HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2019
20. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Instinktive" polizeiliche Verfolgung und strafjustitieller Beharrungsexzess in politisiertem Kontext[*]

Von Univ.-Prof. em. Dr. Ulrich Eisenberg, Freie Universität Berlin

Einleitung

Der motu proprio verfasste und im Einklang mit wissenschaftlichen Pflichten von keiner Seite beeinflusste Beitrag ist exemplarisch beweisrechtlichen und speziell aussagepsychologischen Schwierigkeiten in der Praxis geschuldet. Das tatgerichtliche Urteil beansprucht eine "sichere Überzeugung"[1] von der Tatschuld des Angeklagten, ohne dass dies vor den tatsächlichen Feststellungen bestehen könnte (dazu unten I. bis III.). Bereits hinsichtlich Fragen nach der tatrichterlichen Unabhängigkeit sind Zweifel nicht unbegründet (dazu unten IV.).

I. Tatsächliche Feststellungen

1. Tatgeschehen und Verfolgungsmaßnahmen

Die Tötung eines 35-Jährigen durch fünf Messerstiche[2] und die Verletzung eines anderen durch einen Messerstich in den Rücken ohne konkrete Lebensgefahr geschahen am 26.08.2018 am Rande des örtlichen Stadtfestes gegen 3.00 Uhr nachts, und zwar im Ortszentrum auf einem breiten Fußweg, wo noch Personengruppen unterwegs waren. Beide ortsansässigen Geschädigten standen unter Alkoholeinfluss, der Getötete zudem unter Kokaineinfluss.[3]

Den Taten vorausgegangen war eine zunächst verbale Auseinandersetzung zwischen dem C und dem Getöteten, der den C sodann von sich stieß, so dass dieser zu Boden stürzte. Aufmerksam geworden durch Geschrei, eilten u. a. A und B, die sich in einem ca. 50 Meter entfernten Döner-Imbiss aufgehalten hatten, zum Ort des Geschehens.

a) Flucht von vier Personen vor der Polizei

aa) Kurze Zeit nach dem Tatgeschehen wurden A und B, nachdem sie vor der (von Dritten herbeigerufenen) Polizei weggelaufen waren, festgenommen, und tags darauf ordnete das AG Chemnitz für beide U-Haft an. Das hier erörterte Verfahren betraf im weiteren Verlauf nur den A.

Er ist am 07.07.1995 geboren und gehört der "kurdischen Bevölkerungsgruppe an", [4] war am 26.04.2015 nach Deutschland eingereist, wurde am 24.09.2015 als Flüchtling anerkannt, erhielt am 22.04.2016 eine "Aufenthaltsgestattung" [5] und war vor Ort als Frisör beschäftigt. [6]

Für die Tatzeit wurde bei A kein Alkohol- oder Drogeneinfluss festgestellt, [7] er war nicht vorbestraft. [8] Er befand sich vom 27.08.2018 bis zur Urteilsverkündung ununterbrochen in U-Haft, und zwar seit 30.01.2019 aufgrund Haftbefehls der Strafkammer, die dessen Fortgeltung sodann durch Beschluss vom 22.08.2019 anordnete. – Die U-Haftanordnung gegenüber B hob das AG Chemnitz bereits am 18.09.2018 auf, und die Staatsanwaltschaft Chemnitz stellte das Verfahren gegen ihn am 15.01.2019 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. [9] Diese Kehrtwendung besonders hinsichtlich der U-Haft binnen ca. 3 Wochen könnte sich ggfs. (auch) mit Mängeln in der Begründung schon der Anordnung erklären lassen (zu etwaigen politischen Belangen vgl. unten II. 1. b) dd)).

bb) Neben diesen beiden Personen waren noch zwei andere Personen vor der Polizei weggelaufen,[10] die seitdem der Strafverfolgung entkommen sind. Einer dieser beiden war nach mehreren Zeugenaussagen der "anderweitig Verfolgte (flüchtige)"[11] C, der ältere von zwei Brüdern, der andere jedoch, der sich laut Urteil erst in gewisser Entfernung vom Tatort den anderen "anschloss", blieb "unbekannt".[12] Dieser andere könnte der ("untergetauchte"[13] ) E gewesen sein, der jüngere der beiden Brüder, ggfs. aber der seitdem (gleichfalls "untergetauchte"[14] ) D.[15]

Weithin ungeklärt war und blieb (auch in der Hauptverhandlung) die Frage nach der Täterschaft oder Tatbeteiligung des C, der erst mehrere Tage nach dem Tatgeschehen ebenfalls Beschuldigter wurde[16] – er stammte aus dem Irak, seine Aufenthalts-Duldung war am 13.07.2019 abgelaufen.[17] Nicht aufgeklärt ist auch, ob E[18] Täter oder Tatbeteiligter war. Beiden Brüdern wurde von mehreren Zeugen, allerdings teilweise eher iSv Vermutungen aufgrund negativen Leumunds, die Täterschaft zugeschrieben.[19] Unstreitig scheint zu sein, dass beide in Konflikten nicht selten ein Messer eingesetzt hatten, C auch am frühen Tattag, kaum eine bis drei Stunden vor dem Tatgeschehen[20] - seit diesem sind sie "nicht auffindbar"[21] .

Noch weniger geklärt blieb (wiederum auch in der Hauptverhandlung) die Frage, ob der am Tatort anwesende D[22] Täter oder Tatbeteiligter war. Nach einer Zeugenaussage habe er am Tattag ein Messer bei sich gehabt.[23]

cc) Von einer der vier vor der Polizei wegrennenden Personen wurde im Laufen ein Gegenstand weggeworfen.[24] Bei einer Gabelung bogen A und B dann nach links in eine beleuchtete Straße ab, C und der "Unbekannte" nach rechts ins Dunkle, wozu von den Polizeibeamten vermerkt ist: "instinktiv entschieden wir uns", die beiden Erstgenannten "zu verfolgen".[25] Sachliche Gründe für diese Entscheidung, wie sie etwa aufgrund des Informationsstandes der Polizei hätten gegeben sein können, bestanden nicht.

b) Beweislage

aa) Sachbeweise, die den A unmittelbar belastet hätten, lagen nicht vor. Sein Körper wies keine "Angriffs-, Abwehr- oder Hantierverletzungen" auf. [26] DNA-Spuren des A fanden sich weder an der Kleidung [27] des Getöteten oder des Verletzten, noch deren DNA-Spuren an seiner Kleidung oder seinem Körper. [28]

An dem seitlich des Fluchtweges der vier Personen gefundenen Messer, das aufgrund molekulargenetischer Untersuchung als ein Tatwerkzeug [29] identifiziert wurde, [30] fanden sich zwar Blutspuren des Getöteten, "überlagert" von solchen des Verletzten,[31]

jedoch keine DNA-Spuren, die mit dem Profil des A übereinstimmten. E in gesichertes "unvollständiges"[32] DNA-Profil des E ließ (wegen der Unterschiedlichkeit meist mehrerer Allele auch unter Geschwistern) keinen gesicherten Schluss auf dessen älteren Bruder C zu, es sei eher davon auszugehen, dass es sich um eine Spur von E selbst handle.[33]

Soweit am linken Oberarm des A eine frische Verletzung und von dieser stammende Blutspuren auf seiner Kleidung festgestellt wurden,[34] schweigt das Urteil zu Fragen nach der Entstehung.

bb) Hinsichtlich persönlicher Beweismittel ließen sich trotz umfänglicher Bemühungen der Ermittlungsbehörden - weithin unter Zuhilfenahme von Dolmetschern für das Arabische [35] – zwar mehrere Zeugenaussagen zum Rahmen bzw. Rand des Geschehens erlangen, jedoch keine solchen, die sich unmittelbar auf das Tatgeschehen oder gar eine Tathandlung des A bezogen, allerdings mit einer Ausnahme. Nur der Zeuge F, der (erst) am 29.08.2018 nachmittags bei der Polizei erschien - er stammte aus dem Libanon und seine aufenthaltsrechtliche Duldung war bis zum 01.11.2018 befristet[36] - , machte nähere, den A wegen der Taten belastende Angaben (dazu unten 2.), d ie allerdings von keiner der sonstigen anwesenden Personen bestätigt wurden, auch nicht soweit diese näher am Tatort waren . F äußerte, das Tatgeschehen während seiner Arbeit vom Inneren des ca. 50 Meter vom Tatort entfernten Döner-Imbiss durch ein Fenster beobachtet zu haben. Unstreitig kannte er den A als Kunden, der zuletzt auch kurz vor dem Tatgeschehen in dem Döner-Imbiss war. Gleichwohl gab er in jeder seiner Vernehmungen auf Nachfragen nach der Kleidung des A an, dies nicht zu erinnern, wogegen er bezüglich anderer als Tatverdächtige in Betracht kommender Personen Angaben zu deren Kleidung machte. Den E oder den D wegen der Taten belastende Angaben machte F nicht, nicht ausschließbar aus Angst (näher dazu unten II. 2. b) aa)), über den Leumund des C und teilweise auch des E äußerte er sich allerdings negativ.

cc) A selbst sagte in seinen Vernehmungen durchgängig aus , mit der Tat nichts zu tun zu haben. Weggelaufen sei er "aus Angst" (auch) vor der Polizei.

c) Ermittlungen ohne Orientierung am Täter-Opfer-Verhältnis

Erst verspätet[37] scheinen sich die Ermittlungen an der auch kriminalistisch grundsätzlich herausgehobenen Relevanz des Täter-Opfer-Verhältnisses orientiert zu haben, denn andernfalls hätten sie sich gemäß der Frage danach, mit wem der Getötete in einem konfliktbehafteten oder gar feindlichen Verhältnis stand,[38] zeitnah (auch) auf andere Personen als auf A konzentriert, für den von einem solchen Verhältnis zu dem Getöteten nichts bekannt geworden ist. Hingegen war das Verhältnis des Getöteten zu C und E belastet[39] (nach Andeutungen mehrerer polizeilich Befragter hatten sie mit BtM zu tun, sei es als Händler oder als Konsumenten),[40] ggfs. gilt dies aber auch für das Verhältnis des Getöteten zu D.

2. Angaben des "Augenzeugen"
a) Zeitversetzte Vernehmungen

Dreimal wurde F polizeilich und einmal von der Ermittlungsrichterin des AG Chemnitz vernommen, und jedes Mal verneinte er Fragen danach, ob er bei A ein Messer gesehen habe.

aa) In der 1. polizeilichen Vernehmung habe er laut Protokoll ausgesagt, "die beiden Ausländer, der Kleinere und der Größere, haben gleich mit Messer attackiert", dann aber, "die Handbewegung beider Täter deutet darauf hin, dass sie Messer hatten und mit Messer zugestochen haben. Außerdem nur mit Messerattacken kann so eine Person völlig ausgeschaltet werden", und "es ist bekannt, dass beide Täter immer Messer bei sich haben". Sodann heißt es in dem Protokoll, es habe sich nur um Messerstiche handeln können, "sonst wäre der Getötete nicht so schnell zu Boden gegangen"[41] , und (betreffend vorgelegte Fotos), ich habe A "zu 100 % den großen Täter wiedererkannt. Es gibt keinen Zweifel" und "ohne Zweifel", er hat auf den Getöteten gestochen.

bb) In der 2. polizeilichen Vernehmung[42] äußerte F laut Protokoll zunächst, beim nachfolgenden Vorbeilaufen der beiden an dem "Döner-Imbiss" habe er "gesehen, dass beide blutverschmierte Hände hatten". Sodann ist wiedergegeben: "Es war ein Durcheinander… Es war nur ein Knäuel. Was genau dabei passierte zwischen den Personen, habe ich nicht erkennen können". Der Größere hat "mit der rechten Hand mehrfach in Richtung Oberkörper geschlagen oder gestochen. Es sah so aus, als ob er zusticht. Es war eine typische Stichbewegung".

cc) In der ermittlungsrichterlichen Vernehmung[43] äußerte er, A, D und G "waren alle Drei beteiligt an der körperlichen Auseinandersetzung" sowie er habe gesehen, wie A und der danach Getötete "sich gegenseitig mit Faustschlägen angegriffen haben", und sodann: "Das Einzige, was ich sehr deutlich bestätigen kann, ist, dass bei der körperlichen Auseinandersetzung Faustschläge verwendet wurden. ….Danach gab es ein Getümmel mit vielen Personen, und ich konnte nichts mehr sehen". Auf Vorhalt einer früheren Aussage bei der Polizei äußerte F: "Ich wurde gefragt – die haben mich direkt gefragt -, ob die Bewegungen auch den Eindruck erweckten, ob ein Messer zum Einsatz kam", das habe er verneint. Die Hände des A habe er gesehen, "Die waren normal", und "Der hatte kein Blut an den Händen". A "trägt kein Messer bei sich", und "Ich weiß", dass er "kein Messer bei sich hatte", bei der anderen Person wisse er es nicht. – Zu dem Tatvorwurf wegen eines Messerstichs gegenüber einem anderen Anwesenden machte F keine Angaben.

b) Bewertung der Angaben

aa) Die Aussagen des F sind nicht konstant. Besonders die Angaben im Protokoll der 1. polizeilichen Vernehmung "es ist bekannt" und Immer-ein-Messer-Tragen widersprechen der Aussage des F vor der Ermittlungsrichterin wie auch Aussagen anderer Zeugen bezüglich des A (es passt hingegen, soweit Aussagen Dritter vorliegen, auf C und E). D ie Widersprüche, die zentrale Voraussetzungen einer Überführung betreffen, sind derart gewichtig, dass eine Beeinflussung anlässlich eines (etwaigen) – auch hier "im Dunkeln"[44] gebliebenen – Vorgesprächs nicht fern liegt. Zudem enthalten die Angaben des F in den verschiedenen Vernehmungen keine Realkennzeichen, deren es aber gerade wegen der besonderen Wahrnehmungssituation als Mindestvoraussetzung bedurft hätte, um ein erlebnisbasiertes Erkennen des A annehmen zu dürfen.

bb) Zudem fehlt es wahrnehmungspsychologisch an Feststellungen dazu, dass F unter den konkreten Bedingungen das Tatgeschehen wie angegeben beobachten und A identifizieren konnte (dazu auch unten II. 1. b)). Dies gilt umso mehr, als die Angaben nur Ungefähres bezüglich der Stellung des A zu den Geschädigten bzw. zu ihm selbst enthielten,[45] eine Frage, von deren Beantwortung es aber gleichfalls abhängt, ob der Zeuge den A erkennen und sein Verhalten wahrnehmen konnte.

cc) Aussagepsychologisch fällt hinsichtlich der Angabe "blutverschmierte Hände" auf, dass die Mitteilung erst in der 2. polizeilichen Vernehmung geschah, denn es handelt sich dabei um ein besonders einprägsames Detail, dessen Mitteilung deshalb eher bereits anlässlich der 1. polizeilichen Vernehmung zu erwarten gewesen wäre.

Im Übrigen sind die Angaben selektiv insofern, als der Zeuge F von drei Personen, die in den Döner-Imbiss gekommen seien, nur das Aussehen von A und G beschrieben hat, von D aber nicht,[46] und zwar auch nicht vor der Ermittlungsrichterin – im Protokoll dazu finden sich betreffend D lediglich die Aussagen einerseits, er habe "dunkle Haare", andererseits er "hatte eine Mütze auf"[47] . Offengeblieben ist, ob F den D schützen sollte und/oder wollte, oder aber ob die Vernehmenden nicht danach gefragt haben. - Nicht minder fällt auf, dass F laut Protokoll der 1. polizeilichen Vernehmung, ggfs. gesteuert von den Vernehmenden, nachdrücklich den A belastete, indem er dessen Täterschaft wiederholend als "ohne Zweifel" bzw. "kein Zweifel" bezeichnete.[48]

dd) Ob oder in welchem Ausmaß die Unterschiede in den Angaben darauf beruhten, dass Übersetzungsschwierigkeiten bestanden, Dolmetscher fehlten und/oder ausgewechselt wurden, etc., darüber bestanden beträchtliche Meinungsunterschiede (vgl. ergänzend oben unter I. b) bb)). [49]

II. Zum Verfahrensablauf

1. Entscheidungen vor Beginn der Hauptverhandlung
a) U-Haft, Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens

aa) Die Festnahme des A und die Anordnung von U-Haft wurden begründet mit der Anwesenheit in der Nähe des Tatgeschehens und dem Weglaufen vor der Polizei. Gründe für die Äußerung des A, er hätte Angst gehabt, wurden kaum erörtert, obgleich schon ein Tatverdacht den Aufenthaltsstatus hätte beeinträchtigen können und Angst hinsichtlich etwaiger Übergriffe der Polizei auch ansonsten nicht selten anzutreffen ist [50] . Die Begründung für den Haftfortdauerbeschluss des LG Chemnitz vom 27.09.2018 (in Aufrechterhaltung des Haftfortdauerbeschlusses des AG Chemnitz vom 18.09.2018) stützte sich zentral auf die Aussagen des F. Mit Beschluss vom 06.11.2018 wies das OLG Dresden[51] die weitere Beschwerde des A gegen diesen Beschluss zurück und folgte zur Begründung im Wesentlichen der Vorinstanz, ließ insbesondere jedwede Würdigung der für und gegen die Geeignetheit der Aussage des F und der Aussagen anderer Zeugen sprechenden Umstände ebenso vermissen wie eine Erörterung der Bedenken hinsichtlich der physiologisch-psychologischen Voraussetzungen der von F angegebenen Wahrnehmungen des Tatgeschehens (dazu unten b)) , vielmehr leitete es die Annahme, F "dürfte" den A "zutreffend identifiziert haben", u. a. aus dem Umstand her, dass er ihn als Kunden kannte (vgl. demgegenüber zu den beweisrechtlichen Sachfragen oben I. 2. b) sowie unten b)). [52]

bb) Die Anklage gegen den A vom 21.12.2018 lautete auf Totschlag (§ 212 StGB) in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB). Darin wurden die bisherigen Ermittlungsergebnisse ohne Würdigung der beweisrechtlichen Schwierigkeiten interpretiert . Dies gilt insbesondere insofern, als die Anklageschrift sich zentral auf Aussagen des F stützte, ohne sich zu den Wahrnehmungsvoraussetzungen[53] oder zu Fragen nach der Motivation des F, auszusagen bzw. dies in der geschehenen Weise zu tun, zu verhalten. Zudem vermied die Anklage eine Stellungnahme dazu, wer die vierte Person war, die alsbald nach dem Tatgeschehen weglief.

Wegen der Stichverletzung in den Rücken des anderen Geschädigten wurde dem A mittäterschaftliches Handeln vorgeworfen, begründet u. a. wegen des zeitlichen Zusammenhangs mit einer "konkludenten Übereinkunft" und somit einer "gegenseitigen Zurechnung"[54] .

cc) Mit Beschluss vom 14.02.2019 zur Eröffnung des Hauptverfahrens wurde die Anklage trotz deren beweisrechtlichen Mängel unverändert zugelassen, d. h. ohne dass nähere Ermittlungen durchgeführt oder veranlasst worden wären.[55] Insbesondere wurde kein aussagepsychologisches Gutachten bezüglich der Aussage des Zeugen F in Auftrag gegeben (vgl. auch zum Urteil unten III. Vor 1.).

b) Würdigung

aa) Auffällig am Verlauf der Entscheidungen im Vor- und Zwischenverfahren ist, dass eine Prüfung des Wahrheitsgehalts der Angaben des "Augenzeugen" weithin fehlt. Gänzlich ohne Erörterung blieb schon, dass Wahrnehmen als Eingliederungs- und Ordnungsprozess des konkreten Wahrnehmungsmaterials in bereits vorhandene Erfahrungs- und Wissensbestände geschieht, d. h. es insoweit typischerweise zu einer sich anpassenden Vermischung kommt.[56] Das bereits Vorhandene begründet Erwartungen an konkrete Wahrnehmungen, basierend auf sogen. Schemata/Skripten , in denen Ereignisse in ihren Grundzügen festgelegt sind und die im Übrigen sogen. "Leerstellen" für bestimmte Gruppen von Personen, Objekten oder Handlungen aufweisen.[57] Dabei werden im Zuge des Wahrnehmungsvorgangs entstandene Lücken eines Geschehensablaufs interpretierend[58] gefüllt und ggfs. auch Umstände oder Gegenstände aufgenommen, die gar nicht vorhanden waren. Dies geschieht umso eher, je mehr die Wahrnehmungssituation nur eingeschränkt zuverlässige Wahrnehmungsleistungen ermöglicht, wie es insbesondere in Stresssituationen bei vergleichsweise rasch ablaufendem komplexem Geschehen (speziell bei sogen. Turbulenzen) der Fall ist. Eine andere ermittlungsverzerrende Auswirkung kann gegenüber solchen Details bestehen, die nicht in das Schema passen (sogen. schema-inkonsistente Informationen), wie auch hinsichtlich solcher Details, die im Zeitpunkt des Wahrnehmens für das Skript irrelevant sind und daher eher nur flüchtig wahrgenommen und kaum oder gar falsch erinnert werden.

bb) Bei der Wahrnehmung eines Geschehens und daran beteiligter Personen als komplexe (Spontan-)Reaktionen der Sinnesorgane und des Gehirns auf Reize entstehen solche Reaktionen (gemäß der Voraussetzungen von "Aufmerksamkeit"[59] ) grundsätzlich nur hinsichtlich eines Ausschnitts der Reize, so dass z. B. eine visuelle Wahrnehmung regelmäßig verengt ist[60] – auf den hier erörterten Fall bezogen würde das bedeuten, dass F sich ausweislich

seiner Angaben (nur) auf A konzentriert und dadurch ein (etwa iSd Tatvorwürfe relevantes) Verhalten sonstiger Personen nicht wahrgenommen hätte. Hinzukommt die aussagepsychologische Erkenntnis, wonach befragte Augenzeugen vielfach einer sogen. Prägnanz-Tendenz unterliegen, nämlich die einfachste Antwort zu geben – auf den hier erörterten Fall bezogen wäre das die Benennung des A, weil dieser kurze Zeit zuvor in dem "Döner-Laden" war.

cc) Dieser zuletzt genannte Umstand könnte zudem eine unzutreffende Interpretation des Wahrgenommenen sogar befördert haben, weil die intrapsychischen Abläufe auch von einem etwaigen affektiven Gehalt der jeweiligen Situation (z. B. wenn sie als bedrohlich empfunden wird) beeinflusst werden.[61] Hiernach war die kaum näher aufgeklärte Frage nach dem Verhältnis und der Einschätzung des F bezüglich anderer beim Tatgeschehen Anwesender wie z. B. des C und des D (sowie möglicherweise auch des E) relevant, vor denen F nach eigenen Angaben Angst hatte (vgl. auch unten 2. a) bb)).

dd) Spezielle physiologische Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen[62] konkretisieren sich zudem darin, dass mit dem Auge vergleichsweise rasch ablaufende Ereignisse nicht oder zumindest nicht hinreichend genau wahrgenommen werden, und Entsprechendes gilt, wenn das Wahrnehmungsobjekt, wie es bei auch körperlich streitigen Auseinandersetzungen der Fall ist, in Bewegung ist.[63] Bei einer raschen Abfolge des Geschehens wird das Zusammenwirken von physiologischen und psychologischen Wahrnehmungsbeschränkungen besonders deutlich, was dazu führen kann, dass die individuellen Wahrnehmungskapazitäten überschritten werden und selbst bei eher unbeteiligten Augenzeugen erhebliche Wahrnehmungsbeeinträchtigungen die Folge sind.[64]

ee) Hiernach lagen beträchtliche strafj ustitielle Aufklärungsdefizite hinsichtlich der Angaben des "Augenzeugen" vor.[65]

2. Hauptverhandlung
a) Ablauf und Kontext

Die Hauptverhandlung begann am 18.03.2019, umfasste 20 Verhandlungstage[66] und endete mit der Urteilsverkündung trotz außergewöhnlicher Beweisschwierigkeiten bereits am 22.08.2019, d. h. eine Woche vor der sächsischen Landtagswahl 2019, hinsichtlich deren Ergebnis die bisherigen Regierungsparteien einen Sieg einer bestimmten bisherigen Oppositionspartei möglicherweise als nicht unwahrscheinlich erachteten. In den letzten Sitzungen trat denn auch eine zunehmende Eile zutage, es wurden z. B. wesentliche Beweisanträge durch Beschlüsse drei Tage vorher, d. h. in der Sitzung vom 19.08.2019, zurückgewiesen. Zudem wurde das Urteil bereits wenige Stunden nach dem (abschließenden) Plädoyer der Verteidigung verkündet. Dieser Tendenz zu gestraffter Erledigung entsprechen weiterhin verbliebene Lücken der Aufklärung der für die Wahrnehmungsfähigkeit des Zeugen F sowie für Motiv und Hintergründe seiner (zeitversetzten) Aussagebereitschaft wesentlichen Fragen (dazu oben I. 2. b)).

b) Vernehmung des "Augenzeugen"

Erwartungen an einen Erkenntnisgewinn durch die Vernehmungen des F waren aus beweisrechtlicher Sicht vermutlich schon insofern nur unter Einschränkungen begründet, als F wegen des seit dem Tatgeschehen verstrichenen Zeitraums und nicht minder wegen der Vielzahl von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und sonstigen Einflüssen mit gewisser Wahrscheinlichkeit keine geeignete Erinnerung mehr daran hatte, was er tatsächlich wahrgenommen hatte.

aa) Zu Fragen danach, welches Verhalten des A der F in der Tatnacht gesehen habe und ob er nach seiner Erstaussage bei der Polizei bedroht werde, erklärte der während der Hauptverhandlung bestellte Zeugenbeistand[67] nach Beratung mit F, dieser mache im Hinblick auf unterschiedliche Aussageinhalte bei der Polizei bzw. vor der Ermittlungsrichterin gemäß § 55 StPO (begründet mit der Gefahr der Strafverfolgung wegen falscher Verdächtigung bzw. falscher uneidlicher Aussage) von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. Die Strafkammer bejahte indes nur ein "partielles" Verweigerungsrecht[68] und benannte neun Fragen, u. a. zu Aussehen, Bekleidung und zum Handeln von "Tätern und Geschädigten"[69] sowie zu den Sichtverhältnissen wie auch dazu, ob F, "wenn ja wann, von wem und mit welchem Inhalt im Hinblick auf seine Aussage bedroht worden sei". Nachdem der Zeuge die Aussage zu fünf der Fragen mit der Begründung, "dass er Angst habe"[70] , weiterhin verweigerte bzw. erklärte, sich nicht erinnern zu können, verhängte die Strafkammer nach vorherigem Hinweis gegen ihn ein "Ordnungsgeld in Höhe von 300 Euro", ersatzweise "fünf Tage Ordnungshaft", und legte ihm die "durch seine Verweigerung verursachten Kosten" auf[71] . – Ob

diese Routine im Umgang mit F mit der Fürsorgepflicht vereinbar war, mag zweifelhaft sein wegen wahrscheinlicher Erinnerungsmängel, konträrer Erwartungen verschiedener Personengruppen wie auch von Beamten des Personenschutzes (dazu unten III. 2.) und auch wegen der Nichtaufklärung dessen, ob er widerwillig in die Zeugenrolle geraten war (dazu oben I. 2. b)). Zumindest war das Vorgehen der Aufklärung nicht dienlich.

bb) Die Strafkammer lehnte einen Antrag auf Vernehmungsgegenüberstellung des Zeugen F und seines Arbeitgebers mit der Begründung ab, "eine weiter e Sachaufklärung sei hierdurch nicht zu erwarten und die Beweiserhebung sei für die Entscheidung der Kammer ohne Bedeutung, § 244 Abs. 3 S. 2 StPO"[72] , obwohl bekannt war, dass die Polizei erst "über den" Arbeitgeber "darüber informiert wurde"[73] , dass F Angaben zum Sachverhalt machen könne. Dies führte nachfolgend auch zu einer Lücke in der Argumentation insofern, als im Urteil zunächst das Unverständnis anderer Kurden mit der Zeugenrolle des F dargestellt ist,[74] nicht hingegen überprüft wird, ob F ein anderes Motiv für dieses subkulturell erwartungswidrige Verhalten gehabt haben könnte als dasjenige, der Strafrechtspflege zu dienen.

c) Inaugenscheinnahme der Sichtverhältnisse und deren Ertrag

In der Nacht vom 12. zum 13.06.2019 führte die Strafkammer unter Beteiligung der Verfahrensbeteiligten, insgesamt bis zu 15 Personen, am Tatort und speziell aus dem Fenster des Döner-Imbiss in der Zeit von 00.20 Uhr bis 00.35 Uhr[75] einen Augenschein durch, wozu das Urteil sich auf die Darstellung der Beleuchtungs- und Sichtverhältnisse im Allgemeinen beschränkt. Angaben zu den beweisrechtlich wesentlichen Fragen danach, was unter vergleichbaren Gegebenheiten in welchem Abstand gesehen werden konnte, enthält das Urteil nicht, obwohl in einem Abstand von zwischen 50 und 60 Metern mehrere dunkel gekleidete Personen platziert waren. Ausgelassen wurde auch eine hinreichend klar differenzierende Prüfung der Sichtmöglichkeiten danach, falls der Zeuge bei dieser oder jener Wahrnehmung innerhalb des Döner-Imbiss oder außerhalb gestanden hat, und sofern innerhalb, falls er sich dabei auf der vor dem Fenster befindlichen Betonstufe befand oder nicht.[76]

Bei dieser Inaugenscheinnahme (nicht also einer "Nachstellung" des Wahrnehmungsvorgangs) waren zur Beweiserhebung (mit Einschränkungen) geeignet lediglich die Nachtzeit und das Ergebnis physikalisch-physiologischer Wahrnehmungsfähigkeit trotz Entfernung zwischen dem Ort, von dem aus wahrgenommen wurde und der Wahrnehmungsfläche sowie den Lichtverhältnissen innerhalb und außerhalb dieses Ortes und der genannten Fläche. Jedoch entsprach die Wahrnehmungsleistung in keiner Weise derjenigen, die dem Zeugen F zugeschrieben wurde. Ein zentraler Unterschied bestand schon darin, dass der Kammer und den Verfahrensbeteiligten bei der Inaugenscheinnahme bekannt war, nach wem und aus welchen Gründen geschaut werden sollte, wogegen das wirkliche Geschehen keinerlei Vorgaben enthielt und daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, dass der Zeuge überhaupt etwas für die Subsumtion unter einen Straftatbestand Relevantes gesehen hatte. Zudem war das Wahrnehmungsfeld nicht demjenigen zur Tatzeit vergleichbar, denn die Platzierung von mehreren Personen entsprach nicht der Personengruppe, innerhalb deren sich ebenso unerwartete wie rasche Bewegungen entwickelten, so dass sich eine Vielzahl von (Wahrnehmungs-)Reizen ergab, auf die Reaktionen des Gehirns zwangsläufig selektiv stattfinden (dazu oben I. 2. b)).

Den Antrag der Verteidigung vom 16.08.2019, eine erneute Inaugenscheinnahme dazu durchzuführen, dass ein dynamisches Geschehen (einschließlich Einzelheiten wie Gesicht und Kleidung der Akteure) des Nachts bei der vorgegebenen Entfernung nicht verlässlich wahrgenommen werden kann,[77] hat die Strafkammer durch Beschluss vom 19.08.2019 abgelehnt, ohne auf die beweisrechtliche Relevanz einzugehen.[78]

d) Letztes Wort

A erklärte, die Tat nicht begangen zu haben. Andere Angaben hatte er während der Hauptverhandlung nicht gemacht.[79]

III. Urteil

1. Begründung des Schuldspruchs

Das Urteil vom 22.08.2019 lautete auf Freiheitsstrafe (§ 53 StGB) von neun Jahren und sechs Monaten wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) und gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB).[80] Der Totschlag sei aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit C "gemeinschaftlich" begangen worden, die Körperverletzung "aufgrund eines neuen Tatentschlusses" des A.[81] Die Begründung für die Überzeugung von der Tatschuld entsprach, wie schon der Eröffnungsbeschluss, weithin der Anklageschrift (auch hinsichtlich der Nichterörterung der Frage nach einer etwaigen gar bewussten Falschbelastung, dazu bereits oben unter I. 2.). Die Ausführungen zur Beurteilung von Aussagen des "Augenzeugen" als glaubhaft stützen sich vorzugsweise auf das Protokoll der 1. polizeilichen Vernehmung, setzen sich nur teilweise mit dem Aussagematerial auseinander, gehen auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Angaben des F einschließlich Fragen nach etwaigen Einflussnahmen eher nur verkürzt ein und sehen von einer Berücksichtigung wesentlicher Erkenntnisse empirisch-forensischer Bezugsdisziplinen ab (vgl. nur oben I. 1. b)). Insoweit heißt es im Urteil, das Gericht konnte

sich zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit "auf eigene Sachkunde zurückziehen"[82] .

2. Würdigung

Die dominante Bewertung[83] der hinsichtlich ihrer Entstehungszusammenhänge nur unzureichend geprüften 1. polizeilichen Aussage stellt eine Übergewichtung dar, die umso abträglicher ist, als die aussagepsychologische Problematik (vgl. auch oben II. 1. b)) übergangen wird. So hat F vor der Ermittlungsrichterin Anhaltpunkte für eine suggestive Beeinflussung durch die Vernehmenden geschildert (dazu oben I. 2. a) cc)), auf die schon die Art dieser Aussage hindeutet (z. B.: "Bewegungen hätten den Eindruck erweckt"). Derartige Beeinflussungen setzen nicht absichtlich oder gar geplant erteilte Instruktionen voraus, vielmehr bringt die Routine der Zeugenvernehmung nicht selten mehr oder weniger suggestive Abläufe mit sich.[84]

Aus zugeschriebener "Differenziertheit und Detailliertheit" der Angaben des Zeugen F, der betreffend seine "intellektuelle Begabung" eine "einfach strukturierte Person" sei,[85] schließt die Strafkammer, dass "die Konstruktion einer Falschaussage ausgeschlossen" sei – die sich aufdrängende Frage indes, ob die gemeinten Angaben des F auf Initiativen der Vernehmenden beruhten, ist im Urteil weder gestellt noch beantwortet.

a) Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Angaben des "Augenzeugen"

aa) Nach allgemeiner Auffassung ist der Ausgangspunkt einer Zeugenaussage strafprozessual von wesentlicher Bedeutung für die Beweiswürdigung. Indes wurden hierzu auch von der Strafkammer hinreichende Nachprüfungen nicht vorgenommen, auch nicht zu einem Motiv der Aussagen oder dazu, inwieweit der Arbeitgeber des F ihn zur Aussage aufgefordert hat.

So wäre es im Hinblick auf die beweisrechtlichen Mängel der Angaben des F nachvollziehbar, wenn er, unter Hinweis auf das Auslaufen der aufenthaltsrechtlichen Duldung, etwa von seinem Arbeitgeber zu der Aussage aufgefordert oder gar veranlasst wurde. Auch läge es nicht fern, wenn zuerst die Ermittlungsbehörden, die nach mehreren Tagen seit dem Tatgeschehen keinen belastbaren Ermittlungserfolg erzielt hatten und auch durch Protestmärsche etc. (dazu unten IV.) unter Druck gerieten, bei dem Arbeitgeber angefragt hätten, ob nicht einer der in der Tatnacht im "Döner-Imbiss" Anwesenden ggfs. hilfreiche Angaben machen könnte. Nicht ausschließbar ist, dass der Arbeitgeber und F gemeinsam aus der Gruppe zur Tatzeit anwesender Personen einen erdachten Haupttäter aussuchten, vor dem F am wenigsten Angst haben musste und von dem sie möglicherweise annahmen, dessen Unschuld werde sich alsbald herausstellen.

bb) Unaufgeklärt blieb aber andererseits auch die Frage, ob F erst durch zwischenzeitliche Einflüsse (sogen. intervenierende Variablen) wie Bekanntwerden der Inhaftierung des A nebst Abbildungen im Netz zu einer (vorgestellten) Identifizierung gelangte,[86] ihn am Tattag hingegen nicht erkannt hatte. Auch so könnte sich erklären, warum F aus der Gruppe zur Tatzeit anwesender Personen den A belastete, also denjenigen, über den sozial auffälliges Verhalten nicht oder kaum bekannt war.

b) Wandel des Inhalts der Zeugenaussage

Soweit im Urteil davon ausgegangen wird, F sei im weiteren Verfahrensablauf deshalb von ursprünglichen Aussagen abgerückt, weil er aus dem Umfeld des Angeklagten bedroht worden sei,[87] ist dies für die Frage nach der Richtigkeit der belastenden Angaben zunächst ohne Relevanz. Denn beweisrechtlich liegt es mindestens ebenso nahe wie die Interpretation im Urteil, dass Bedrohungen darin motiviert lagen, den F von der Unwahrheit seiner Angaben abzubringen. Dies aber wäre schon deshalb zu berücksichtigen gewesen, weil eine Bedrohung für die Anordnung von Zeugenschutzmaßnahmen relevant war (näher unten unter 3.a), diese aber im Interesse der Ermittlungsbehörden auch geeignet sind, zu erschweren oder gar zu verhindern, dass der unter Schutzmaßnahmen stehende Zeuge die Interpretation des Tatgeschehens in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss z. B. durch nunmehrige Belastung einer anderen Person in Frage stellt mit der Folge, dass die Festlegung der Strafjustiz auf den A sich ggfs. als fehlerhaft hätte erweisen können (vgl. näher unten unter 3.).

aa) Bestehen Diskrepanzen zwischen der Erstaussage eines (Augen-)Zeugen und dessen zeitversetzten weiteren Aussagen, so ist zu prüfen, ob die Erstaussage auf zutreffender Erinnerung beruhte und nachträgliche Abweichungen oder gar entgegengesetzte Angaben auf Interferenzen u. a. in Gestalt von absichtlichen oder unabsichtlichen Falschinformationen (etwa auch im Rahmen informeller Gespräche) beruhen, wobei es mitunter auch zur Löschung der Gedächtnisspur kommen kann (dazu auch oben unter II. 2. a)).[88] Falls die (ursprüngliche) Erinnerung aber noch aufspürbar ist, könnte am ehesten durch eine aussagepsychologische Untersuchung zur Lockerung oder gar Auflösung einer Interferenz ("Überlagerung") ein Erkenntnisgewinn zu erwarten sein.

Wesentliche Umstände hierbei sind einerseits die Stärke der Gedächtnisspur und andererseits der Intervention . Waren schon die ursprünglichen Wahrnehmungsbedin-

gungen ungünstig und sind demgemäß die Gedächtnisspuren eher schwach, so führt dies zu größerer Anfälligkeit gegenüber nachträglichen Falschinformationen. Im Übrigen ist eine solche Anfälligkeit gegenüber nachträglichen Falschinformationen individuell v erschieden.

bb) War jedoch bereits die Erstaussage z. B. aufgrund Beeinflussung durch Dritte oder bestimmte Fragen, Anregungen oder Angebote der Vernehmenden bezüglich des Inhalts der Aussage unzutreffend, so kann der Zeuge sich im Nachhinein ggfs. selbst von der Erstaussage lösen, sobald ihm, nunmehr ohne aktuelle Beeinflussung, bewusst wird, dass er Verlässliches schon nicht wahrgenommen hat. Solche Abläufe ergeben sich nicht selten bei eher unsicherer Wahrnehmung wie Erinnerung des Zeugen und gleichzeitigem Vernehmungsdruck. Insofern ist die Wendung im Urteil, F habe "sich sogar auf Vergessen" berufen und seine bisherigen Aussagen negiert,[89] wiederum Anzeichen einer verkürzten und einseitigen Interpretation.

c) Nichtberücksichtigung von Einflüssen der Zeugenschutzmaßnahmen

aa) Strafgerichtlich zu prüfen und zu erörtern wären auch Fragen zum Aussageverhalten des F in der Hauptverhandlung gewesen, die in Zusammenhang mit den (nach seiner ersten Aussage in der Hauptverhandlung) seit April 2019 veranlassten[90] Zeugenschutzmaßnahmen stehen (vgl. auch oben b)),[91] soweit tatsächlich keine strikte Trennung der Schutzdienststelle von der ermittelnden Dienststelle bestand,[92] zumal die Aufnahme in ein "Schutzprogramm" zunächst von einer – durch Dritte schwerlich kontrollierbaren – Gefahrenanalyse der ermittelnden Dienststelle abhängt. Es kommt hinzu, dass sich die Ausgestaltung des "Programms" nach der Gefahrenanalyse (auch) der Schutzdienststelle richtet, d. h. auch diese muss eine gewisse Kenntnis vom Verfahrensgegenstand haben, so dass ein Einfluss auf das Aussageverhalten des Zeugen insoweit nicht ohne weiteres auszuschließen ist.

bb) Im Urteil wurde ein Einfluss auf das Aussageverhalten des F mit der Begründung verneint, dass diese Maßnahmen "bei Entstehung der Belastungsaussage"[93] noch nicht bestanden. Unerörtert blieb indes die Frage, ob ein Einfluss sich darin gezeigt hat, dass F – anders als ansatzweise noch vor der Ermittlungsrichterin (vgl. oben unter I. 2. a) aa)) - sich in der Hauptverhandlung nicht zu den Gründen für seine (zeitversetzte) Bereitschaft zur Aussage vor der Polizei und zu Fragen des Zustandekommens des Protokolls der ersten und (eingeschränkt) auch der zweiten Aussage geäußert hat. Einen Beweisantrag der Verteidigung auf Vernehmung der Beamten des Zeugenschutzes dazu, was sie dem Zeugen F zu den Voraussetzungen des Zeugenschutzes und zu seiner persönlichen Situation erläutert hatten, lehnte die Strafkammer mit der Begründung ab, es bestünde kein Anhaltspunkt dafür, dass die Schutzmaßnahmen den F in seinem Aussageverhalten beeinflusst haben könnten.[94] Der Umstand, dass der Zeuge F zu seinen Vernehmungen in der Hauptverhandlung vom 26.04.2019 und vom 20.05.2019 jeweils von "Personenschützern des LKA Sachsen" begleitet wurde, hatte aber auch eine Kontrollfunktion, so dass der Zeuge, hätte er Aussagen der oben (unter b) Vor aa)) genannten Art gemacht, ggfs. mit existentiellen Folgen zu rechnen gehabt hätte. Dazu ist stimmig, dass das Urteil zum Verhalten des F in der Hauptverhandlung mit den Worten beginnt, er habe sich nicht nur verunsichert, sondern auch "zurückhaltend und wenig auskunftsbereit"[95] gezeigt.

d) "Zusammenpassende Aussagen"[96]

Die Würdigung, dass (Zeugen-)Aussagen "zusammenpassen", ist method(olog)isch immer eine geleitete und widerlegbare Wertung deshalb, weil eine "Lösung" beweisrechtlicher Schwierigkeiten nicht auf gegenständlichen statischen Vorgaben beruht, die nur eine Lösung zulassen. Vielmehr stehen der strafprozessualen Beweiswürdigung bezüglich eines dynamischen Geschehens keine festen Beweisregeln zur Verfügung, sie setzt vielmehr die subjektive Überzeugung des Gerichts voraus. Diesbezüglich aber haftet dem Urteil eine einseitige Verallgemeinerung darin an, A – ein Kurde wie der C – sei aus Gründen des auf die "Bevölkerungsgruppe" bezogenen Empfindens der Zusammengehörigkeit[97] zu den Taten motiviert gewesen. Ohne konkrete Befunde ist eine solche Herleitung, der neben der sachbeweisrechtlichen Befundlage die Feststellungen zur Persönlichkeit des Angeklagten entgegenstehen, eine Spekulation. Zwar ist im Urteil unter Hinweis auf sachverständige Stellungnahmen ausgeführt, dass die sachbeweisrechtlichen Negativbefunde besonders bezüglich der jeweiligen Kleidungsstücke der Täterschaft im Allgemeinen nicht zwingend entgegenstehen müssen,[98] jedoch hat die Strafkammer davon abgesehen, einen spezialisierten Sachverständigen zu der Frage heranzuziehen, ob solches auch für die konkreten Tatumstände gilt.[99]

aa) Soweit das Urteil ein "Zusammenpassen" hinsichtlich Aussagen sonstiger Zeugen annimmt, wird zum einen nicht erörtert, ob oder inwieweit diese Aussagen durch zwischenzeitliche Ereignisse beeinflusst sein könnten. So sind nach aussagepsychologischer Erkenntnis z. B. Stereotype – im konkreten Fall etwa der Schluss von der medial bekannt gewordenen Inhaftierung des A und der

Unterbringung in einer JVA für Verurteilte[100] auf die Wahrscheinlichkeit der Täterschaft – als ( unspezifischer) suggestiver Einflussfaktor geeignet, der sich auf den Inhalt der Aussage (ggfs. verfälschend) auswirken kann.[101] Zum anderen beziehen sich diese Aussagen nicht konkret auf den Tatvorwurf der Tötung, sondern auf Abläufe am Rand. - Näher geht das Urteil[102] auf Aussagen des Zeugen F und eines anderen Zeugen ein, die zwar Schlagbewegungen seitens des Angeklagten beobachtet hätten, aber nichts von einem Messer bei dem Angeklagten oder gar von Messerstichen des Angeklagten bekundet haben. Da laut gerichtsmedizinischem Gutachten Schläge bei noch intaktem Kreislauf sichtbare Unterblutungen verursacht hätten, solche aber nicht festgestellt wurden, wurden die bekundeten Schlagbewegungen im Urteil - möglicherweise ergebnisorientiert - wie folgt interpretiert: sie "müssen …Stiche mit einem Messer" gewesen sein[103] . Allerdings ist im Urteil unmittelbar vorher zu dem anderen Zeugen ausgeführt, dass er sich bei seinen Wahrnehmungen nur auf den Angeklagten konzentriert habe,[104] so dass er nicht wahrnehmen konnte, ob eine oder mehrere andere Personen mit einem Messer zu Gange waren – eben diese Einschränkung gilt aber aussagepsychologisch wohl auch für den Zeugen F (vgl. oben II. 1. b) bb)).

bb) Wegen der Stichverletzung in den Rücken des anderen Geschädigten führt das Urteil mehrere Zeugenaussagen an, die jedoch, von einem Indiz abgesehen, zur Begründung der Täterschaft des A nicht geeignet sind. Das Indiz besteht drin, dass einer der Zeugen im oberen Teil der Bekleidung des A "rote Steifen" gesehen habe, und dass die von A zur Tatzeit getragene Bekleidung solche Streifen aufwies[105] . Gänzlich fehlt indes gerade auch hier eine Erörterung dazu, ob diese Angabe des Zeugen auf vor der diesbezüglichen Aussage erlangte Informationen bzw. auf ein Angebot seitens der Vernehmenden zurückgehen könnte. Zudem wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn "rote Streifen" auch an der Bekleidung anderer als Haupttäter in Betracht kommender, jedoch entkommener bzw. "untergetauchter" Personen hätten gesehen werden können. Dennoch heißt es im Urteil[106] , es stehe einer "abschließenden Aufklärung nicht entgegen", dass C sowie E und D als persönliche Beweismittel ausfielen.

e) Kontrafaktisches Beharren

Abgesehen von den erörterten beweisrechtlichen Mängeln ergibt sich zusammenfassend, dass die Tathandlungen mit den Feststellungen zur Persönlichkeit des A in Kontrast stehen. So weisen die Taten auf eine gewisse Aggressivität und zudem - schon wegen der einheitlich bezeugten ("es ging alles so schnell") Geschwindigkeit des Tatgeschehens - Vertrautheit mit dem Einsatz eines Messers hin, wogegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass A die hierfür erforderliche Eignung aufgewiesen hätte. Auch hat F selbst ihn im Vergleich zu anderen seiner Kundschaft als verhaltensunauffällig beschrieben,[107] wogegen bezüglich C und E seitens verschiedener Zeugen von Ausfälligkeiten auch körperlicher Art berichtet wurde. Hiernach traf die Verurteilung genau diejenige der am Tatort anwesend gewesenen und als Haupttäter nicht ausschließbaren Personen, die sozial als am unauffälligsten und, in Bezug auf Gewaltausübung, eher als harmlos zu beurteilen war.

Das Urteil nimmt sich unter dem eingangs genannten Vorbehalt* als Fehlkonstruktion aus, die nicht geeignet ist, zu überbrücken, dass die mutmaßlichen Haupttäter entkommen waren, im Gegenteil, zu einer Verfolgungspanne durch die Polizei gesellt sich (im Sinne einer Beweisregel: als Haupttäter nicht ausschließbar[108] ) ein strafjustitieller Bruch mit beweisrechtlichen Grundsätzen.

IV. Annex: Überforderung der Strafkammer, Unabhängigkeit zu wahren?

Der Antrag der Verteidigung gemäß § 15 StPO, wegen Verhinderung des Gerichts für das Verfahren den Gerichtsstand auf ein LG außerhalb der Bundesländer Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu übertragen, wurde vom 2. Strafsenat des BGH zurückgewiesen, wobei die Begründung sich – entsprechend den dem Antrag entgegentretenden Stellungnahmen des GenStA Sachsen und des GBA - vor allem auf die Frage einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bezog, auf die vorliegend zentrale Frage einer Überforderung des außerordentlichem Erwartungsdruck ausgesetzten Gerichts an der unabhängigen Ausübung seines Amtes aber nicht einging.[109] Ähnliches gilt für die Zurückweisung des auf Übertragung an das LG Leipzig gerichteten Hilfsantrags durch das OLG Dresden,[110] das zwar die Gefahr von "Störungen der Verhandlung" würdigte, jedoch die Gefahr einer bei weitem eingriffsintensiveren Störung unabhängiger Beweiswürdigung nicht in den Blick nahm. Unberührt von der auf der Grundlage des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG unerlässlich restriktiven Auslegung des § 15 StPO wäre eine nähere Erörterung der Frage nach einer etwaigen tatsächlichen Überforderung der Strafkammer notwendig gewesen (vgl. auch unten 2.),[111] zumal empirisch nachgewiesen ist, dass Ausprägungen öffentlichen Erwartungsdrucks

schwerlich gewehrt werden kann.[112] Eine unabhängige Beweiswürdigung aber ist kaum zu erwarten, wenn sich das Gericht den Erkenntnissen entsprechender Beeinflussbarkeit sperrt.[113]

1.Rechtliche Verhinderung gemäß § 15 StPO

Die Vorschrift des § 15 StPO hat den Zweck zu unterbinden, dass ein Schuldiger nicht verurteilt und "der unschuldige Angeklagte nicht freigesprochen wird"[114] . Zwar entspricht es nahezu einhelliger Auffassung, dass rechtliche Verhinderung die Voraussetzungen der §§ 22, 23 StPO oder die – im vorliegenden Verfahren nicht gegebene - bereits erfolgreiche Ablehnung wegen Befangenheit (§§ 24, 28 Abs. 1 StPO) verlangt, wogegen die Gefahr der Befangenheit nicht zureiche,[115] und dass einer zu besorgenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht durch andere Maßnahmen – wie z. B. vorliegend durch sitzungspolizeiliche Anordnung der Vorsitzenden zur Durchführung der Hauptverhandlung in einem erst zu Anfang 2017 für Staatsschutzverfahren mit als erforderlich erachtetem Sicherheitsstand umgestalteten Prozessgebäude des OLG Dresden, gelegen am dortigen Stadtrand[116] - begegnet werden könnte.[117] Dessen ungeachtet stellt sich die Frage, ob das gemäß § 15 StPO angerufene Gericht in Extremfällen nicht seinerseits die Voraussetzungen einer Ablehnung wegen Befangenheit zu prüfen hat – nach hier vertretener Auffassung ließen, angelegt schon in den Haftfortdauerbeschlüssen und dem Eröffnungsbeschluss ohne beweisrechtlich geeignete Grundlagen,[118] der Ablauf und Abschluss der Hauptverhandlung die Stichhaltigkeit des Antrags erkennen.

2. Mediale Vermittlung möglicher Auswirkungen gesteigerten Erwartungsdrucks

Ein öffentlicher Erwartungsdruck auf Amtierende der Kammer gar mit der nicht gänzlich ausschließbaren Folge einer Einschränkung richterlicher Unabhängigkeit könnte sich daraus ergeben haben, dass die Verfahrensmaterie ein exemplarischer Teil des politischen Meinungsstreits war, der das Bundesland und ganz besonders die Stadt Chemnitz[119] im Vorfeld der Landtagswahl durchzog. Möglicherweise könnten sich Amtierende vor dem Wahltermin, im Einklang mit der Terminologie des MP, als Institution des "anständigen Sachsen" verstanden haben - und damit auch in der Verantwortung, Chancen für einen etwaigen Wahlsieg einer bestimmten Oppositionspartei nicht noch zusätzlich zu befördern.[120] Denn die öffentliche Drucksituation hatte sich eher noch verschärft aufgrund der zwischenzeitlichen Entscheidung des sächsischen Wahlausschusses, die Liste dieser Oppositionspartei zu kürzen. Auch läge es nicht fern, dass Auswirkungen der schon alsbald nach der Tat veranstalteten Protestmärsche (am 26. und am 27.08.2018 sowie insbesondere am 1.09.2018=Schweigemarsch gemäß Aufruf der Landessprecher der in Rede stehenden Oppositionspartei Sachsen, Brandenburg und Thüringen vom 29.08.2018) und Androhungen einer massiven Eskalation für den Fall eines Freispruchs "eine nachteilige Rückwirkung auf die Unbefangenheit"[121] hatten, zumal nach Medienberichten die Bürgermeisterin von Chemnitz für den Fall eines Freispruchs erklärt haben soll, "dann würde es schwierig für Chemnitz" .[122]


[*] Bspr. zu LG Chemnitz, Große Strafkammer, Urteil vom 22.08.2019 - 1 Ks 210 Js 27835/18 – (zitiert Urteil). Der Text bezieht sich, mit allen damit verbundenen Einschränkungen, ausschließlich auf die Verfahrensakten.

[1] Urteil S. 10, 21, sowie S. 41: "kein Zweifel".

[2] Festgestellt wurden drei Stichverletzungen am Brustkorb, eine Stichverletzung am linken Oberarm sowie eine "im Rücken im Bereich der linken Schulter", als Todesursache ein "hämorrhagisch-traumatischer Schock" bei Einblutung des Herzbeutels (Urteil S. 6, näher S. 27 f.).

[3] Die chemisch-toxikologischen Untersuchungen bei dem Getöteten ergaben eine BAK von 1,36 Promille sowie den Nachweis eines akuten Konsums von Kokain, die bei dem anderen Geschädigten entnommene Blutprobe eine BAK von 1,38 Promille (vgl. Anklageschrift der StA Chemnitz vom 21.12.2018, S. 11 mit Nachw.).

[4] Urteil S. 4.

[5] Urteil S. 4; nach Anklageschrift aaO (Fn. 3) S. 11: bis zum 21.04.2019 befristet.

[6] Urteil S. 4.

[7] Urteil S. 43; Anklageschrift aaO (Fn. 3) S.11.

[8] Urteil S. 5.

[9] Urteil S. 9, 40 f.

[10] Polizei Chemnitz, Revier Nord-Ost, Sachstandsbericht vom 26.08.2018; PD Chemnitz/Ref. 2/ Führungs- und Lagezentrum, Aktenvermerk vom 26.08.2018, unter Bezugnahme auf Zeuginnen, die sich räumlich und zeitlich in unmittelbarer Nähe zum Tatgeschehen befanden. Vgl. auch Urteil S. 39 f.

[11] Urteil S. 5.

[12] Urteil S. 8.

[13] Urteil S. 5.

[14] Urteil S. 13.

[15] Vgl. dazu polizeiliche Vernehmung des N vom 05.10.2018 S. 5, unter Bezugnahme auf eine Äußerung des B ihm gegenüber: "Als die Polizei kam, ist der" C und der D "geflüchtet".

[16] Am 03.09.20 18 erließ das AG Chemnitz einen Haftbefehl, stellte einen Europäischen Haftbefehl aus und ordnete die öffentliche Fahndung nach ihm an, die "bislang ohne Erfolg" (Urteil S. 9, 40) blieb.

[17] Vgl. Polizeilicher Bericht vom 4.09.2019.

[18] Nach einer Niederschrift des BAMF über die informatorische Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens am 04.07.2018 in Chemnitz sei er, ausgewiesen durch den Unterkunftsbogen der zentralen Ausländerbehörde, am 16.01.2000 geboren.

[19] Vgl. etwa polizeiliche Zeugenvernehmungen des L vom 15.11.2018 und des M vom 01.11.2018.

[20] Urteil S. 6, 12 f.

[21] Laut Anklageschrift aaO (Fn. 3) S. 6 "setzte er sich bereits am 30.08.2018" zusammen mit seinem Bruder vermutlich ins Ausland ab. - Ob er etwa (gar bereits während des Ermittlungsverfahrens) zu Tode kam, dazu verhalten sich die Verfahrensakten, soweit zu sehen, nicht.

[22] Er sei "Nordafrikaner" (dazu Vermerk PD Chemnitz/Komm. 11 zu einer Zeugenbefragung am 18.09.2018).

[23] So Zeugenaussage des I in der polizeilichen Vernehmung vom 08.10.2018 S. 2.

[24] Näher dazu Urteil S. 8, 39.

[25] Polizei Chemnitz, Revier Nord-Ost aaO (Fn. 11).

[26] Urteil S. 34.

[27] Das Urteil nennt hier als Negativbefund nicht auch den Körper der Geschädigten, jedoch findet sich an keiner Stelle des Urteils eine Angabe dazu, dass an deren Körpern eine DNA-Spur des A gefunden worden wäre.

[28] Urteil S. 34.

[29] Laut Urteil S. 7, 14 seien zwei ("gleichartige") Messer eingesetzt worden.

[30] Es wurde am Übergang vom Griff zur Klinge Blut des Getöteten festgestellt, "überlagert" von solchem des Verletzten (Mischspur), das sich zudem auf der Klinge befand (Urteil S. 15, aber auch S. 8) .

[31] Urteil S. 8.

[32] Es habe lediglich ein Allel gefehlt (Urteil S. 15).

[33] Urteil S. 15 f.

[34] Urteil S. 34.

[35] Aus Raumgründen wird auf Fehlerquellen der Wahrheitsermittlung aufgrund von Unterschieden innerhalb des Arabischen je nach Herkunftskultur der zu vernehmenden Person und/oder des Dolmetschers nicht näher eingegangen. Das Gleiche gilt für Einschränkungen in der Funktion des Dolmetschers infolge des Einflusses bestimmter Erwartungen des Vernehmenden oder aber der zu vernehmenden Person bzw. von Eigenbelangen des Dolmetschers (zum Ganzen mit Nachw. etwa Verf., Beweisecht der StPO, 10. Aufl. 2017 Rn. 531 ff., 1517 f.).

[36] Vgl. Aktenvermerk PD Chemnitz vom 05.09.2018, wonach gemäß Auskunft der ZAB Chemnitz die Abschiebung bereits angedroht war, es jedoch an einem Pass fehlte.

[37] Falls C nebst E und ggfs. auch D tatsächlich Deutschland verlassen konnten, so bleibt offen, ob etwa Dritte (wie z. B. eine im Interesse unerlaubten Handels mit BtM oder gar aus politischen Gründen an der Nichtaufklärung der Tathintergründe interessierte Gruppe) dabei behilflich gewesen sein könnten. Zu Informationen einer V-Person vgl. Aktenvermerk LKA Sachsen Dezernat 35 vom 04.09.2018: Nach der Tat soll C gemeinsam mit E in den Irak geflüchtet sein und sich gegenwärtig dort aufhalten.

[38] Vgl. zur Systematik schon Verf. GA 1971, 168 ff.

[39] So heißt es z. B. in der Aussage anlässlich der polizeilichen Zeugenvernehmung des H vom 22.10.2018 , "im Nachhinein betrachtet habe ich den Eindruck, als ob die an dem Abend gekommen sind, um den ….zu töten", und dass die Tötung wie vorab geplant erschienen sei; ein Zeuge vom Hörensagen habe berichtet, C habe am 25.08.2019 verlauten lassen, diesen Abend sei der …. "dran". - In der Anklageschrift aaO (Fn. 3) S. 4 heißt es, dass "bis dato nicht zu klären war, ob, und wenn ja, wie intensiv" der C und der später Getötete "bereits im Vorfeld miteinander bekannt waren".

[40] Zum akuten Kokainkonsum des Getöteten vgl. oben unter I. 1.

[41] Polizeiliche Vernehmung vom 29.08.2018.

[42] Polizeiliche Vernehmung vom 25.09.2018.

[43] Vom 12.12.2018 – Geschäftsnummer 11 Gs 2602/18 - .

[44] Peters, in: Arzt u. a. (Hrsg.), FS für Jürgen Baumann 1992, S. 319 – 327 (324).

[45] Urteil S. 18: "er habe" den Getöteten und A "seitlich gesehen".

[46] Vgl. Vernehmungen vom 29.08.2018 S. 3 und vom 25.09.2018 S. 4, nicht aber S. 7.

[47] Ermittlungsrichterliche Vernehmung aaO (Fn. 44) S. 5, 13.

[48] Vernehmung vom 29.08.2018 S. 5.

[49] Vgl. nur Urteil S. 21 f.

[50] Vgl. zu empirischen Daten aufgrund einer (Dunkelfeld-)Befragungsuntersuchung Singelnstein u. a, Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte, Zwischenbericht, Bochum September 2019.

[51] Akt.-Z.: 1 Ws 299/18.

[52] OLG Dresden aaO (Fn. 52) S. 3.

[53] In der Anklageschrift aaO (Fn. 3) S. 6 ist bezüglich der anlässlich einer Inaugenscheinnahme befundenen Lichtverhältnisse formuliert, sie "untermauern" die Aussage des "Augenzeugen" (vgl. aber im Text unter II. 2. c)).

[54] Anklageschrift aaO (Fn. 3) S. 12.

[55] Aus Raumgründen wird insofern auf die Judikatur und das Schrifttum verwiesen (vgl. erg. zur Kasuistik etwa auch Verf. JZ 2011 S. 676 f., 680 f.).

[56] Vgl. aus einem anderen Verfahren zu diesbezüglicher tatgerichtlicher Interpretation von unzutreffenden, mit dem Obduktionsergebnis nicht zu vereinbarenden Zeugenaussagen BGH vom 25.07.2019 – 1 StR 270/19 - Rn. 10: "unbewusste Füllung einer Wahrnehmungslücke mit Erfahrungswissen".

[57]   Vgl. näher Anderson Kognitive Psychologie, 2013, S. 27 ff.; Nachw. auch bei Verf., Beweisrecht 10. Aufl. 2017 Rn. 1370 ff.

[58] Vgl. auch dazu Anderson aaO (Fn. 57) S. 94 ff.

[59] Vgl. speziell zum Visuellen Anderson aaO (Fn. 57) S. 57 ff.

[60] Vgl. zum Ganzen etwa Müller/Krummenacher, in Müsseler/Prinz (Hrsg.): Allgemeine Psychologie, 2015, S. 103 ff.

[61] Vgl. dazu etwa Sticher-Gil Polizei- und Kriminalpsychologie 2003, 57.

[62] Vgl. zum Folgenden Verf., Beweisrecht aaO (Fn. 57) Rn. 1365 ff.

[63]   Vgl. dazu etwa schon Palmer ua Journal of Experimental Psychology 2006, 528 ff.

[64] Vgl. dazu etwa auch Esders, in: Kraheck-Brägelmann (Hrsg.): Die Beschuldigten und die Zeugenvernehmung, 1994, S. 71.

[65] Hypothesen dazu, ob oder inwieweit die StA als Herrin des Ermittlungsverfahrens auf (in welcher Modalität auch immer artikulierte) dienstliche Anweisung (§ 146 GVG) handelte (zur Anklageerhebung vgl. nur KK-StPO/Mayer 8. Aufl. 2019 § 146 Rn. 4; krit. Rautenberg ZRP 2016, 38 ff.), entbehren bislang einer verlässlichen Grundlage (zu etwaigen Einschränkungen richterlicher Unabhängigkeit vgl. im Text unter IV.).

[66] Urteil S. 2.

[67] Protokoll vom 03.04.2019 S. 6 f.

[68] Beschluss vom 08.04.2019 – 1 Ks 210 Js 27835/18 - . Aus Raumgründen wird zur Auslegung des § 55 StPO im Einzelnen auf die Judikatur und das Schrifttum verwiesen

[69] Vgl. wegen der vollständigen Wiedergabe Protokoll vom 03.04.2019 S. 8.

[70] Dazu etwa auch schon polizeiliche Vernehmungen des F vom 25.09.2018: "Ich habe wirklich Angst. Ich lebe in Panik", und vom 04.12.2018 als (mutmaßlich geschädigter) Zeuge: "sehr große Angst mich frei in Chemnitz zu bewegen".

[71] Protokoll vom 03.04.2019 S. 9 f.

[72] Protokoll vom 19.08.2019 S. 6 f.

[73] Urteil S. 17.

[74] S. 11.

[75] Protokoll S. 1.

[76] Dazu näher ermittlungsrichterliche Vernehmung (aaO Fn. 44) Protokoll S. 5 f., 18.

[77] Protokoll vom 16.08.2019 Anlage 1.

[78] Protokoll der Sitzung vom 19.08.2019 S. 3-5.

[79] Urteil S. 10.

[80] Urteil S. 3.

[81] Urteil S. 42 f.

[82] Urteil S. 37.

[83] Vgl. nur Urteil S. 17-19, 36.

[84] Solches kann sich auch entwickeln, ohne dass die Vernehmenden absichtlich oder gar geplant Instruktionen erteilen (vgl. Köhnken MSchrKrim 1997, 297 sowie ders. DAR 2010, 631; Verf. Beweisrecht aaO[Fn. 57]Rn. 1320). Zu einem Einzelfall BGH vom 06.8.2014 - 1 StR 63/14 - Rn. 12, iuris; vgl. etwa auch Reinhold u. a. Kriminalistik 2016, 121 f.

[85] Urteil S. 36.

[86] Unstreitig vermögen Informationen z. B. auch aus den Medien oder private Erörterungen ursprüngliche Wahrnehmungsinhalte teilweise überlagern und verfälschen (vgl. dazu nur BGH Beschluss vom 29.11.2016 - 2 StR 472/16 - Rn. 9, iuris=StV 2018, 790=NStZ-RR 2017, 90=StraFo 2017, 70; näher schon Köhnken , in: ders./Sporer[Hrsg.]: Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen, 1990, S. 168).

[87] Urteil S. 22 f.

[88] Vgl. näher zu empirischen Nachw. Verf. Beweisrecht aaO (Fn. 57) Rn. 1376ff.

[89] S. 25.

[90] Urteil S. 37; Protokoll der Sitzung vom 19.08.2019 S. 9.

[91] Zu gesetzlichen Grundlagen §§ 7, 66 BKAG bzw. ZSHG. - Vgl. schon BGH Beschluss vom 26.09.2012 - 5 StR 402/12 - Rn. 7, iuris; LR-StPO/ Sander 26. Aufl. 2013 § 261 Rn. 81e.

[92] Vgl. zum Ganzen nur Buggisch Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und in den USA, 2001, S. 272 ff.; Anm. Verf./Reuther JR 2006, 346 ff. zu BGH Urteil vom 15.12.2005 - 3 StR 281/04 - , iuris= BGHSt 50, 318 ff.=NJW 2006, 785 ff.=StV 2006, 171 ff.=JR 2006, 343 ff.; Verf. FS-Fezer 2008, S. 197 ff.

[93] Urteil S. 37.

[94] Protokoll vom 19.08.2019 S. 9 f., auch zum Folgenden.

[95] S. 20.

[96] Urteil S. 11, 29. – Nach Medienberichten sei in der mündlichen Urteilsbegründung ausgeführt worden, es "hätten sich die Aussagen mehrerer Zeugen als subjektive `Sequenzen´ wie ein passendes Puzzle zusammensetzen lassen".

[97] Urteil S. 5, 11.

[98] S. 34 f.

[99] Vgl. zum Hilfsbeweisantrag der Verteidigung Protokoll vom 22.08.2019 S. 3 sowie Anlage 1.

[100] Laut Urteil S. 9, 42 geschah dies zu seinem Schutz.

[101] Vgl. zu empirischen Nachw. nur Verf. Beweisrecht aaO (Fn. 57) Rn. 1380, 1380a; kasuistisch etwa Bspr. Verf. StraFo 2010, 421 ff. zu LG Berlin, Beschluss vom 11.05.2009 – 507 Qs 16/09 – Rn. 2, iuris.

[102] Urteil S. 25-28.

[103] S. 28.

[104] S. 26.

[105] Urteil S. 28-32.

[106] S. 40.

[107] Vgl. nur ermittlungsrichterliche Vernehmung aaO (Fn. 44) S. 16.

[108] Solches ist zwar systematisch kaum erforscht, aber z. B. bei politisierten Rahmenbedingungen möglicherweise nicht singulär (vgl. etwa zu dem Verfahren "Brandanschlag Solingen" Bspr. Verf. R&P 2019, 26-35).

[109] BGH Beschluss vom 12.03.2019 - 2 ARs 69/19 - Rn. 11, wonach eine "Behauptung …pauschal die Bevölkerung der genannten Bundesländer verunglimpfenden Charakters" aufgestellt sei.

[110] Beschluss vom 15.03.2019 – 2 (S) AR 10/19 - .

[111] Soweit die Vorsitzende der Strafkammer laut übereinstimmenden Medienberichten in der mündlichen Urteilsbegründung geäußert habe, das Urteil sei "unbeeindruckt von der politischen Dimension" zustande gekommen, könnte dies einen Mangel an Selbstkontrolle und -reflektion erkennen lassen (näher dazu Jahn Die Zeit vom 23.08.2019).

[112] Vgl. zu Gefahren des Einflusses der Öffentlichkeit auf die Entscheidungsfindung etwa Gerhardt ZRP 2009, 247 ff. (250); nach Theile/Nippgen Die Arbeitsweise der Wirtschaftsstrafkammern, 2015, S. 89 ff. bestritten die befragten Justizpraktiker einen Einfluss, vgl. aber auch Kepplinger/Zerback Publizistik 54 (2009), 216 ff. (234 f.) zu methodischen Grenzen von Selbsteinschätzungen.

[113] Eine etwaige Unterstellung, Mitglieder der Kammer könnten in der Unabhängigkeit gar auch deshalb eingeschränkt gewesen sein, weil sie im Hinblick auf die außerordentliche bzw. politisch-existentielle Tragweite des Verfahrens besorgten, sich durch eine ggfs. etwa vom Justizministerium nicht erwartete Entscheidung laufbahnmäßig zu beschneiden bzw. im umgekehrten Fall zu fördern, bliebe ohne nähere rechtstatsächliche und rechtspsychologische Untersuchung spekulativ.

[114] Vgl. BGH Beschluss vom 15.10.1968 – 2 ARs 291/61 – Rn. 5, iuris, BGHSt 22, 250 (252) zum Eingriff in die funktionelle Zuständigkeit der Gerichte.

[115] Vgl. BGH Beschluss vom 21.03.2007 – 2 ARs 107/07 – , iuris=NStZ 2007, 475; BGH Beschluss vom 26.08.2009 - 2 ARs 363/09 – iuris= wistra 2009, 446; LR-StPO/Erb, 27.Aufl. 2016, SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl. 2016, jeweils § 15 Rn. 5.

[116] Da dies zur Durchführung von Staatsschutzverfahren geschah, ist die Verlegung nach dort unter Aspekten der Fürsorgepflicht und des Fairnessgrundsatzes nicht bedenkenfrei, weil die Verhandlungsatmosphäre wie die Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zum Nachteil des Angeklagten belastet wurden.

[117] Ob andernfalls von einer vorausgesetzten, nicht durch sonstige Maßnahmen zu überwindenden konkreten Gefahr iSd des Polizeirechts (vgl. nur Gercke ua StPO/Zöller 6. Aufl. 2018 Rn. 7 zu § 15), auszugehen gewesen wäre, bleibt offen.

[118] Aus Raumgründen wird auch hierzu verwiesen auf Judikatur und Schrifttum.

[119] Als Ausdruck dessen seien nur genannt (die Wählervereinigung) "Pro Chemnitz" oder gar die Vereinigung "Revolution Chemnitz" (zur Einordnung dieser als mutmaßlich "rechtsterroristisch" näher etwa Beschluss BGH vom 5.09.2019 - AK 49/19).

[120] Retrospektiv mag dies als nicht ohne weiteres nachvollziehbar erscheinen, zumal soweit sich die politischen Einstellungen in der Bevölkerung (auch in Sachsen) teilweise verändert haben könnten.

[121] So eine Formulierung betreffend öffentliche Sicherheit in MüKo-StPO/Ellbogen Rn. 7 zu § 15. – Sollte es sich rechtspsychologisch dergestalt verhalten haben, so hätte es sich aus rechtssoziologischer Sicht nicht um eine materielle und formelle institutionelle Handlungsnorm praeter bzw. contra legem gehandelt (vgl. dazu etwa Verf., Kriminologie 1. Aufl. 1979 § 42, 6. Aufl. 2005 § 40 sowie Verf./Kölbel 7. Aufl. 2017 § 32: Innerinstitutionelle Handlungsnormen), sondern um einen Exzess dessen.

[122] Sofern auch Amtierende der Kammer sich dem zumal örtlichen öffentlichen Druck nicht gänzlich entziehen konnten, mag dies umso ausgeprägter gewesen sein, je mehr sie die Stadt als ihr Zuhause empfunden haben könnten (zu ggfs. abträglichem Einfluss lokaler Bindungen auf die strafgerichtliche Unabhängigkeit vgl. etwa das Verfahren LG Mannheim - 5 KLs 404 Js 3608/10 –[Bspr. Verf. JZ 2011 aaO Fn. 56]und dazu sodann OLG Frankfurt vom 28.09.2016 - 18 U 5/14 -, iuris), was bezüglich der Laienrichter (relevant auch im Hinblick auf § 263 Abs. 1 StPO) ohnehin nicht ferngelegen haben mag.