HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2021
22. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

606. BGH 3 StR 300/20 - Beschluss vom 21. April 2021 (LG Oldenburg)

BGHSt; Bescheidung von nach Fristablauf gestellten Beweisanträgen nach erneutem Eintritt in die Beweisaufnahme (Ablehnung von Beweisanträgen; Beschluss; Bekanntmachung vor dem Schluss der Beweisaufnahme; Ausnahmeregel; Beschleunigung; Verfahrensverzögerungen; Beweisantragsrecht; angemessene Frist; Bescheidung im Urteil; Darlegungen im Beweisantrag; faires Verfahren; rechtliches Gehör).

§ 244 Abs. 6 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK

1. Bestimmt der Vorsitzende des Tatgerichts nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen, steht einer Bescheidung von nach deren Ablauf gestellten Beweisanträgen im Urteil nicht grundsätzlich entgegen, dass wieder in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für solche Beweisanträge, die sich erst aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben. (BGHSt)

2. Hierzu sind regelmäßig Darlegungen im Beweisantrag erforderlich. (BGHSt)

3. Im Grundsatz bedarf die Ablehnung eines Beweisantrages gemäß § 244 Abs. 6 S. 1 StPO eines Gerichtsbeschlusses, der vor dem Schluss der Beweisaufnahme bekanntzumachen ist. Bei § 244 Abs. 6 S. 3 bis 5 StPO handelt es sich um eine davon abweichende Ausnahmevorschrift, die grundsätzlich restriktiv auszulegen ist. (Bearbeiter)

4. § 244 Abs. 6 S. 3 bis 5 StPO sollen einerseits mit später Antragstellung einhergehende Verfahrensverzögerungen vermeiden, andererseits das Beweisantragsrecht der Verfahrensbeteiligten nicht beschneiden. Diesen unterschiedlichen Belangen kommt eine Auslegung entgegen, die zum einen der vorangegangenen Fristsetzung im Falle einer weiteren Beweisaufnahme nicht jegliche Bedeutung versagt, zum anderen aber den Verfahrensbeteiligten eine Bescheidung ihrer Beweisanträge eröffnet, sofern diese auf der neuen Beweiserkenntnis beruhen. Es ist demnach grundsätzlich von der Wirksamkeit einer ordnungsgemäß gesetzten Frist auszugehen und eine Bescheidung lediglich solcher Beweisanträge, die sich aus der Beweisaufnahme nach Fristablauf ergeben, in der Hauptverhandlung als notwendig anzusehen. (Bearbeiter)

5. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage auftreten können, ob ein Antrag auf hinzugewonnenen Erkenntnissen beruht. Allerdings handelt es sich hierbei um übliche Fragen der Rechtsanwendung auf den konkreten Sachverhalt, die jedenfalls nicht rechtfertigen, zur Vereinfachung entweder gegen den Gesetzeswortlaut, die ratio legis und den Willen des Gesetzgebers der gesetzten Frist jegliche Bedeutung abzusprechen oder eine Bescheidung sämtlicher Beweisanträge erst im Urteil zuzulassen. (Bearbeiter)

6. Es ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf ein faires Verfahren nicht geboten, eine Anwendung des § 244 Abs. 6 S. 4 StPO generell auszuschließen, wenn nach Fristablauf erneut in die Beweisaufnahme eingetreten wird. Den Verfahrensbeteiligten wird die Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen, über die das Gericht befinden muss, nicht genommen. Beschränkt wird allein der Anspruch, über etwaige Ablehnungsgründe noch vor Abschluss der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt zu werden. Vor dieser Begrenzung erhalten die Beteiligten angesichts der Fristsetzung Gelegenheit, in der Hauptverhandlung zu bescheidende Beweisanträge zu stellen. Machen sie hiervon nicht Gebrauch, liegt dies in ihrem Verantwortungsbereich. Ergibt sich aus erneuten Beweiserhebungen das Bedürfnis weiterer Beweisanträge, ist gewährleistet, dass darüber wie sonst auch noch während der Hauptverhandlung befunden wird. (Bearbeiter)


Entscheidung

617. BGH StB 17/21 - Beschluss vom 21. April 2021 (OLG Stuttgart)

BGHR; Sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers (erneuter inhaltsgleicher Antrag nur bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse).

