HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2017
18. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

682. BGH 4 ARs 22/16 - Beschluss vom 7. Juni 2017

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung von Tötungsabsicht als strafschärfend).

§ 46 Abs. 3 StGB

1. Der Senat hat die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht bei einer Verurteilung wegen Totschlags in der Vergangenheit mehrfach als Verstoß gegen die Grundsätze der Strafzumessung bewertet. Zuletzt hat er diese Frage ausdrücklich offengelassen. Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr fest.

2. Der Senat ist allerdings nicht der Ansicht, dass im Bereich des subjektiven Tatbestands eine vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schuldschwereskala gilt und deshalb das Vorliegen von Tötungsabsicht schon für sich genommen regelmäßig einen Straferschwernisgrund darstellt. Stattdessen kommt es auch hier auf den Einzelfall an.

3. Absichtlich tötet, wem es bei seinem Tun auf die Herbeiführung des Todes ankommt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Erreichung des Todeserfolges für sicher oder nur für möglich gehalten wird. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob sie erwünscht ist oder bedauert wird.

4. Mit Tötungsabsicht handelt daher auch, wer den Tod eines anderen nicht um seiner selbst willen herbeiführen will, in ihm aber ein notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zum eigentlich angestrebten Ziel sieht.

5. Dass der Täter den Tod des Opfers als (Zwischen-)Ziel seiner Handlung anstrebt, spricht zwar für eine besonders starke Abweichung von den Maßstäben der; es belegt aber für sich allein noch nicht das Vorliegen einer besonders verwerflichen Gesinnung oder eine besondere Stärke seines verbrecherischen Willens.

6. Tötungsabsicht wird für sich genommen allerdings dann als selbstständiger Straferschwernisgrund herangezogen werden können, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes um seiner selbst willen ankommt und keine weiteren relevanten Handlungsziele festgestellt werden können. In diesem Fall nähert sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust an.


Entscheidung

642. BGH 2 StR 117/17 - Beschluss vom 10. Mai 2017 (LG Darmstadt)

Gesamtstrafe und Strafaussetzung (Sozialprognose bei laufendem Verfahren); Verfall (Einziehungsanordnung: Kennzeichnung der Gegenstände).

§ 56 Abs. 1 StGB; 73 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Vorwürfe aus einem schwebenden Verfahren, in dem ein Urteil noch aussteht, dürfen bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, wenn das Gericht zur Richtigkeit dieser Beschuldigungen keine eigenen, prozessordnungsgemäßen Feststellungen getroffen hat.

2. Der bloße Verdacht einer weiteren Straftat darf aufgrund der Unschuldsvermutung nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden; dies gilt selbst dann, wenn in dem anderen Verfahren aufgrund eines dringenden Tatverdachts bereits Untersuchungshaft angeordnet worden ist.

3. Der Ausspruch über die Anordnung einer Einziehung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; im Falle von Betäubungsmitteln gehört dazu die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem Urteilstenor ergeben muss.


Entscheidung

643. BGH 2 StR 8/15 - Beschluss vom 11. Mai 2017 (LG Köln)

Schmerzensgeld (Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld: Einzelfallabwägung; Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren).

§ 253 Abs. 2 BGB

1. Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können.

2. Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes: Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

3. Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.


Entscheidung

696. BGH 2 StR 324/14 - Beschluss vom 11. Mai 2017 (LG Bonn)

Bemessung der billigen Entschädigung in Geld im Adhäsionsverfahren (nur ausnahmsweise Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem; Beruhen des Adhäsionsausspruchs auf einer fehlerhaften Bemessung).

§ § 406 StPO; § 406a Abs. 2 Satz 1 StPO; § 252 BGB; § 337 StPO

1. Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt für Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

2. Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.


Entscheidung

651. BGH 2 StR 466/16 - Beschluss vom 12. April 2017 (LG Gießen)


Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Ermessen des Gerichts: zu berücksichtigende Umstände).

§ 66 StGB

1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist rechtswidrig, wenn das Tatgericht verkennt, dass ihm bei der Anordnung Ermessen zusteht.

2. Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt.


Entscheidung

639. BGH 1 StR 626/16 - Beschluss vom 9. Mai 2017 (LG Augsburg)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung der „Unbelehrbarkeit“ eines Angeklagten).

§ 46 Abs. 2 StGB

1. Der Strafausspruch ist rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht zu Lasten des Angeklagten eine „erhebliche Unbelehrbarkeit“ berücksichtigt, die sich darin manifestiere, „dass er allein seine eigenen – abwegigen – Rechtsansichten akzeptiert und dabei nicht davor zurückschreckt, vorsätzliche Straftaten zu begehen, um die seiner Meinung nach richtige Ansicht durchzusetzen, obgleich ihm Behörden und Gerichte wiederholt bescheinigt haben, dass er im Unrecht ist“. Das lässt eine zu Unrecht erfolgte strafschärfende Berücksichtigung von (noch) zulässigem Verteidigungsverhalten besorgen.

2. Grundsätzlich darf als Nachtatverhalten nicht zu Lasten eines Angeklagten gewertet werden, dass er – selbst nach Rechtskraft des Schuldspruchs – die Tatbegehung weiterhin leugnet. Dabei macht es im rechtlichen Ausgangspunkt regelmäßig keinen entscheidenden Unterschied, ob dies durch Leugnung der Täterschaft aus tatsächlichen Gründen oder durch rechtliche Erwägungen, wie die Überzeugung sich gegen vermeintlich rechtswidriges Verhalten des Staats wehren zu dürfen, erfolgt.

3. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf lediglich dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn es im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindlichkeit und Gefährlichkeit schließen lässt.


Entscheidung

668. BGH 4 StR 78/17 - Beschluss vom 22. Mai 2017 (LG Bochum)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Begriff des Hangs).

§ 64 StGB

1. Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Dass diese Neigung bereits den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat, ist dabei nicht erforderlich.

2. Auch stehen das Fehlen von ausgeprägten Entzugserscheinungen und Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht notwendig entgegen.


Entscheidung

693. BGH 1 StR 658/16 - Urteil vom 9. Mai 2017 (LG Kempten)

Anordnung der Unterbringung im einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen: länger andauernder Effektzustand, Gefährlichkeitsprognose, Darstellung im Urteil).

§ 63 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO

1. Für einen länger andauernden Defekt im Sinne des § 63 StGB kommt es nicht darauf an, ob die Anlasstat in einer „Ausnahmesituation“ des über einen längeren Zeitraum an einer für die Schuldfähigkeit bedeutsamen psychischen Störung leidenden Täters erfolgt. Ein länger dauernder Zustand verlangt keine ununterbrochene Befindlichkeit. Entscheidend und für die Maßregelanordnung ausreichend ist vielmehr, dass der Zustand der Grunderkrankung länger andauert, sofern er dazu führt, dass schon alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können (vgl. BGHSt 44, 369, 375 f.). Ist der Defektzustand lediglich vorübergehender Natur, ist der mit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundene erhebliche Eingriff in das Freiheitsrecht verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

2. Die für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 141) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 306).

3. Dabei hat der Tatrichter die für die Entscheidung über die Unterbringung maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH NStZ 2015, 394, 395).


Entscheidung

683. BGH 1 StR 147/17 - Beschluss vom 25. April 2017 (LG Ulm)

Bemessung einer Geldstrafe (Höhe eines Tagessatzes: Begriff des Einkommens, Berücksichtigung des Einkommens eines Ehepartners, Möglichkeit der Schätzung).

§ 40 Abs. 2, Abs. 3 StGB

1. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt sich unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB). Jedoch erschöpft sich die Festlegung der Tagessatzhöhe nicht in einem mechanischen Rechenakt, sondern es handelt sich um einen wertenden Akt richter-

licher Strafzumessung, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt. Zudem ist das Einkommen ein rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff, welcher alle Einkünfte aus selbständiger und nicht selbständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten umfasst, wobei es auch nicht erforderlich ist, dass es sich um Einnahmen in Form von Geldleistungen handelt, auch Unterhalts- und Sachbezüge oder sonstige Naturalleistungen zählen hierzu.

2. Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners, nicht berufstätig zu werden, zu respektieren hat. Im Ergebnis kommt es in solchen Fällen darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am Familieneinkommen teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, gegebenenfalls auch ein Taschengeld, gewährt wird.

3. Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusammenhängende Ausgaben, wie beispielsweise Werbungskosten und Betriebsausgaben, auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls sind in der Regel außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des Täters demgegenüber nur in angemessenem Umfang.

4. Dem Tatrichter steht gemäß § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis zu, sofern entweder der Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder deren Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde.