebenklägerin A. und in der Nacht von der Geschädigten M. bewachen. Die Geschädigte fühlte sich durch diese Maßnahmen nach wie vor in der Prostitution festgehalten. Erst nach ihrer Rückkehr in das Haus Sch. weigerte sie sich, fortan der Prostitution nachzugehen.

c) Die Annahme eines schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten M. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Im Hinblick auf die zum Nachteil der Geschädigten M. abgeurteilte vorsätzliche Köperverletzung begegnet schon die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung - wie hier - widersprüchlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238; Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928).

Das Landgericht stützt seine Feststellung, dass der Angeklagte die Geschädigte mindestens einmal mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, sie gegen die Wand schubste und trat, allein auf die geständige Einlassung des Angeklagten (UA S. 79). Dies widerspricht aber der Wiedergabe der im Rahmen der Beweiswürdigung geschilderten Einlassung des Angeklagten, der zwar eine Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin A. und der Geschädigten St. eingeräumt, im Übrigen aber ausdrücklich erklärt habe, mit Ausnahme dieser zwei von ihm eingestandenen Fälle keine der Frauen geschlagen zu haben (UA S. 45, 47, 48).

bb) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Menschenhandels gemäß "§ 232 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB" zu Lasten der Geschädigten M. begegnet sachlich-rechtlichen Bedenken. Dabei ist schon nicht nachzuvollziehen, warum die Strafkammer § 232 Abs. 1 StGB - dessen Voraussetzungen durch die Feststellungen zudem nicht belegt werden - neben dem ausgeurteilten schweren Menschenhandel des § 232 Abs. 4 StGB als angewandte Vorschrift erwähnt hat. § 232 Abs. 4 StGB ist ein keine Qualifikation des § 232 Abs. 1 StGB, sondern ein eigenständiger Straftatbestand mit von § 232 Abs. 1 StGB unabhängigen Voraussetzungen. Im Übrigen hat das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung schon nicht erkennen lassen, von welcher Variante des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB es ausgegangen ist.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB sind indes in keiner Variante belegt. Der Angeklagte hat zwar die Geschädigte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt einmal ins Gesicht geschlagen, geschubst und getreten und insofern Gewalt im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB angewandt. Ungeachtet dessen, dass für diese Feststellung der Strafkammer - wie zuvor ausgeführt - schon eine Tatsachengrundlage fehlt, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass die Geschädigte zu diesem Zeitpunkt die Prostitution überhaupt aufgeben oder einschränken wollte und die erfolgten Schläge sie daher zur Fortsetzung der Prostitution veranlassen sollten. Die Gewalthandlung erfolgte vielmehr ausdrücklich allein als Sanktion dafür, dass der Angeklagte vermutete, die Geschädigte gebe ihre Einnahmen nicht vollständig an ihn ab. Weitere Gewalthandlungen oder auch Drohungen gegenüber der Geschädigten sind nicht festgestellt. Soweit am 25. April 2012 Gewalthandlungen gegen die Geschädigte St. erfolgten und diese dazu dienten, auch die Geschädigte M. einzuschüchtern, ist ebenfalls nicht festgestellt, dass die Geschädigte die Prostitution zu diesem Zeitpunkt aufgeben wollte.

Auch der Einsatz einer "List" im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist nicht mit Feststellungen der Strafkammer belegt. Der Angeklagte brachte zwar die Geschädigte überhaupt nur durch eine Täuschung zur Aufnahme der Prostitution in seinen Räumlichkeiten, indem er ihr vorspiegelte, sie müsse nur die Hälfte ihrer Einnahmen an ihn abgeben. Dieses Verhalten begründet aber noch keine "List" im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB, die ein Ausschalten des Widerstands des Opfers gegen die Prostitution durch täuschende Machenschaften erfordert. Das lediglich unredliche und arglistige Schaffen eines Anreizes gegenüber einer Person, die sich frei für oder gegen eine Prostitutionsaufnahme oder -fortsetzung entscheiden kann, genügt zur Verwirklichung des Verbrechenstatbestands nicht (vgl. Urteil vom 3. Juni 1980 - 1 StR 192/80; BGH, Urteil vom 20. Oktober 1997 - 3 StR 266/76, BGHSt 27, 28; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 232 Rn. 28).

Zwar hat der Angeklagte die Geschädigte, die zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt keine Lust mehr hatte, im Haus Sch. zu arbeiten, auch dazu gebracht, gleichwohl zu bleiben, indem er ihr mitteilte, sie könne erst dann gehen, wenn sie das Geld, das er für sie bezahlt habe, abgearbeitet habe. Dies und der Umstand, dass sie weiter arbeitete, belegen jedoch keine durch "List" veranlasste Fortsetzung der Prostitution.

2. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen schweren Menschenhandels und tateinheitlicher vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten M. ; hiervon erfasst wird auch die rechtlich nicht zu beanstandende tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen ausbeuterischer Zuhälterei zum Nachteil beider Geschädigten sowie wegen dirigistischer Zuhälterei zum Nachteil der Geschädigten St. (Fall 1 der Urteilsgründe).

Die Aufhebung des Schuldspruchs zwingt auch zur Aufhebung des - für sich genommen nicht zu beanstandenden - Schuldspruchs im Fall 2) der Urteilsgründe wegen versuchten schweren Menschenhandels sowie gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten St., da insoweit Tateinheit mit der unter Fall 1) abgeurteilten ausbeuterischen Zuhälterei zum Nachteil der Geschädigten M. besteht.

Die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts, das demgegenüber Tatmehrheit angenommen hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat zwar im Ansatz bedacht, dass das von dem Angeklagten jeweils verwirklichte Dauerdelikt der Zuhälterei mehrere Handlungen zum Nachteil verschiedener Frauen zur Tateinheit verklammern kann, wenn - wie hier - von demselben Täter zeitgleich auf mehrere Geschädigte in denselben Räumlichkeiten eingewirkt wird (Senatsbeschluss vom 1. August 2003 - 2 StR 186/03, BGHSt 48, 314, 322; Senatsurteil vom 15. Juli 2005 - 2 StR 131/05, NStZ-RR 2007, 46, 47). Es hat dementsprechend die ausbeuterische Zuhälterei zum Nachteil der Geschädigten M. und St., auf die der Angeklagte zeitgleich in derselben Wohnung einwirkte und die er gemeinsam von der Mitangeklagten R. abkassieren ließ, zutreffend als einheitliche Tat gewertet. Auch hat das Landgericht bedacht, dass die Zuhälterei als minder schweres Dauerdelikt den zum Nachteil verschiedener Frauen begangenen Menschenhandel nicht zur Tateinheit verklammern kann.

Der unter Fall 2) abgeurteilte versuchte schwere Menschenhandel richtete sich indes nicht nur gegen die Geschädigte St., sondern gleichzeitig auch gegen die Geschädigte M. Nach den Feststellungen diente die in ihrer Gegenwart am 25. April 2012 erfolgte körperliche Züchtigung der Geschädigten St. auch dazu, der Geschädigten M. deutlich zu machen, was passieren werde, wenn sie weglaufen und ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Angeklagten nicht nachkommen würde. Die Tat fand mithin nicht nur während einer gleichzeitigen Anwesenheit beider Geschädigten in denselben Räumlichkeiten statt, sondern diente konkret dazu, die im Zeitraum vom 20. März bis 26. April 2012 erfolgten Ausbeutung der Geschädigten M. zu fördern. Zwischen der zu deren Nachteil begangenen ausbeuterischen Zuhälterei und dem unter Fall 2) abgeurteilten versuchten schweren Menschenhandel in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Lasten der Geschädigten St. besteht daher Tateinheit.

3. Gemäß § 357 StPO erfasst die Aufhebung des Schuldspruchs gegen den Angeklagten S. im Fall 1) der Urteilsgründe auch die Verurteilung der nicht revidierenden Mitangeklagten R. wegen Beihilfe der zum Nachteil der Geschädigten St. erfolgten tateinheitlich begangenen ausbeuterischen und dirigistischen Zuhälterei.

B.

Die Revision der Nebenklägerin A. gegen den Teilfreispruch beider Angeklagten ist unbegründet.

I.

1. Die Anklage hat den Angeklagten S. und R. unter Anklagepunkt 3 Folgendes zur Last gelegt: Der Angeklagte S. habe die Nebenklägerin A. dazu gewonnen, in seiner Wohnung als Prostituierte zu arbeiten. Er habe mit ihr eine Tagesmiete von 75 € und die Abgabe der hälftigen Einnahmen vereinbart. Tatsächlich habe die Nebenklägerin in der Zeit vom Oktober 2011 bis zum 27. April 2012 ihre gesamten Einnahmen in Höhe von rund 39.400 € der Mitangeklagten R. zur Weiterleitung an den Angeklagten abgeben müssen; lediglich 150 € bis 300 € monatlich seien ihr verblieben. Aus Furcht vor Gewalttätigkeiten des Angeklagten habe sie ihren Wunsch, nach B. zurückzukehren, nur einmal im Februar 2012 geäußert.

Unter Anklagepunkt 46 und 47 hat die Anklage dem Angeklagten S. darüber hinaus zur Last gelegt, die Nebenklägerin in mindestens zwei Fällen geschlagen zu haben, weil sie an schlechten Tagen die Tagesmiete nicht erwirtschaftet hatte.

2. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass die Nebenklägerin im vorgenannten Zeitraum in der Wohnung im ersten Stock des Hauses Sch. als Prostituierte gearbeitet hat. Dazu, in welchem Umfang die Nebenklägerin A. über ihre Einnahmen hat eigenständig verfügen können und wer wann möglicherweise an ihren Einnahmen partizipiert hat, hat das Gericht keine sicheren Feststellungen treffen können, ebenso wenig zu stattgefundenen Gewalttätigkeiten. Zwar habe der Angeklagte eingeräumt, die Nebenklägerin einmalig geschlagen zu haben. Dies sei aber nach Zeit, Ort und Anlass unbestimmt geblieben. Die Angaben der Nebenklägerin, die mit der Mitangeklagten R. befreundet gewesen sei und zusammen mit dieser auch die Überwachung anderer Prostituierten übernommen habe, seien an zahlreichen Stellen in sich widersprüchlich und durch Übertreibungen gekennzeichnet gewesen. Auffällig sei auch gewesen, dass es die Nebenklägerin vermieden habe, konkrete Angaben zu machen und bei bestimmten Themen nur sehr zurückhaltend und ausweichend geantwortet habe, weshalb ihre Angaben insbesondere auch im Hinblick auf die erfahrenen Schläge durch den Angeklagten insgesamt nicht glaubhaft gewesen seien.

II.

1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

Soweit die Nebenklägerin rügt, der Vorsitzende habe sie in der Wahrnehmung ihrer Opferrechte verletzt, da ihre Vernehmung wegen Verhinderung ihres Beistands nur in Anwesenheit von dessen nicht eingearbeitetem Vertreter stattgefunden habe, ist nicht ersichtlich, dass das Urteil auf einem solchen Rechtsfehler beruhen könnte.

Die erhobene Aufklärungsrüge ist bereits unzulässig, weil keine bestimmte Beweistatsache behauptet wird.

2. Der Teilfreispruch hält auch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.

Sieht der Tatrichter von einer Verurteilung ab, weil er Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt insoweit nur, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn er an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).

a) Diesen Anforderungen wird die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung gerecht. Die Strafkammer hat sich von den, den Angeklagten insoweit vorgeworfenen Taten vornehmlich aufgrund der in der Aussage der Nebenklägerin enthaltenen, in den Urteilsgründen im Einzelnen dargestellten Widersprüchen und Übertreibungen im Ergebnis nicht überzeugen können. Die Beweiswürdigung lässt dabei keinen Rechtfehler erkennen.

b) Bedenken bestehen zwar gegen die Beweiswürdigung im Hinblick auf eine weitere mögliche Körperverletzung des Angeklagten. Dieser hat nach den Feststellungen eingeräumt, er habe die Nebenklägerin jedenfalls einmal im Frühjahr 2012 mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, weil diese hinter seinem Rücken einer anderen Prostituierten Unwahrheiten über ihn erzählt habe (UA S. 45). Ein entsprechendes Geschehen hat auch die Mitangeklagte R. geschildert (UA S. 34 f., 41). Die Beweiswürdigung hierzu ist lückenhaft. Dies führt aber nicht zum Erfolg der Revision der Nebenklägerin, denn die vom Angeklagten geschilderte Tat ist von der zugelassenen Anklage und damit auch nicht von der Kognitionspflicht des Tatgerichts nicht umfasst.

Gegenstand der zugelassenen Anklage sind zwei zu Lasten der Nebenklägerin erfolgten Körperverletzungshandlungen. Diese werden lediglich dahin konkretisiert, dass der Angeklagte die Nebenklägerin in mindestens zwei Fällen geschlagen habe, wenn sie an schlechten Tagen die Tagesmiete nicht erwirtschaftete. Der Anklage ist weiter zu entnehmen, dass dies in der Zeit von Oktober 2011 bis Februar 2012 stattgefunden habe. Zwar wird für die unter Anklagepunkt 3 den Angeklagten vorgeworfene Tat ein darüber hinaus gehender Zeitraum bis 27. April 2012 genannt. In Bezug auf die beiden allein dem Angeklagten S. vorgeworfenen Körperverletzungshandlungen wird dieser Zeitraum aber durch die Anklage selbst eingeschränkt, denn danach soll die Nebenklägerin ab Februar 2012 unter dem "Eindruck der Gewalttätigkeiten" des Angeklagten gestanden haben. Als "Gewalttätigkeiten" des Angeklagten schildert die Anklage nur das zweimalige Schlagen des Angeklagten.

Die vom Angeklagten eingeräumte Tat weicht daher sowohl im Hinblick auf ihren Anlass als auch den Zeitraum von der Tatschilderung der Anklage ab. Zwar braucht nicht jede Veränderung oder Erweiterung des Tatgeschehens die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 1994 - 3 StR 457/93, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8), wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von dieser Tatmodalität nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2000 - 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 133; Urteil vom 28. Mai 2002 - 5 StR 55/02; Beschluss vom 13. März 1996 - 3 StR 43/96, BGHR StPO, § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19). Eine solche weitere Umgrenzung des dem Angeklagten pauschal vorgeworfenen "Schlagens" der Nebenklägerin enthält die Anklage aber nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 11

Externe Fundstellen: StV 2014, 416

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel