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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1205

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 479/21, Beschluss v. 21.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1205


BGH 1 StR 479/21 - Beschluss vom 21. September 2022 (LG Kleve)

Erforderliche Belehrung über die Unverwertbarkeit eines Geständnisses bei Lösung des Gerichts von einer Verständigung; Steuerhehlerei.

§ 257c Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 StPO; § 374 AO

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 257c Abs. 5 StPO ist ein Angeklagter vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen der nach § 257c Abs. 4 StPO möglichen Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren. Es kann die Revision insoweit auch begründen, wenn der Vorsitzende der Strafkammer den Angeklagten ausschließlich darüber belehrt, unter welchen Voraussetzungen sich das Gericht von seiner Verständigungszusage lösen darf (§ 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO), sowie über die Pflicht, ein Abweichen unverzüglich mitzuteilen (§ 257c Abs. 4 Satz 4 StPO).

Entscheidungstenor

1. Der Vorwurf der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: Unionsmarken) wird von der Strafverfolgung ausgenommen.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 5. Mai 2021, soweit es diesen Angeklagten betrifft, aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden ist; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;

b) im Übrigen mit den zugehörigen Feststellungen.

3. Im Umfang der Aufhebung zu 2. b) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es den Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Die gegen seine Verurteilung im nach einer Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, führt mit der Sachrüge zum Teilfreispruch, mit der Verfahrensrüge zur Urteilsaufhebung im Übrigen (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Die Verfahrensbeschränkung bezüglich des Vorwurfs der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Unionsmarken (§ 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 MarkenG, Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. a Unionsmarkenverordnung; § 27 StGB) trägt wie im Verfahren 1 StR 470/21 dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des Landgerichts, die Marken R., Ri. und Ma. seien unionsweit geschützt (UA S. 18), nicht belegt ist (insbesondere UA S. 30). Damit kann auch hier offenbleiben, ob infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien aus der Europäischen Union die Gesamtrechtslage für die Angeklagten günstiger ist und dies einer Bestrafung entgegensteht (§ 2 Abs. 3 StGB).

2. Im verbliebenen Verfahrensumfang ist die Revision begründet.

a) Die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 TabStG) hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; der Angeklagte ist insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO). Der Generalbundesanwalt hat zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:

aa) ?Die Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den Feinschnitttabak, der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist (UA S. 39).

[…] Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem Dritten verschafft gemäß § 374 Abs. 1 AO.

Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die zehn Mitangeklagten und der gesondert Verfolgte H. oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 AO, dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 StR 108/16 -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Nach den Urteilsfeststellungen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen Materialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport (UA S. 12). Aufgabe des Angeklagten war es, unmittelbar im Produktionsprozess an den Maschinen zu arbeiten, die Maschinen mit Feinschnitt zu bestücken, den Produktionsablauf zu überwachen und die produzierten Zigaretten zu verpacken (UA S. 15). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen Materialien und den Abtransport der Zigaretten waren demgegenüber die Mitangeklagten O., Ry. und Krz. - zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen (UA S. 15 ff.; vgl. auch UA S. 34 f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Der Angeklagte war lediglich in einem Fall gemeinsam mit dem Mitangeklagten Kr. an der Be (!) ladung eines Transportfahrzeugs beteiligt (UA S. 16). Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein. Die dennoch getroffene Feststellung, dass der Feinschnitt vom Angeklagten in der Fabrikhalle eingelagert worden sei (UA S. 18), wird jedenfalls nicht von der Beweiswürdigung getragen. Eine Beteiligung des Angeklagten an der Einlagerung ergibt sich insbesondere nicht aus seiner Einlassung (UA S. 22 f.).?

bb) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 AO, § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der Tabakfeinschnitt lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder Absatzbemühungen entfaltet noch der Angeklagte mit der ihm zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen des Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 AO, §§ 36 f. TabStG sind nicht erfüllt. Der Senat entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

b) Im nach Teilbeschränkung und -freispruch verbliebenen Urteilsumfang, der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, greift die Rüge durch, der Vorsitzende habe den Angeklagten vor der Verständigung nur unzureichend belehrt, nämlich nicht über die Unverwertbarkeit eines Geständnisses im Falle des Entfallens der Bindungswirkung (§ 257c Abs. 5, 4 Satz 3 StPO). Dieser Verstoß ist durch die vollständige Wiedergabe der Belehrung durch den Vorsitzenden aus dem Hauptverhandlungsprotokoll in der Revisionsbegründung erwiesen (§ 274 Satz 1, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; Band VII Blatt 1447 f. der Hauptakten).

aa) Nach § 257c Abs. 5 StPO ist ein Angeklagter vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen der nach § 257c Abs. 4 StPO möglichen Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren.

Damit sollen die Fairness des Verständigungsverfahrens gesichert und zugleich die Autonomie des Angeklagten in weitem Umfang geschützt sowie einer Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit vorgebeugt werden, die mit der Aussicht auf eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze und der dadurch begründeten Anreiz- und Verlockungssituation einhergehen kann. Der grundlegenden Bedeutung der Belehrungspflicht für die Fairness des Verfahrens und für die Selbstbelastungsfreiheit ist nur dann Rechnung getragen, wenn der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 15; BGH, Beschlüsse vom 6. November 2018 - 5 StR 486/18 Rn. 5; vom 21. März 2017 - 5 StR 73/17 Rn. 5; vom 14. Januar 2016 - 3 StR 386/15 Rn. 4; vom 10. Februar 2015 - 4 StR 595/14 Rn. 11 und vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10 Rn. 4).

bb) Hier hat der Vorsitzende der Strafkammer den Angeklagten ausschließlich darüber belehrt, unter welchen Voraussetzungen sich das Gericht von seiner Verständigungszusage lösen darf (§ 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO), sowie über die Pflicht, ein Abweichen unverzüglich mitzuteilen (§ 257c Abs. 4 Satz 4 StPO). Nach § 257c Abs. 5 StPO ist indes auch über ?die Folgen einer Abweichung? zu belehren; dies schließt die Unverwertbarkeit des Geständnisses in dem Falle, dass sich das Gericht von der Verständigung lossagt, ein (§ 257c Abs. 4 Satz 3 StPO; MüKo-StPO-Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 182).

cc) Das Beruhen des Belehrungsfehlers für das Geständnis ist nicht ausnahmsweise auszuschließen (§ 337 Abs. 1 StPO). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem nicht vorbestraften ausländischen Angeklagten ohnehin bekannt gewesen sein könnte, dass sein Geständnis im Falle der Lossagung von der Verständigung unverwertbar sein könnte.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1205

Bearbeiter: Christoph Henckel