HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2017
18. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

689. BGH 1 StR 483/16 - Beschluss vom 8. Februar 2017 (LG Amberg)

Betrug durch rechtsmissbräuchliche Abmahnschreiben (Täuschung über Tatsachen).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG

Die nach § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von Abmahnkosten ist tatbestandlich eine Täuschung der Abmahnungsempfänger im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB. Die konkludente Erklärung der berechtigten Abrechnung der Abmahnkosten stellt nicht lediglich ein Werturteil, sondern eine Täuschung über den zugrundeliegenden Tatsachenkern dar (vgl. BGHSt 48, 331, 344). Die Empfänger der Erklärungen werden nach der Verkehrsanschauung nämlich nicht (lediglich) über die Rechtsfrage getäuscht, ob ein Anspruch besteht, sondern über die tatsächliche eigentliche Zielrichtung der Abmahnschreiben, ausschließlich – nach § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchliche – Gebührenforderungen generieren und entsprechende Zahlungseingänge unter sich aufteilen zu wollen, anstatt ein Unterlassen des unlauteren Verhaltens der Abgemahnten zu bewirken.


Entscheidung

685. BGH 1 StR 265/16 - Urteil vom 9. Mai 2017 (LG München I)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Garantenstellung aus Ingerenz: Begrenzung der Handlungspflicht durch den Schutzweck der verletzten Pflicht, keine steuerrechtliche Handlungspflicht durch Bestechungen; mögliche mittelbare Täterschaft durch Verschweigen der Voraussetzungen eines Abzugsverbot); Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten; Prozessbetrug (unmittelbares Ansetzen des Beklagten erst durch Antragsstellung; möglicher gleichzeitiger Betrug gegenüber dem Verfahrensgegner: Vermögensschaden durch Klagerücknahme); Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige wegen Entdeckung der Tat (Begriff der Entdeckung: Entdeckung durch ausländische Behörden und Privatpersonen); Geldbuße gegen juristische Personen (Bemessung der Geldbuße: Schuld der handelnden Leitungspersonen, Bestehen und nachträgliches Einführen von Compliance-Systemen); Bestechlichkeit (Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei Ermessenspielraum des Amtsträgers); Revision der Nebenbeteiligten (Statthaftigkeit bezüglich Anfechtung des Schuldspruchs); Beihilfe (Voraussetzungen: Eventualvorsatz bezüglich Haupttat ausreichend); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); Strafzumessung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 370 Abs. 1 AO; § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG; § 13 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 263 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 269 ZPO; § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO; § 30 OWiG; § 17 Abs. 1 Satz 4 OWiG; § 332 Abs. 1 StGB; § 444 Abs. 2 StPO; § 437 Abs. 1 StPO; § 27 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 46 StGB

1. Allein die Beteiligung an einer Bestechung löst keine Garantenstellung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten des Bestechenden aus, sodass die Nichtverhinderung oder -erschwerung der Steuerhinterziehung weder zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) noch zu einer Bei-

hilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 StGB) führt.

2. Es kommt aber Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) in Betracht, wenn derjenige, der durch Bestechungshandlungen ein Betriebsausgabenabzug gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG auslöst, infolge regelhafter Abläufe bei der Verbuchung von Rechnungen die Geltendmachung der Beträge als Betriebsausgaben herbeiführt, weil er den Steuerpflichtigen bzw. Erklärungspflichtigen nicht über die Gründe informiert, die zum Abzugsverbot geführt haben.

3. Auch die Garantenstellung aus Ingerenz ist nach dem Schutzzweck der die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens begründenden Norm begrenzt. Dies führt dazu, dass nicht jedes pflichtwidrige und zusätzlich gefahrverursachende Verhalten zu einer Garantenpflicht führt, sondern dass stets auf die Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Pflichtverletzung sowie des später eintretenden Erfolgs und ihres Verhältnisses zueinander abzustellen ist. Maßgeblich ist, ob die Pflichtwidrigkeit gerade in einer Verletzung eines solchen Gebots besteht, das dem Schutz des Rechtsguts zu dienen bestimmt ist (Pflichtwidrigkeitszusammenhang; vgl. BGHSt 37, 106, 115).

