HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2019
20. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1052. BGH 5 StR 132/18 – Urteil vom 3. Juli 2019 (LG Hamburg)

BGHSt; Sterbehilfe (straflose Beihilfe zum Suizid; Selbstbestimmung; Patientenverfügung; Herrschaft über den lebensbeendenden Vorgang; mittelbare Täterschaft; unfreies Handeln des Suizidenten; Freiverantwortlichkeit; Tötung auf Verlangen durch Unterlassen; Ingerenz; pflichtwidriges Vorverhalten; Erstellung von Gutachten über die aus psychiatrischer Sicht bestehende Einsichts- und Urteilsfähigkeit von suizidwilligen Personen; Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht; keine strafbegründende Kraft des Standesrechts bei Übereinstimmung mit dem autonomen Willen des Suizidenten; Sterbebegleitung; Arzt-Patienten-Verhältnis); unterlassene Hilfeleistung (Selbstmordversuch als Unglücksfall; Zumutbarkeit, keine Pflicht zum Handeln gegen den erklärten Willen des Suizidenten).

§ 212 StGB; § 216 StGB; § 13 StGB; § 323c StGB

1. Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln. (BGHSt)

2. Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts. Für die Abgrenzung einer – dementsprechend mangels rechtswidriger Haupttat straflosen – Beihilfe zur Selbsttötung und der Tötung eines anderen, gegebenenfalls auf dessen ernsthaftes Verlangen, kommt es darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht (st. Rspr.). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. (Bearbeiter)

3. Zu den Voraussetzungen einer Zurechnung von Selbsttötungshandlungen nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft:

a) Notwendige Bedingung einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft in Konstellationen der Selbsttötung ist, dass derjenige, der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich anlegt, unfrei handelt. Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst setzt daher voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat. Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen.

b) Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind. Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden. Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage.

c) Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht. Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist. (Bearbeiter)

4. Die Erstellung von Gutachten über die aus psychiatrischer Sicht bestehende Einsichts- und Urteilsfähigkeit von suizidwilligen Personen ist kein pflichtwidriges Vorverhalten im Sinne einer Garantenpflicht (§ 13 StGB) aus Ingerenz. Das gilt unabhängig davon, ob dieses Verhalten gegen ärztliches Standesrecht verstößt. Denn die Pflichtwidrigkeit muss in der Verletzung eines Gebotes bestehen, das gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist. Dies ist bereits zweifelhaft, da das ärztliche Standesrecht grundsätzlich auf die Statuierung berufsethischer (Verhaltens-) Standards und nicht auf den Schutz von Rechtsgütern gerichtet ist. Jedenfalls aber entfaltet das Standesrecht keine strafbegründende Wirkkraft, wenn das ärztliche Verhalten dem autonomen Willen des Suizidenten entspricht. (Bearbeiter)

5. Die aktive Mitwirkung bei der Vorbereitung eines dann freiverantwortlich durchgeführten Suizids durch beratende Tätigkeit am Todestag sowie Hilfe beim Zerkleinern

und Auflösen von Tabletten begründet keine Garantenpflicht aus vorangegangenem gefahrerhöhendem Tun. Denn der Suizident übernimmt durch die freiverantwortliche Einnahme der Tabletten Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten gegebenenfalls erhöhten Gefahr. Insbesondere vertraut der Suizident nicht darauf, dass sich die Gefahr, in die er seine Rechtsgüter bringt, nicht realisiert. Vielmehr kommt es ihm gerade auf den Eintritt der Rechtsgutsbeeinträchtigung an. (Bearbeiter)

6. Wer mit suizidwilligen Personen lediglich vereinbart, sie bei ihrem Sterben zu begleiten, ohne dass ein darüber hinausgehendes Arzt-Patienten-Verhältnis begründet wird, wird dadurch nicht zum (Beschützer-)Garanten für das Leben des Suizidenten. (Bearbeiter)

7. Der Senat hält daran fest, dass die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage einen Unglücksfall im Sinne des § 323c Abs. 1 StGB darstellt. Liegt jedoch eine autonome Entscheidung der suizidwilligen Person i.S.d. § 1901a Abs. 1 BGB vor, ist die Hilfeleistung regelmäßig nicht zumutbar, da § 323c Abs. 1 StGB in solchen Fällen nicht zu einer dem erklärten Willen zuwiderlaufenden Hilfeleistung verpflichtet. (Bearbeiter)


Entscheidung

1059. BGH 5 StR 393/18 – Urteil vom 3. Juli 2019 (LG Berlin)

BGHSt; Straflosigkeit der ärztlichen Begleitung eines freiverantwortlichen Suizids (Sterbehilfe; Tötung auf Verlangen; Garantenstellung; Selbstbestimmungsrecht; Freiheit zur Ablehnung von Heilbehandlungen; allgemeines Persönlichkeitsrecht; Geltung der selbstbestimmten Erklärung über den Zeitpunkt der Einwilligungsunfähigkeit hinaus; Patientenverfügung; Patientenwille; straflose Beihilfe zur Selbsttötung; mittelbare Täterschaft).

§ 212 StGB; § 216 StGB; § 13 StGB

1. Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet. (BGHSt)

2. Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) folgt eine „Freiheit zur Krankheit“, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO). (Bearbeiter)

3. Selbst bei lebenswichtigen ärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung, die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint. Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen. Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen. (Bearbeiter)

4. Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH HRRS 2010 Nr. 704). (Bearbeiter)

5. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) leitet aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR HRRS 2012 Nr. 720). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist, kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu. (Bearbeiter)

6. Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt. Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. (Bearbeiter)

7. Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat. Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen. (Bearbeiter)


Entscheidung

1006. BGH 2 StR 325/17 – Urteil vom 30. Januar 2019 (LG Darmstadt)

BGHSt; Totschlag durch das Verabreichen von Betäubungs-

mitteln (indirekte Sterbehilfe; Patientenverfügung); Körperverletzung (Gesundheitsschädigung durch Verabreichung von Betäubungsmitteln); Einwilligung (keine zwingende Sittenwidrigkeit bei anderweitig bestehendem Handlungsverbot; kein Konflikt mit der Rechtsprechung des 3. Senats; mutmaßliche Einwilligung: keine Beschränkung der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes auf Ärzte, besondere Ausnahmesituation beim Sterben eines unheilbar Kranken, Erforderlichkeit einer Gesamtabwägung).

§ 223 StGB; § 228 StGB; § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG; § 1901a BGB

1. Die Verabreichung von Morphin zur Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen bei einem Sterbenden durch eine Pflegekraft kann auch dann durch erklärte oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn sie nicht der ärztlichen Verordnung entspricht. Ein zugleich vorliegender Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG steht dem nicht zwingend entgegen (Abgrenzung von BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166). (BGHSt)

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden. (Bearbeiter)

3. In einer vorsätzlichen Verabreichung von Betäubungsmitteln liegt nicht notwendig eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. (Bearbeiter)

4. Gemäß § 228 StGB ist auch die mit einer Einwilligung des Verletzten vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolgen einer ausdrücklich oder konkludent erklärten Einwilligung begrifflich an ethisch-moralische Kategorien. Ob für eine mutmaßliche Einwilligung als gewohnheitsrechtlich anerkannter, aber selbständiger Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den guten Sitten bei Beachtung von Art. 103 Abs. 2 GG dasselbe gelten kann und gegebenenfalls – erst recht – gelten muss, kann offen bleiben. (Bearbeiter)

5. § 228 StGB ist bei einer einschränkenden Auslegung verfassungskonform, welche den Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt. Dies erfordert, dass ein Verstoß der Körperverletzung gegen die guten Sitten angenommen werden kann, wenn die Sittenwidrigkeit der Tat nach allgemein gültigen Maßstäben eindeutig aus der Rechtsordnung hervorgeht. Insoweit ist im Allgemeinen zu prüfen, ob die Körperverletzung wegen des Gewichts des Rechtsgutsangriffs durch Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung als sittenwidrig erscheint. Bei medizinischen Maßnahmen steht dagegen die Frage der Verfolgung eines anerkennenswerten Zwecks im Vordergrund. Auch lebensgefährliche oder sonst besonders folgenreiche medizinische Behandlungen, die der Wiederherstellung der Gesundheit eines Kranken oder der Rettung seines Lebens dienen, sollen seiner Disposition zugänglich sein. Eine Maßnahme, die medizinisch indiziert ist, verstößt deshalb grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten.

6. Die Tatsache, dass die Handlung der Angeklagten – zumindest naheliegend – auch gegen ein anderweitig bestehendes Handlungsverbot gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG verstoßen hat, führt nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit der Körperverletzung im Sinne von § 228 StGB. Der Konsum illegaler Drogen ist heute nicht mehr nach allgemein anerkannten Wertvorstellungen als unvereinbar mit den guten Sitten anzusehen. Gleiches gilt dann auch für eine Körperverletzung, die durch einverständliches Verabreichen eines Betäubungsmittels verursacht wird. Selbst das Verabreichen „harter“ Drogen reicht für sich genommen nicht zur Annahme von Sittenwidrigkeit. Die damit verbundenen Gefahren können im Einzelfall durch einen billigenswerten Zweck der Handlung, wie der Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen eines Sterbenden, kompensiert werden. (Bearbeiter)

7. Die Rechtsprechung des 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen bei verabredeten Schlägereien hindert den erkennenden Senat im Fall einer Verabreichung von Morphin zur Schmerzbekämpfung bei einem Sterbenden nicht an einer Entscheidung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung. Der 3. Strafsenat hat sich dazu nicht geäußert. Seine Entscheidung erfasst nicht medizinisch indizierte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. (Bearbeiter)

8. Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, besteht eine besondere Ausnahmesituation. Tritt deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließt die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus. (Bearbeiter)

9. Zur Bestimmung des mutmaßlichen Patientenwillens ist zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten der Inhalt seines Willens aus seinen persönlichen Umständen, individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln ist. (Bearbeiter)

10. Zwar gehört die Beachtung ärztlicher Anordnungen im Regelfall zu dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen ist. Jedoch kann beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein. Das gilt besonders, wenn die ärztlich verordnete Schmerzmedikation allenfalls an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen hat. Zudem ist

bei der Gesamtwürdigung in den Blick zu nehmen, wie nahe der Patient dem Tode war. (Bearbeiter)


Entscheidung

1023. BGH 4 StR 255/19 – Beschluss vom 6. August 2019 (LG Nürnberg-Fürth)

Vorsatz (Tötungsvorsatz: Bedeutung der erkannten Eigengefährdung; „Spurwechselfall“); gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (Erfordernis eines Beinaheunfalls).

§ 15 StGB; § 315b Abs. 1 StGB

1. In rechtlicher Hinsicht ist ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt – Wissenselement – und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein – Willenselement. Beide Elemente sind umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Dabei ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter auch mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht zieht.

2. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, ist zudem zu beachten, dass eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen kann, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Soweit der Täter aufgrund seines Zustands Umstände verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte, wird die Annahme eines (natürlichen) Vorsatzes mit Rücksicht auf den Schutzzweck des § 63 StGB davon nicht berührt.

3. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass durch eine der in den Nrn. 1-3 des § 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist, die sich zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht.


Entscheidung

948. BGH 1 StR 433/18 – Urteil vom 23. Juli 2019 (LG Stuttgart)

Verbotsirrtum (Begriff der Unvermeidbarkeit); unerlaubte Ausfuhr und Beförderung von Kriegswaffen (Begriff der Kriegswaffe: vorübergehende Aufhebung der Funktionstüchtigkeit).

§ 17 StGB; § 1 Abs. 1 KrWaffG; § 22a Abs. 1 KrWaffG

1. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 58, 15 Rn. 69 ff.).

2. Gegenstände, die gattungsmäßig unter die Kriegswaffenliste fallen und deren Funktionstüchtigkeit nicht dauernd und endgültig aufgehoben ist, bei denen die Funktionsstörung vielmehr mit geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln von jedermann behoben werden kann, der sich über die Möglichkeit dazu informiert, sind Kriegswaffen im Sinne des § 1 Abs. 1 KrWaffG. Hierbei ist unbeachtlich, ob eingebaute Behinderungen entfernt, fehlende – aber mit geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln zu beschaffende – Teile eingesetzt werden müssen oder eine Kombination von beidem erforderlich ist, um die Funktionstüchtigkeit herzustellen, sofern dies insgesamt mit geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln von jedermann vorgenommen werden kann, der sich über die Möglichkeit dazu informiert.


Entscheidung

1009. BGH 2 StR 364/18 – Beschluss vom 4. Juni 2019 (LG Limburg)

Vorsatz (bedingter Tötungsvorsatz); Mittäterschaft (sukzessive Mittäterschaft); Versuch (Maßgeblicher Rücktrittshorizont).

§ 15 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; 212 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB

1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen. Dabei hat der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen mit einzubeziehen.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zieht bei einem Geschehen, welches schon vollständig abgeschlossen ist, das Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch den anderen Mittäter geschaffenen Lage eine strafbare Verantwortung für das bereits abgeschlossene Geschehen nicht nach sich.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

917. BGH 3 StR 333/18 – Beschluss vom 21. März 2019

Diebstahl (Wegnahme; Gewahrsam; Geldscheine im Ausgabefach eines Geldautomaten; gelockerter Gewahrsam; Einverständnis; Bedingung; dingliche Einigung; Berechtigter; Nichtberechtigter).

§ 242 StGB

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass derjenige, der unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts bricht (Abweichung von BGH HRRS 2018 Nr. 39).

2. Das in einem Geldautomaten enthaltene Geld steht zunächst im Gewahrsam des Geldinstituts. Dieser besteht in gelockerter Form fort, wenn die Geldscheine im Ausgabefach zur Entnahme bereit lagen. Hierdurch gibt das Kreditinstitut zwar eine Wegnahmesicherung auf, behält aber die Möglichkeit, auf das Geld einzuwirken, solange sich die Scheine im Ausgabefach des Automaten befinden. Denn im Rahmen des vorprogrammierten Ausgabevorgangs werden die Geldscheine wieder eingezogen und das Ausgabefach geschlossen, wenn das Geld nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne entnommen wird. Dass womöglich weitere Personen (hier die Angeklagten) die Möglichkeit haben, auf das Geld zuzugreifen, ändert an dem fortbestehenden Gewahrsam der Bank nichts.

3. Bei der automatisierten Geldausgabe entspricht es dem Willen des Geldinstituts, den Gewahrsam an den Geldscheinen demjenigen zu übertragen, der den Geldautomaten technisch ordnungsgemäß bedient, indem er sich mittels Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. Ob es sich dabei um den materiell Berechtigten handelt, ist im Hinblick auf den tatsächlichen Vorgang der Gewahrsamsübertragung (im Gegensatz zum Rechtsgeschäft der Übereignung) ohne Bedeutung.

4. Das Einverständnis des Geldinstituts ist damit hinsichtlich des Gewahrsamsübergangs in personeller Hinsicht auf denjenigen beschränkt, der sich durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. Insoweit verhält es sich bei der automatisierten Geldausgabe gleichermaßen wie in anderen Fällen gelockerten Gewahrsams, in denen die Sache zwar dem Zugriff beliebiger Dritter preisgegeben ist, sich aber aus den Umständen ergibt, dass der Gewahrsamsinhaber die Wegnahme nur bestimmten Personen gestatten will.

5. Adressat des mit der Ausgabe von Bargeld an einem Geldautomaten verbundenen Einigungsangebots im Sinne des § 929 S. 1 BGB ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut sowie der Interessenlage der berechtigte, nicht aber ein unberechtigter Benutzer des Geldautomaten. Dies gilt auch dann, wenn eine technisch ordnungsgemäße Bedienung des Automaten voranging, denn das Geldinstitut hat keinen Anlass, das ihm gehörende im Automaten befindliche Geld demjenigen zu übereignen, der unbefugt darauf zugreift.


Entscheidung

1053. BGH 5 StR 146/19 – Beschluss vom 8. Mai 2019

Gebrauchen eines Ausweispapiers durch Vorlage einer Kopie oder Übersendung des Bildes eines echten Ausweises (Auslegung parallel zu Urkundsdelikten); Anfrageverfahren.

§ 281 StGB; § 267 StGB; § 132 GVG

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 S. 1 StGB auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden kann. Er fragt deshalb bei den übrigen Strafsenaten an, ob an etwa entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

2. Von einer Urkunde i.S.d. § 267 Abs. 1 StGB macht Gebrauch, wer dem zu täuschenden Gegenüber die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde ermöglicht. Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Täter dem zu Täuschenden eine Fotokopie oder ein Lichtbild einer – in dieser Weise körperlich tatsächlich vorhandenen – Urkunde zugänglich macht, denn hierdurch wird die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht (st. Rspr., siehe zuletzt etwa BGH HRRS 2016 Nr. 162). Nach Auffassung des Senats ist der Begriff des Gebrauchens § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit wie in § 267 Abs. 1 StGB auszulegen.


Entscheidung

1055. BGH 5 StR 20/19 – Beschluss vom 3. April 2019 (LG Neuruppin)

Pflichtwidrige Diensthandlung bei Bestechung und Bestechlichkeit (Amtsträger; dienstliche Obliegenheiten; Handlungen außerhalb des Kreises der Amtspflichten; praktische Einflussnahmemöglichkeit; Ermessen; nicht ausschließlich sachliche Gesichtspunkte); Einziehung von Taterträgen beim Täter trotz Zufluss an einen Drittbegünstigten (juristische Person; formaler Mantel; Weiterleitung von Vermögenszuflüssen an den Täter).

§ 332 StGB; § 334 StGB; § 73 StGB

1. Eine Diensthandlung (§§ 332, 334 StGB) liegt jedenfalls vor, wenn das Handeln zu den dienstlichen Obliegenheiten des Amtsträgers gehört und von ihm in dienstlicher Eigenschaft vorgenommen wird. Dabei begeht eine pflichtwidrige Diensthandlung nicht nur derjenige, der eine Handlung vornimmt, die in den Kreis seiner Amtspflichten fällt, sondern auch, wer seine amtliche Stellung dazu missbraucht, eine durch die Dienstvorschriften verbotene Handlung vorzunehmen, die ihm gerade seine amtliche Stellung ermöglicht.

2. Ist dem Amtsträger ein Ermessensspielraum eingeräumt, liegt eine pflichtwidrige Diensthandlung weiterhin vor, wenn der Amtsträger sich nicht ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten leiten lässt. Diese Grundsätze sind auch dann anwendbar, wenn der Beamte aufgrund seiner Kompetenz, derentwegen er in die Entscheidungsfindung einbezogen wird, über eine jedenfalls praktische Einflussnahmemöglichkeit verfügt.

3. Ein Vermögenswert ist im Rechtssinne durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Ist demgegenüber der Vermögenswert zunächst einem Drittbegünstigten zugeflossen, kann eine Einziehung von Taterträgen gegenüber dem Täter regelmäßig nicht angeordnet werden.

4. Eine gegen den Täter gerichtete Einziehungsentscheidung kommt in Fällen eines Zuflusses an einen Drittbegünstigten nur in Betracht, wenn sich über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehende Feststellungen treffen lassen, dass dieser selbst durch die Tat etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat. Umstände, die eine solche Feststellung rechtfertigen, können etwa darin zu sehen sein, dass der Täter eine juristische Person lediglich als einen formalen Mantel nutzt und eine Trennung zwischen seiner eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft tatsächlich nicht vornimmt, oder jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird.


Entscheidung

1004. BGH 2 StR 295/19 – Beschluss vom 29. August 2019 (LG Rostock)

Schwere Brandstiftung (Aufhebung des Wohnzweckes durch sämtliche Bewohner; Entwidmung).

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB

Die Zweckbestimmung eines Gebäudes zu Wohnzwecken kann vor der Brandlegung von dem Angeklagten aufgegeben werden. Eine solche Aufgabe des Willens, das Gebäude weiter zu bewohnen, durch sämtliche Bewohner nimmt dem Tatobjekt auch dann die von § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Zweckbestimmung, wenn die Bewohner wie hier nur allein berechtigte unmittelbare Fremdbesitzer sind.


Entscheidung

1057. BGH 5 StR 236/19 – Urteil vom 15. August 2019 (LG Berlin)

Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe (Gesamtwürdigung; subjektives Element; tatrichterlicher Beurteilungsspielraum).

§ 211 StGB

1. Die Beurteilung der Frage, ob ein Beweggrund „niedrig“ ist und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheint, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr., siehe zuletzt etwa BGH HRRS 2019 Nr. 118). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen Regungen freizumachen.

2. Bei den dabei zu treffenden Wertungen steht dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann. Hat das Tatgericht die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist dies auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein anderes Ergebnis möglich oder gar näherliegend gewesen wäre. Der genannte tatgerichtliche Beurteilungsspielraum gilt auch für die Bewertungen im Zusammenhang mit den subjektiven Anforderungen an das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, die mit den objektiven Kriterien in engstem Zusammenhang stehen.


Entscheidung

1058. BGH 5 StR 298/19 – Urteil vom 28. August 2019 (LG Saarbrücken)

Gefährliche Körperverletzung (Tritt mit einem Straßenschuh gegen den Kopf als Benutzung eines gefährlichen Werkzeugs); Raub (Wegnahme; Gewahrsam; Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme).

§ 224 StGB; § 249 StGB

1. Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird.

2. Die für einen Raub (§ 249 StGB) erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme liegt vor, wenn Gewalt oder Drohung das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sind. Eine solche Verknüpfung besteht nicht, wenn der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss seiner Nötigungshandlung fasst. Allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmeabsicht eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes ebenso wenig wie das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers.


Entscheidung

1001. BGH 2 StR 94/19 – Beschluss vom 25. Juni 2019 (LG Aachen)

Vergewaltigung (Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen); eigene Entscheidung in der Sache (Angemessenheit einer Rechtsfolge).

§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 aF StGB; § 354 Abs. 1a StPO

1. Die Verwirklichung des Tatbestands des § 177 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB erfordert unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet.

2. Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen.


Entscheidung

951. BGH 1 StR 683/18 – Urteil vom 11. Juli 2019 (LG München II)

Bandendiebstahl (Begriff der Bandenabrede: Verabredung zu einer unbestimmten Vielzahl noch ungewisser Diebestaten); Unterschlagung (Subsidiarität zum Diebstahl: keine wahldeutige Verurteilung); Begünstigung (keine entsprechende Anwendung des Angehörigenprivilegs der Strafvereitelung); Hilfsbeweisantrag (kein Beruhen des Urteils auf rechtsfehlerhafter Ablehnung, wenn anderer Ablehnungsgrund gegeben war); Tateinheit (Begriff der natürlichen Handlungseinheit; kein Teilfreispruch bei Bewertung von tatmehrheitlich angeklagten Taten als Tateinheit).

§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 246 StGB; § 257 Abs. 1 StGB; § 258 Abs. 6 StGB; § 244 Abs. 3, Abs. 6 StPO; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB

1. Eine Bandenabrede liegt nicht vor, wenn diese nicht auf die Begehung einer unbestimmten Vielzahl im Einzelnen noch ungewisser Diebestaten gerichtet ist. Stehen die zu begehenden Taten von vornherein weitgehend fest, fehlt es an der spezifischen Gefährlichkeit der Bande, immer wieder neue Taten zu generieren. Damit ist der Grund für die Strafschärfung des Bandendiebstahls nicht gegeben (vgl. BGHSt 46, 321, 334). Dieser Grund liegt in erster Linie in der engen Bindung, welche die Mitglieder für die Zukunft und für eine gewisse Dauer eingehen und die einen ständigen Anreiz zur Fortsetzung bildet (Organisationsgefahr), und nur sekundär in dem Einschüchterungseffekt sowie der gesteigerten Durchsetzungsmacht mehrerer Täter gegenüber dem Opfer vor Ort (Aktions- und Ausführungsgefahr; vgl. BGHSt 46, 321, 334 ff.).

2. Der Tatbestand der Unterschlagung umfasst den engeren Tatbestand des Diebstahls mit. Nach der Neufassung des Unterschlagungstatbestandes durch das 6. Strafrechtsreformgesetz (BGBl. I 1998, 164 ff.) besteht kein Ausschlussverhältnis mehr zwischen vollendetem Diebstahl und vollendeter Unterschlagung. Die zur alten Rechtslage im Verhältnis zwischen Diebstahl und Unterschlagung von der Rechtsprechung für möglich gehaltene echte Wahlfeststellung (vgl. BGHSt 16, 184, 186 f.) kommt daher nicht mehr in Betracht. Vielmehr ist nunmehr bei Sachverhaltsunsicherheit über einen etwaigen Gewahrsamsbruch unter Anwendung des Zweifelssatzes eine Verurteilung wegen § 246 StGB vorzunehmen, weil der Täter diesen in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative jedenfalls (mit)verwirklicht hat.

3. § 258 Abs. 6 StGB ist nicht entsprechend auf die Begünstigung anwendbar. Die Strafvereitelung richtet sich gegen den Strafanspruch des Staates; der persönliche Strafausschließungsgrund soll dem Angehörigen ersparen, an der Überführung eines Angehörigen mitwirken zu müssen (vgl. BGHSt 11, 343, 345). § 257 StGB stellt dagegen die Vorteilssicherung im Interesse des Vortäters unter Strafe.

4. Wird ein im Urteil zu bescheidender Hilfsbeweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt oder sogar übergangen, ist dies unschädlich, wenn er mit rechtsfehlerfreier Begründung abgelehnt werden konnte und die Ablehnungsgründe vom Revisionsgericht aufgrund des Urteilsinhalts nachgebracht oder ergänzt werden können; denn beim Hilfsbeweisantrag verzichtet der Antragsteller auf weiteres rechtliches Gehör.

5. Werden mehrere Delikte als tatmehrheitlich begangen angeklagt und die Tathandlungen in der Hauptverhandlung nachgewiesen, bewertet das Tatgericht sie jedoch konkurrenzrechtlich als eine materiellrechtliche Tat (§ 52 Abs. 1 StGB), ist kein Teilfreispruch veranlasst; denn in einem solchen Fall wird der gesamte Verfahrensgegenstand durch die Verurteilung erschöpfend erledigt (st. Rspr.).

6. Natürliche Handlungseinheit liegt vor, wenn zwischen einer Mehrzahl gleichartiger strafbarer Verhaltensweisen, die aufeinander folgen, also keine Überschneidung wenigstens in einem Handlungsteil einschließen, ein derartiger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv als einheitliches Tun erscheint, sofern die einzelnen Betätigungsakte jedenfalls durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (st. Rspr.).


Entscheidung

1008. BGH 2 StR 353/18 – Urteil vom 22. Mai 2019 (LG Frankfurt am Main)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit im Falle eines Freispruchs; Würdigung von Einlassungen des Angeklagten); Schwerer Bandendiebstahl (Bandenabrede: Bandenabrede, Abgrenzung von bloßer Mittäterschaft).

§ 261 StPO; § 244a Abs. 1 StGB

1. Eine Bande im Sinne des § 244a Abs. 1 StGB setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Diebstähle zu begehen. Nicht erforderlich ist die gegenseitige verbindliche Verpflichtung zur Begehung bestimmter Delikte; es genügt vielmehr auch die Übereinkunft, in Zukunft sich ergebende günstige Gelegenheiten zu gemeinsamer Tatbegehung zu nutzen.

2. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der so genannten Bandenabrede. Sie setzt den Willen voraus, sich mit anderen zu verbinden, um künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen. Sie bedarf keiner ausdrücklichen Vereinbarung; die Bandenabrede kann auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Das Vorliegen einer Bandenabrede kann daher auch aus dem konkret feststellbaren, wiederholten deliktischen Zusammenwirken mehrerer Personen hergeleitet werden.

3. Haben sich die Täter von vornherein nur zur Begehung einer einzigen Tat verabredet und in der Folgezeit – auf der Grundlage eines jeweils neu gefassten Tatentschlusses – weitere Straftaten begangen, so fehlt es an der erforderlichen Bandenabrede. In Grenzfällen kann die Abgrenzung zwischen einer auf einer konkludent getroffenen Bandenabrede beruhenden Bandentat und bloßer Mittäterschaft schwierig sein. Erforderlich ist in diesen Fällen eine sorgfältige und umfassende Würdigung aller im konkreten Einzelfall für und gegen eine Bandenabrede sprechenden Umstände.

4. Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen es außer der nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen.


Entscheidung

1021. BGH 4 StR 237/19 – Beschluss vom 1. August 2019 (LG Halle)

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (eigenhändiges Delikt; Bestimmen des Kindes zum Beischlaf oder einer ähnlichen sexuellen Handlung; gemeinschaftliche Tatbegehung; Absicht der Verbreitung einer kinderpornografischen Schrift).

§ 176 Abs. 1 StGB; § 176 Abs. 2 StGB; § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 176a Abs. 3 StGB

1. Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB kann nur sein, wer das Kind selbst körperlich berührt, da es sich beim Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt.

2. Da die Qualifikation des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB auch für die Fälle des § 176 Abs. 2 StGB Anwendung findet, kann hinsichtlich dieser Tatvariante auch derjenige Täter sein, wer das Kind zum Beischlaf oder einer ähnlichen sexuellen Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, mit einer dritten Person bestimmt.

3. § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Tatopfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Dabei reicht es aus, dass sich von den zusammenwirkenden Tätern der eine nach § 176 Abs. 1 StGB und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB strafbar macht.

4. § 176a Abs. 3 StGB qualifiziert den sexuellen Missbrauch nach § 176 Abs. 1 StGB auch für den Teilnehmer an dieser Tat, wenn er in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer kinderpornografischen Schrift zu machen, die verbreitet werden soll.


Entscheidung

937. BGH AK 37/19 – Beschluss vom 31. Juli 2019 (OLG Stuttgart)

Fortdauer der Untersuchungshaft; dringender Tatverdacht; Beihilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen (politisch motivierte Tötung); Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 211 StGB; § 27 StGB; § 112 StPO

Eine politische Tatmotivation ist jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG nach allgemeiner sittlicher Anschauung grundsätzlich verachtenswert und steht auf tiefster Stufe, da die bewusste Missachtung des Prinzips der Gewaltfreiheit der politischen Auseinandersetzung durch physische Vernichtung politischer Gegner mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist. Entsprechend motivierte Tötungen erfüllen daher regelmäßig die Voraussetzungen eines Mordes (§ 211 StGB) aus niedrigen Beweggründen (vgl. bereits BGH HRRS 2018 Nr. 476).


Entscheidung

959. BGH 2 StR 67/19 – Urteil vom 3. Juli 2019 (LG Gießen)

Geldfälschung (Konkurrenzen: Verhältnis von Herstellung und Inverkehrbringen, Tateinheit und Tatmehrheit, Subsidiarität der Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen; Begriff der Gewerbsmäßigkeit).

§ 146 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 149 Abs. 1 StGB

1. Die Vorbereitungshandlung des Herstellens von Falschgeld geht – ebenso wie die des Sichverschaffens – im Falle eines sich planmäßig anschließenden Inverkehrbringens regelmäßig im Tatbestand des Inverkehrbringens zu einer einzigen Tat auf. Mit dem Inverkehrbringen beendet der Täter seine Tat. Die Herstellung und das sodann erfolgte Inverkehrbringen bilden eine deliktische Einheit und stellen dementsprechend nur ein einziges Geldfälschungsdelikt nach § 146 Abs. 1 StGB dar. Dies gilt auch in Konstellationen, in denen das Inverkehrbringen im Versuchsstadium steckenbleibt.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, in wie vielen rechtlich selbständigen Fällen der Täter bei mehreren Absatzgeschäften jeweils den Tatbestand der Geldfälschung verwirklicht, entscheidend auf die Zahl der diesen zu Grunde liegenden einheitlich zu bewertenden Herstellungs- oder Erwerbsvorgänge an. Verschafft sich der Täter durch eine einheitliche Handlung Falschgeld, um dieses im Anschluss entweder bei günstiger Gelegenheit oder an be-

reits feststehende Abnehmer abzusetzen, so liegt auch dann nur eine Tat im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, wenn das Inverkehrbringen in mehreren Einzelakten geschieht. Maßgebend ist insoweit, dass der Täter sich das Geld bereits in der Absicht verschafft hat, dieses später abzusetzen, und er diese Absicht sodann verwirklicht. Hat sich der Täter demgegenüber in einem jeweils selbständigen Erwerbsvorgang mehrere Falschgeldmengen verschafft, liegt Tatmehrheit selbst dann vor, wenn Teilmengen daraus an den gleichen Abnehmer geliefert werden sollen. Dementsprechend kann wiederholtes und daher auch gewerbsmäßiges Handeln vorliegen, wenn der Täter beabsichtigt, sich durch mehrfaches Sichverschaffen von Falschgeld und dessen Inverkehrbringen eine Einnahmequelle zu erschließen. Für das in der entsprechenden Absicht erfolgte wiederholte Herstellen von Falschgeld gilt nichts anderes.

3. Das Vergehen nach § 149 Abs. 1 StGB ist gegenüber § 146 Abs. 1 StGB subsidiär.

4. Gewerbsmäßigkeit bedeutet, dass der Täter die Absicht verfolgt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Eine Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Deliktsbegehung setzt daher schon im Grundsatz nicht notwendig voraus, dass der Täter zur Gewinnerzielung mehrere selbstständige Einzeltaten der jeweils in Rede stehenden Art verwirklicht hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die wiederholte Tatbegehung entsprechend der Vorstellung des Täters tatsächlich geeignet ist, die erhofften Einnahmen zu erzielen. Maßgeblich sind vielmehr die ursprünglichen Planungen sowie das tatsächliche, strafrechtlich relevante Verhalten über den gesamten anzulastenden Tatzeitraum, wobei sich die Wiederholungsabsicht auf dasjenige Delikt beziehen muss, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist.


Entscheidung

1060. BGH 5 StR 637/18 – Urteil vom 17. Juli 2019 (LG Kiel)

Schwerer Raub/schwere räuberische Erpressung (Vorsatzwechsel; unbeachtliche Abweichung vom Tatplan; Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme/Hingabe der Beute; Berücksichtigung schwerer psychischer Schäden des Opfers bei der Strafzumessung als verschuldete Folgen der Tat).

§ 249 StGB; § 250 StGB; § 255 StGB; § 46 StGB

1. Ein Raub/eine räuberische Erpressung wird unter Umständen nicht vollendet, wenn der Täter einen bestimmten Gegenstand erbeuten will und es im weiteren Verlauf zur Wegnahme oder Herausgabe einer ganz anderen Sache kommt. Bezieht sich der Vorsatz indes von Anfang an auf Geld, steht es der vollendeten Tat regelmäßig nicht entgegen, wenn Geldwerte statt in einem Safe in einer Schatulle oder einem anderen Versteck gefunden werden. Genauso wenig spielt es eine Rolle, wenn der Täter eine geringere Geldsumme als erstrebt erlangt bzw. früher oder später als geplant zum Ziel gelangt. Es handelt sich in diesen Fällen um eine lediglich unerhebliche Abweichung vom Tatplan, die sich in der Regel innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung und aus Tätersicht Voraussehbaren bewegt.

2. Es ist nicht ohne Weiteres eine typische Folge von (auch schweren) Raubtaten, dass das Opfer aufgrund der Gewalteinwirkung fortan in ständiger Angst lebt und an Albträumen leidet. Derartige Konsequenzen sind deshalb, sofern sie vorhersehbar sind, regelmäßig als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB zum Nachteil des Täters zu gewichten.