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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 209

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 15/15, Beschluss v. 17.12.2015, HRRS 2016 Nr. 209


BGH StB 15/15 - Beschluss vom 17. Dezember 2015

Umgrenzungsfunktion der Anklage (unzureichende individualisierende Angaben beim Tötungsdelikt); Konkurrenzverhältnis zwischen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und im Zuge dessen verwirklichten anderen Straftaten; teilweise Eröffnung des Hauptverfahrens.

§ 200 StPO; § 207 StPO;§ 264 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

1. Nennt die Anklage bzgl. eines Tötungsdeliktes lediglich eine ungefähre zeitliche Einordnung der Tat (hier: zwischen dem 13. Oktober 2013 und dem 25. Januar 2014) und als Tatort geographisch ein Land (hier: „Syrien“), so wird damit regelmäßig der Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht hinreichend Rechnung getragen. Es fehlt an individualisierenden Merkmalen, mit denen sich das angeklagte Delikt von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden ließe.

2. Der Senat hat seine bisherige Rechtsprechung, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen (oder terroristischen) Vereinigung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, aufgegeben. Vielmehr unterbleibt eine tateinheitliche Verknüpfung solcher Handlungen, die zwar der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen, aber auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen (näher BGH HRRS 2016 Nr. 110).

Entscheidungstenor

Die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2015 wird verworfen.

Gründe

Der Generalbundesanwalt hat dem Angeklagten mit der zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhobenen Anklage vorgeworfen, sich spätestens seit September 2013 als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), tateinheitlich hierzu aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet (§ 211 StGB) sowie in weiterer Tateinheit eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB). Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 20. Oktober 2015 die Anklage teilweise zur Hauptverhandlung zugelassen; hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Gegen die teilweise Nichteröffnung wendet sich der Generalbundesanwalt mit seiner sofortigen Beschwerde.

Das nach § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 2 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Mit der Anklageschrift wird dem Angeklagten, der deutscher und türkischer Staatsangehöriger ist, folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Der Angeklagte, der sich seit 2010 mit islamistischem Gedankengut befasste, entschied sich spätestens Anfang 2013, sich kämpfend am Bürgerkrieg in Syrien zu beteiligen. Zu diesem Zweck reiste er im März 2013 nach Syrien. Spätestens im September 2013 schloss er sich dort der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIG)" an. Er unterwarf sich deren Befehlsgewalt, ließ sich im Umgang mit Schusswaffen ausbilden, verschaffte sich eine Kalaschnikow und legte gegenüber dem Befehlshaber seiner Kampfeinheit den Treueid auf den Anführer des „ISIG“ ab. Spätestens ab dem 13. Oktober 2013 nahm er mehrfach an Kampfeinsätzen teil. Außerdem leistete er als Kämpfer Wachdienste. Während seiner Mitwirkung an den bewaffneten Auseinandersetzungen tötete er noch im Alter von 20 Jahren - also vor dem 25. Januar 2014 - an einem nicht näher bekannten Ort in Syrien einen Menschen, getragen von den radikalislamistischen Vorstellungen des „ISIG“, die die körperliche Vernichtung aller Gegner und Andersdenkender zur religiösen Verpflichtung pervertieren. Vom 25. Januar 2014 bis zum 1. Juli 2014 hielt er sich vorübergehend in Deutschland auf, um sich zur Wiederherstellung seiner Kampffähigkeit ärztlich behandeln zu lassen. Danach reiste er erneut nach Syrien, wo er wiederum an Kampfhandlungen des „ISIG“ teilnahm.

Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird zur Beweislage hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes ausgeführt, dass die Lebensgefährtin des Angeklagten gegenüber der Polizei angegeben habe, dieser habe ihr erzählt, „ungefähr“ 16 Personen bei Kampfeinsätzen getötet zu haben, was sie am Telefon auch ihrer Cousine erzählt habe. Außerdem habe der Angeklagte gegenüber zwei Mitgefangenen angegeben, Menschen bei den Kampfeinsätzen „geköpft“ zu haben. Auf Nachfrage eines der Mitgefangenen, ob er Menschen getötet habe, habe er genickt.

Hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes wird in der Anklageschrift ergänzend angeführt, es sei zugunsten des Angeklagten nur von einem Mord auszugehen, da mangels näherer Anhaltspunkte die genaue Zahl der getöteten Personen nicht festgestellt werden könne. Dieser stehe zu den beiden anderen Delikten in Tateinheit.

2. Zutreffend geht das Oberlandesgericht davon aus, dass die Anklage wegen Mordes ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht wird. Auf die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, kommt es deshalb nicht an.

Die Anklage hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll; sonst ist die Anklage unwirksam (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 448/94, BGHSt 40, 390, 391 f.).

Diesen Anforderungen genügt die Anklageschrift hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes nicht. Das dem Angeklagten angelastete Tötungsdelikt ist weder im Anklagesatz noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen hinreichend umschrieben. Die Anklage enthält zwar eine ungefähre zeitliche Einordnung der Tat zwischen dem 13. Oktober 2013 und dem 25. Januar 2014 und nennt als Tatort geographisch das Land „Syrien“. Über diese wenig konkreten Angaben hinaus finden sich in der Anklage jedoch keinerlei konkretisierenden Merkmale hinsichtlich des dem Angeklagten vorgeworfenen Tötungsdelikts. Weder die Person des Opfers noch die Art und die Umstände der Tötung werden mitgeteilt. Damit enthält der Anklagesatz - auch zusammen mit den Ausführungen im wesentlichen Ermittlungsergebnis - keine individualisierenden Merkmale, mit denen sich das angeklagte Delikt von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lässt. Ergänzend wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des Oberlandesgerichts verwiesen.

3. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts war es dem Oberlandesgericht vorliegend auch rechtlich nicht verwehrt, die Eröffnung des Hauptverfahrens teilweise abzulehnen.

a) Das Oberlandesgericht hat die nur teilweise Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf der Grundlage bisheriger Rechtsprechung des Senats als zulässig angesehen, weil es sich bei dem Mord im Verhältnis zu den anderen dem Angeklagten angelasteten Delikten um eine andere Tat im prozessualen Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handele. Nach dieser Rechtsprechung standen sonstige Straftaten, die sich gleichzeitig als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellten, materiellrechtlich zwar in Tateinheit mit dem Verstoß gegen § 129 Abs. 1 oder § 129a Abs. 1 bzw. Abs. 2 (gegebenenfalls i.V.m. § 129b Satz 1) StGB, bildeten aber - in Abweichung von sonst geltenden Grundsätzen - jedenfalls mit Blick auf einen möglichen Strafklageverbrauch dann keine einheitliche prozessuale Tat mit dem Organisationsdelikt, wenn sie gemessen an ihrer Strafandrohung schwerer wogen als dieses (BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288). Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass der Begriff der prozessualen Tat im Hinblick auf die vorliegend in Frage stehende Kognitionspflicht des Gerichts nicht anders als beim Strafklageverbrauch verstanden werden kann.

b) Eines näheren Eingehens hierauf bedarf es nicht. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts erweist sich jedenfalls auf Grundlage der neueren Rechtsprechung des Senats im Ergebnis als zutreffend; denn der Senat hat seine bisherige Rechtsprechung, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen (oder terroristischen) Vereinigung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, aufgegeben (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14 juris). Vielmehr unterbleibt eine tateinheitliche Verknüpfung solcher Handlungen, die zwar der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen, aber auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen. Diese stehen dann für sich genommen gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB materiellrechtlich zwar in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1 oder Abs. 2 oder § 129b Abs. 1 StGB, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit. Denn die Verletzung eines Individualrechtsguts durch eine Beteiligungshandlung, die ihrerseits einen Straftatbestand erfüllt, kann gegenüber dessen bloßer Gefährdung, der § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1, Abs. 2, § 129b Satz 1 StGB (auch) entgegenwirken wollen, nicht untergeordnet sein (s. näher BGH aaO).

Dies gilt auch vorliegend. Das angeklagte Tötungsdelikt steht zwar für sich in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, zur sonstigen Erfüllung des Tatbestandes des § 129b, § 129a Abs. 1 Var. 2 StGB besteht aber Tatmehrheit. Damit beansprucht der Grundsatz Gültigkeit, dass sachlich-rechtlich selbständige Taten auch prozessual selbständig sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 264 Rn. 2, 6 mwN). Für das angeklagte Tötungsdelikt bedeutet dies, dass es sich als eine einzelne von mehreren angeklagten Taten darstellt, so dass nach § 207 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine Teilablehnung der Eröffnung zulässig war. Es unterlag damit auch nicht der Kognitionspflicht des Oberlandesgerichts zu prüfen, ob sich aus dem angeklagten Sachverhalt möglicherweise Hinweise auf nach dem 25. Januar 2014 begangene weitere Tötungshandlungen ergaben, da solche Delikte nach dem oben Dargelegten als eigenständige prozessuale Taten zu werten wären, die von der Anklage nicht umfasst wären. Diese rechtsfehlerhafte Prüfung hat allerdings in der Entscheidung keinen Niederschlag gefunden.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 209

Bearbeiter: Christian Becker