4. Zwar ist umstritten, welches Rechtsgut von den Korruptionstatbeständen im Einzelnen geschützt wird. Im Vordergrund steht bei den §§ 331 ff. StGB aber jedenfalls das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit staatlicher Verwaltung und Rechtspflege sowie die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes. Damit wird derjenige, der gegen diese Strafgesetze verstößt, nicht zum Garanten für die inhaltliche Richtigkeit der Steuererklärungen desjenigen, aus dessen Vermögen die Bestechungsgelder stammen. Dies gilt auch dann, wenn der Verstoß gegen die Strafnorm die Entstehung einer Steuer nach sich zieht oder gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG ein steuerliches Betriebsausgabenabzugsverbot zur Folge hat.

5. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme in Fällen, in denen ein erfolgsabwendungspflichtiger Unterlassender die deliktische Handlung eines Dritten nicht verhindert, nach denselben Kriterien vorzunehmen wie bei den Begehungsdelikten. Danach ist aufgrund wertender Betrachtung abzuwägen, ob die innere Haltung des Unterlassenden zur Begehungstat des anderen als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu Eigen machenden Täterwillens aufzufassen ist oder ob seine innere Einstellung davon geprägt ist, dass er sich dem Handelnden im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen lässt (vgl. BGHSt 43, 381, 397).

6. Eine unwahre Tatsachenbehauptung des Beklagten im arbeitsgerichtlichen Verfahren stellt noch kein unmittelbares Ansetzen zu einem Prozessbetrug dar. Zwar kein ein solche bereits inhaltlich das Tatbestandsmerkmal der Täuschung gemäß § 263 Abs. 1 StGB erfüllen. Allerdings bedarf es noch eines weiteren Schritts des Beklagten, um auf der Grundlage unwahren Sachvortrags in Schriftsätzen eine Klageabweisung zu erreichen, nämlich einer Antragstellung mit Bezugnahme auf den Inhalt der Schriftsätze in der mündlichen Verhandlung. Sein Fehlen steht der Annahme eines unmittelbaren Ansetzens zum Versuch im Sinne des § 22 StGB entgegen, weil der Antrag bei wertender Betrachtung einen wesentlichen Zwischenschritt auf dem Weg zur Tatbestandsverwirklichung darstellt. Der Täuschende kann, weil ansonsten der klägerische Vortrag als zugestanden gelten würde, nur durch einen entsprechenden Prozessantrag die von ihm erstrebte rechtswidrige Bereicherung erzielen.

7. Rechnet eine Partei eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens aber damit, dass auch der Gegner getäuscht und zu einer ihm nachteiligen Prozesshandlung veranlasst werden könnte, so entfällt ein Betrug im Prozess nicht deshalb, weil das unwahre Vorbringen in erster Linie für den Richter bestimmt war. Allerdings wird der Prozessgegner in der Regel nicht getäuscht werden können, weil er über den streitigen Sachverhalt aus eigenem Wissen Kenntnis besitzt.

8. In der Zurücknahme einer an sich begründeten Klage kann auch eine Vermögensverfügung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB liegen. Zwar ist dabei mit in den Blick zu nehmen, dass die Klage später wieder neu erhoben werden kann. Ein Vermögensschaden kann aber dennoch eintreten, wenn der Kläger durch die Täuschung veranlasst wird, endgültig auf die Geltendmachung einer werthaltigen Forderung zu verzichten (vgl. BGH NStZ 2007, 95), oder abgehalten wird, weitere Schritte zur Durchsetzung seiner begründeten Forderung zu unternehmen (vgl. BGH wistra 1993, 17), und dadurch im Ergebnis, etwa im Fall einer eingetretenen Verjährung, den Anspruch danach nicht mehr durchsetzen kann.

9. Eine Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt dann vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist (vgl. BGH NStZ 1983, 415). Dabei dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht überspannt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss (vgl. BGHSt 55, 180, 187). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Begriff des Entdeckens der Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO mit den üblichen strafprozessualen Verdachtsgründen nicht gleichgesetzt werden, weil ihm ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukommt. Demzufolge ist für eine Tatentdeckung weder ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von § 170 Abs. 1, § 203 StPO erforderlich, noch, dass der Täter der Steuerhinterziehung bereits ermittelt ist. Vielmehr genügt es, dass konkrete Anhaltspunkte für die Tat als solche bekannt sind (vgl. BGHSt 55, 180, 187).

10. Die in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO enthaltene Definition der Tatentdeckung enthält eine doppelte, zweistufige Prognose. Zunächst ist – auf der Grundlage der vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen – die Verdachtslage, und zwar vorläufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorläufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder

-ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Ist das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde, ist die Tat entdeckt (vgl. BGHSt 55, 180, 186).

11. Die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt für sich allein allerdings noch keine Tatentdeckung dar. Welche Umstände hinzukommen müssen, damit die Tat (wenigstens zum Teil) entdeckt ist, bleibt dabei einer Beurteilung des konkreten Einzelfalls vorbehalten. In der Regel ist eine Tat aber bereits dann entdeckt, wenn unter Berücksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahe liegt. Eine Entdeckung der Tat ist somit bei verschleierten Steuerquellen bereits vor einem Abgleich mit den Steuererklärungen des Steuerpflichtigen denkbar, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist (vgl. BGHSt 55, 180, 188).

12. Eine Steuerhinterziehung kann nicht nur durch Finanzbehörden oder Strafverfolgungsbehörden im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entdeckt werden, sondern grundsätzlich durch jedermann, auch durch Privatpersonen. Da allerdings eine Tatentdeckung nach dieser Vorschrift voraussetzt, dass bereits durch die Kenntnis der betreffenden Personen von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich ist, setzt die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO voraus, dass mit der Weiterleitung der Kenntnisse des Entdeckers an die zuständige Behörde zu rechnen ist.

13. Auch Angehörige ausländischer Behörden kommen als Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht, wenn der betreffende Staat aufgrund bestehender Abkommen internationale Rechtshilfe leistet. Bedarf es der Übermittlung der erlangten Kenntnisse von der Tat im Wege internationaler Rechtshilfe, ist für die Beurteilung, ob mit einer Weitergabe der Informationen zu rechnen ist, die Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung maßgeblich. Eine solche Lage kann sich nicht erst zu dem Zeitpunkt ergeben, in dem sich die ausländischen Behörden zur Bewilligung der Rechtshilfe entschließen. Sie kann vielmehr mit dem Erlangen der Informationen über die Straftat zusammentreffen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt die Rechtshilfegewährung wahrscheinlich ist (vgl. BGH wistra 1987, 293). Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, wie die jeweilige Praxis des betroffenen Staates bei der Rechtshilfe in Fiskalangelegenheiten ausgestaltet ist.

14. Nach § 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG soll die Geldbuße nach § 30 OWiG den wirtschaftlichen Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen worden ist, übersteigen. Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die bebußte juristische Person ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die juristische Person in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.

15. Ausgangspunkt für die Bemessung der Geldbuße ist die Tat der Leitungsperson. Dabei bestimmt die Schuld der Leitungsperson auch gegenüber der Nebenbeteiligten den Umfang der Vorwerfbarkeit und ist Grundlage für die Bemessung des Bußgeldes (vgl. BGH wistra 2007, 222). Wenn mehrere Leitungspersonen an derselben Straftat beteiligt gewesen sind, kann nur eine Geldbuße gegen den Verband festgesetzt werden, weil insoweit nur eine Straftat im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG vorliegt (vgl. BGH NStZ 1994, 346). Grundlage für die Bemessung der Geldbuße ist dann die Schuld aller an der Anknüpfungstat beteiligten Leitungspersonen.

16. Eine Ermessensentscheidung eines Amtsträgers ist bereits dann pflichtwidrig, wenn dieser sich dabei von dem Vorteil beeinflussen lässt, selbst wenn die Entscheidung innerhalb seines Ermessensspielraums liegt (vgl. BGHSt 48, 44, 50).

17. Gemäß § 437 Abs. 1 Satz 1 StPO erstreckt sich im Rechtsmittelverfahren die Prüfung, ob die Einziehung dem Einziehungsbeteiligten gegenüber gerechtfertigt ist, auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils nur, wenn der Einziehungsbeteiligte insoweit Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist. Über den für Verfahren bei Festsetzung von Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen geltenden § 444 Abs. 2 Satz 2 StPO findet die Vorschrift des § 437 Abs. 1 bis 3 StPO sinngemäß Anwendung. Damit kann die Nebenbeteiligte, wenn sie den Schuldspruch des ersten Urteils gemäß § 444 Abs. 2 Satz 2, § 437 Abs. 1 Satz 1 StPO in zulässiger Weise angreift, unter Beachtung des Gesetzeswortlauts lediglich eine Änderung des Urteils hinsichtlich der sie betreffenden Rechtsfolge zu ihren Gunsten erwirken. Die Revision der Nebenbeteiligten ist daher unstatthaft, soweit sie den gegen den Angeklagten ergangenen Schuldspruch anficht. Insoweit handelt es sich um ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten, für dessen Zulässigkeit es der Nebenbeteiligten an der erforderlichen Legitimation fehlt.


Entscheidung

692. BGH 1 StR 606/16 - Urteil vom 25. April 2017 (LG Rostock)

Strafzumessung bei Steuerhinterziehung (Höhe der verkürzten Steuern als bestimmender Strafzumessungsgrund: gleichzeitig erforderliche Beurteilung des Einzelfalls, besondere kriminelle Energie bei Serienstraftaten; Strafzumessung bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung: Beihilfestrafbarkeit allein aufgrund fehlender eigener Erklärungspflicht als Strafschärfungsgrund; Strafzumessung bei serienmäßiger Steuerhinterziehung: mögliche Kategorisierung der Einzelstrafen nach Hinterziehungsbetrag); Strafzumessung durch das neue Tatgericht nach Zurückverweisung (mögliche Verhängung der gleichen Strafen).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 27 StGB; § 46 StGB; § 261 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 358 StPO

1. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene

Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (st. Rspr.). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGHSt 53, 71, 80).

2. Dies gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (vgl. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die Strafzumessung innerhalb des vom Tatgericht zugrunde gelegten Strafrahmens. Wenn der Hinterziehungsbetrag hoch ist, ist er ein auch für die konkrete Strafzumessung wichtiger Strafschärfungsgrund ist. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGHSt 53, 71). Unerheblich ist dabei, ob dieser Hinterziehungsumfang durch eine einzelne Tat oder durch mehrere Einzeltaten erreicht worden ist (vgl. BGH wistra 2012, 350).

3. Gleichzeitig kann allein das Ausmaß der Steuerverkürzung nicht in dem Sinne ausschlaggebend für die Strafhöhenbemessung sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrages schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen (vgl. BGHSt 53, 71, 81).

4. Bei Tatserien ist zudem nicht allein der jeweils durch die Einzeltat verursachte Verkürzungsumfang maßgeblich für die Bemessung der Einzelstrafe; vielmehr muss auch bei der Zumessung der Einzelstrafen die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamthinterziehungsumfang in den Blick genommen werden (vgl. BGHSt 53, 221, 232). Kommt bei Serienstraftaten in der systematischen Vorgehensweise ein besonderes Maß an krimineller Energie zum Ausdruck, kann auch dieser Gesichtspunkt und nicht der konkrete Verkürzungsumfang bei der Bestimmung der Einzelstrafen im Vordergrund stehen (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270).

5. In Fällen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist für die Strafrahmenwahl nicht entscheidend, ob sich die Tat des Haupttäters, zu der Beihilfe geleistet wird, als besonders schwerer Fall erweist; zu prüfen ist vielmehr, ob sich die Beihilfe selbst – bei Berücksichtigung des Gewichts der Haupttat – als besonders schwerer Fall darstellt (st. Rspr). Dies gilt nicht nur in Fällen unbenannter besonders schwerer Fälle, sondern auch dann, wenn im Wege einer Gesamtwürdigung zu klären ist, ob die Indizwirkung eines oder mehrerer Regelbeispiele für besonders schwere Fälle widerlegt ist (vgl. BGH wistra 2015, 235).

6. Dabei kann bei Unterlassungstaten der Umstand, dass eine mangels eigener Erklärungspflicht nur als Gehilfe strafbare Person Tatherrschaft hatte, erheblich strafschärfend zu werten sein (vgl. BGHSt 58, 218, 231). In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls kann der Schuldgehalt (§ 29 StGB) der Beihilfetat sogar größer sein als der der Haupttat und trotz Strafrahmenverschiebung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB eine Strafe rechtfertigen, die derjenigen für den Haupttäter gleichkommt oder sie sogar übersteigt.

7. Zwar erfordert das Schuldmaßprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) regelmäßig eine differenzierende Zumessung der Einzelstrafen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72), die bei Steuerstraftaten eine an der Höhe der verkürzten Steuern ausgerichtete Differenzierung der Einzelstrafen nahelegt (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270). Dies schließt jedoch nicht aus, dass bei Steuerstraftaten – wie auch sonst bei Vermögensstraftaten –, denen gleichgelagerte Begehungsformen zugrunde liegen, eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe erfolgen kann.

8. Diese muss zwar immer am Maß des der konkreten Tat immanenten Schuldumfangs orientiert sein (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72). Allerdings kann bei Tatserien der durch die Einzeltat verursachte Verkürzungsumfang gegenüber der systematischen Vorgehensweise zur Erreichung einer Gesamthinterziehung dergestalt in den Hintergrund treten (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270), dass Schwankungen bei den Verkürzungsbeträgen im Rahmen der fortgesetzten Tatbegehung bei der Bemessung der Einzelstrafen keine erhebliche Bedeutung mehr zukommt. Soweit dies der Fall ist, dürfen auch Taten mit unterschiedlichem Hinterziehungsumfang für die Bemessung der Einzelstrafen zu Gruppen zusammengefasst werden.

9. Zwar hat im Falle der Zurückverweisung einer Sache das neue Tatgericht die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 358 Abs. 1 StPO). Nach einer Aufhebung des Strafausspruchs ist es jedoch nicht gehindert, die für die Strafzumessung bedeutsamen Umstände anders als das bisherige Tatgericht zu gewichten und sogar dieselben Strafen zu verhängen, sofern es nicht auf die vom Revisionsgericht beanstandeten Strafzumessungserwägungen zurückgreift. Es darf ohne Rückgriff auf neue Umstände lediglich dann nicht zur selben Strafhöhe gelangen, wenn das Revisionsgericht bei Aufhebung des Strafausspruchs zum Ausdruck gebracht hatte, dass die Urteilsgründe des Tatgerichts nicht die Schuldangemessenheit der Strafe belegten (vgl. BGH StV 1993, 26).


Entscheidung

645. BGH 2 StR 169/15 - Beschluss vom 16. Mai 2017 (LG Rostock)

Urteilsgründe (uneigentliche Organisationsdelikte: Feststellungen zu Einzelakten); Betrug (Massenbetrugsfälle: Feststellung des jeweiligen Irrtums; Verjährung); Insolvenzverschleppung (Zahlungsunfähigkeit: maßgeblicher Zeitpunkt, Einbeziehung von Zahlungsansprüchen; Verjährung).

§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 263 Abs. 1 StGB; § 15a Abs. 1 und Abs. 4 InsO; § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO; § 823 Abs. 2 BGB

1. Für die Tatfeststellung und Darstellung im Urteil gelten bei einer aus vielen Einzelakten bestehenden Tat im Sinne eines uneigentlichen Organisationsdelikts keine anderen Anforderungen als bei einer Mehrzahl gleichartiger, rechtlich selbständiger Straftaten. Die Urteilsgründe müssen auch hier die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der

Straftat gefunden werden. Rechtliche Konkurrenzfragen haben darauf keinen Einfluss. Dies schließt zwar eine zusammenfassende, insbesondere tabellarische Darstellung der Einzelfälle und eine Wiedergabe von Gemeinsamkeiten der Tatbegehung nicht aus. Jedoch macht dies grundsätzlich Feststellungen zu den Einzelakten des Betruges zum Nachteil verschiedener Geschädigter im Urteil nicht entbehrlich.

2. Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, müssen die Urteilsgründe regelmäßig ergeben, wer die durch Täuschung verursachte Vermögensverfügung getroffen hat und welche irrtümlichen Vorstellungen dieser Geschädigte dabei hatte. Die Überzeugung des Gerichts setzt dazu in der Regel die Vernehmung der Geschädigten voraus.

3. Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob in bestimmten Massenbetrugsfällen auf jede Befragung von Geschädigten ganz verzichtet und deren Irrtum insgesamt nur aus Beweisschlüssen aufgrund von äußeren Umständen festgestellt werden kann. Ein Fall mit Betrugshandlungen zum Nachteil von tausenden Geschädigten, deren Befragung zum Zweck der Feststellung des individuellen Irrtums aufgrund von Täuschungshandlungen praktisch unmöglich wäre, liegt nicht vor.

4. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der zu diesem Zeitpunkt fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits festzustellen.

5. Zahlungsansprüche sind in eine Gegenüberstellung von Forderungen und verfügbaren Mitteln nur einzustellen, soweit sie im insolvenzrechtlichen Sinne fällig sind. Die Fälligkeit von Forderungen, zu deren vollständiger Erfüllung der Schuldner wegen Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt oder innerhalb angemessener Zeit nicht mehr in der Lage ist, setzt im insolvenzrechtlichen Sinn voraus, dass die geschuldete Leistung „ernsthaft eingefordert“ wird. Dies ist der Fall, wenn eine Handlung des Gläubigers gegeben ist, aus der sich der Wille ergibt, Erfüllung möglicher Zahlungsansprüche zu verlangen. An ein solches Einfordern sind keine hohen Anforderungen zu stellen.

6. Ob etwas anderes gilt, weil die strafgerichtliche Rechtsprechung annimmt, hinsichtlich Kapitalzuflüssen aus Betrugshandlungen bestünden bereits mit der Zahlung fällige Rückzahlungsansprüche aus unerlaubter Handlung in entsprechender Höhe, die als fällige Gegenforderung einzustellen seien, kann hier dahinstehen.

7. Das „uneigentliche Organisationsdelikt“ des Betruges umfasst alle Einzelakte, die infolge des dem mittelbaren Täter zurechenbaren Organisationsakts verursacht wurden.


Entscheidung

694. BGH 2 StR 270/16 - Beschluss vom 15. März 2017 (LG Aachen)

Zuwiderhandeln gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG (Darstellung im Urteil); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Kontrolle).

§ 4 Satz 1 GewSchG; § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG; § 261 StPO

Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt (vgl. BGHSt 59, 94). Überdies empfiehlt es sich, in der Sachverhaltsdarstellung die Anordnungen des Familiengerichtes konkret darzustellen.