HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2023
24. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

70. BGH 2 StR 92/21 - Beschluss vom 10. November 2022 (LG Köln)

Urteilsgründe (zur Anwendung gebrachtes Strafgesetz; weitere Rechtausführungen: Gebotenheit, sachlich-rechtliche Gesichtspunkte, keine Zweifel, Erkennen und Beurteilen der durch die getroffenen Feststellungen ergebenden rechtlichen Fragen durch das Tatgericht, Widerspruch zwischen Urteilsformel und -gründen, offensichtliches Verkündungsversehen, nachträgliche Berichtigung, Sachrüge, Urteilsaufhebung); Inverkehrbringen von qualitätsgeminderten und gefälschten Arzneimitteln (taugliches Tatobjekt: Qualitätsminderung, gefälschtes Arzneimittel oder Wirkstoff, bloße unrichtige Angabe, Täuschungseignung).

§ 267 StPO; § 95 Abs 1 Nr. 3a AMG

1. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG setzt ein Handeln „entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1“ voraus und verbietet es damit, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind. Erforderlich ist folglich – ungeachtet der Frage, ob sich die Erheblichkeit der Qualitätsminderung nach einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall bestimmt – die Feststellung, dass überhaupt eine Qualitätsminderung gegeben ist.

2. Allein die bloße (objektiv) unrichtige Angabe begründet indes keine tatbestandsmäßige Fälschung im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3a AMG. Dies ergibt sich aus der auch hinsichtlich gefälschter Arzneimittel und Wirkstoffe in Bezug genommenen Bestimmung des § 8 Abs. 1 AMG, die – wie die übrigen Verbote des § 8 AMG – „zum Schutz vor Täuschung“ der Verbraucher dienen soll. Nach diesem schon in der amtlichen Gesetzesüberschrift zum Ausdruck gekommenen Schutzzweck der Vorschrift wird eine Falschangabe vom Verbot nur erfasst, wenn ihr Täuschungseignung zukommt.

3. Zwar ist das Tatgericht verfahrensrechtlich lediglich dazu verpflichtet, das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz in den Urteilsgründen zu bezeichnen, § 267 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz StPO. Inwieweit daneben weitere Rechtsausführungen geboten sind, richtet sich nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten. Es dürfen aber keine Zweifel verbleiben, ob das Tatgericht die sich aus den getroffenen Feststellungen ergebenden rechtlichen Fragen erkannt und zutreffend beurteilt hat. Solche Zweifel können insbesondere dann bestehen, wenn ein Widerspruch zwischen Urteilsformel und -gründen vorliegt. Beide bilden eine untrennbare Einheit. Bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen darf der Fehler im Urteilstenor berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann. Lässt sich indes nicht mit Sicherheit klären, dass lediglich ein – noch nachträglich zu berichtigendes – offensichtliches Versehen bei der Fassung bzw. Verkündung der Urteilsformel vorliegt, führt ein solcher Widerspruch bereits auf die Sachrüge hin zur Urteilsaufhebung.


Entscheidung

101. BGH 6 StR 237/21 - Urteil vom 15. November 2022 (LG Schwerin)

Hotelkomplex „Hohe Düne“; Subventionsbetrug (Gestaltungsmissbrauch; wirtschaftliche Unteilbarkeit); Untreue; Verjährung.

§ § 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB aF; § 42 AO; § 2 SubvG; § 4 Abs. 1 Satz 3 SubvG; § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 78c Abs. 1 StGB

Subventionserhebliche Tatsache nach § 264 Abs. 8 Nr. 2 StGB aF ist das Nichtvorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs als Ausschlusstatbestand für eine Bewilligung. Die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs setzt – wie bei dem insoweit vergleichbaren § 42 AO – voraus, dass der gewählten Gestaltungsform kein eigenständiger Sinngehalt zukommt und sie allein zur Herbeiführung der Subventionsgewährung vorgenommen wird.


Entscheidung

13. BGH 1 StR 323/22 - Beschluss vom 17. November 2022 (LG Göttingen)

Hinterziehung von Tabaksteuer (Einziehungsbetroffener: konkludenter Zusammenschluss mehrerer Täter zu einer Personengesellschaft, keine Vervielfältigung der ersparten Aufwendungen, keine Weiterleitung ersparter Aufwendungen).

§ 370 Abs. 1 AO; § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 TabStG; § 73 Abs. 1 StGB, § 73b Abs. 2 StGB, § 73c StGB, § 40 AO

1. Schließen sich mehrere Personen für die Produktion von Tabakprodukten (konkludent) zu einer Personengesellschaft zusammen, so ist die Personengesellschaft als „Herstellerin“ Steuerschuldnerin der hinsichtlich der anfallenden Tabaksteuer. Die Anordnung der Wertersatzeinziehung wegen ersparter Aufwendungen durch das Verkürzen von Steuern ist dann auch gegen sie als

Dritteinziehungsbeteiligte zu richten. Dem steht es nicht entgegen, wenn die Gesellschaft ausschließlich einen strafbaren Geschäftszweck verfolgte; die Illegalität führt nicht dazu, dass die Gesellschaft verbrauchsteuer- und nachfolgend einziehungsrechtlich zu ignorieren wäre (vgl. § 40 AO).

2. Dass im Falle der Hinterziehung von Tabaksteuer jeder Täter als „an der Herstellung beteiligte Person“ ebenfalls Schuldner der Tabaksteuer war (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG;), sich damit selbst Tabaksteuer ersparte und Gesamtschuldnerschaft nicht nur untereinander, sondern auch mit der Gesellschaft besteht (§ 15 Abs. 5 TabStG), ändert nichts an der Beschränkung der – durch eine gegenständliche Betrachtungsweise geprägten – Abschöpfung auf das Vermögen der Gesellschaft. Mit der Inanspruchnahme ist die Steuerersparnis zugleich „verbraucht“; sie kann nicht „vervielfältigt“ werden.

3. § 73b Abs. 2 StGB ist der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der geldwerte Vorteil in Form einer Ersparnis mangels Gegenständlichkeit einziehungsrechtlich nicht weitergereicht werden kann, auch nicht im Anwendungsbereich der § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB.


Entscheidung

12. BGH 1 StR 300/22 - Beschluss vom 18. Oktober 2022 (LG Duisburg)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag: Tateinheit); Einziehung (keine Einziehung beim Täter, wenn Vermögensvorteil durch juristische Person erlangt wurde).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 52 StGB; § 1 SolZG; § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) SolZG; § 73 Abs. 1 StGB

Die Hinterziehung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag erfolgt auch nach der neueren Rechtsprechung des BGH regelmäßig tateinheitlich, da beim Solidaritätszuschlag nach § 1 SolZG keine selbständige originäre Erklärungspflicht besteht, sondern eine „Annexfestsetzung“ auf der Grundlage der Hauptsteuererklärung erfolgt.


Entscheidung

102. BGH 6 StR 239/22 - Urteil vom 2. November 2022 (LG Würzburg)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (konkurrenzrechtliche Beurteilung: Bewertungseinheit, Tateinheit; Aufzucht von Marihuanapflanzen; Erwerb von Setzlingen zum Zweck des anschließenden Anbaus); Strafzumessung (Covid-19-Virus; Kontakt- und Besuchsbeschränkungen, Untersuchungshaft).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 46 StGB

1. Erfolgt die Aufzucht von Marihuanapflanzen zum Zwecke des späteren gewinnbringenden Absatzes der geernteten Pflanzen, geht der Anbau als unselbständiger Teilakt in der Bewertungseinheit des Handeltreibens auf (st. Rspr.).

2. Gesonderte Anbauvorgänge sind dann grundsätzlich als für sich selbständige, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten des Handeltreibens zu bewerten. Nichts anderes gilt, wenn Betäubungsmittel aus einer Plantage mit Pflanzen unterschiedlicher Reifungsgrade, die sukzessiv nach ihrer Reife geerntet werden, verkauft werden oder die Aufzucht der Pflanzen aus dem nachfolgenden Anbauvorgang noch vor der Ernte der zuvor gezüchteten Pflanzen begonnen wurde. Denn daraus folgt nur eine Gleichzeitigkeit der Anbauvorgänge im Sinne einer zeitlichen Überschneidung, die für eine tateinheitliche Verbindung als solche nicht ausreicht (st. Rspr.).

3. Die Aufzucht von Cannabispflanzen erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt. Allein der Erwerb von Setzlingen zum Zweck des anschließenden Anbaus stellt dabei aber noch keine auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit dar.

4. Der lediglich pauschale Hinweis auf „Kontakt- und Besuchsbeschränkungen“ trägt eine – auch im Übrigen regelmäßig nicht veranlasste – strafmildernde Berücksichtigung vollstreckter Untersuchungshaft ohne Mitteilung konkreter Tatsachen für hierdurch im Einzelfall bedingte besondere Belastungen nicht.


Entscheidung

64. BGH 2 StR 12/22 - Beschluss vom 2. Juni 2022 (LG Frankfurt am Main)

Bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Handeltreiben: Vorliegen, Bereitstellen einer ausschließlich dem Zweck des Handelns mit Betäubungsmitteln dienenden virtuellen Verkaufs- und Kommunikationsplattform, Aufrechterhaltung der technischen und inhaltlichen Forenstruktur; Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe: Maßstab, Errichten und Betreiben einer internetgestützten Handelsplattform; Konkurrenzen: Deliktsserie, Tatbeitrag zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Infrastruktur, uneigentliches Organisationsdelikt, Tateinheit, kein der Annahme bandenmäßigen Handeltreibens Entgegenstehen); Einziehung des Wertes von Taterträgen (erlangter Vermögensvorteil: Kryptowährungen, faktische Verfügungsgewalt; Bestimmung des Wertes: Kryptowährung, Wert zum Zeitpunkt der jeweiligen Transaktionen, höhere Handelsmenge; gesamtschuldnerische Haftung; Verzicht der Anrechnung).

§ 30a BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 52 StGB; § 73c StGB

1. Handeltreiben durch eigennützige Förderung fremder Verkäufe kann insbesondere auch bei Vermittlung eines Absatzgeschäftes oder bei Nennung potentieller Kunden erfüllt sein. In gleicher Weise stellt das Bereitstellen einer ausschließlich dem Zweck des Handels mit Betäubungsmitteln dienenden virtuellen Verkaufs- und Kommunikationsplattform sowie die zur Aufrechterhaltung der technischen und inhaltlichen Forenstruktur geleisteten Beiträge regelmäßig ein (täterschaftliches) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln dar, sofern die Betreiber nicht allein aus uneigennützigen Motiven heraus handeln.

2. Ob die Beteiligung an unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Mittäterschaft oder Beihilfe zu werten ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat

einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.

3. Diese Grundsätze gelten auch für das Errichten und Betreiben einer internetgestützten Handelsplattform, die dazu dient, den Kontakt zwischen Käufern und Verkäufern herzustellen und Möglichkeiten zur Verkaufsabwicklung zur Verfügung stellt.

4. Haben bei einer durch mehrere Personen begangenen Deliktsserie einzelne Angeklagte einen Tatbeitrag zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Infrastruktur erbracht, so sind die Einzeltaten der Mittäter zu einem sogenannten uneigentlichen Organisationsdelikt zusammenzufassen, durch welches die Einzelhandlungen rechtlich verbunden und die auf der Grundlage dieser Infrastruktur begangenen Straftaten für die im Hintergrund Tätigen zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden.

5. Anknüpfend an Entscheidungen zum Bandenbetrug ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für den Bandenhandel im Sinne von §§ 29, 30a Abs. 1 BtMG anerkannt, dass die Zusammenfassung mehrerer auf Drogenumsatz gerichteter Aktivitäten zu einer einzigen Bewertungseinheit – mithin die Verknüpfung mehrerer Einzelakte zu einer Tat aus Rechtsgründen – der Annahme bandenmäßigen Handeltreibens nicht entgegensteht.


Entscheidung

28. BGH 3 StR 340/22 – Beschluss vom 15. November 2022 (LG Koblenz)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Urteilstenor; mittlere Gefährlichkeit von Amphetamin und Ecstasy; Überschreiten der nicht geringen Menge bei Amphetaminbase und Ecstasy; Feststellungen zum Wirkstoffgehalt; keine Erfahrungssätze zur Mindestkonzentration pro Tablette bei Ecstasy; strafschärfende Berücksichtigung der Überschreitung des Grenzwerts); Strafrahmenwahl beim Zusammentreffen mehrerer Milderungsgründe (minder schwerer Fall; gesetzlich vertypter Milderungsgrund).

§ 29 BtMG; § 29a BtMG; § 30 BtMG; § 27 StGB; § 49 StGB

Die unterschiedlichen Wirkstoffkombinationen und die Schwankungen in den Wirkstoffkonzentrationen der einzelnen als Ecstasy vertriebenen Tabletten lassen die ausreichend sichere Feststellung einer Mindestkonzentration pro Tablette, die in der Praxis erfahrungsgemäß nicht unterschritten wird, nicht zu.