§ 142 Abs. 7 S. 1 StPO; § 144 Abs. 1 StPO; § 304 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 Nr. 1 StPO

1. Ist ein Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers rechtskräftig abgelehnt worden, kann er einen neuerlichen inhaltsgleichen

Antrag und die sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung grundsätzlich nicht erfolgreich auf Umstände stützen, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung waren, sondern nur auf solche, die sich aufgrund einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben haben. (BGHR)

2. Mit der Ausgestaltung des Rechtsmittels gegen die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder ihre Ablehnung als sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO) wollte der Gesetzgeber verhindern, dass die Beschwerde zu irgendeinem Zeitpunkt im späteren Verfahren eingelegt wird und dann zu einer Verfahrensverzögerung führen kann. Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen ist es unvereinbar, wenn der Angeklagte, dessen Antrag auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist, nach Eintritt der Rechtskraft aufgrund eines neuerlichen inhaltsgleichen Antrags eine Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Ausgangsgericht und anschließend durch das Beschwerdegericht erwirken könnte. Vielmehr ist in Bedacht zu nehmen, dass nach allgemeinen Grundsätzen die nachträgliche Änderung oder Aufhebung rechtskräftiger Erkenntnisse nur ausnahmsweise in Betracht kommt. (Bearbeiter)


Entscheidung

535. BGH 1 StR 423/20 - Beschluss vom 25. Februar 2021 (LG Mannheim)

BGHR; Kostenentscheidung (Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht); Einziehung (Einziehungsgegenstand bei Marktmanipulation).

§ 473 Abs. 4 StPO; § 465 Abs. 2 StPO; § 73 StPO; § 38 Abs. 2 Nr. 1 WpHG aF, § 39 Abs. 2 Nr. 11 WpHG aF, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG aF

1. Zur Kostenentscheidung bei Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht. (BGH)

2. Im Falle einer informations- und handlungsgestützten Marktmanipulation ist allein die Wertsteigerung der Aktien im Vermögen der Tatbeteiligten infolge der strafbaren Einwirkung abzuschöpfen; der anschließende Aktienverkauf ist insofern nicht tatbestandlich. (Bearbeiter)


Entscheidung

561. BGH 4 StR 418/20 - Beschluss vom 14. Januar 2021 (LG Hagen)

Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes (fehlerhaft unterbliebene Verbescheidung des Widerspruchs gegen die Einführung von Urkunden im Wege des Selbstleseverfahrens: nach neuer Rechtsprechung regelmäßig kein Beruhen); prozessualer Tatbegriff (allgemeiner Maßstab und Modifizierung bei einer Vielzahl überwiegend gleichförmig verlaufender sexueller Übergriffe gegenüber Kindern); Grundsätze der Strafzumessung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit).

§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 249 Abs. 1 StPO; § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 264 Abs. 1 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Die Frage, ob ein Urteil auf einem Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO beruht, ist allein daran zu bemessen, ob bei einer Einführung der Urkunde durch Verlesung gemäß § 249 Abs. 1 StPO eine abweichende Entscheidung denkbar wäre.

2. Soweit die Revision unter Berufung auf die frühere Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs die Ansicht vertritt, ein Beruhen des Urteils auf einer fehlerhaft unterbliebenen Verbescheidung des Widerspruchs gegen die Einführung von Urkunden (DNA-Gutachten) im Wege des Selbstleseverfahrens könne regelmäßig nicht ausgeschlossen werden, hat der 5. Strafsenat diese Rechtsauffassung aufgegeben und ausgesprochen, dass das Urteil auf einem bloßen Verstoß gegen die Bescheidungspflicht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO regelmäßig nicht beruht.

3. Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. In diesem Rahmen muss das Tatgericht seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden. Diese Umgestaltung der Strafklage darf jedoch nicht dazu führen, dass das der Anklage zugrundeliegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird. Die Tatidentität ist gewahrt, wenn ungeachtet gewisser Differenzen bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Für das Tatbild bestimmend sind in der Regel Ort und Zeit des Geschehens, das Tatopfer, das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung.

4. Sind Gegenstand der zugelassenen Anklage eine Vielzahl überwiegend gleichförmig verlaufender sexueller Übergriffe gegenüber Kindern, deren Tatzeit häufig nicht exakt bestimmt werden kann, erlangt neben dem Tatort und der ungefähren Tatzeit insbesondere die Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung maßgebliche Bedeutung für die Individualisierung der zum Gegenstand der Anklage und später des Eröffnungsbeschlusses gewordenen Taten.

5. Es ist Sache des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmende Strafzumessungsfaktoren außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein.


Entscheidung

618. BGH StB 47/20 - Beschluss vom 28. April 2021

Überwachung von beim Provider gespeicherten E-Mails (Telekommunikation; Telekommunikationsdienst; Dienstanbieter; Verkehrsdaten; Over the Top-Dienste; telekommunikationsrechtliche Begriffsbildung); Statthaftigkeit der Beschwerde.

§ 100a StPO; § 304 StPO

1. Bei versandten oder empfangenen E-Mails handelt es sich um Telekommunikation im Sinne von § 100a StPO selbst dann noch, wenn sie nach Kenntnisnahme beim „Provider“ zwischen- oder endgespeichert werden. Derartige Anbieter, welche die Kommunikation mittels über

das Internet weitergeleiteter E-Mails ermöglichen, erbringen Telekommunikationsdienste im Sinne des § 100a Abs. 4 Satz 1 StPO unabhängig davon, ob sie zugleich den Zugang zum Internet oder lediglich sogenannte „Over the top"-Dienste (OTT-Dienste) bereitstellen.

2. Die Strafprozessordnung verweist zur Bestimmung der Begriffe „Telekommunikation“ und „Telekommunikationsdienst“ nicht generell auf das Telekommunikationsgesetz, so dass die telekommunikationsrechtliche Einordnung einzelner Dienste zwar von Belang, aber nicht ohne Weiteres ausschlaggebend ist. Obschon grundsätzlich bei der Auslegung ein Rückgriff auf die fachgesetzlichen Definitionen zulässig ist, ergibt sich daraus nicht zwingend ein vollständiger Gleichlauf. Vielmehr sind die unterschiedlichen Regelungsgegenstände in den Blick zu nehmen, im vorliegenden Zusammenhang mithin strafverfahrensrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einerseits sowie die Wettbewerbsregulierung, die Infrastrukturförderung und die Gewährleistung von Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation (s. § 1 TKG) andererseits.


Entscheidung

552. BGH 4 StR 209/20 - Beschluss vom 4. März 2021 (LG Frankenthal)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung (Sinn und Zweck; Anforderungen).

Art 103 Abs. 1 GG; § 44 StPO

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln hinsichtlich fristgemäß erhobener Verfahrensrügen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Ergänzung einer Verfahrensrüge kommt deshalb nur in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint. Das kann der Fall sein, wenn die entsprechende Verfahrensrüge ohne Kenntnis der Akten nicht begründet werden kann und dem Verteidiger des Beschwerdeführers bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung Akteneinsicht nicht gewährt wurde.


Entscheidung

546. BGH 2 StR 21/21 - Beschluss vom 17. März 2021 (LG Frankfurt am Main)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Anforderungen bei Verurteilung eines Angeklagten aufgrund des Geständnisses eines Mitangeklagten, das Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache gewesen ist); Mittäterschaft (Geltung der allgemeinen Voraussetzungen der Mittäterschaft auch im Betäubungsmittelrecht; Maßstab).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Erfolgt die Verurteilung eines Angeklagten aufgrund des Geständnisses eines Mitangeklagten, das Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache (§ 257c StPO) gewesen ist, gelten gesteigerte Anforderungen an die Darlegungen und die Beweiswürdigung.

2. Diese Anforderungen bestehen auch für den neuen Rechtsgang fort. Denn es macht regelmäßig keinen Unterschied, ob die verfahrensbeendende Absprache mit dem anderen Tatbeteiligten in demselben oder in einem anderen Verfahren stattgefunden hat. Auch bei einer Zeugenaussage besteht die Möglichkeit, dass der vormalige Mitangeklagte nur deshalb bei seiner Aussage bleibt, um sich nicht in Widerspruch zu den für ihn vorteilhaften Angaben in seinem eigenen Verfahren zu setzen, selbst wenn dieses inzwischen abgeschlossen ist.

3. Eine besonders kritische Beweiswürdigung kann auch dann veranlasst sein, wenn sich der geständige (vormalige) Mitangeklagte einer konfrontativen Befragung durch den Angeklagten entzieht und für diesen daher keine Möglichkeit besteht, von seinem Fragerecht Gebrauch zu machen.

4. Die Voraussetzungen der Mittäterschaft bemessen sich auch im Betäubungsmittelrecht nach den allgemeinen Grundsätzen. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint.

5. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Daher ist es insbesondere nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr von Betäubungsmitteln diese eigenhändig in das Inland verbringt. Stets muss sich seine Mitwirkung aber nach dessen Willensrichtung als Teil der Tätigkeit aller darstellen und sich nicht in einer bloßen Förderung fremden Tuns erschöpfen. Wesentliche Anhaltspunkte dafür, ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille hierzu sein, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des jeweiligen Beteiligten abhängen.

6. Alleine die vorherige Kenntnis einer Person von der Tat und der Wille, diese als gemeinsame anzusehen, können eine Mittäterschaft nicht begründen.


Entscheidung

573. BGH 4 StR 533/20 - Beschluss vom 17. Februar 2021 (LG Hagen)

Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen (enge Auslegung des Begriffs der Vernehmung: keine Erstreckung auf Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises).

§ 247 StPO

Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird.


Entscheidung

570. BGH 4 StR 480/20 - Beschluss vom 18. März 2021 (LG Dortmund)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Anforderungen an die tatgerichtlichen Beweiserwägungen zu einem fehlenden Falschbelastungsmotiv; Anforderungen an die Darlegung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen: gebotene Präzision und Knappheit der Ausführungen insbesondere bei der Wiedergabe von Zeugenaussagen).

§ 261 StPO; § 267 StPO

1. Zu den Anforderungen an die tatgerichtlichen Beweiserwägungen zu einem fehlenden Falschbelastungsmotiv.

2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist.

3. Das Tatgericht ist verpflichtet, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Erwägungen bestimmten Beweiswürdigung beruht. Die wesentlichen Beweiserwägungen sind in den schriftlichen Urteilsgründen so darzulegen, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist. Im Falle der Verurteilung des Angeklagten ist das Tatgericht grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen.

4. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen jedoch nicht dazu, den Ablauf der Ermittlungen oder den Gang der Hauptverhandlung in allen Einzelheiten zu dokumentieren. Es ist deshalb in der Regel weder erforderlich noch empfehlenswert, in den Urteilsgründen im Einzelnen wiederzugeben, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben.


Entscheidung

568. BGH 4 StR 471/20 - Beschluss vom 2. Februar 2021 (LG Dortmund)

Urteilsgründe (Wiedergabe der Einlassungen des Beschuldigten in der Hauptverhandlung); selbständige Einziehung (Anwendbarkeit nur im selbstständigen Einziehungsverfahren, nicht im Sicherungsverfahren).

§ 76a Abs. 1 Satz 1 StGB; § 74 Abs. 1 StGB; § 267 StPO; § 413 StPO; § 435 Abs. 1 StPO

1. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat. Zwar ergibt sich dies nicht aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe bestimmt. Aus sachlich-rechtlichen Gründen ist aber regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat.

2. Die selbständige Einziehung eines Gegenstands gemäß § 76a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 74 Abs. 1 StGB ist nicht im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO, sondern nur im selbstständigen Einziehungsverfahren gemäß § 435 Abs. 1 StPO möglich.


Entscheidung

543. BGH 2 StR 11/21 - Beschluss vom 3. März 2021 (LG Frankfurt am Main)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit; besondere Darlegungsanforderungen in schwierigen Beweislagen: Tatnachweis im Wesentlichen aufgrund des Wiedererkennens des Angeklagten durch einen Tatzeugen).

§ 261 StPO

1. Es ist allein die Aufgabe des Tatrichters, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsrechtliche Überprüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist, namentlich dann, wenn sie nicht sämtliche Umstände, die dazu geeignet waren, die Entscheidung zu beeinflussen, in ihre Überlegungen einbezogen und wesentliche Feststellungen in der vorzunehmenden umfassenden Gesamtwürdigung nicht berücksichtigt hat.

2. Besondere Darlegungsanforderungen bestehen in schwierigen Beweislagen, zu denen auch Konstellationen zählen, in denen der Tatnachweis im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht. Konnte ein Zeuge eine ihm vorher unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich der Tatrichter nicht ohne Weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat, und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen. Der Tatrichter ist daher aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und diese Täterbeschreibung zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus sind in den Urteilsgründen auch diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatrichters beruht, dass insoweit eine tatsächliche Übereinstimmung besteht.


Entscheidung

603. BGH 3 StR 183/20 - Urteil vom 11. März 2021 (LG Verden)

Rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung (naheliegende Schlussfolgerungen; Unterstellung von Tatvarianten ohne konkrete Anhaltspunkte; Zweifelssatz); Feststellungen zu Vorstrafen bei freisprechendem Urteil.

§ 261 StPO; § 267 Abs. 5 StPO

1. Eine Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen wird, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind.

2. Auch bei freisprechenden Urteilen kann es geboten sein, Feststellungen zu Vorstrafen des Angeklagten insoweit zu treffen, als es um einschlägige Delikte geht, da diese geeignet sind, Aufschluss über die Täterpersönlichkeit zu geben und daher in die Beweiswürdigung einzustellen sein könnten. In welchem Umfang Vorstrafen im Strafurteil zu schildern sind, ist allerdings keiner schematischen Betrachtungsweise zugänglich, sondern stets eine Frage des Einzelfalls. Zumindest in solchen Ausnahmefällen, in denen die früher festgestellten Taten oder Entscheidungserwägungen auch für den jetzigen Tatrichter entscheidungserheblich sind, bedarf es einer Schilderung der zugrundeliegenden Sachverhalte.


Entscheidung

608. BGH 3 StR 60/21 - Beschluss vom 23. März 2021 (LG Oldenburg)

Unterrichtung des Angeklagten nach seiner vorübergehenden Entfernung während einer Zeugenvernehmung (Art und Weise der Unterrichtung; Videoübertragung; Verhandlungsleistung).

§ 247 StPO

Die Art und Weise der Unterrichtung gem. § 247 S. 4 StPO ist im Rahmen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) vom Vorsitzenden zu bestimmen. Sie kann deshalb in der Gestalt erfolgen, dass der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, fragt, ob er durch die Videoübertragung den Aussageinhalt habe erfassen und der Vernehmung auch im Übrigen habe folgen können. Teilt der Angeklagte daraufhin mit, dass er das Verhandlungsgeschehen audiovisuell habe wahrnehmen können, und macht er keine technischen Störungen oder Ausfälle bei der Übertragung geltend, ist dem Unterrichtungserfordernis Genüge getan. Ob – ungeachtet des Wortlauts von § 247 Satz 4 StPO – schon die Videoübertragung als solche eine ausreichende Unterrichtung darstellt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.


Entscheidung

627. BGH 2 StR 431/20 - Beschluss vom 4. März 2021 (LG Frankfurt am Main)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (nur ausnahmsweise Überantwortung in das Beschlussverfahren; Zäsurwirkung der frühesten Vorverurteilung); selbständige Einziehung, selbständiges Einziehungsverfahren; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Stützen der Gefährlichkeitsprognose auf frühere Taten; allgemeiner Maßstab; Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie: konkrete Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung und Auswirkung auf Tatbegehung).

§ 53 StGB; § 54 StGB; § 55 StGB; § 63 StGB; § 76a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB; § 435 StPO; § 460 StPO; § 462 StPO

1. Einziehungsentscheidungen kommen bei schuldunfähigen Tätern allein im selbständigen Einziehungsverfahren gemäß § 435 StPO in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB vorliegen.

2. Wenn das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose auch auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil hierzu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten.

3. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

4. Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Dies gilt auch in den Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit.

5. Erforderlich ist die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychotische Störung bei der Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Situation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können.


Entscheidung

550. BGH 2 ARs 137/21 (2 AR 97/21) - Beschluss vom 29. April 2021

Verfahrensverbindung (Voraussetzungen).

§ 4 Abs. 1 StPO; § 13 Abs. 2 StPO

1. Eine Verfahrensverbindung nach § 4 Abs. 1 StPO setzt voraus, dass zwischen den Strafsachen ein – sachlicher oder persönlicher – Zusammenhang im Sinne von § 3 StPO besteht, die Sachen bei Gerichten unterschiedlicher Rangordnung anhängig gemacht worden sind (bei Gerichten gleicher Ordnung gilt § 13 Abs. 2 StPO) und das Gericht höherer Ordnung das Hauptverfahren eröffnet hat.

2. Demgegenüber ist nicht erforderlich, dass auch das Gericht niedrigerer Ordnung in der bei ihm anhängigen Sache das Hauptverfahren eröffnet hat, sofern die Staatsanwaltschaft, die ihre Anklage jederzeit wieder zurücknehmen könnte und deshalb ihre Dispositionsbefugnis über das Verfahren noch nicht endgültig verloren hat, die Abgabe selbst beantragt oder ihr zustimmt.


Entscheidung

576. BGH 6 StR 102/21 - Beschluss vom 21. April 2021 (LG Rostock)

Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage in bereits laufender Hauptverhandlung (Besetzung).

§ 199 Abs. 1 StPO; § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG; § 33b Abs. 1, Abs. 7 GVG; § 33a Abs. 2 JGG; § 206a Abs. 1 StPO

Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage ist, auch wenn sie in bereits laufender Hauptverhandlung vorgenommen wird, von der Großen Straf- oder Jugendkammer stets in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, mithin mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen zu treffen. Ergeht die Entscheidung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung, ist sie unwirksam (st. Rspr.), was ein im selben Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis zu Folge hat und deshalb zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO führt, soweit es von diesem Mangel betroffen ist.


Entscheidung

547. BGH 2 StR 302/19 - Beschluss vom 30. März 2021 (LG Frankfurt am Main)

Anhörungsrüge (Zurückversetzung des Verfahrens nach erfolgreicher Anhörungsrüge hinsichtlich abtrennbarer Teile einer Senatsentscheidung).

§ 356a StPO

Ist eine Anhörungsrüge begründet, ist das Verfahren in die Lage vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung zurückzuversetzen, soweit diese von dem Gehörsverstoß betroffen ist.


Entscheidung

563. BGH 4 StR 447/20 - Beschluss vom 18. Februar 2021 (LG Arnsberg)

Revision (Zurücknahme und Verzicht: Entscheidung des Revisionsgerichts bei Streit über die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme; Rücknahme durch den Angeklagten; Formerfordernisse).

§ 302 StPO

1. Wird die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, hierüber eine feststellende Entscheidung zu treffen. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Streit über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung nach einer feststellenden Entscheidung des iudex a quo fortbesteht.

2. Auch eine vom Verteidiger eingelegte Revision kann vom Angeklagten zurückgenommen werden.

3. Für die Rücknahme eines Rechtsmittels gelten dieselben Formerfordernisse wie für dessen Einlegung.


Entscheidung

629. BGH 2 ARs 172/20 2 AR 116/20 - Beschluss vom 29. April 2021

Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (Organisationshaft im Jugendvollzug).

§ 462a StPO; § 85 Abs. 2, Abs. 4 JGG; § 110 JGG

Die Organisationshaft ist eine Form der Strafhaft, die im Erwachsenenvollzug die Zuständigkeit der örtlichen Strafvollstreckungskammern begründet. Sie tritt mit Rechtskraft der Verurteilung ein und dauert bis zur Verlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug an. Es handelt sich dabei nicht um eine kurzfristige vorübergehende Aufnahme, die noch keine zuständigkeitsbegründende Wirkung entfaltet. Nichts Anderes kann im Jugendvollzug gelten.


Entscheidung

572. BGH 4 StR 509/20 - Beschluss vom 2. Februar 2021 (LG Bochum)

Urteil (Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung: Beschränkung auf offensichtliche Verkündungsversehen).

§ 260 StPO

Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen in Betracht. Die Annahme eines der Berichtigung zugänglichen offensichtlichen Verkündungsversehens setzt voraus, dass sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligte ? auch ohne Berichtigung ? klar zutage liegen, und damit der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist.


Entscheidung

636. BGH 4 StR 500/20 - Beschluss vom 28. April 2021

Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung (Kostenentscheidung im Fall des Todes des Angeklagten; Unbeachtlichkeit der Erfolgsaussichten der Revision hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs).

§ 467 Abs. 1 StPO; § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO

1. Die Kostenentscheidung richtet sich im Fall des Todes des Angeklagten nach den Grundsätzen, die bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind. Deshalb fallen die Kosten des Verfahrens gemäß § 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse zur Last.

2. Ob neben dem Schuldspruch auch der Rechtsfolgenausspruch Bestand gehabt hätte, ist für die Kostenentscheidung ohne Bedeutung. Zwar hängt die Frage, ob der Staatskasse auch die Aufwendungen des Angeklagten auferlegt werden, von den Erfolgsaussichten der von ihm

eingelegten Revision ab. Maßgeblich ist insoweit allerdings nicht die Strafzumessung, sondern lediglich, ob der ergangene Schuldspruch Bestand gehabt hätte. Denn bereits dann wäre es unbillig, der Staatskasse die notwendigen Aufwendungen des Angeklagten aufzuerlegen (vgl. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO). Hierfür würde es sogar genügen, wenn das Verfahren überhaupt nur bis zur Schuldspruchreife geführt worden wäre.