HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2020
21. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Auswirkungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Pandemie auf das Strafrecht

Von Peter J. Schäfer, Berlin[*]

Zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus hat der Bundestag neben anderen weitreichenden Maßnahmen mit dem COVInsAG die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis vorerst zum 30.9.2020 beschlossen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen des COVInsAG auf die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO sowie andere insolvenztypische Straftatbestände.

A. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das COVInsAG

Das SARS-CoV-2-Virus[1] trat im Dezember 2019 erstmals im chinesischen Wuhan auf. In der Folge der inzwischen weltweiten Ausbreitung des Virus und staatlicher Maßnahmen zu dessen Eindämmung erleidet bereits jetzt eine Vielzahl von Unternehmen existenzbedrohende wirtschaftliche Schäden.

Dem möchte der Gesetzgeber mit dem COVInsAG[2] entgegentreten und die Fortführung von Unternehmen ermöglichen und erleichtern, die infolge der Corona-Pandemie in eine existenzielle wirtschaftliche Krise geraten sind.[3] Den organschaftlichen Vertretern der Unternehmensträger soll Zeit gegeben werden, um die Insolvenzreife abzuwenden, insbesondere durch die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen und Finanzierungs- und Sanierungsvereinbarungen mit Gläubigern und Kapitalgebern.[4]

Dazu setzt der Gesetzgeber durch § 1 S. 1 COVInsAG die Insolvenzantragspflicht der § 15a Abs. 1 S. 1 InsO und § 42 Abs. 2 BGB vorerst bis zum 30.9.2020 grundsätzlich aus. Nur ausnahmsweise besteht die Insolvenzantragspflicht nach § 1 S. 2 COVInsAG fort, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO zu beseitigen. Das Beruhen der Insolvenzreife auf der Corona-Pandemie und das Bestehen von Aussichten, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, wird nach § 1 S. 3 COVInsAG zivilprozessual vermutet, wenn der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war.[5] Mit dieser grundsätzlichen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geht der Gesetzgeber weit über die früheren Aussetzungen der Insolvenzantragspflicht im Zuge vergangener Großschadenslagen – etwa der Hochwasserkatastrophen in den Jahren 2002, 2003 und 2016 – hinaus, bei denen die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Ausnahme war.[6]

Soweit die Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 COVInsAG ausgesetzt ist, modifiziert § 2 COVInsAG unter anderem gesellschaftsrechtliche Haftungsregeln und insolvenzrechtliche Anfechtungsvorschriften.[7]

Die Aussetzung tritt nach Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie rückwirkend zum 1.3.2020 in Kraft.[8] Die Aussetzung gilt zunächst bis zum 30.9.2020. Nach § 4 COVInsAG ist das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ermächtigt, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht per Verordnung bis zum 31.3.2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.

B. Auswirkungen auf die Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO

Mögliche Auswirkungen des COVInsAG auf die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO sind in vier Fällen denkbar:

·        Fälle, bei denen ein Insolvenzantragsgrund während der Geltung des COVInsAG eintritt (Zeitraum vom 1.3.2020 bis voraussichtlich 30.9.2020; dazu  I .).

·        Fälle, bei denen ein Insolvenzantragsgrund nach Ausbruch de s Corona virus aber bereits vor der Geltung des COVInsAG eingetreten ist (Zeitraum von Dezember 2019 bis zum 29.2.2020; dazu  II .).

·        Fälle, bei denen ein Insolvenzantragsgrund erst nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG eintritt (Zeitraum voraussichtlich ab dem 1.10.2020; dazu  III .).

·        Und schließlich Fälle, bei denen ein Insolvenzantragsgrund bereits vor Ausbruch de s Corona virus eingetreten ist (Zeitraum bis Dezember 2019; dazu  IV .).

I. Eintritt der Insolvenzreife während der Geltung des COVInsAG

Grundsätzlich haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler einer juristischen Person nach § 15a Abs. 1 InsO bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO oder der Überschuldung gem. § 19 InsO der juristischen Person ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt des zwingenden Insolvenzgrundes, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Bei Verstoß gegen diese Pflicht machen sich die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler der Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar. Nach § 15a Abs. 4 InsO ist strafbar, wer entgegen § 15a Abs. 1 S. 1 InsO einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich nicht (Nr. 1 Alt. 1), nicht rechtzeitig (Nr. 1 Alt. 2) oder nicht richtig (Nr. 2) stellt. § 15a Abs. 5 InsO erfasst zudem Fälle der fahrlässigen Begehung.

1. Weitgehende Straffreiheit durch § 1 COVInsAG

Nach § 1 S. 1 COVInsAG ist die Insolvenzantragspflicht grundsätzlich vollständig ausgesetzt. Entfällt danach die Pflicht zur Insolvenzantragstellung, kann diese Pflicht selbstverständlich auch nicht in strafwürdiger Weise verletzt werden. Nach § 1 S. 2 COVInsAG besteht die Antragspflicht während der Geltung des COVInsAG nur ausnahmsweise fort, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO zu beseitigen.

§ 1 S. 2 COVInsAG enthält keine besondere Regelung zur Überschuldung im Sinne des § 19 InsO. Daher entfällt die Insolvenzantragspflicht nach § 1 S. 1, 2 COVInsAG, wenn das Beruhen der Überschuldung auf der Corona-Pandemie nicht auszuschließen ist. Das gilt selbst dann, wenn keine Aussichten auf Beseitigung der Überschuldung mehr bestehen.

Allein wenn die nach dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1.3.2020 eingetretene Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit nicht auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen, ist eine strafbewehrte Verletzung der ausnahmsweise bestehenden Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 4, 5 InsO denkbar.[9]

a) Kein Beruhen des Insolvenzgrundes auf der Corona-Pandemie

Das Erfordernis des "Beruhens" des Insolvenzgrundes auf der Corona-Pandemie nach § 1 S. 2 1. Alt. COVInsAG entspricht der Formulierung der bereits im Zuge der Hochwasser ergangenen Gesetze, bei denen der Insolvenzgrund auf den Folgen des Hochwassers beruhen musste.[10] Für das vom Gesetzgeber verwendete Wort "beruhen" ist – anders als bei der Verwendung des Wortes "durch" – keine strenge Kausalität zwischen der Corona-Pandemie und dem Eintritt des Insolvenzgrundes zu fordern. Neben dem Wortlaut spricht für eine weite Auslegung auch der Sinn und Zweck des Gesetzes, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie weitgehend abzumildern.[11] Es genügt daher bereits eine "Mitursächlichkeit" der Corona-Pandemie.[12] Folglich kann die Insolvenzreife trotz bereits vor der Corona-Pandemie

bestehender wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhen.[13]

b) Fehlende Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit

Nach § 1 S. 2 2. Alt. COVInsAG besteht die Insolvenzantragsplicht weiterhin, wenn keine Aussichten auf die Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO bestehen. Gleiches gilt, wenn die Sanierungsaussichten entfallen.[14] Wann Aussichten zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen, legt § 1 S. 2 2. Alt. COVInsAG nicht fest. Der systematische Vergleich mit früheren Regelungen zur Aussetzungen der Insolvenzantragspflicht, die "ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen"[15] forderten, deutet darauf hin, dass nur offensichtlich aussichtlose Fälle ausgeschlossen werden sollen.[16] Dafür spricht auch der Wille des Gesetzgebers, Geschäftsleiter gerade von den derzeit bestehenden Unsicherheiten und Prognoseschwierigkeiten zu entlasten.[17] Keine Aussichten bestehen daher nur bei vagen Hoffnungen auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, etwa durch einen erhofften Lottogewinn.[18] Unzweifelhaft bestehen Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, wenn aus Sicht des Geschäftsleiters wegen der Beantragung öffentlicher Hilfen oder Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen mit Banken, Versicherern, Vermietern, Gläubigern, der öffentlichen Hand etc. zu erwarten ist, dass das Unternehmen nach Erreichen eines Entschuldungskonzepts oder nach Feststellung und Gewährung von Versicherungs- oder staatlichen Hilfeleistungen seine Zahlungsfähigkeit wiederherstellen kann.

c) Anforderungen an den Tatnachweis

Ungeachtet des geringen verbleibenden Anwendungsbereichs des § 15a Abs. 4, 5 InsO wird das für eine Verurteilung notwendige Bestehen der Insolvenzantragspflicht in Fällen, in denen der Insolvenzgrund nach dem 1.3.2020 eintrat, kaum nachzuweisen sein.

Für eine Verurteilung müsste im Wege des Strengbeweisverfahrens ohne vernünftigen Zweifel festgestellt werden, dass die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO trotz der Aussetzung durch § 1 COVInsAG bestand. Denn das Vorliegen aller strafbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen bedarf des Strengbeweises im Strafprozess.[19] Die zivilprozessuale Beweisregel des § 1 S. 3 COVInsAG hat für das Strafverfahren daher keine Bedeutung.

Eine Verurteilung kommt nur in solchen Fällen in Betracht, bei denen kein vernünftiger Zweifel verbleibt, dass die Corona-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war oder keine Aussichten auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestanden. Daran sind nach der Gesetzesbegründung "höchste Anforderungen"[20] zu stellen. Nach dem gesetzgeberischen Willen sollen die Regelungen des § 1 COVInsAG gerade gewährleisten, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen in keiner Weise zulasten von Geschäftsleitern gehen.[21]

2. Straffreiheit auch über den Geltungszeitraum des COVInsAG hinaus

Unerheblich ist, wann über die Tat entschieden wird. Das COVInsAG wirkt auch nach seinem Außerkrafttreten in den zuvor beschriebenen Fällen strafbefreiend. Das folgt bereits aus § 2 Abs. 1 StGB. Denn zum Zeitpunkt der Begehung der Tat war das Unterlassen der Insolvenzantragstellung trotz Vorliegens eines Insolvenzgrundes nach §§ 17, 19 InsO wegen § 1 S. 1 COVInsAG nicht strafbar. Einer Anwendung des nach dem Außerkrafttreten (wieder) geltenden verschärften – weil nicht mehr durch das COVInsAG modifizierten – § 15a Abs. 4, 5 InsO steht das allgemeine Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen.

3. Keine vollständige Straffreiheit bei Insolvenzantragstellung nach Außerkrafttreten

Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen der Insolvenzgrund ebenfalls während der Geltung des COVInsAG eingetreten ist, der Insolvenzantrag allerdings erst nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG gestellt wird.

Denn nach dem Tatzeitprinzip des § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Eine Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nach § 8 S. 1 StGB zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Bei echten Unterlassungsdelikten – wie sie alle Tatbestandsvarianten des § 15a Abs. 4, 5 InsO sind[22] – kommt es darauf an, wann der Täter hätte handeln können und müssen, um die Tatbestandsverwirklichung zu verhindern.[23] Da bei Unterlassungsdelikten die Strafbarkeit in der Regel über einen längeren Zeitraum durch aktives Tun abgewendet werden kann, erstreckt sich die Tatzeit auch über den gesamten Zeitraum. Die Tatzeit beginnt mit der Kenntnis des Täters von den seine Handlungspflicht auslösenden Umständen. Die Tatzeit endet mit dem Entfallen der Handlungspflicht des Täters.[24] Tritt die Strafbarkeit erst während der Begehung ein, ist nur der von da an begangene Handlungsteil strafbar.[25]

Danach beginnt die Insolvenzverschleppung sobald der Geschäftsleiter nach Eintritt der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber nach drei Wochen, den Insolvenzantrag als gebotene Handlung zur Erfüllung der Pflicht aus

§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO stellt. Die Tat endet erst mit der Insolvenzantragstellung durch das Vertretungsorgan oder einen Gläubiger, da zu diesem Zeitpunkt die Handlungspflicht entfällt.

Mithin bleibt der Zeitraum zwischen dem Außerkrafttreten des COVInsAG und der tatbeendenden Insolvenzantragstellung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar. In der Folge ist auch das Unterlassen der Insolvenzantragstellung wieder nach dem nach § 2 Abs. 1 StGB zum Zeitpunkt der Tat geltenden – nicht durch das COVInsAG modifizierten – § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar.[26]

4. Zwischenergebnis

Eine Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4, 5 InsO ist während der Geltung des COVInsAG nur in den Ausnahmefällen des § 1 S. 2 COVInsAG denkbar. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass sich bei Eintritt der Insolvenzreife während der Geltung des COVInsAG ohne vernünftigen Zweifel feststellen lässt, dass der Insolvenzgrund nicht auf der Corona-Pandemie beruht und trotz aller Prognoseschwierigkeiten keine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand. In dubio pro reo dürften daher in Fällen, in denen die Insolvenzreife während der Geltung des COVInsAG eingetreten ist, regelmäßig das Beruhen des Insolvenzgrundes auf der Corona-Pandemie und Aussichten auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit – und damit die strafbefreiende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – anzunehmen sein. Wird der Insolvenzantrag vor dem voraussichtlichen Außerkrafttreten am 30.9.2020 gestellt, bleibt die unterlassene Insolvenzantragstellung daher straffrei.

Wird der Insolvenzantrag erst nach dem Außerkrafttreten gestellt, bleibt der Zeitraum zwischen dem Außerkrafttreten des COVInsAG und der Insolvenzantragstellung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar, unabhängig davon, ob die Insolvenzreife auf der Corona-Pandemie beruht.

II. Eintritt der Insolvenzreife nach Ausbruch des Coronavirus aber vor Geltung des COVInsAG

Fraglich ist, was für Taten gilt, die unter dem COVInsAG straffrei wären, jedoch durch Eintritt eines zwingenden Insolvenzgrundes bereits vor dem Inkrafttreten des COVInsAG beendet waren. Die Frage betrifft Gesellschaften, bei denen ein Insolvenzgrund nach dem Ausbruch des Coronavirus Ende 2019 und vor dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1.3.2020 eintrat.

1. COVInsAG als lex mitior gem. § 2 Abs. 3 StGB

Als Ausnahme von der Regel des Tatzeitprinzips in § 2 Abs. 1 StGB bestimmt § 2 Abs. 3 StGB, dass das mildeste Gesetz anzuwenden ist, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert wird. Das Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB verhindert, dass der Täter aufgrund eines Tatbestands bestraft wird, den der Gesetzgeber selbst nicht mehr als strafwürdig erachtet.[27]

Welches Gesetz milder ist, bestimmt sich nach dem Vergleich der Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter die alte sowie die neue Rechtslage.[28] Danach ist das COVInsAG ein milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, da es die Strafbarkeit in den von § 1 S. 1, 2 COVInsAG erfassten Fällen vollständig entfallen lässt, während bei Anwendung des zur Tatzeit vor dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1.3.2020 geltenden nicht modifizierten § 15a Abs. 4, 5 InsO das Unterlassen der Insolvenzantragstellung – trotz des Beruhens auf den Folgen der Corona-Pandemie oder Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit – strafbar gewesen wäre.[29] Dagegen spricht auch nicht, dass § 15a Abs. 4, 5 InsO nicht selbst, sondern die in Bezug genommene Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO durch das COVInsAG geändert wird. Denn § 2 Abs. 3 StGB gilt auch bei der Änderung von Bezugsnormen eines Blanketttatbestands[30] – hier die Änderung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO durch das § 1 S. 1, 2 COVInsAG als Bezugsnorm des § 15a Abs. 4, 5 InsO.

2. Keine entgegenstehende Wertung des § 2 Abs. 4 StGB

Der Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips nach § 2 Abs. 3 StGB steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem vorerst nur bis zum 30.9.2020 geltenden COVInsAG um ein "Zeitgesetz" im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB handelt.

Nach § 2 Abs. 4 StGB ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auch dann auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, anzuwenden,

wenn das Gesetz bereits außer Kraft getreten ist. Zeitgesetze im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB sind alle Rechtsnormen, die nur zeitlich befristet gelten sollen. Unbestritten zählen dazu sogenannte Zeitgesetze im engeren Sinne, bei denen das Gesetz ausdrücklich bei seiner Verkündung einen kalendermäßigen Zeitpunkt bestimmt, zu dem es außer Kraft treten soll.[31] Bei Blankettstrafgesetzen – wie der auf die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO verweisenden Insolvenzverschleppung der § 15a Abs. 4, 5 InsO – ist zur Beurteilung, ob es sich um ein Zeitgesetz handelt, auf die Ausfüllungsnorm – also die Insolvenzantragspflicht – abzustellen, da durch die zeitliche Begrenzung der Geltung der Ausfüllungsnorm zugleich die Strafbarkeit nach der Blankettstrafnorm zeitlich begrenzt verändert wird.[32] Da die Geltung des die Insolvenzantragspflicht aussetzenden § 1 COVInsAG zunächst bis zum 30.9.2020 begrenzt ist, handelt es sich um ein Zeitgesetz im engeren Sinne.

Nach einer in der Literatur teilweise vertretenen Ansicht können Zeitgesetze im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB kein milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB sein.[33] Zeitgesetze seien nur für Straftaten anwendbar, die während der zeitlich begrenzten Geltung des Gesetzes begangen werden. Im Umkehrschluss bleibe deren Anwendungsbereich für Straftaten, die vor oder nach Geltung des Zeitgesetzes begangen wurden, verschlossen – auch wenn das Zeitgesetz Milderungen enthält.[34] In den Genuss eines milderen Gesetztes sollen danach nur Taten kommen, die innerhalb der Geltungsdauer des zeitlich begrenzten milderen Gesetzes begangen wurden. Es sei nicht nachvollziehbar, einen Täter mit einer Milderung des Gesetzes oder gar der Straflosigkeit seines Verhaltens zu belohnen, der zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nichts von den Umständen ahnen konnte, aus denen die zeitlich begrenzte Straffreiheit folgt.[35]

Nach dieser Ansicht wären Fälle, in denen der Insolvenzgrund vor dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1.3.2020 eintrat und die unter dem COVInsAG straffrei wären, weiterhin nach § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar, da das strafbefreiend wirkende COVInsAG wegen seiner zeitlichen Begrenzung für die vor seiner Geltung beendeten Taten nicht als milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB in Betracht käme.

Soweit ersichtlich, wurde die Frage noch nicht ausdrücklich durch die Rechtsprechung entschieden. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung die Anwendung des neuen ab 2009 geltenden Überschuldungstatbestands auf einen zeitlich vor der Gesetzesänderung liegenden Sachverhalt auf Grundlage des § 2 Abs. 3 StGB durch die Vorinstanz nicht kritisiert.[36] Darin könnte eine Billigung der Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB auch bei Zeitgesetzen im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB liegen.[37] Die fehlende Kritik könnte jedoch auch darauf gründen, dass der Bundesgerichtshof die Neuregelung des § 19 Abs. 2 InsO nicht – was ebenfalls umstritten war – als Zeitgesetz ansah, sodass sich die hiesige Frage des Verhältnisses von § 2 Abs. 3 zu Abs. 4 StGB für den Bundesgerichtshof gar nicht gestellt hätte und aus der Entscheidung nichts abzuleiten wäre.

Gleichwohl sprechen die besseren Gründe für die Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB auch bei Zeitgesetzen im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB. Denn der von der Gegenansicht gezogene Umkehrschluss ist keineswegs zwingend. Nur weil eine Strafbarkeit bei Verstoß gegen ein Zeitgesetz auch nach dessen Außerkrafttreten in Abweichung zu § 2 Abs. 3 StGB erhalten bleibt, folgt daraus nicht zwingend, dass eine Milderung durch ein Zeitgesetz nicht auch vorangegangene Taten erfassen könnte. § 2 Abs. 4 StGB will wie § 2 Abs. 3 StGB Zufälligkeiten beim Auseinanderfallen von Tatbeendigung und Aburteilung verhindern. Nach § 2 Abs. 4 StGB soll es dem Täter nicht zufällig zugutekommen, dass über seine Tat zu einem Zeitpunkt entschieden wird, zu dem die zeitweise Pönalisierung nicht mehr gilt. Zu der Frage, ob eine zeitlich begrenzte Strafbefreiung oder -milderung auch auf vorangegangene Taten Anwendung finden kann, äußert sich § 2 Abs. 4 StGB jedoch nicht.[38] Diesen Fall regelt allein § 2 Abs. 3 StGB, der gerade eine Bestrafung verhindern möchte, die der Gesetzgeber nicht mehr für angemessen erachtet.[39] Gerade die aktuelle Situation spricht für die Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB. Es wäre wertungsmäßig schwer nachvollziehbar, denjenigen, dessen Unternehmen früher oder schwerer durch die Corona-Pandemie getroffen wurde und bei dessen Rechtsträger in der Folge früher – vor Inkrafttreten der COVInsAG – ein Insolvenzgrund eintrat, zu bestrafen und denjenigen, der sich über die Zeit des Inkrafttretens retten konnte, straffrei zu stellen. Denn der Gesetzgeber will mit dem COVInsAG umfassend alle Auswirkungen der Corona-Pandemie abmildern.[40]

Danach ist das COVInsAG auch auf Fälle, in denen der Insolvenzgrund bereits vor dem Inkrafttreten des COVInsAG am 1.3.2020 eintrat, wegen des Meistbegünstigungsprinzips des § 2 Abs. 3 StGB anwendbar, sodass die vom COVInsAG erfassten Fällen nach § 15a Abs. 4, 5 InsO straflos sind.[41]

3. Strafbefreiende Wirkung auch bei Entscheidung nach Außerkrafttreten des COVInsAG

Die strafbefreiende Wirkung des § 2 Abs. 3 StGB bleibt auch nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG erhalten, sollte über die zuvor beschriebenen Fälle erst nach dem 30.9.2020 entschieden werden. Von der ganz herrschenden Meinung wird § 2 Abs. 3 StGB zu Recht so interpretiert, dass bei mehreren Gesetzesänderungen auch ein "Zwischengesetz" als mildestes Gesetz gelten kann.[42] Danach findet das COVInsAG als mildestes Zwischengesetz Anwendung. Denn während zur Tat- und Entscheidungszeit mangels Modifikation der Insolvenzantragspflicht die Nichtstellung des Insolvenzantrags bei einem Beruhen des Insolvenzgrundes auf der Corona-Pandemie nach § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar war und nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG wieder ist, entfiel die Strafbarkeit während des zwischenzeitlich geltenden COVInsAG.

4. Zwischenergebnis

In Fällen, in denen der Insolvenzgrund nach Ausbruch des Coronavirus eintrat und die nach dem COVInsAG straffrei wären, entfällt nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit. Denn der durch das COVInsAG modifizierte § 15a Abs. 4, 5 InsO findet als milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB auch auf die bereits vor seinem Inkrafttreten beendeten Taten Anwendung. Die begrenzte Gültigkeit des COVInsAG steht dem nicht entgegen. Die Straffreiheit bleibt auch nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG erhalten. Für den Tatnachweis gelten die oben dargelegten Anforderungen.[43] Sollte der Insolvenzantrag erst nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG gestellt werden, verbleibt allerdings wie oben ausgeführt eine Strafbarkeit für den Zeitraum zwischen dem Außerkrafttreten des COVInsAG und der Insolvenzantragstellung.[44]

III. Eintritt der Insolvenzreife nach Außerkrafttreten des COVInsAG

Das unterlassene oder unrichtige Stellen eines Insolvenzantrags ist bei Eintritt des Insolvenzgrundes nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG voraussichtlich ab dem 1.10.2020 wieder gemäß § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar, unabhängig davon, auf welchen Gründen der Insolvenzgrund beruht. Denn mangels Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zur Tatzeit findet nach § 2 Abs. 1 StGB ausschließlich der nicht modifizierte § 15a Abs. 4, 5 StGB Anwendung. Sollte der Insolvenzgrund gleichwohl auf der Corona-Pandemie beruhen, kann und sollte dies strafmildernd im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Denn das COVInsAG ist von dem Gedanken getragen, dass kein Unternehmer für die unvorhersehbaren wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie verantwortlich ist. Diese Wertentscheidung des Gesetzgebers sollte auch über den Geltungszeitraum des COVInsAG hinaus Beachtung finden.

IV. Eintritt der Insolvenzreife vor Ausbruch des Coronavirus

Für Taten, die vor dem Ausbruch des Coronavirus Ende 2019 beendet waren, lässt das geplante COVInsAG die Strafbarkeit wegen § 15a Abs. 4, 5 InsO unberührt. Denn vor dem Ausbruch entstandene Insolvenzgründe können denklogisch nicht auf der Corona-Pandemie beruhen. Für alle Fälle, in denen der Insolvenzantragsgrund nicht auf der Corona-Pandemie beruht, besteht die Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4, 5 InsO auch nach dem Inkrafttreten des COVInsAG unverändert fort. Daran ändert auch das Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB nichts. Denn das nicht oder nicht rechtzeitige Stellen des Insolvenzantrags in Fällen, in denen die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht auf dem Coronavirus beruhen, wird unverändert durch § 1 S. 2 COVInsAG i. V. m. § 15a Abs. 4, 5 InsO pönalisiert.

C. Auswirkungen auf die Insolvenzstraftaten der §§ 283 ff. StGB

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG lässt die Strafbarkeit wegen Insolvenzstraftaten des Strafgesetzbuchs gemäß §§ 283 ff. StGB grundsätzlich unberührt. Denn § 1 COVInsAG lässt alleine die Pflicht zur Insolvenzantragstellung entfallen. Überschuldung und (drohende) Zahlungsunfähigkeit im Sinne der Insolvenzordnung können weiterhin eintreten – und damit die von § 283 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 sowie §§ 283c, 283d StGB vorausgesetzte strafrechtlich relevante wirtschaftliche Krise.[45]

Allerdings dürften § 1 und § 3 COVInsAG den Anwendungsbereich der Insolvenzstraftaten mit Blick auf §§ 283 Abs. 6, 283b Abs. 3, 283c Abs. 3, 283d Abs. 4 StGB reduzieren. Denn sofern noch keine Zahlungseinstellung vorliegt, setzt die Strafbarkeit nach den §§ 283 ff. StGB die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse voraus.[46] Aufgrund der §§ 1, 3 COVInsAG ist während deren Geltung ein Rückgang der Verfahrenseröffnungen und Abweisungen mangels Masse zu erwarten. Denn mit Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch § 1 S. 1, 2 COVInsAG dürfte die Zahl der Eigenanträge deutlich zurückgehen. Zudem – und entscheidender – erhöht § 3 COVInsAG, wonach für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für alle zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträge der Eröffnungsgrund bereits am 1.3.2020 vorgelegen haben muss, die Anforderungen für Fremdanträge nach § 14 InsO, sodass jedenfalls in diesem Zeitraum die Zahl der Verfahrenseröffnungen und Abweisungen mangels Masse sinken dürfte.

Die Änderungen der Insolvenzanfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO durch § 2 Abs. 1 Nr. 2, 4 COVInsAG haben keine direkten Auswirkungen auf die nach § 283c StGB strafbare Gläubigerbegünstigung. Denn § 2 COVInsAG berührt die von § 283c StGB vorausgesetzte Inkongruenz von Leistung und Gegenleistung nicht. Gleichwohl dürften die von § 2 Abs. 1 Nr. 2, 4 COVInsAG erfassten Fällen bei einer inkongruenten Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB jedenfalls strafmildernd zu berücksichtigen sein. Denn nach § 2 Abs. 1 S. 2 COVInsAG gilt die Rückgewährung und Bestellung von Sicherheiten bis zum 30.9.2023 für im Aussetzungszeitraum gewährte neue Kredite unwiderleglich als nicht gläubigerbenachteiligend.[47] Die fehlende Gläubigerbenachteiligung und die daraus folgende insolvenzrechtliche Unanfechtbarkeit gilt selbst bei inkongruenten Deckungen. Denn § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG fordert anders als § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 COVInsAG gerade keine Kongruenz. Ebenso nimmt § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 COVInsAG diverse inkongruente Leistungen vom Anwendungsbereich des § 131 InsO aus.[48] Wenn der Gesetzgeber aber inkongruente Deckungen sogar von der insolvenzrechtlichen Anfechtung freistellt, ist eine strafrechtliche Ahndung – trotz tatbestandlicher Inkongruenz – schwerlich nachvollziehbar.

D. Keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB

Soweit Geschäftsleiter nicht die temporäre Stundungsmöglichkeit im Rahmen der Corona-Pandemie nutzen, besteht die Strafbarkeit nach § 266a StGB bei Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers bei der Einzugsstelle unverändert fort.[49] Soweit die Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG ausgesetzt ist, besteht auch keine strafbefreiende Pflichtenkollision zwischen den gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten der § 64 S. 1 GmbHG und § 92 Abs. 2 S. 1 AktG und der sozialrechtlichen Zahlungspflicht des § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV.[50] Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgten, insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG und § 92 Abs. 2 S. 2 GmbHG vereinbar. Zu den Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang zählen auch die Abführungen der Sozialversicherungsbeiträge, die aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung aus § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV geleistet werden.[51] In der Folge ist die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen mit den gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten vereinbar und es kommt nicht zur Kollision.

E. Keine Auswirkungen auf die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 StGB

Auch das im Rahmen der Unternehmenskrise stets bestehende Risiko eines Eingehungsbetruges durch den Abschluss von Verträgen, insbesondere durch Bestellungen bei Lieferanten, berührt das COVInsAG nicht.[52] Eine Täuschung über die Leistungsfähigkeit und -willigkeit ist nach eingetretener Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit weiterhin möglich.[53] Denn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch § 1 COVInsAG lässt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens unberührt.

F. Zusammenfassung

Für die strafrechtliche Beurteilung von Taten, die seit Ausbruch des Coronavirus Ende des Jahres 2019 Gegenstand von Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung sind, sind drei Faktoren entscheidend: Die Ursachen des Insolvenzgrundes, der Zeitpunkt des Eintritts des Insolvenzgrundes sowie der Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung.

Mit dem Entfallen der Insolvenzantragspflicht durch § 1 S. 1 COVInsAG entfällt die Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4, 5 InsO. Strafbar ist das Unterlassen der Insolvenzantragspflicht ausnahmsweise nach § 1 S. 2 COVInsAG nur, wenn der eingetretene Insolvenzgrund nicht auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussicht auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht oder die Aussicht entfällt. Das Bestehen der Insolvenzantragspflicht ist für eine Verurteilung im Strengbeweisverfahren festzustellen. Das dürfte bei Eintritt des Insolvenzgrundes nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit Ausnahme von offensichtlichen Fällen praktisch ausgeschlossen sein. Gleichwohl sollten Geschäftsleiter zur eigenen Entlastung die Beantragung staatlicher Hilfen und den Verlauf von Finanzierungs- oder Sanierungsgesprächen mit Gläubigern dokumentieren.

Neben den Ursachen des Insolvenzgrundes ist der Zeitpunkt des Eintritts des Insolvenzgrundes zu berücksich-

tigen. Tritt der durch das COVInsAG erfasste Insolvenzgrund während des Geltungszeitraums des COVInsAG ein, entfällt die Strafbarkeit. Gleiches gilt nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB in Fällen, in denen der Insolvenzgrund bereits vor dem Inkrafttreten des COVInsAG eintrat und die nach dem COVInsAG straffrei wären. Tritt der Insolvenzgrund erst nach Außerkrafttreten des COVInsAG ein, ist das Unterlassen des Insolvenzantrags nach § 15a Abs. 4, 5 StGB strafbar. Das Beruhen des Insolvenzgrundes auf der Corona-Pandemie kann allerdings strafmildernd berücksichtigt werden. Sofern der Insolvenzgrund bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus eintrat, bleibt die Strafbarkeit durch das COVInsAG unberührt.

Zuletzt ist der Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung entscheidend. Für eine vollständige Straffreiheit ist der Insolvenzantrag vor dem Außerkrafttreten des COVInsAG zu stellen. Nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG lebt die Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4, 5 InsO auch in Fällen der Verursachung der Insolvenzreife durch die Corona-Pandemie wieder auf. Der Zeitraum zwischen Außerkrafttreten des COVInsAG und der Insolvenzantragstellung bleibt strafbar.

Nicht entscheidend für die strafrechtliche Bewertung ist, ob über die Taten während der Geltungsdauer des COVInsAG oder erst nach seinem Außerkrafttreten entschieden wird. Eine einmal erlangte Straffreiheit durch das COVInsAG bleibt wegen des Meistbegünstigungsprinzips des § 2 Abs. 3 StGB auch nach seinem Außerkrafttreten erhalten.

Die Strafbarkeit wegen § 263, § 266a und der §§ 283 ff. StGB bleibt durch das COVInsAG grundsätzlich unberührt. Gleichwohl dürften die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG und die Aussetzung von Fremdanträgen nach § 3 COVInsAG den Anwendungsbereich der §§ 283 ff. StGB mit Blick auf § 283 Abs. 6 StGB reduzieren. Die gegenüber den allgemeinen Insolvenzanfechtungsregeln privilegierten Fälle der § 2 Abs. 1 Nr. 2, 4 S. 2 COVInsAG dürften auch strafmildernd im Rahmen der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB zu berücksichtigen sein.


[*] Der Verfasser ist Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin und Doktorand am Institut für Deutsches und Europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht bei Prof. Dr. iur. Dr. rer. pol. h.c. Dr. iur. h.c. Werner F. Ebke, LL.M.

[1] Im Folgenden: Coronavirus; dessen Ausbreitung im Folgenden: Corona-Pandemie.

[2] Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG), verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie vom 27.3.2020 (BGBl. I S. 569).

[3] BT-Drucks. 19/18110, S. 17.

[4] BT-Drucks. 19/18110, S. 17.

[5] Die zivilprozessuale Beweislastverteilung des § 1 S. 2 COVInsAG wird dadurch nicht berührt, siehe BT-Drucks. 19/18110, S. 22.

[6] Vgl. die Formulierung des § 1 des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasser- und starkregenfallbedingter Insolvenz, Art. 3 a Gesetz vom 26.7.2016, BGBl. I S. 1824, 1838: "Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle und Hochwasser im Mai und Juni 2016, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016." Ebenso die Formulierung des § 1 des Gesetzes über die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasserbedingter Insolvenz, Artikel 3 des Gesetzes vom 15.7.2013, BGBl. I S. 2401, 2402.

[7] Dazu ausführlich Hölzle/Schulenberg ZIP 2020, 633, 639–649; Morgen/Schinkel ZIP 2020, 660; Römermann NJW 2020, 1108, 1109–1111; Schluck-Amend NZI 2020, 289, 291–293; Thole ZIP 2020, 650, 655–658.

[8] Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie vom 27.3.2020 (BGBl. I S. 569).

[9] Bei der Rückwirkung des Gesetzes zum 1.3.2020 durch Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie handelt es sich um eine strafbefreiende und mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG daher unproblematische Rückwirkung zugunsten des Täters, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.1996, Az. 2 BvR 1851/94, juris, Rn. 136; Maunz/Dürig/Remmert, 88. EL August 2019, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 125 m. w. N.

[10] Vgl. die Formulierung in Fn. 6.

[11] BT-Drucks. 19/18110, S. 17.

[12] Hölzle/Schulenberg ZIP 2020, 633, 637; Schluck-Amend NZI 2020, 289, 290; vgl. auch Müller/Rautmann DStR 2013, 1551, 1552.

[13] Ebenfalls für eine weite Auslegung Hölzle/Schulenberg ZIP 2020, 633, 636; Schluck-Amend NZI 2020, 289, 290; Thole ZIP 2020, 650, 652.

[14] Schluck-Amend NZI 2020, 289, 291.

[15] Vgl. die Formulierung in Fn. 6.

[16] Ebenso Schluck-Amend NZI 2020, 289, 291.

[17] BT-Drucks. 19/18110, S. 22.

[18] Thole ZIP 2020, 650, 653.

[19] Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 244 Rn. 6.

[20] BT-Drucks. 19/18110, S. 22.

[21] BT-Drucks. 19/18110, S. 22.

[22] MüKoStGB/O. Hohmann, 3. Aufl. 2019, § 15a InsO Rn. 108.

[23] MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl. 2017, StGB § 8 Rn. 13.

[24] MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl. 2017, StGB § 8 Rn. 13.

[25] Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 2 Rn. 3.

[26] Ein durch § 2 Abs. 2 StGB geregelter Fall liegt hier nicht vor. § 2 Abs. 2 StGB erfasst nur Fälle der Änderung der Strafandrohung, also Strafmilderung und -schärfung, nicht aber Fälle, in denen die Strafbarkeit während der Begehung erst begründet wird – wie hier durch das Wiederaufleben der Strafbarkeit des Unterlassens der Insolvenzantragstellung nach dem Außerkrafttreten des COVInsAG, vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1993, Az. 2 StR 468/93, NStZ 1994, 123, 124; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 2 Rn. 3; Schönke/
Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 2 Rn. 13.

[27] Bereits RG, Urteil vom 15.1.1891, Az. 3485/90, RGSt 21, 294 f.; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 2 Rn. 14; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 22.

[28] BGH, Beschluss vom 12.8.1999, Az. 3 StR 227/99, NStZ 2000, 49, 50; BGH, Beschluss vom 10.7.1975, Az. GSSt 1/75, NJW 1975, 2214; BGH, Urteil vom 8.9.1964, Az. 1 StR 292/64, juris, Rn. 9; LK-StGB/Dannecker, 12. Aufl. 2007, § 2 Rn. 106 m. w. N.

[29] Da die Strafbarkeit in den vom COVInsAG erfassten Fällen vollständig entfällt und nicht nur modifiziert wird, kommt es auf die "Kontinuität des Unrechtstyps" nicht an. Siehe dazu BGH, Beschluss vom 10.7.1975, Az. GSSt 1/75, NJW 1975, 2214; BGH, Urteil vom 23.9.1975, Az. 1 StR 436/75, NJW 1976, 248; kritisch dazu MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 31 m. w. N.

[30] Vgl. für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 StGB auch bei Blanketttatbeständen BVerfG, Beschluss vom 22.8.1994, Az. 2 BvR 1884/93, NJW 1995, 315, 316; BGH, Urteil vom 8.1.1965, Az. 2 StR 49/64, NJW 1965, 981, 982; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 14. Für die Einordnung des § 15a Abs. 4, 5 InsO als Blanketttatbestand vgl. Fromm/Gierthmühlen NZI 2009, 665, 667; MüKoInsO/Hohmann, 3. Aufl. 2019, § 15a Rn. 49.

[31] BGH, Beschluss vom 9.3.1954, Az. 3 StR 12/54, NJW 1954, 970, 970; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 58 m. w. N.

[32] Fromm/Gierthmühlen NZI 2009, 665, 667; MüKoStGB/
Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 62.

[33] Vgl. Adick HRRS 2009, 155, 157; Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2009, Rn. 55; Fromm/Gierthmühlen NZI 2009, 665, 666; wohl auch Bittmann wistra 2009, 138, 140.

[34] Fromm/Gierthmühlen NZI 2009, 665, 666.

[35] Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2009, Rn. 55; Fromm/Gierthmühlen NZI 2009, 665, 666.

[36] BGH, Urteil vom 11.2.2010, Az. 4 StR 433/09, HRRS 2010 Nr. 268 Rn. 15 .

[37] So Anw-StGB/Gaede, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 16.

[38] SK-StGB/Jäger, 9. Aufl. 2017, § 2 Rn. 16; Schmitz wistra 2009, 369, 372 f.

[39] SK-StGB/Jäger, 9. Aufl. 2017, § 2 Rn. 16; MüKoStGB/
Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 26; Schmitz wistra 2009, 369, 372 f.

[40] BT-Drucks. 19/18110, S. 17.

[41] A. A., wonach eine Strafbarkeit erst ab dem Inkrafttreten des COVInsAG in Betracht kommen soll, Altenburg/Kremer, Newsdienst Compliance 2020, 210002.

[42] BGH, Urteil vom 23.7.1992, Az. 4 StR 194/92, juris; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 2 Rn. 14, 27; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 2 Rn. 23.

[43] SieheB.I.1.c).

[44] SieheB.I.3.

[45] Zur zivilrechtsakzessorischen Auslegung vgl. BGH, Beschluss vom 23.5.2007, Az. 1 StR 88/07, HRRS 2007 Nr. 603; Bittmann in: Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 12 Rn. 37 m. w. N.

[46] Himmelreich in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2019, VII 1. Kap. Rn. 90.

[47] Nerlich/Römermann/Römermann, 40. EL März 2020, COVInsAG, § 2 Rn. 37.

[48] Schluck-Amend NZI 2020, 289, 293.

[49] Zur Stundungsmöglichkeit vgl. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/grundprinzipien_1/finanzierung/beitragsbemessung/20200325_Hintergrund_Beitragsstundung.pdf (zuletzt aufgerufen am 15.5.2020).

[50] A. A. wohl Altenburg/Kremer, Newsdienst Compliance 2020, 210002. Allgemein zur strafbefreienden Pflichtenkollision während der Dauer der Insolvenzantragspflicht BGH, Beschluss vom 30.7.2003, Az. 5 StR 221/03, NJW 2003, 3787; BGH, Urteil vom 18.4.2005, Az. II ZR 61/03, NJW 2005, 2546, 4548; Bittmann in: Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 21 Rn. 122 f.

[51] Nerlich/Römermann/Römermann, 40. EL März 2020, COVInsAG, § 2 Rn. 9 f.

[52] Altenburg/Kremer, Newsdienst Compliance 2020, 210002; Hölzle/Schulenberg ZIP 2020, 633, 649.

[53] Vgl. BGH, Urteil vom 22.10.1981, Az. 4 StR 429/81, juris, Rn. 18; BGH, Urteil vom 15.6.1954, Az. 1 StR 523/53, NJW 1954, 1414 f.; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 263 Rn. 33; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 16a.