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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 391

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 595/14, Beschluss v. 10.02.2015, HRRS 2015 Nr. 391


BGH 4 StR 595/14 - Beschluss vom 10. Februar 2015 (LG Bielefeld)

Belehrung über die eingeschränkte Bindungswirkung einer Verständigung; Bekanntgabe des Inhalts der Verständigung durch das Gericht (keine Pflicht zur Angabe einer zu erwartenden Strafe bei "streitiger" Hauptverhandlung).

§ 257c Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Verständigung ist nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht nach § 257c Abs. 4 StPO belehrt worden ist.

2. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. BVerfGE 133, 168, 237).

3. Der Senat weist darauf hin, dass das Gericht bei dem Verständigungsvorschlag einen Strafrahmen, also eine Strafobergrenze und eine Strafuntergrenze, angeben muss (vgl. BGH NStZ 2011, 648), aber nicht verpflichtet ist, dem Angeklagten auch mitzuteilen, welche Strafe bei einem Schuldspruch nach "streitiger Hauptverhandlung" in Betracht kommen könnte (vgl. BGH NStZ 2013, 671).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 7. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Im Ergebnis mit Recht rügt der Angeklagte, er sei im Rahmen einer Verständigung "zu spät" nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden. Die Belehrung sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Verständigung bereits durch seine dem Einverständnis der Staatsanwaltschaft nachfolgende Zustimmung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO formell wirksam geworden sei.

a) Nach dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag der Revision gab die Vorsitzende (auf eine entsprechende Anfrage der Verteidiger) am achten Hauptverhandlungstag bekannt, "dass nach vorläufiger Beratung der Kammer für den Fall einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Strafobergrenze von sieben Jahren sechs Monaten in Betracht kommen könnte." Die Staatsanwaltschaft stimmte dem Vorschlag des Gerichts noch am gleichen Tag zu. Zum Ablauf des neunten Hauptverhandlungstags wies die Sitzungsniederschrift in ihrer ursprünglichen Fassung u.a. Folgendes aus:

"Es wurde festgestellt, dass die Gerichtsbesetzung identisch ist wie an den letzten Hauptverhandlungstagen.

Es wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten.

Die Verteidiger erklären mit Zustimmung des Angeklagten ihre Zustimmung zu der von der Kammer geäußerten Strafobergrenze.

Laut diktiert und genehmigt.

Rechtsanwalt Dr. E. gab eine Erklärung zur Sache für den Angeklagten ab. Dieser bestätigte, dass die Angaben des Dr. E. richtig das Geschehen wieder(ge)geben haben." Sodann wurde nach § 258 StPO verfahren. Das Urteil wurde am darauffolgenden zehnten Hauptverhandlungstag verkündet, das Protokoll am 8. Juli 2014 fertiggestellt.

Am 26. September 2014 vermerkte die Vorsitzende, sie sei sich sicher, dass die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgt und lediglich deren Protokollierung versehentlich unterblieben sei: "Ich erinnere mich, nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und der Ankündigung der Zustimmung aus dem Kommentar den Inhalt der Belehrung bekannt gegeben zu haben und anschließend ausdrücklich die Zustimmungserklärung der Protokollführerin diktiert zu haben, wobei ich offenbar das Diktat der Belehrung vergaß." Den Vermerk leitete sie den Beteiligten mit folgendem Zusatz zu: "Ich beabsichtige das Protokoll dahingehend zu berichtigen, dass die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgt ist." Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft bestätigte den von der Vorsitzenden dargestellten Verfahrensablauf hinsichtlich der Erteilung und des Zeitpunkts der Belehrung. Die Protokollführerin erinnerte sich, dass sie sich nach der Protokollierung des Satzes "Die Verteidiger erklären mit Zustimmung des Angeklagten ihre Zustimmung ..." Gedanken zur Fassung der Belehrung machte und die Vorsitzende den Angeklagten und die Verteidiger belehrte, danach aber nichts ins Protokoll diktierte. Die Verteidiger äußerten sich nicht. Mit Beschluss der Vorsitzenden vom 8. Oktober 2014 wurde "das Hauptverhandlungsprotokoll vom 26.06.2014 ... nach dem 4. Absatz durch Ergänzung wie folgt berichtigt: ‚Der Angeklagte wurde gemäß § 257c Abs. 5, Abs. 4 StGB (richtig: StPO) belehrt.'" Anschließend wurde das Urteil zugestellt und der Angeklagte begründete seine Revision.

b) Die Verfahrensrüge ist zulässig; der Beschwerdeführer hat den der Rüge zugrunde liegenden Sachverhalt, insbesondere eine Erteilung der in § 257c Abs. 5 StPO vorgeschriebenen Belehrung erst nach Abgabe der noch fehlenden Zustimmung des Angeklagten, vollständig und bestimmt vorgetragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. zum notwendigen Revisionsvortrag bei einer auf die Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO gestützten Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014 - 1 StR 302/13, wistra 2014, 322).

aa) Allerdings scheitert die Rüge, die Belehrung sei erst nach der Zustimmung des Angeklagten und damit zu spät erteilt worden, an der formellen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls in seiner ursprünglichen Fassung (§ 273 Abs. 1a Satz 2, § 274 Satz 1 StPO). Der Berichtigungsbeschluss vom 8. Oktober 2014 ist unwirksam; er ist nur von der Vorsitzenden gefasst und unterzeichnet; er muss aber, um wirksam zu werden, von beiden Urkundspersonen (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) unterschrieben werden (unstr.; vgl. nur RGSt 57, 394, 396 f.; BGH, Urteil vom 31. Mai 1951 - 3 StR 106/51, BGHSt 1, 259 f.; LR-StPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 271 Rn. 53; HK-StPO/Julius, 5. Aufl., § 271 Rn. 8; KK-StPO/Greger, 7. Aufl., § 271 Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 271 Rn. 23). Nachträgliche übereinstimmende dienstliche Erklärungen der Urkundspersonen reichen für eine Berichtigung nicht aus (BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 - 2 StR 138/04, NStZ 2005, 281, 282); sie lassen auch die formelle Beweiskraft des Protokolls nicht entfallen (BGH, aaO, dort Rn. 4 und 7; vgl. auch BGH - Großer Senat, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298, 317 a.E.). Hier kommt hinzu, dass die Stellungnahmen der Vorsitzenden und der Protokollführerin hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem die Belehrung erfolgt sein soll, nicht übereinstimmen (vgl. dazu BGH - Großer Senat, aaO S. 314).

bb) Jedoch entnimmt der Senat der Rüge verspäteter Belehrung als notwendig miterklärt die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei (jedenfalls) nicht rechtzeitig belehrt worden. Eines weiter gehenden Vortrags hierzu bedarf es nicht; das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich aus den mit der Revisionsbegründung vorgelegten dienstlichen Erklärungen der Vorsitzenden und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte für eine frühere und damit noch rechtzeitige Belehrung (nach "Ankündigung der Zustimmung" des Angeklagten) ergeben.

c) Die Rüge der unterbliebenen (rechtzeitigen) Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO ist auch begründet.

aa) Der Beschwerdeführer ist vor Abgabe seiner Zustimmung zu der Verständigung entgegen § 257c Abs. 5 StPO nicht belehrt worden. Dies steht aufgrund der formellen Beweiskraft des ursprünglichen Protokolls, das keine Belehrung ausweist, fest (§ 274 Satz 1 StPO; s. dazu oben 1. b) aa). Eine Verständigung ist aber nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht nach § 257c Abs. 4 StPO belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/12310, S. 15; BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 237; Beschluss vom 25. August 2014 - 2 BvR 2048/13, StV 2015, 73; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10, StV 2011, 76; Urteil vom 7. August 2013 - 5 StR 253/13, StV 2013, 682, 683).

bb) Das Geständnis des Angeklagten und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich gebotenen Beruhensmaßstabs (vgl. zuletzt BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 2013 - 2 BvR 85/13, StV 2013, 674, und vom 25. August 2014 - 2 BvR 2048/13, NJW 2014, 3506; nachfolgend hierzu BGH, Beschluss vom 5. November 2014 - 5 StR 253/13) kann der Senat die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen: Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt, was ihm - so das Landgericht - "im Hinblick auf seine Persönlichkeit und angesichts seines bisherigen Verhaltens im Verlauf des Verfahrens ersichtlich schwer gefallen ist." Auf sein Eingeständnis, er habe es für möglich gehalten, dass der Geschädigte sich in der Tatnacht in der - von ihm in Brand gesetzten - Wohnung aufgehalten habe, hat das Schwurgericht u.a. die Annahme des Tötungsvorsatzes gestützt. Der Angeklagte hätte sich möglicherweise bei ordnungsgemäßer Belehrung gegen den Tatvorwurf verteidigt. Anhaltspunkte dafür, dass ihm die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren, bestehen nicht (vgl. zu diesen Erwägungen auch BGH, Beschlüsse vom 4. Dezember 2013 - 4 StR 446/13, und vom 5. Februar 2014 - 1 StR 706/13, wistra 2014, 283).

2. Mit Blick auf das hier beobachtete Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Gericht bei dem Verständigungsvorschlag einen Strafrahmen, also eine Strafobergrenze und eine Strafuntergrenze, angeben muss (vgl. BGH, Urteile vom 17. Februar 2011 - 3 StR 426/10, NStZ 2011, 648, und vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, StV 2013, 741), entgegen der Anfrage von Rechtsanwalt P. am siebten Hauptverhandlungstag aber nicht verpflichtet ist, dem Angeklagten auch mitzuteilen, welche Strafe bei einem Schuldspruch nach "streitiger Hauptverhandlung" in Betracht kommen könnte (BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671; Beschluss vom 11. November 2014 - 3 StR 497/14).

Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch Gelegenheit haben, dem gegen die Strafzumessung gerichteten Einwand des Generalbundesanwalts, der an das in dubio pro reo anzunehmende Vorliegen eines untauglichen Versuchs anknüpft, Rechnung zu tragen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 4 StR 563/98, NStZ-RR 1999, 101, 102).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 391

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 358

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel