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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 323

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 180/17, Urteil v. 17.01.2018, HRRS 2018 Nr. 323


BGH 2 StR 180/17 - Urteil vom 17. Januar 2018 (LG Darmstadt)

Rechtmäßigkeit von doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei (kein Vorrang der strafprozessualen Eingriffsbefugnisse; Verwertbarkeit gewonnener Beweismittel); Durchsuchung (Richtervorbehalt: Vorliegen von Gefahr im Verzug); bewaffnetes Beschaffen von Betäubungsmitteln (Voraussetzungen des Sichverschaffens: Erlangen der tatsächlichen Verfügungsgewalt).

§ 161 Abs. 2 Satz 1 StPO; § 102 StPO; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wenn eine Maßnahme sowohl der Gewinnung von Beweismitteln als auch der Gefahrenabwehr dient, besteht grundsätzlich kein Vorrang strafprozessualer Eingriffsbefugnisse. Polizeibehörden dürfen daher auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist dann ausschließlich nach den gefahrenabwehrrechtlichen Voraussetzungen zu beurteilen. Die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH NJW 2017, 3173 Rn. 37 ff.).

2. Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. BVerfGE 103, 142, 154). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (vgl. BGHSt 51, 285, 288 f.).

3. Ein bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt wie der Erwerb voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen

a) im Fall II.2. der Urteilsgründe und

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.1 der Urteilsgründe) und wegen unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen eines Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen stand der Angeklagte im Verdacht, der Drogenlieferant des gesondert verfolgten D. zu sein. Am 4. August 2016 wurde den Ermittlungsbehörden bekannt, dass D. ein größeres Drogengeschäft plante. Gegen 14.45 Uhr rief dieser den Angeklagten an und zitierte ihn zu seinem Garten in M. bei O., wo der Angeklagte um 15.35 Uhr eintraf. Das Treffen wurde polizeilich observiert. Nach Verlassen des Gartens gegen 16.26 Uhr verstaute der Angeklagte im hinteren rechten Bereich seines Fahrzeugs einen Gegenstand. In diesem Moment kam bei den Polizeieinsatzkräften, die bislang davon ausgegangen waren, es handle sich bei dem Angeklagten um den Drogenlieferanten des D., der Verdacht auf, D. habe dem Angeklagten in seinem Garten Rauschgift übergeben. Die Einsatzleiterin, Kriminaloberkommissarin Dö., ordnete daraufhin wegen Gefahr im Verzug an, das Fahrzeug des Angeklagten zu verfolgen und zu durchsuchen, bevor die vermeintlichen Drogen in Umlauf gelangen könnten. Um das aus ihrer Sicht höherrangige Verfahren gegen D. nicht zu gefährden, erteilte sie die Weisung, dem Angeklagten vorzuhalten, er werde aufgrund einer Personen- und Fahrzeugbeschreibung im Rahmen eines Raubdelikts angehalten. Nachdem es dem Angeklagten zunächst gelungen war, sich durch verkehrswidriges Fahrverhalten kurzzeitig der polizeilichen Verfolgung zu entziehen, wurde sein PKW gegen 17.00 Uhr auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants festgestellt. Der Angeklagte befand sich zu diesem Zeitpunkt in dem Restaurant. Unter dem Vorwand, es handele sich um eine Routineüberprüfung betreffend ein kürzlich begangenes Raubdelikt, wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten Z. und M. kontrolliert und sein Kraftfahrzeug durchsucht. Dabei wurden im hinteren rechten Fondbereich 86,82 Gramm Kokain mit einem Anteil an Kokainhydrochlorid von 67,5 % (58,47 Gramm) aufgefunden. Der Angeklagte hatte dieses am Nachmitttag desselben Tages von dem gesondert verfolgten D. auf Kommission zu einem Preis von 40 € pro Gramm erhalten und beabsichtigte, es für 60 € pro Gramm weiterzuverkaufen. Eine Dokumentation der Gründe für das Vorliegen von Gefahr im Verzug erfolgte nicht.

2. Aufgrund dieses Rauschgiftfunds beantragte Kriminaloberkommissarin Dö. unter Einbindung des zuständigen Staatsanwalts bei dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Offenbach am Main den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Angeklagten in F. Gegen 17.42 Uhr ordnete der Ermittlungsrichter die Durchsuchung mündlich an. Eine vorherige Anhörung des Angeklagten unterblieb, um das polizeiliche Vorgehen nicht zu gefährden.

Der Durchsuchungsbeschluss wurde noch am 4. August 2016 vollzogen. Dabei wurden in der Wohnung des Angeklagten 9.874,6 Gramm Cannabisharz mit einem THC-Anteil von 22,6 % (2.231,7 Gramm), 1.001,8 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 11,2 % (112,2 Gramm), 1.006,2 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 11,9 % (119,7 Gramm), 493,9 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 12,7 % (62,7 Gramm), 1.461,7 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 12,8 % (187,1 Gramm) sowie 102,54 Gramm Kokain mit einem Anteil an Kokainhydrochlorid von 72,1 % (73,93 Gramm) aufgefunden. Den überwiegenden Teil des Rauschgifts, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, verwahrte der Angeklagte in seinem Schlafzimmer, geringe Mengen auf dem Wohnzimmertisch. Dort befanden sich auch diverse Klarsichttüten als Verpackungsmaterial für Drogen sowie ein Zettel mit zahlreichen Namen und Telefonnummern. Auf einem Regalschrank im Wohnzimmer neben dem Wohnzimmertisch lag griffbereit eine gefüllte und funktionsfähige Dose Pfefferspray, die der Angeklagte im Jahr 2013 erworben hatte und dort aufbewahrte, um sich und seinen Betäubungsmittelbestand zu schützen. Im Kleiderschrank des Angeklagten wurde ferner ein Bargeldbetrag in Höhe von 4.000 € sowie in einer Gürteltasche des Angeklagten ein weiterer Bargeldbetrag in Höhe von 640 € aufgefunden und sichergestellt.

Der Angeklagte hatte die in seiner Wohnung aufgefundenen Drogen sowie 4.000 € Bargeld am 31. Juli 2016 von einem Unbekannten, dessen Identität die Kammer nicht klären konnte, zur Aufbewahrung erhalten. Als Entlohnung für seine Verwahrtätigkeit sollte der Angeklagte von dem Unbekannten 10 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum sowie 1.000 € erhalten.

3. Das Landgericht stützt seine Feststellungen im Wesentlichen auf das umfassende Geständnis des Angeklagten und die Aussagen der ermittelnden Polizeibeamten. Zu Art, Menge und Qualität des im Fahrzeug und in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen und sichergestellten Rauschgifts hat die Strafkammer das Betäubungsmittelgutachten des Hessischen Landeskriminalamts vom 26. September 2016 verlesen.

Der Angeklagte hat der Verwertung von Beweismitteln, die mit der Durchsuchung seines Kraftfahrzeuges und seiner Wohnung im Zusammenhang stehen, in der Hauptverhandlung widersprochen.

II.

Die Revision des Angeklagten führt in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zum Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Der Schuld- und Strafausspruch im Fall II.1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung der §§ 102, 105 StPO hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat seine Feststellungen auf das umfassende Geständnis des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung gestützt, dem zu diesem Zeitpunkt die Hintergründe der gegen ihn durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen bereits bekannt waren. Lediglich die Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des sichergestellten Kokains beruhen auf der im Anschluss an die Durchsuchung des Fahrzeugs erfolgten Sicherstellung und Untersuchung des Rauschgifts. Aber auch insoweit besteht kein Verwertungsverbot:

Die durch die Einsatzleiterin Dö. angeordnete Durchsuchung des PKW war rechtmäßig. Sie hat ihre Kollegen angewiesen, „die Verfolgung des Angeklagten aufzunehmen und aufgrund von Gefahr im Verzug, bevor die vermeintlichen Drogen in Umlauf gelangten, den Angeklagten anzuhalten und ihn zu durchsuchen.“ Während die Intention, das Inverkehrbringen der Drogen zu verhindern, für eine präventive Maßnahme spricht, deutet die Annahme von Gefahr im Verzug auf repressives Handeln hin.

Wenn eine Maßnahme - wie hier - sowohl der Gewinnung von Beweismitteln als auch der Gefahrenabwehr dient, besteht grundsätzlich kein Vorrang strafprozessualer Eingriffsbefugnisse. Polizeibehörden dürfen daher auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist dann ausschließlich nach den gefahrenabwehrrechtlichen Voraussetzungen zu beurteilen. Die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO (Senat, Urteil vom 26. April 2017 - 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173 Rn. 37 ff.). Letztlich kann die rechtliche Einordnung der Maßnahme hier dahingestellt bleiben, da sowohl die gefahrenabwehrrechtlichen als auch die strafprozessualen Voraussetzungen für die Durchsuchung des PKWs gegeben waren.

aa) Die Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsgrundlage des § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG (i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 HSOG bzw. § 40 Nr. 1 und 4 HSOG) lagen zum Zeitpunkt der Durchsuchung vor. Aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen und der Observation des Treffens des Angeklagten mit dem gesondert Verfolgten D. waren aus Sicht der handelnden Polizeibeamten tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Angeklagte in seinem Fahrzeug Drogen, mithin (verbotene) Gegenstände im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG (i.V.m. § 40 Nrn. 1 und 4 HSOG) mit sich führte, von denen eine erhebliche Gefahr für die Volksgesundheit ausging. Einer vorherigen richterlichen Anordnung bedurfte es nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht. Da die Erkenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung der Aufklärung einer „schweren Straftat“ im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO dienten, aufgrund derer eine Durchsuchung nach der Strafprozessordnung ohne weiteres hätte angeordnet werden dürfen, liegen auch die Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO vor.

bb) Die Durchsuchung des Kraftfahrzeuges des Angeklagten war auch als repressive Maßnahme zulässig. Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt ist nicht zu besorgen. Die Annahme von Gefahr im Verzug hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 154; Senat, Urteil vom 6. Oktober 2016 - 2 StR 46/15, BGHSt 61, 266, 273; BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 jeweils mwN). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288 f.).

Dieser Zeitpunkt war vorliegend gegeben, als der Angeklagte den Garten des anderweitig Verfolgten D. überraschend mit einem Päckchen verließ. Erst zu diesem Zeitpunkt war bei den observierenden Beamten, die bislang davon ausgingen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen Drogenlieferanten des D., der Verdacht aufgekommen, D. seinerseits habe dem Angeklagten Drogen übergeben (vgl. zur nicht vorhersehbaren Aufgreifsituation: Löwe-Rosenberg/Tsambikakis, StPO, 26. Aufl., § 105 Rn. 87). Da eine unverzügliche Weitergabe der vermeintlichen Drogen durch den Angeklagten zu befürchten war, ist die Annahme von Gefahr im Verzug rechtlich nicht zu beanstanden. Die mangelnde Dokumentation der Dringlichkeit der Maßnahme ist hier unbeachtlich, da die Beschreibung der tatsächlichen Umstände das Vorliegen von Gefahr im Verzug als evident erscheinen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637, 1639; Senat, Beschluss vom 15. März 2017 - 2 StR 23/16, NStZ 2017, 713). Die kurzzeitige Flucht des Angeklagten führte zu keiner Zäsur der kurz zuvor rechtmäßig angeordneten Maßnahme (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2017 - 2 StR 23/16, aaO).

b) Soweit der Angeklagte beanstandet, die Staatsanwaltschaft habe gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und -klarheit verstoßen, weil zum Zeitpunkt der Anklageerhebung der Akteninhalt suggeriert habe, bei der Durchsuchung des Kraftfahrzeuges habe es sich um eine zufällige Maßnahme gehandelt und die wesentlichen Unterlagen, aus denen sich der tatsächliche Hintergrund der Durchsuchung ergebe, seien erst drei Tage nach Anklageerhebung durch die Polizei übersandt worden, handelt es sich der Sache nach um die Rüge des fairen Verfahrens (vgl. Senat, Urteil vom 26. April 2017 - 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173, 3178 f.). Unschädlich ist, dass der Beschwerdeführer den verletzten Verfahrensgrundsatz nicht explizit benennt. Denn die Angriffsrichtung - hier die Beeinträchtigung der Verteidigung durch die Zurückhaltung von für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Informationen - ergibt sich noch ausreichend aus dem Revisionsvorbringen (vgl. Senat, Urteil vom 29. November 1989 - 2 StR 264/89, NJW 1990, 584, 585; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 34). Jedoch führt hier bereits widersprüchlicher Tatsachenvortrag zur Unzulässigkeit der Rüge (BGH, Beschluss vom 28. August 1997 - 1 StR 291/97, NStZ 1998, 52; Urteil vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN). So macht die Revision geltend, die Verfahrensakte sei, nachdem der staatsanwaltschaftliche Sachbearbeiter auf Blatt 172 ff. der Akte den Abschluss der Ermittlungen vermerkt habe, dem Gericht ohne Hinweis auf das Hintergrundverfahren und den tatsächlich der Durchsuchung des Kraftfahrzeugs zugrundeliegenden Sachverhalt vorgelegt worden. An späterer Stelle teilt sie hingegen mit, auf Blatt 112 der Verfahrensakten finde sich eine Dokumentation des durch die Kriminalpolizei kontaktierten Bereitschaftsrichters vom 4. August 2016 folgenden Inhalts:

„Am 4.8. um ca. 18 h rief K 34 an und teilte folgenden Sachverhalt mit: Der Beschuldigte K., geb., wh S. str. in F. wurde bereits abgehört, er sei bei einem BtM-Geschäft beobachtet, danach kontrolliert worden, in seinem Fzg. sei 89 gr. Kokain gefunden worden, der StA von der StA DA hat Durchsuchung seiner Wohnräume in F. beantragt.“ Aus diesem Vermerk ergibt sich eindeutig, dass der Durchsuchung des Kraftfahrzeuges strafprozessuale Maßnahmen gegen den Angeklagten vorangegangen waren, was auch der Verteidigung aufgrund entsprechender Akteneinsicht bekannt gewesen sein muss.

c) Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Fall II.1 der Urteilsgründe keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

2. Hingegen hält die Verurteilung des Angeklagten in Fall II.2. der Urteilsgründe wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf die Sachrüge hin rechtlicher Nachprüfung nicht stand, sodass es insoweit auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

Die Feststellungen des Landgerichts zum Umgang des Angeklagten mit den in seiner Wohnung aufgefundenen Drogen sind widersprüchlich.

So stellt die Kammer einerseits fest, der Angeklagte habe die in seiner Wohnung sichergestellten Betäubungsmittel zum überwiegenden Teil aufbewahrt, um durch eine „Bunkerhaltung“ den Betäubungsmittelhandel eines unbekannt gebliebenen Hintermanns zu fördern. Lediglich 10 Gramm Marihuana sowie 1.000 € Bargeld habe er als Entlohnung für seine Hilfeleistungen erhalten. In Widerspruch dazu führt die Kammer an anderer Stelle aus, der Angeklagte habe die Drogen in seiner Wohnung zum gewinnbringenden Weiterverkauf gelagert; ferner habe er eine Dose Pfefferspray wissentlich in seinem Wohnzimmer aufbewahrt, um sich und seinen Betäubungsmittelbestand zu schützen; Verkaufsverhandlungen und Absatzbemühungen hinsichtlich der Drogen hätten im Wohnzimmer stattgefunden.

Damit bleibt unklar, ob der Tatrichter seinen rechtlichen Bewertungen zugrunde gelegt hat, dass der Angeklagte in seinem Wohnzimmer selbst Betäubungsmittel verkaufte, er seine Wohnung dem unbekannten Hintermann zum Verkauf des Rauschgifts zur Verfügung stellte oder sich seine Tätigkeit in einer reinen „Bunkerhaltung“ erschöpfte.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte der neue Tatrichter feststellen, die Tätigkeit des Angeklagten habe sich in einer „Bunkerhaltung“ für einen Dritten erschöpft, könnte neben einer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nicht jedoch ein bewaffnetes „Sichverschaffen“ gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 224/09, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2). Ein bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt wie der Erwerb voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen. Danach hätte sich der Angeklagte die verwahrten Betäubungsmittel nicht verschafft, wenn es ihm nicht freigestanden hätte, in irgendeiner Weise selbst über das Rauschgift zu verfügen. Allenfalls hinsichtlich des Anteils, welchen er von dem Unbekannten zum Eigenkonsum erhalten sollte, käme ein Sichverschaffen in Betracht (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1258 ff. mwN). Angesichts der bislang festgestellten Menge von 10 Gramm Marihuana wäre die Schwelle zur nicht geringen Menge indes nicht überschritten.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 323

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 146

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede