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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 42

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 542/16, Urteil v. 08.11.2017, HRRS 2018 Nr. 42


BGH 2 StR 542/16 - Urteil vom 8. November 2017 (LG Rostock)

Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung (Voraussetzungen).

§ 268 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen in Betracht (vgl. BGHSt 25, 333, 336). Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 119, 120).

2. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten - auch ohne Berichtigung - klar zu Tage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist. Es muss darüber hinaus eindeutig und zweifelsfrei erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Hinsichtlich der Frage einer möglichen Berichtigung der mündlich verkündeten Urteilsformel kann insoweit auch die mündliche Urteilsbegründung Berücksichtigung finden. In Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die - anders als die schriftlichen Urteilsgründe - bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, ist bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten (vgl. BGHSt 3, 245, 247).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 14. Dezember 2015 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten der „Beihilfe zum bandenmäßigen Betrug in 18 Fällen“ sowie der „Beihilfe zum versuchten bandenmäßigen Betrug in 7 Fällen“ schuldig gesprochen. Ausweislich des durch die Sitzungsniederschrift bewiesenen Urteilstenors hat es den Angeklagten deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nachdem der Angeklagte Revision eingelegt hatte, hat die Strafkammer den Urteilstenor wegen „offensichtlichen Schreibversehens“ dahin berichtigt, dass der Angeklagte „unter Einbeziehung der Einzelfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Demmin vom 07.01.2015 (Az.: ) und Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten“ mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt sei. In die schriftlichen Urteilsgründe hat das Landgericht den Urteilstenor in dieser berichtigten Fassung aufgenommen und die nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe in den Urteilsgründen näher begründet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die gesondert verfolgten M. und B. gründeten Mitte des Jahres 2011 die S. GmbH, die sich mit der Errichtung von Photovoltaikanlagen beschäftigte und die Arbeitskräfte benötigte. Die gesondert verfolgten M. und B. bewegten den Angeklagten T., der zu diesem Zeitpunkt von Sozialleistungen lebte und über keinerlei wirtschaftliche Erfahrung verfügte, dazu, gegen eine Entlohnung in Höhe von monatlich 1.000 € die Geschäftsführung der Firma pro forma zu übernehmen. Tatsächlich wurde die Firma von den gesondert verfolgten M. und B. geleitet. Der gesondert verfolgte M. kam in der Folgezeit auf die Idee, Gelder der öffentlichen Hand für die Vermittlung der von der S. GmbH benötigten Arbeitskräfte zu erlangen. Zu diesem Zweck veranlasste er seine Lebensgefährtin, die gesondert verfolgte Me., dazu, ein Gewerbe als private Arbeitsvermittlerin anzumelden. Diese meldete unter dem 30. Juni 2011 ein Unternehmen“ C. Me.“ an. Darüber hinaus veranlasste er die an einer Tätigkeit bei der S. GmbH interessierten Personen, die er selbst ebenso wie der gesondert verfolgte B. und der Angeklagte T. als Arbeitnehmer anwarb, dazu, sich von dem für sie zuständigen Jobcenter einen Arbeitsvermittlungsgutschein ausstellen zu lassen, der - ebenso wie ein von den Mitarbeitern beiläufig unterschriebener „Arbeitsvermittlungsvertrag“ zwischen ihnen und der C. Me. - an die gesondert verfolgte Me. weitergereicht werden sollte. Tatsächlich hatte keiner der Arbeitnehmer der S. GmbH Kontakt zu der gesondert verfolgten Me., die auch im Übrigen keine Vermittlungstätigkeit entfaltete.

Der Angeklagte T. stellte in den verfahrensgegenständlichen Fällen für die im Einzelnen aufgeführten Arbeitnehmer eine Bescheinigung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der S. GmbH aus und bestätigte auf einem eigens dafür vorgesehenen Formblatt außerdem, dass die Einstellung auf der Vermittlung durch die gesondert verfolgte Me. beruhe, obwohl dies - wie er wusste - nicht den Tatsachen entsprach. In den verfahrensgegenständlichen 25 Fällen reichte die gesondert verfolgte Me. Vermittlungsgutscheine, Vermittlungsverträge und die von dem Angeklagten T. unterzeichneten Arbeitgeberbestätigungen der S. GmbH bei den zuständigen Jobcentern und Arbeitsagenturen ein, täuschte so eine angebliche Vermittlungsleistung vor und erhielt in 18 Fällen zwischen dem 30. Mai 2012 und dem 16. August 2012 jeweils Vermittlungsprovisionen in Höhe von 1.000 € ausgezahlt, auf die sie - wie sie wusste - keinen Anspruch hatte. In sieben weiteren Fällen kam es nicht zu einer Auszahlung der Vermittlungsprovisionen, weil die zuständigen Behörden misstrauisch geworden waren.

2. Das Landgericht hat angenommen, dass die gesondert verfolgten Angeklagten M. und Me. des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs und der gesondert verfolgte B. ebenso wie der Angeklagte T. der Beihilfe hierzu schuldig seien. Feststellungen zu den exakten Zeitpunkten der jeweiligen Beihilfehandlungen des Angeklagten T. hat das Landgericht nicht getroffen. Es hat angenommen, dass die einzelnen Taten im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehen und hat in sämtlichen Fällen Einzelstrafen in Höhe von sechs Monaten verhängt.

II.

Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die Formalrüge einer Verletzung der Urteilsabsetzungsfrist (§ 338 Nr. 7 StPO) bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführten Gründen ohne Erfolg.

2. Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Überprüfung des angegriffenen Urteils bleibt zum Schuldspruch sowie zum Ausspruch über die Einzelstrafen ohne Erfolg.

a) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Beihilfe zum Betrug (§§ 263 Abs. 3, 27 StGB) bzw. wegen Beihilfe zum versuchten Betrug (§§ 263 Abs. 3, 22, 27 StGB).

Entgegen der Auffassung der Revision, die sich mit urteilsfremdem Vorbringen gegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite wendet, ist der Gehilfenvorsatz des Angeklagten tragfähig belegt. Insoweit genügt es, dass der Gehilfe davon ausgeht, dass er dem Haupttäter ein entscheidendes Tatmittel willentlich an die Hand gibt und damit bewusst das Risiko erhöht, dass eine gerade durch den Einsatz dieses Mittels geförderte Haupttat verübt wird (BGH, Urteil vom 18. April 1996 - 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 138). Das Landgericht hat sich - auch unter Berücksichtigung des Geständnisses des Angeklagten - rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte wusste, dass die gesondert verfolgte Me. tatsächlich keine Vermittlungsleistungen erbrachte und er ihr mit den wahrheitswidrig ausgestellten Bescheinigungen ein Mittel in die Hand gab, um in der Folgezeit die Vermittlungsprovisionen zu Unrecht zu erlangen.

b) Auch die Strafzumessung hält rechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat zunächst geprüft, ob sich die Tat des Gehilfen als ein besonders schwerer Fall des Betrugs darstellt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 36/15; NStZ-RR 2016, 205; BGH, Beschluss vom 31. Juli 2012 - 5 StR 188/12, NStZ-RR 2012, 342, 343). Es hat dies mit zwar knapper, aber noch tragfähiger Begründung abgelehnt und den Strafrahmen sodann gemäß §§ 27, 49 StGB gemildert. Eine - weitere - Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 22, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB in den sieben Versuchsfällen hat das Landgericht mit tragfähiger Begründung abgelehnt. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne begegnet keinen Bedenken.

3. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe kann bereits aus formalen Gründen keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat in den Urteilsgründen zur Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten ausgeführt, es habe diese aus den verfahrensgegenständlichen 25 Einzelstrafen sowie unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Demmin vom 7. Januar 2015 im Wege nachträglicher Gesamtstrafenbildung gebildet.

Dies steht nicht im Einklang mit dem in der Hauptverhandlung verkündeten Urteilstenor, wonach eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten allein aus den verfahrensgegenständlichen Einzelstrafen gebildet worden ist.

Zwar weist die in die Urteilsurkunde aufgenommene Urteilsformel die Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Demmin vom 7. Januar 2015 im Wege nachträglicher Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) aus. Dies beruht jedoch auf dem - undatierten - Berichtigungsbeschluss des Landgerichts, der unzulässig und damit unwirksam ist. Maßgeblich ist damit die durch die Sitzungsniederschrift bewiesene Urteilsformel, wonach der Angeklagte wegen der verfahrensgegenständlichen Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt ist.

a) Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen in Betracht (BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 - 1 StR 508/52, BGHSt 5, 9; Beschluss vom 28. Mai 1974 - 4 StR 633/73, BGHSt 25, 333, 336; Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119, 120; Beschluss vom 11. April 2017 - 2 StR 345/16, NStZ-RR 2017, 212, 213). Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist (Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119, 120).

Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten - auch ohne Berichtigung - klar zu Tage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 113/17, StraFo 2017, 373, 374; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. § 268 Rn. 10; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 268 Rn. 17; LR/Stuckenberg, 26. Aufl., § 268 Rn. 48). Es muss darüber hinaus eindeutig und zweifelsfrei erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Hinsichtlich der Frage einer möglichen Berichtigung der mündlich verkündeten Urteilsformel kann insoweit auch die mündliche Urteilsbegründung Berücksichtigung finden (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 10 mwN). In Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die - anders als die schriftlichen Urteilsgründe - bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, ist bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 5 StR 480/52, BGHSt 3, 245, 247).

b) Gemessen hieran lagen die Voraussetzungen für die vom Landgericht vorgenommene Berichtigung der Urteilsformel nicht vor. Die ausweislich der Sitzungsniederschrift mündlich verkündete Urteilsformel lässt einen offensichtlichen Fehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit nicht erkennen. Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein bloßes und offensichtliches Verkündungsversehen vorlag. Dies gilt auch in Ansehung der vom Landgericht in seinem Berichtigungsbeschluss angeführten Umstände, dass die (nachträgliche) „Gesamtstrafenbildung […] Gegenstand der Verfahrensverständigung und der Kammerberatung“ gewesen und „dementsprechend auch in der mündlichen Urteilsbegründung ausgeführt“ worden ist.

c) Die Unwirksamkeit der Berichtigung des Urteilstenors nach Abschluss der Urteilsverkündung führt dazu, dass der Berichtigungsbeschluss im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - 3 StR 3/15, juris; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 440/10, juris; Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 310/90, NStZ 1991, 195).

4. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Entscheidung über die Bildung einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO in das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zu verweisen.

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

Neben der Höhe der einzubeziehenden Einzelstrafen aus der Vorverurteilung sind in der Regel auch die zugrundeliegenden Taten sowie die wesentlichen Strafzumessungserwägungen in den Urteilsgründen darzulegen, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung dieses Strafzumessungsakts zu ermöglichen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juni 1997 - 2 StR 134/97, juris; Beschluss vom 6. Juni 2017 - 2 StR 536/16, juris; BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13, juris; Beschluss vom 8. Februar 2011 - 4 StR 658/10, juris; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 55 Rn. 34).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 42

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 58 ; StV 2019, 91

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede