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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 51

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 311/20, Beschluss v. 06.10.2020, HRRS 2021 Nr. 51


BGH 2 StR 311/20 - Beschluss vom 6. Oktober 2020 (LG Limburg)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge Rohopium oder Rauchopium).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwertes eines Betäubungsmittels ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen. Bei Opium besteht die Besonderheit, dass es nicht nur als Rohstoff ein Betäubungsmittel darstellt. Es dient auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Opium-Alkaloiden, wie zum Beispiel Morphin, Kodein oder Papaverin. Dementsprechend gilt die Festlegung des Bundesgerichtshofs, dass bei einer überwiegend intravenös injizierten Morphinzubereitung ein Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen ist, aufgrund der divergierenden Applikationsformen nicht für alle Opiumprodukte. Denn die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich etwa bei einem oralen Konsum signifikant von einer intravenösen Zuführung.

2. Für die Festlegung eines Grenzwerts ist daher maßgeblich, ob Rohopium, das auch gegessen, getrunken oder geraucht werden kann, oder eine gefährlichere Verarbeitungsform wie beispielsweise Rauchopium oder Rohmorphin Gegenstand des Handelns war. Denn für die Gefährlichkeit der Dosis kommt es auf die Wirkmenge an, die bei der regelmäßig zu erwartenden Darreichungsform auf den Konsumenten einwirkt.

3. Für die Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge Rohopium oder Rauchopium im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG existiert bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 14. Mai 2020, auch soweit es die Mitangeklagten S. und K. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, die nicht revidierenden Mitangeklagten S. und K. wegen desselben Schuldspruchs zu Freiheitsstrafen von vier Jahren und neun Monaten bzw. fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen transportierten die drei Angeklagten im Auftrag eines im Iran ansässigen Hintermannes gemeinschaftlich 18.940 g „Opium“ mit einem Wirkstoffgehalt von 1.345,72 g Morphinhydrochlorid in drei LKWs aus dem Iran nach Deutschland, wo sie dieses im Auftrag des Hintermannes an dessen Abnehmer übergeben und die Kaufpreise entgegennehmen sollten. Sie wurden nach erfolgter Einreise bei der Übergabe einer Teilmenge in L. festgenommen. Das Rauschgift war fast ausschließlich für hier lebende „iranisch-stämmige“ Personen bestimmt, die das „Opium“ als ein Kulturgut ansehen.

Für die Bemessung des Schuldumfangs ist die Strafkammer von einer 299-fachen Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ausgegangen, wobei sie ihrer Wertung einen Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für das transportierte und gehandelte „Opium“ zugrunde gelegt hat.

2. Während die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Urteilsgründen bleibt offen, auf welcher Grundlage die Strafkammer festgelegt hat, dass 4,5 g Morphinhydrochlorid bei den sichergestellten Betäubungsmitteln eine nicht geringe Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darstellen.

a) Nach der in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwertes eines Betäubungsmittels ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 StR 233/18, StV 2019, 338; Urteile vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, NStZ-RR 2017, 45; vom 5. November 2015 - 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37, 38; vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10; BGHSt 57, 60, 63 f.; Senat, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 95 f.). Bei Opium besteht die Besonderheit, dass es nicht nur als Rohstoff ein Betäubungsmittel darstellt. Es dient auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Opium-Alkaloiden, wie zum Beispiel Morphin, Kodein oder Papaverin (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., Stoffe, Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 160). Dementsprechend gilt die Festlegung des Bundesgerichtshofs, dass bei einer überwiegend intravenös injizierten Morphinzubereitung ein Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179 ff.), aufgrund der divergierenden Applikationsformen nicht für alle Opiumprodukte (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29a Rn. 99). Denn die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich etwa bei einem oralen Konsum signifikant von einer intravenösen Zuführung (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, aaO, 46).

Für die Festlegung eines Grenzwerts ist daher maßgeblich, ob Rohopium, das auch gegessen, getrunken oder geraucht werden kann (vgl. zu den Konsumformen des Opiums Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Stoffe Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 172; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 615; Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl., Opium), oder eine gefährlichere Verarbeitungsform wie beispielsweise Rauchopium (vgl. Patzak, in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Rn. 168) oder Rohmorphin (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Rn. 179) Gegenstand des Handelns war. Denn für die Gefährlichkeit der Dosis kommt es auf die Wirkmenge an, die bei der regelmäßig zu erwartenden Darreichungsform auf den Konsumenten einwirkt (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, aaO, 45; Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, aaO, 180).

b) Hieran gemessen ist der von der Strafkammer zur Ermittlung des Schuldgehalts zugrunde gelegte Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG nicht belegt. Die Urteilsgründe lassen offen, welches Opiumprodukt dem festgestellten Tatgeschehen zugrunde lag. Der Inhalt des Gutachtens des Hessischen Landeskriminalamts, das neben der Menge und dem Wirkstoffgehalt auch die Art der sichergestellten Betäubungsmittel zum Gegenstand hat, wird nicht mitgeteilt. Ob dem Gutachten auch Ausführungen zur Festlegung eines Grenzwertes für die sichergestellten Betäubungsmittel zu entnehmen sind, bleibt offen (vgl. ? bezogen auf die Festlegung des Grenzwertes ? zum Darstellungserfordernis bei nicht standardisierten Sachverständigengutachten Senat, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 2 StR 391/19, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 25. April 2019 - 1 StR 427/18, NStZ 2020, 294, 297; Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106, 107, jeweils mwN; vgl. auch KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 267 Rn. 13, jeweils mwN). Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die Strafkammer der Verurteilung des Angeklagten einen zu großen Schuldgehalt zugrunde gelegt hat.

c) Der Rechtsfehler lässt den Schuldspruch unberührt. Angesichts der sichergestellten Betäubungsmittel mit einer Gesamtmenge von 1.345,72 g Morphinhydrochlorid ist, unabhängig von der exakten Bemessung des Grenzwerts für die hier eingeführten und gehandelten Betäubungsmittel, eine nicht geringe Menge im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zweifelsfrei belegt (vgl. zum Grenzwert der nicht geringen Menge von Morphinhydrochlorid in Schlafmohnkapseln BGH, Urteil vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, aaO, 45 f.).

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs ist auf die beiden Mitangeklagten zu erstrecken (§ 357 StPO). Die sie betreffenden Strafzumessungserwägungen sind von dem identischen Rechtsfehler betroffen (vgl. Fehleridentität bei Strafzumessungserwägungen Senat, Beschluss vom 2. Juli 2015 - 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525, 3527; BeckOK/StPO-Wiedner, 38. Ed., § 357 Rn. 13; LR-StPO/ Franke, 26. Aufl., § 357 Rn. 22).

4. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:

a) Sollte es sich bei den gehandelten Betäubungsmitteln um Rohopium oder Rauchopium handeln, wird der neue Tatrichter für die Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auf keine höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreifen können. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2011 (3 StR 380/11), der Rauchopium betraf, legt keinen Grenzwert fest.

Die Annahme des Landgerichts Köln in einem Beschluss vom 17. März 1992 (StV 1993, 529 ff.) und - ihr folgend - des Oberlandesgerichts Köln in einem Urteil vom 15. März 1994 (StV 1995, 306), nach denen der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bei Opium, das geraucht werden soll, bei 6 g Morphinhydrochlorid liegen soll (kritisch Cassardt, NStZ 1995, 257, 258), erscheint nicht unbedenklich. Das Landgericht Köln hat den Grenzwert der nicht geringen Menge für Opium zwar anhand der grundsätzlich anerkannten Berechnungsmethode aus dem Produkt der durchschnittlichen Konsumeinheit und einer insbesondere an der akuten und chronischen Toxizität sowie des Suchtpotentials des Rauschmittels orientierten Maßzahl (vgl. hierzu Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29a Rn. 49 ff.), jedoch gänzlich ohne wissenschaftlich fundierte Tatsachenbasis ermittelt. Ob ein an wissenschaftlichen - vornehmlich toxikologischen ? Kriterien orientierter Grenzwert für Opium, das geraucht werden soll, über oder unter dem vom Landgericht Köln im Jahr 1992 angenommenen Maß von 6 g Morphinhydrochlorid liegt, ist damit offen.

b) Der neue Tatrichter wird daher zunächst gehalten sein, genauer als bisher die Art des eingeführten und gehandelten Rauschgifts festzustellen. Er wird sodann ? mit sachverständiger Hilfe ? nach den eingangs geschilderten Maßstäben einen Grenzwert für das hier verfahrensgegenständliche Betäubungsmittel unter Berücksichtigung der regelmäßigen Konsumgewohnheiten zu ermitteln haben.

5. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen. Diese dürfen zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 51

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 17

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner