HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2021
22. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1200. BGH 1 StR 86/21 – Beschluss vom 22. September 2021 (LG Kaiserslautern)

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Berechnung der hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge bei Schwarzlohnabreden: keine pauschale Hochrechnung auf Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bei möglichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitnehmer); besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung (erforderliche Darstellung der Erschwernis- und Milderungsgründe auch bei Vorliegen eines Regelbeispiels).

§ 266 Abs. 1 StGB; § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 39c EStG; § 370 Abs. 1, Abs. 3 AO; § 267 Abs. 2 Satz 2 StPO

Bei der Berechnung der hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge durch Schwarzlohnabreden ist es gerade im Niedriglohnbereich nicht zwingend am günstigsten, wenn dieser Berechnung der Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI – und damit ein Durchschnittssteuersatz von 14 % – zugrunde gelegt wird. Bei der Hochrechnung der Netto- auf Bruttolöhne kann deshalb nicht pauschal von der Lohnsteuerklasse VI ausgegangen werden. Nur bei vollumfänglich illegalen Beschäftigungsverhältnissen ist der Umfang hinterzogener Lohnsteuer grundsätzlich anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (vgl. § 39c EStG) zu bestimmen. Wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne Weiteres hätten festgestellt werden können, muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. BGHSt 64, 195).


Entscheidung

1227. BGH 3 StR 173/21 – Beschluss vom 11. August 2021 (OLG Düsseldorf)


Verstoß gegen Bereitstellungsverbot (Zur-Verfügung-Stellen“ von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen; gelistete Organisation; organisationsinterne Vermögensverschiebung durch ein Mitglied; unmittelbares Betätigungsgebiet).

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG

1. Das von dem Bereitstellungsverbot des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG untersagte „Zur-Verfügung-Stellen“ von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen ist jeder tatsächliche Vorgang, der dazu führt, dass der gelisteten Person, Organisation, Einrichtung oder Vereinigung der betreffende wirtschaftliche Vorteil zugutekommt, sie also die Verfügungsgewalt über den Vermögenswert erlangt.

2. Bei Personenverbänden (hier: dem IS) ist der verschobene Vermögensgegenstand wegen des weiten Schutzzwecks der Norm jedenfalls dann der Vereinigung selbst zur Verfügung gestellt, wenn er einem im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen und agierenden Mitglied, das in die dortigen Vereinigungsstrukturen eingebunden ist, zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließt. Das gilt auch, wenn ein außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets aktives Mitglied Gelder von Außenstehenden einwirbt oder aus seinem Privatvermögen entnimmt, um sie dann an ein im Kerngebiet tätiges Mitglied weiterzuleiten.


Entscheidung

1197. BGH 1 StR 173/21 – Beschluss vom 23. September 2021 (LG Traunstein)

Unerlaubtes Einschleusen von Ausländern (erforderliche Feststellungen zur Haupttat: unerlaubte Einreise des Geschleusten); Strafzumessung (Voraussetzungen einer strafschärfenden Berücksichtigung neuer Straftaten; Doppelverwertungsverbot).

§ 96 Abs. 1 AufenthG; § 46 Abs. 1, Abs. 3 StGB

1. Die Strafbarkeit wegen vollendeten Einschleusens von Ausländern setzt das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat des Geschleusten voraus. Eine Verurteilung verlangt deshalb insbesondere Feststellungen dazu, dass der Geschleuste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, weil er zur Einreise ein Visum benötigte.

2. Die strafschärfende Berücksichtigung neuer Straftaten setzt voraus, dass sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen; nur unter diesen Voraussetzungen kann eine weitere Strafbarkeit Hinweise auf den Unrechtsgehalt der früher begangenen Tat und die innere Einstellung des Täters zu ihr geben.


Entscheidung

1236. BGH 3 StR 445/20 – Urteil vom 29. Juli 2021 (LG Koblenz)

Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonstigen Gegenstands beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Gebrauchsbereitschaft; Handschuhfach eines PKW; Bestimmung zur Verletzung von Personen; Zurechnung im Rahmen der Mittäterschaft; tatbezogenes Merkmal; Kenntnis; Exzess); Beweiswürdigung bei freisprechendem Urteil.

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Das Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonstigen Gegenstandes im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist gegeben, wenn der Täter den Gegenstand in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich dieses jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Der Fahrer eines PKW führt in diesem Sinne regelmäßig Gegenstände mit sich, die sich im unverschlossenen Handschuhfach des PKW befinden.

2. Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt weiter voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Um den Qualifikationstatbestand zu verwirklichen, bedarf es einer diesbezüglichen Zweckbestimmung, die vom Tatgericht grundsätzlich näher festgestellt und begründet werden muss. Lediglich bei Waffen im technischen Sinne gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG oder bei gekorenen Waffen nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG liegt eine subjektive Bestimmung zur Verletzung von Personen so nahe, dass keine weiteren Darlegungen hierzu im tatrichterlichen Urteil erforderlich sind.

3. Beim Mitsichführen einer Schusswaffe beziehungsweise eines Gegenstandes, der zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG handelt es sich nicht um ein besonderes persönliches Merkmal nach § 14 Abs. 1 StGB (mit der Folge einer Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 StGB), sondern um ein qualifikationsbegründendes tatbezogenes Merkmal, das einem Mittäter, der von dem Mitsichführen durch einen anderen Mittäter weiß, nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet wird. Es genügt insofern bei einer mittäterschaftlichen Tatbegehung für eine Zurechnung, wenn ein Mittäter, der eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den betreffenden Gegenstand hat, für sich die erforderliche Zweckbestimmung vorgenommen hat und der andere Mittäter hiervon weiß.


Entscheidung

1193. BGH 1 StR 131/21 – Beschluss vom 22. September 2021 (LG Konstanz)

Bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff der Bandenabrede: Gesamtwürdigung, Abgrenzung vom Tätigwerden im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung; Strafzumessung: strafmildernde Berücksichtigung der polizeilichen Überwachung des Betäubungsmittelgeschäfts); Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat).

§ 30a Abs. 1 BtMG; § 46 StGB; § 64 StGB

1. Von einer Bandenabrede abzugrenzen sind solche Konstellationen, in denen die Beteiligten lediglich in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung tätig wurden, sich also deren Zusammenwirken, auch wenn es auf Dauer angelegt war, nicht als Ausdruck einer Banden-

abrede darstellt, sondern als Verfolgung selbständiger, ausschließlich eigener Interessen.

2. Der Umstand polizeilicher Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts mit der Folge, dass eine tatsächliche Gefahr der Übernahme durch den Abnehmer und des In-Verkehr-Gelangens nicht besteht, ist ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten, dem neben der Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommt.