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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 496

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 23/16, Urteil v. 15.03.2017, HRRS 2017 Nr. 496


BGH 2 StR 23/16 - Urteil vom 15. März 2017 (LG Frankfurt a. M.)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Täterschaft des Empfängers der Betäubungsmittel im Inland).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr von Betäubungsmitteln diese eigenhändig ins Inland verbringt, vielmehr kann auch derjenige, der die Betäubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert, (Mit-)Täter der Einfuhr des unmittelbar handelnden Täters sein. Auch der im Inland aufhältige Empfänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch Dritte über die Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestandsverwirklichung fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen Einfluss auf den Einfuhrvorgang und wartet nur darauf, dass der Lieferant ihm die eingeführten Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar im Hinblick auf die Bestellung des Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar machen; die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel begründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Gehilfe der Einfuhr.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten M. und J. A. gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2015 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass jeweils ein Monat der verhängten Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. A. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten und den Angeklagten J. A. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es Einziehungs- und Verfallsentscheidungen getroffen.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fand am 1. September 2014 in R. ein Treffen zwischen dem Angeklagten J. A. und Ah., einem mutmaßlich in Belgien lebenden Betäubungsmittelhändler, statt. Dabei vereinbarten sie eine Rauschgiftlieferung von elf Kilogramm Heroinzubereitung, von denen drei Kilogramm für den Angeklagten selbst und weitere zwei Kilogramm für dessen mitangeklagten Bruder M. bestimmt waren. Beide Angeklagte wollten das Heroin gewinnbringend weiterverkaufen. Die restlichen sechs Kilogramm sollte der Angeklagte J. A. aus dem Kurierfahrzeug entnehmen, mit dem das Rauschgift nach Deutschland gebracht werden sollte. Anschließend sollte er es aufbewahren und im weiteren Verlauf an weitere Abnehmer übergeben. J. A. erhielt einen Fahrzeugschlüssel für das Kurierfahrzeug, um dieses öffnen zu können, ohne mit dem Kurierfahrer, dem nicht revidierenden Mitangeklagten Ar., in Kontakt zu treten. Ah. veranlasste die Verladung von 13 kleineren, mit schwarzer Folie und Klebeband umwickelter Pakete mit insgesamt 11.120,8 Gramm Heroinzubereitung in ein in das Fahrzeug eingebautes Schmuggelversteck. Danach übernahm Ar. den PKW von Ah. und fuhr am 2. September 2014 nach H., wo er das Fahrzeug auf dessen Weisung in der V. abstellte. Ar. informierte darüber Ah., der seinerseits den Angeklagten J. A. davon in Kenntnis setzte. Während Ar. am F. H. ein Zimmer nahm, verständigte J. A. seinen Bruder M. Gemeinsam fuhren sie am nächsten Morgen zu dem abgestellten Kurierfahrzeug, das sie gegen 6.00 Uhr bestiegen. Als sie losfahren wollten, erfolgte ihre Festnahme. Parallel dazu wurde Ar. gegen 6.20 Uhr in seinem Hotelzimmer festgenommen. Das Kurierfahrzeug wurde zugleich ins Polizeipräsidium verbracht und dort zunächst mit negativem Ergebnis durchsucht. Als ein Rauschgifthund anschlug, wurde eine für das Auffinden von Schmuggelverstecken spezialisierte Tatortgruppe angefordert, die gegen 10.50 Uhr das Versteck entdeckte.

In der persönlichen Habe des Angeklagten J. A. befanden sich u.a. ein funkgesteuerter Fahrzeugschlüssel für einen PKW der Marke Mini und ein Haus- und Wohnungsschlüssel. In den umliegenden Nebenstraßen wurde ein PKW Mini ausfindig gemacht, zu dem der bei dem Angeklagten gefundene Schlüssel passte. Eine auf Anordnung von G. erfolgte Durchsuchung des auf die Zeugin E. A. zugelassenen Fahrzeugs führte zur Sicherstellung von 2.800 €.

Gegen 10.20 Uhr informierte G. die Staatsanwaltschaft über den bislang ermittelten Sachverhalt, woraufhin diese die Durchsuchung der zwischenzeitlich ermittelten Wohnräume des Angeklagten M. A. wegen Gefahr im Verzug anordnete. Zugleich wurde vereinbart, dass mit dem bei J. A. aufgefundenen Haus- und Wohnungsschlüssel das Haus aufgesucht werden sollte, vor dem das durchsuchte Fahrzeug abgestellt war. Durch probeweise Schließvorgänge sollte die zu dem Schlüssel passende Wohnung lokalisiert und sodann ebenfalls wegen Gefahr im Verzug durchsucht werden.

