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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1052

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 389/13, Beschluss v. 29.10.2013, HRRS 2013 Nr. 1052


BVerfG 2 BvR 389/13 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 29. Oktober 2013 (LG Amberg / AG Amberg)

Durchsuchungsbeschluss (Anforderungen an den Tatverdacht: Anfangsverdacht und bloße Vermutungen; keine genaue Tatkonkretisierung erforderlich; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Erfolgsaussichten der Durchsuchung; kriminalistische Erfahrung).

Art. 13 Abs. 1 GG; § 102 StPO; § 105 StPO; § 152 Abs. 2 StPO; § 160 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für eine strafprozessuale Wohnungsdurchsuchung ist der Anfangsverdacht einer Straftat. Dieser muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben.

2. Das Bundesverfassungsgericht prüft Durchsuchungsanordnungen nur daraufhin nach, ob die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Verdachts und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen.

3. Dem mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedu¨rfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Demgemäß muss die Durchsuchung zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich und mit Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein und in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.

4. Die Annahme eines Anfangsverdachts bezüglich des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln ist verfassungsrechtlich (noch) nicht zu beanstanden, wenn die einschlägig vorbestrafte Beschuldigte unter den Kontakten im Mobiltelefon eines gesondert Verfolgten gespeichert ist, der laut einer Zeugenaussage mehrfach Fahrten an den Wohnort der Beschuldigten unternommen hat, welche dem Verkauf von Betäubungsmitteln dienten.

5. Liegen die Verkaufsfahrten zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung allerdings bereits über 18 Monate zurück, so ist die Anordnung mangels Erfolgsaussicht unverhältnismäßig, wenn der Beschluss nicht darlegt, weshalb ausnahmsweise eine Vermutung dafür bestand, dass gleichwohl noch Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln - die zum Konsum oder Weiterverkauf bestimmt sind und nach kriminalistischer Erfahrung regelmäßig nur eine geringe Verweildauer beim Ankäufer haben - aufgefunden werden können. Dabei können mögliche Wiederholungstaten in der Folgezeit, die nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind, für die Beurteilung des Auffindeverdachts keine Rolle spielen.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 - 12 Qs 108/2012 - und der Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 18. September 2012 - 6 Gs 1362/12 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 - 12 Qs 108/2012 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Amberg zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine wegen des Verdachts des Erwerbs von Betäubungsmitteln ergangene Durchsuchungsanordnung.

I.

1. Der gesondert Verfolgte Z. hatte in einer Beschuldigtenvernehmung angegeben, den gesondert Verfolgten D. in der Zeit von Januar 2010 bis Februar 2011 mit seinem Taxi regelmäßig in verschiedene Orte, unter anderem nach F., gefahren zu haben, wobei D. jedes Mal 10 bis 20 Tütchen jeweils gefüllt mit 5 bis 6 g Crystal-Speed (Metamfetamin) bei sich geführt und verkauft habe. Bei der daraufhin vorgenommenen Durchsuchung der Wohnung des D. im April 2012 wurde auch dessen Mobiltelefon sichergestellt und ausgewertet. Unter den Kontakteinträgen befand sich die Mobiltelefonnummer der in F. wohnhaften Beschwerdeführerin. Ein tatsächlicher Kontakt zwischen D. und der Beschwerdeführerin konnte nicht nachgewiesen werden.

2. a) Mit angegriffenem Beschluss vom 18. September 2012 ordnete das Amtsgericht Amberg gemäß § 102, § 105 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge der Beschwerdeführerin wegen des Verdachts des Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2011 an. Zweck sei insbesondere das Auffinden von Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien, Aufzeichnungen über Betäubungsmittelgeschäfte und von Mobilfunktelefonen mit entsprechenden Daten.

b) Der Beschluss wurde am 23. Oktober 2012 vollstreckt. In der Wohnung der Beschwerdeführerin wurden Betäubungsmittelutensilien sowie 5,4 g Haschisch, 3,4 g Marihuana und 29,1 g Crystal-Speed aufgefunden und sichergestellt.

3. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde vom 31. Oktober 2012 verwarf das Landgericht Amberg mit angegriffenem Beschluss vom 29. Januar 2013 als unbegründet. Neben dem Wohnort der Beschwerdeführerin und dem Kontakteintrag im Mobiltelefon des gesondert Verfolgten D. stützte das Landgericht Amberg den Tatverdacht insbesondere auf die einschlägigen Vorstrafen der Beschwerdeführerin nach dem Betäubungsmittelgesetz. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei Crystal-Speed um eine "harte Droge" handele und in Anbetracht der Stärke des Tatverdachts gewahrt. Es sei zu vermuten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Betäubungsmitteln oder Betäubungsmittelutensilien führen werde.

4. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln wurde von der Staatsanwaltschaft Amberg bereits mit Verfügung vom 27. November 2012 eingestellt, da ein strafbares Verhalten nicht zu beweisen war. Die Durchsuchung habe keine Beweismittel für in Verbindung mit dem gesondert Verfolgten D. stehende Straftaten hervorgebracht.

II.

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt.

1. Es habe bereits kein Anfangsverdacht des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln bestanden. Allein die Tatsachen, dass im Mobiltelefon des gesondert Verfolgten D. ihre Telefonnummer eingetragen gewesen sei, sie in F. gewohnt und der Z. angegeben habe, den D. unter anderem auch in das Stadtgebiet F. gefahren zu haben, rechtfertigten keinen Verdacht dahingehend, dass die Beschwerdeführerin Betäubungsmittel von D. erworben habe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin einschlägig vorbestraft sei. Die Durchsuchung habe auf einer bloßen Vermutung basiert. Sie sei durch keinen der gesondert verfolgten Beschuldigten belastet worden.

2. Die Durchsuchung sei darüber hinaus wegen des lange zurückliegenden Tatzeitraums als unverhältnismäßig zu bewerten. Ein Zeitraum von "einem Jahr und neun Monaten" begründe ohne nähere Anhaltspunkte, aus denen sich aktuell eine Strafbarkeit ergebe, eindeutig einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

III.

1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Ein hinreichender Tatverdacht habe vorgelegen. In der Gesamtschau hätten zahlreiche Indizien zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nahegelegt, dass die Beschwerdeführerin eine Abnehmerin der von D. gehandelten Betäubungsmittel gewesen sei. Die Durchsuchung sei mit Blick auf den Tatvorwurf auch nicht unverhältnismäßig gewesen.

2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für unbegründet. Aufgrund der von den Fachgerichten genannten Anhaltspunkte seien ausreichende Gründe für die Annahme eines Tatverdachts gegeben. Auch die Annahme, 18 Monate nach der angenommenen (spätesten) Tatzeit bestehe noch eine ausreichende Vermutung für das Auffinden von Beweismitteln, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Da der unerlaubte Betäubungsmittelhandel oder -erwerb zum großen Teil wiederholt betrieben werde, blieben Durchsuchungen auch geraume Zeit nach der ersten Kenntniserlangung von den Tatverdacht begründenden Tatsachen nicht offensichtlich erfolglos.

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 106 Js 8687/12 der Staatsanwaltschaft Amberg vorgelegen.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an den Auffindeverdacht bei Durchsuchungen - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 113, 29 <57>; 115, 166 <197>) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 13 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts Amberg vom 18. September 2012 und des Landgerichts Amberg vom 29. Januar 2013 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen ein elementarer Lebensraum zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (BVerfGE 27, 1 <6>; 51, 97 <107>). In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Die daraus sich ergebenden Maßstäbe für die Durchsuchung von Wohnungen sind geklärt.

aa) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Dieser Anfangsverdacht muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 19). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des jeweiligen Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 -, juris, Rn. 5). Ob in jeder Hinsicht eine zutreffende Gewichtung vorgenommen wurde oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95, 96 <141>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 22).

bb) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Demgemäß muss die Durchsuchung zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Daneben muss die Durchsuchung im Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; 115, 166 <198>; BVerfGK 5, 56 <58, 59>). Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 113, 29 <57>; 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 20).

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden der angegriffene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts und der ihn bestätigende Beschluss des Landgerichts nicht gerecht.

aa) Zwar ist die Annahme eines Tatverdachts verfassungsrechtlich (noch) nicht zu beanstanden.

Ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht als Voraussetzung für strafprozessuale Maßnahmen liegt vor, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist (vgl. BVerfGK 3, 55 <61>; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 152 Rn. 4). Vorliegend war die einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführerin im Kontaktspeicher des Mobiltelefons des gesondert Verfolgten D. eingetragen. Dieser hatte im angegebenen Tatzeitraum mehrere Fahrten an den Wohnort der Beschwerdeführerin durchgeführt, wobei davon auszugehen war, dass diese Fahrten dem Verkauf von Betäubungsmitteln dienten. Gegen die hieraus abgeleitete Annahme eines Tatverdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln durch die Beschwerdeführerin ist verfassungsrechtlich nichts zu erinneRn. Dass sich allein auf der Grundlage der genannten Anhaltspunkte die Vorwürfe nicht zwangsläufig nachweisen ließen, sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung ergab, liegt in der Natur des Anfangsverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 22).

bb) Die angegriffenen Entscheidungen tragen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung. Konkrete Anhaltspunkte, die die Erwartung hätten rechtfertigen können, dass sich in der Wohnung der Beschwerdeführerin 18 Monate nach Ende des im Durchsuchungsbeschluss angegebenen Tatzeitraums noch aus den verfahrensgegenständlichen Taten stammende Betäubungsmittel oder andere Beweisgegenstände finden ließen, sind nicht ersichtlich. Zudem ist die Angemessenheit der Durchsuchung nicht tragfähig begründet; im Hinblick auf die Vagheit des Auffindeverdachts und die Schwere des mit der Durchsuchung der privaten Wohnung verbundenen Eingriffs hätte es einer eingehenden Begründung bedurft (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 23).

(1) Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfGK 5, 56 <58, 59>) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können (vgl. Wohlers, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Bd. II, 4. Aufl. 2010, § 102 Rn. 18 m.w.N.). Insoweit ist vorliegend zu beachten, dass dem Durchsuchungsbeschluss vom 18. September 2012 der Verdacht des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2011 zugrunde lag. Die gebotene Erfolgsaussicht der angeordneten Durchsuchung wäre daher nur gegeben, wenn nach kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür bestand, dass auch 18 Monate nach dem spätest möglichen Tatzeitpunkt Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln durch die Beschwerdeführerin aufgefunden werden können.

Dies ist weder dargetan, noch in sonstiger Weise ersichtlich. Dabei ist davon auszugehen, dass zum Konsum oder Weiterverkauf bestimmte Betäubungsmittel im Regelfall nur eine geringe Verweildauer beim Ankäufer haben. Einer Durchsuchung, die auf dem Verdacht beruht, dass der Beschuldigte vor erheblicher Zeit Drogen zum Eigenkonsum erworben oder besessen haben soll, kann es daher an der notwendigen Erfolgsaussicht fehlen (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 28. November 2008 - 9 Qs 76/08 -, juris, Rn. 32 <zehn Monate>; LG Oldenburg, Beschluss vom 26. Mai 2008 - 2 Qs 103/08 -, juris, Rn. 8 <acht Monate>; LG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Juni 1990 - 1 Qs 105/90 -, NJW 1990, S. 2760 <sieben Monate>; Wohlers, a.a.O., Rn. 22; vgl. auch Meyer-Goßner, a.a.O., § 102 Rn. 15a; Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, Bd. 2, 25. Aufl. 2004, § 102 Rn. 12). Vorliegend war die Beschwerdeführerin verdächtig, Mengen von jeweils 5 bis 6 g Crystal-Speed von dem gesondert verfolgten D. erworben zu haben. Der Verbrauch solcher Mengen mag zwar nicht unmittelbar erfolgen, allerdings konnte bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen werden, dass 18 Monate nach dem spätesten Erwerb noch Reste dieser Betäubungsmittel bei der Beschwerdeführerin aufzufinden sind. Ebenso wenig war davon auszugehen, dass schriftliche oder elektronische Aufzeichnungen über mindestens 18 Monate zurückliegende Betäubungsmittelgeschäfte aufgefunden werden können.

(2) Die Annahme, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses ein ausreichendes Maß an Erfolgsaussicht hinsichtlich des Auffindens von Beweismitteln zum Nachweis der der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Taten bestand, hätte daher zumindest eingehender Begründung bedurft. Obwohl das Problem fehlender Erfolgsaussichten der Durchsuchung aufgrund des Zeitablaufs vorliegend auf der Hand lag und von der Beschwerdeführerin im Rahmen der gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichteten Beschwerde ausdrücklich gerügt wurde, verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse, namentlich die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts, hierzu nicht. Wenn sich aber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles die Notwendigkeit der Erörterung eines offensichtlichen Problems aufdrängt, ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn eine Prüfung dieses Problems vollständig unterbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. März 2009 - 2 BvR 1940/05 -, juris, Rn. 29; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 23). Daher genügen die angegriffenen Beschlüsse den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 13 Abs. 1 GG nicht.

(3) Dem steht nicht entgegen, dass im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses noch in Betracht kommen kann, wenn seit Bekanntwerden der den Anfangsverdacht begründeten Tatsachen ein längerer, wenngleich noch überschaubarer Zeitraum wie etwa der von neun Monaten vergangen ist (vgl. BVerfGK 4, 303 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der unerlaubte Betäubungsmittelhandel oder -erwerb zum großen Teil wiederholt betrieben wird. Daher ist die Entscheidung, dass Durchsuchungen auch geraume Zeit nach der ersten Kenntniserlangung von den verdachtsbegründeten Tatsachen zur Auffindung von Beweismitteln führen können, sachlich nachvollziehbar (vgl. BVerfGK 4, 303 <305>). Vorliegend kann diesem Umstand aber keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen werden. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 28. Februar 2011. Mögliche Wiederholungstaten in der Folgezeit waren nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens und können daher für die Beurteilung des Auffindeverdachts keine Rolle spielen. Erforderlich war vielmehr die Darlegung, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses erwartet werden konnte, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führt, die zum Beweis eines unerlaubten Betäubungsmittelerwerbes während des konkret bezeichneten Tatzeitraumes geeignet sind. Daran fehlt es.

2. Der Beschluss des Landgerichts Amberg ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1052

Bearbeiter: Holger Mann