In der Wohnung des Angeklagten M. A. wurden 277,54 Gramm Cannabisharz sowie eine Feinwaage und Verpackungsmaterial aufgefunden. In dem zur Wohnung gehörenden Briefkasten fanden die Durchsuchungskräfte 136,51 Gramm Heroinzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 8,46 Gramm.

Die bei J. A. aufgefundenen Wohnungsschlüssel führten zur Wohnung der Zeugin E. A., in der die Beamten einen Geldbetrag in Höhe von 2.470 € sicherstellten. Außerdem stießen sie auf zwei optisch einem Fahrzeugschlüssel ähnelnde Sendeeinheiten sowie Kaufverträge und Fahrzeugbriefe für zwei PKW der Marke Opel Astra. Diese auf unbekannte Halter zugelassenen Fahrzeuge konnten in der Nähe des Festnahmeorts aufgefunden werden. Sie wurden noch am 3. September 2014 auf das Sicherstellungsgelände der Polizei verbracht. Am 5. September 2014 ordnete G. ohne weitere Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Fahrzeuge an, da in diesen Betäubungsmittel vermutet wurden. Im Rahmen dieser Durchsuchung wurden baugleiche Schmuggelverstecke entdeckt, in denen sich zum einen 2.999,9 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffanteil von 421,9 Gramm Heroinhydrochlorid, 1.629,7 Gramm Cannabisharz mit einen Wirkstoffanteil von 36,42 Gramm THC und 51,45 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von 40,8 Gramm Kokainhydrochlorid und zum anderen 13,3 Gramm Kokainbase mit einem Wirkstoffgehalt von 5,92 Gramm befanden. Die Betäubungsmittel hatte der Angeklagte J. A. dort - zum gewinnbringenden Verkauf vorgesehen - gebunkert.

II.

Der Revision des Angeklagten M. A. bleibt der Erfolg weitgehend versagt.

1. Die mit Schreiben des Angeklagten vom 10. März 2017 erklärte Rücknahme der Revision entfaltet keine Wirkung. Sie ist erst am 16. März 2017 und damit nach Verkündung der Entscheidung durch den Senat beim Bundesgerichtshof eingegangen.

2. Der Schuldspruch ist frei von Rechtsfehlern; er beruht entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auf einer tragfähigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Das Landgericht hat zugunsten dieses Angeklagten berücksichtigt, dass er im Rahmen eines Haftprüfungstermins sowie im Verkündungstermin hinsichtlich eines erweiterten Haftbefehls zur Tataufklärung beigetragen hat, indem er die zunächst unter den Personalien B. angeklagte Person mehrfach glaubhaft als seinen Bruder bezeichnet und damit die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur tatsächlichen Identität des Angeklagten J. A. zumindest bestätigt hat. Einer Erörterung, ob diese vor Eröffnung des Hauptverfahrens liegende Aufklärungshilfe die Anwendung des § 31 BtMG rechtfertigt, bedurfte es auch angesichts ihres geringen Gewichts für die Aufdeckung der Tat nicht. Die Einwendungen des Beschwerdeführers im Übrigen zeigen keine Rechtsfehler auf. Sie beschränken sich auf eine eigene Würdigung der vom Landgericht in den Blick genommenen und vertretbar gewichteten Umstände der polizeilichen Überwachung und Sicherstellung der Betäubungsmittel.

4. Zur Kompensation der langen Dauer des Revisionsverfahrens ist anzuordnen, dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Das Revisionsverfahren hat aus Gründen, die der Angeklagte mit Blick auf Erkrankungen und urlaubsbedingte Abwesenheiten von beteiligten Richtern nicht zu vertreten hat, dreizehn Monate und damit auch unter Berücksichtigung des Umfangs der Sache zu lange gedauert.

III.

Auch die Revision des Angeklagten J. A. bleibt ohne Erfolg.

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch; dies gilt auch, soweit die Revision der Verwertung der durch die Durchsuchung des Kurierfahrzeugs aufgefundenen Beweismittel widersprochen hat. Die Durchsuchung des ins Polizeipräsidium verbrachten VW Passat nach der Festnahme der beiden Angeklagten war, nachdem G. erfolglos versucht hatte, einen Staatsanwalt zur Herbeiführung einer richterlichen Genehmigung zu erreichen, trotz mangelhafter Dokumentation durch die Annahme von Gefahr in Verzug gedeckt. Diese Durchsuchung dauerte noch an, als einige Zeit später um 10.50 Uhr eine spezialisierte Tatortgruppe die Rauschgiftverstecke ausfindig machte. Eine relevante Zäsur ist nicht dadurch eingetreten, dass die erste Nachschau erfolglos geblieben war. Denn nachdem ein Rauschgifthund angeschlagen hatte, war es nunmehr nicht vor Ort befindlichen Spezialisten überlassen, nach dem Rauschgiftversteck zu suchen. Ohne Bedeutung ist es insoweit im Übrigen, dass G. zwischenzeitlich den ermittelnden Staatsanwalt erreicht hatte, ohne mit ihm über die Durchsuchung des Kraftfahrzeugs zu sprechen. Eine Pflicht, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken, bestand für die Ermittler nicht.

2. Der Schuldspruch hält auch auf die Sachrüge hin rechtlicher Nachprüfung stand. Die Feststellungen belegen auch die Begehung einer täterschaftlichen Einfuhr durch den Angeklagten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr die Betäubungsmittel eigenhändig ins Inland verbringt, vielmehr kann auch derjenige, der die Betäubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert, (Mit-)Täter der Einfuhr des unmittelbar handelnden Täters sein. Voraussetzung ist aber, dass er dabei einen Tatbeitrag erbringt, der sich bei wertender Betrachtung nicht bloß als Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der zur Tatbestandsverwirklichung führenden Tätigkeit aller Mitwirkenden darstellt, und die Tathandlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Wesentliche in eine wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehende Anhaltspunkte für die Täterschaft sind dabei der Grad seines Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft und der Wille dazu. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist der Einfuhrvorgang selbst (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 4 StR 144/15; Beschluss vom 25. Februar 2015 - 4 StR 16/15, NStZ 2015, 346; Beschluss vom 31. März 2015 - 3 StR 630/14, StraFo 2015, 259, 260; Beschluss vom 27. Mai 2014 - 3 StR 137/14; Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 33 mwN). Auch der im Inland aufhältige Empfänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch Dritte über die Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestandsverwirklichung fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen Einfluss auf den Einfuhrvorgang und wartet nur darauf, dass der Lieferant ihm die eingeführten Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar im Hinblick auf die Bestellung des Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar machen; die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel begründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Gehilfe der Einfuhr (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16; siehe auch BGH, Urteil vom 19. April 1989 - 2 StR 688/88, NStZ 1989, 436).

Gemessen hieran ist die Annahme einer täterschaftlichen Einfuhr (noch) nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf den Transportweg und stand während der Fahrt auch nicht mit dem Kurierfahrer in Kontakt, der von dem Verkäufer Ah. den PKW mit dem verbauten Rauschgift übernommen hatte. Er war aber in die vorangegangene Organisation der Einfuhrfahrt maßgeblich eingebunden und hatte somit Einfluss auf wesentliche Modalitäten bei der Überführung der Betäubungsmittel nach Deutschland. Der PKW diente nach den Feststellungen des Landgerichts dem Mitangeklagten Ar. bereits zuvor als Fahrzeug für die Zusammenkunft mit J. A. Hinsichtlich des abgeurteilten Rauschgiftgeschäfts initiierte der Angeklagte am 31. August 2014 die Abholung des bis dahin in F. stehenden Kurierfahrzeugs, das - nach der Vereinbarung über die Lieferung der 11 Kilogramm vom 1. September 2014 - einen Tag später für den Transport nach Deutschland vorgesehen war. Dabei war J. A. das Schmuggelversteck, welches das Risiko einer Entdeckung beim Grenzübertritt minimieren sollte, bekannt; er wusste, wo das Fahrzeug abgestellt werden sollte (und wurde) und besaß einen Schlüssel, um es selbständig und allein öffnen zu können.

3. Auch der Strafausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

a) Dies gilt auch, soweit das Landgericht seiner Strafzumessung konkrete Wirkstoffmengen hinsichtlich der in den beiden PKW Opel Astra aufgefundenen Betäubungsmittelmengen zugrunde gelegt hat, obwohl es insoweit von der Rechtswidrigkeit der Fahrzeugdurchsuchung und von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen ist. Es ist hier nicht davon auszugehen, dass sich die rechtswidrige Verwertung der Erkenntnisse aus den zu den Wirkstoffmengen erstellten Gutachten des hessischen Landeskriminalamts zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Denn der Senat schließt auch mit Blick auf die Wirkstoffgehalte der übrigen sichergestellten Wirkstoffmengen aus, dass - hätte die Strafkammer insoweit eine Schätzung vorgenommen - dies zu für den Angeklagten günstigeren Werten geführt hätte.

b) Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts im Übrigen sind entgegen der Ansicht der Revision nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat zugunsten des Angeklagten sein Geständnis und darüber hinaus die Aufklärungshilfe zur Person des Ah. strafmildernd berücksichtigt. Mehr war, auch soweit der Angeklagte darüber hinaus die Mitangeklagten Ar. und seinen Bruder belastet hat, aus Rechtsgründen nicht vonnöten.

4. Auch hinsichtlich dieses Angeklagten war aus den schon genannten Gründen anzuordnen, dass ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 496

Externe Fundstellen: NStZ 2017, 713

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede