HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2016
17. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

696. BGH 4 StR 440/15 – Urteil vom 24. Mai 2016 (LG Halle)

BGHR; Untreue (Pflichtverletzung: Reichweite des Grundsatzes der Sparsamkeit für das Handeln von Hoheitsträgern, Einschränkung des dabei bestehenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums bei Personalentscheidungen durch tarifvertragliche Regelungen).

§ 266 StGB, § 16 Abs. 2 Satz 3 TVöD (VKA)

1. Zur (Haushalts-)Untreue durch Zubilligung von Erfahrungsstufen bei Einstellung als Tarifbeschäftigte(r) im Öffentlichen Dienst. (BGH)

2. Der Sparsamkeitsgrundsatz, wonach der Staat nichts „verschenken“ darf, stellt ein allgemeines Prinzip der Haushaltsführung für den gesamten öffentlichen Bereich dar, das von allen Trägern hoheitlicher Gewalt unabhängig davon zu beachten ist, auf welcher Grundlage sie tätig werden (st. Rspr.). Als rechtliche Steuerungsnorm ist er dazu bestimmt, einen äußeren Begrenzungsrahmen für den Entfaltungs- und Gestaltungsspielraum aller Hoheitsträger dahingehend zu bilden, solche Maßnahmen zu verhindern, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar sind. (Bearbeiter)

3. Der Sparsamkeitsgrundsatz verpflichtet indes nicht zur Kostensenkung um jeden Preis. Daher ist auch für die Höhe der im Bereich der öffentlichen Verwaltung gezahlten Vergütungen ein verhältnismäßig weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet. Einen durch den Untreuetatbestand strafbewehrten Grundsatz, wonach er der Zubilligung einer höheren Vergütung dann entgegensteht, wenn der Betreffende seine Leistung auch zu anderen, günstigeren Bedingungen erbracht hätte oder erbringen muss, kennt das deutsche Recht nicht. Daher überschreitet der zur Entscheidung Berufene auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung, soweit ihn öffentlich-rechtliche Vorschriften insoweit nicht begrenzen, seinen Ermessensspielraum regelmäßig nicht, wenn er eine angemessene Vergütung zahlt, und zwar auch dann, wenn der betreffende Vertragspartner auf Grund seiner persönlichen wirtschaftlichen Situation selbst zu deutlich ungünstigeren Bedingungen kontrahieren würde. Die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bilden insoweit lediglich eine äußere Grenze. (Bearbeiter)

4 Eine Vorschrift, die den Entscheidungsspielraum über die Höhe der im Bereich der öffentlichen Verwaltung gezahlten Vergütungen begrenzt, ist § 16 TVöD (VKA). Denn diese Vorschrift trifft eine für die Höhe der Vergütung von Tarifbeschäftigten relevante Regelung. (Bearbeiter)

5. Der in Bund und Kommunen am 1. Oktober 2005 in Kraft getretene TVöD sowie der TVL für den Bereich der Länder vom 1. November 2006 hatten indes auch zum Ziel, die Entgeltsysteme im öffentlichen Dienst unter Betonung leistungsorientierter Kriterien zu flexibilisieren. Ermöglicht es aber eine tarifvertragliche Bestimmung – wie hier § 16 Abs. 2 Satz 3 TVöD (VKA) – dem öffentlichen Arbeitgeber, diesem Gesichtspunkt bei der Eingruppierung eines Tarifbeschäftigten Rechnung zu tragen, ist er bei seiner auf diese Vorschrift gestützten Entscheidung seinerseits zur Einhaltung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet. (Bearbeiter)


Entscheidung

658. BGH 2 StR 320/15 – Urteil vom 20. April 2016 (LG Neubrandenburg)

BGHSt; Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld (jugendspezifische Bestimmung der Schuld an vorrangig subjektiven Kriterien; keine Erhöhung der Schuld durch Tötungsvorsatz bei späterem Rücktritt vom Tötungsdelikt; Strafzumessung (keine strafschärfende Wirkung eines Tötungsvorsatzes bei späterem Rücktritt vom Tötungsdelikt).

§ 17 Abs. 2 JGG; § 24 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB

1. Bei freiwilligem Rücktritt vom Versuch ist die schulderhöhende Berücksichtigung des zunächst gegebenen Vollendungsvorsatzes im Rahmen der Prüfung der „Schwere der Schuld“ im Sinne von § 17 JGG jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn nicht der Umstand der freiwilligen Abkehr von diesem Vorsatz gleichermaßen berücksichtigt wird. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam ergeben das Tatbild, welches in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung der Schuldschwere zu bewerten ist. (BGHSt)

2. Zwar ist der Schuldgehalt der Tat bei der Deliktsbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen. Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt. In erster Linie ist vielmehr auf die innere Tatseite abzustellen (vgl. BGH NStZ 2014, 407, 408). Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 155, 156). Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat manifestiert haben (vgl. BGHSt 15, 224, 226). (Bearbeiter)

3. Die Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters wird nach der in § 24 StGB zum Ausdruck kommenden, nicht auf das Erwachsenenstrafrecht beschränkten, sondern auch im Jugendstrafrecht zu beachtenden gesetzgeberischen Wertung nicht durch den Umstand erhöht, dass er zunächst mit Tötungsvorsatz handelte, wenn er vor Erreichen dieses tatbestandlichen Zieles die weitere Tatausführung aus autonomen Gründen freiwillig aufgegeben oder die Tatvollendung aktiv verhindert hat. Mit dem freiwilligen Rücktritt vom Versuch hat er vielmehr dokumentiert, dass sein „verbrecherischer Wille“ nicht ausgeprägt genug gewesen ist, um sein deliktisches Ziel zu verwirklichen (vgl. BGHSt 9, 48, 52). Die in dem Versuch zunächst zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters erweist sich nachträglich als „wesentlich geringer“. (Bearbeiter)

4. Ist der erwachsene Täter vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten anderen Delikts zu bestrafen, so darf der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr.). Dies trägt dem Grundgedanken des § 24 StGB Rechnung, der im Interesse des Opferschutzes einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für Fälle vorsieht, in denen ein Täter freiwillig die weitere Tatausführung aufgibt oder ihre Vollendung aktiv verhindert. Dieser Gesetzeszweck würde unterlaufen, wenn der auf die

Verwirklichung des weitergehenden Delikts gerichtete Vorsatz strafschärfend berücksichtigt würde. (Bearbeiter)


Entscheidung

710. BGH 3 StR 347/15 – Urteil vom 10. März 2016 (LG Hamburg)

Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ohne Genehmigung (Unrechtskontinuität gegenüber altem Recht; Eignung zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland; Begriff der Ausfuhr; Realakt; kein Sonderdelikt; Unterrichtung des Ausführers); Meistbegünstigungsprinzip; Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch (Bindungswirkung); Verfall von Wertersatz (regelmäßig keine Ermessensentscheidung über Absehen vom Verfall bei vorhandenem Vermögen; Vermeidung einer Doppelbelastung durch Abschöpfung und Besteuerung).

§ 18 AWG; § 2 Abs. 3 StGB; § 73 StGB; § 73a StGB; § 73c StGB; Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO

1. § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO (Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ohne Genehmigung) regelt kein Sonderdelikt. Angeknüpft wird an die Ausfuhr als Realakt, weshalb Täter grundsätzlich jedermann sein kann, der an dieser beteiligt ist. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 25 ff. StGB. Der Begriff des Ausführers ist lediglich insoweit von Bedeutung, als dieser im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO unterrichtet werden muss, woraus jedoch nicht folgt, dass nur der Adressat der Unterrichtung tatbestandlich handeln kann.

2. Durch die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch wird das Revisionsgericht nicht nur an die tatsächlichen Feststellungen zur Schuldfrage, sondern auch an die sie betreffende rechtliche Würdigung im angefochtenen Urteil gebunden. Das gilt auch für den Fall einer unzutreffenden Einschätzung des Handelns eines Angeklagten als Beihilfe, obwohl an und für sich von Täterschaft auszugehen war.

3. Nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StGB kann das Gericht von der nach § 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 73a Satz 1 StGB zwingenden Anordnung des Verfalls von Wertersatz nur absehen, wenn der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist. Dementsprechend ist eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB grundsätzlich nicht eröffnet, wenn der Verfallsschuldner über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem verfallbaren Betrag zurückbleibt, unabhängig davon, ob die vorhandenen Vermögenswerte einen Bezug zu den Straftaten aufweisen. Ein Absehen von der Anordnung des Wertersatzverfalls ist nur dann nicht ausgeschlossen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass das vorhandene Vermögen ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde.

4. Eine Doppelbelastung durch Abschöpfung des Bruttobetrages einerseits und dessen Besteuerung andererseits ist zu vermeiden. Dies geschieht regelmäßig dadurch, dass der abgeschöpfte Betrag im Besteuerungsverfahren gewinnmindernd geltend gemacht wird; das Abzugsverbot des § 12 Nr. 4 EStG gilt mangels Strafcharakters der Verfallsanordnung nicht. Die Berücksichtigung einer nur voraussichtlichen Besteuerung im Strafverfahren hat zu unterbleiben. Ist jedoch das Besteuerungsverfahren abgeschlossen, darf der Betroffene nicht auf die eventuell gegebene Möglichkeit der Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verwiesen werden; vielmehr ist die bestandskräftig festgesetzte Steuerschuld mindernd zu berücksichtigen.


Entscheidung

715. BGH 5 StR 107/14 – Beschluss vom 25. Mai 2016 (LG Itzehoe)

Keine Arzneimitteleigenschaft bei gesundheitsschädlichen Stoffen (synthetische Cannabinoide); Wegfall der Strafbarkeit beim Inverkehrbringen von pflanzlichen Raucherzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe.

§ 2 Abs. 1 AMG; § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG

1. Synthetische Cannabinoide ohne therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen können im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden, weil bzw. soweit sie in ihren Wirkungen der menschlichen Gesundheit nicht zuträglich, sondern im Gegenteil gesundheitsschädlich sind. Der Senat ist im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des Arzneimittelbegriffs nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG an die im Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene Auslegung der Humanarzneimittel-Richtlinie gebunden (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 248).

2. Soweit der Senat zuvor vertreten hat, dass eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe in Betracht gekommen wäre (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG, vgl. BGH HRRS 2015 Nr. 23), ist das Vorläufige Tabakgesetz nach Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom 4. April 2016 am 20. Mai 2016 außer Kraft getreten. Das mit diesem Artikelgesetz neu eingeführte, im Wesentlichen gleichfalls am 20. Mai 2016 in Kraft getretene Gesetz über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz – TabakerzG) vom 4. April 2016 enthält keine Strafbestimmungen, die den § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG inhaltlich entsprechen, also das Inverkehrbringen von pflanzlichen Raucherzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe pönalisieren.


Entscheidung

640. BGH 1 StR 523/15 – Beschluss vom 6. April 2016 (LG Kleve)

Steuerhinterziehung (Schätzung der hinterzogenen Steuern: Voraussetzung der Schätzungsmethode, revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 StPO

1. Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig (st. Rspr.), wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Verhältnisse, die für die Bemessung der Steuer maßgebend sind, aber ungewiss sind.

2. Zwar obliegen die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen einschließlich der Schätzung dem Tatrichter in freier und eigenverantwortlicher richterlicher Überzeugungsbildung (st. Rspr.). Allerdings hat er in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist (vgl. BGH wistra 2007, 345).

3. Ziel der Schätzung ist es, aus den vorhandenen Anhaltspunkten in einem Akt des Schlussfolgerns und der Subsumtion diejenigen Tatsachen zu ermitteln, von deren Richtigkeit der Tatrichter überzeugt ist (vgl. BGH wistra 2007, 345). Die Schätzung ist so vorzunehmen, dass sie im Ergebnis einem ordnungsgemäß durchgeführten Bestandsvergleich bzw. einer ordnungsgemäßen Einnahmeüberschussrechnung möglichst nahekommt. Sie muss daher schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Soweit Tatsachen zur Überzeugung des Tatrichters feststehen, hat er diese der Schätzung zugrunde zu legen. Die im Rahmen des Steuerstrafverfahrens erfolgende Schätzung steht zudem unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen. Dementsprechend müssen die vom Besteuerungsverfahren abweichenden Verfahrensgrundsätze eingehalten werden (vgl. BGH wistra 2010, 148). Erforderlichenfalls hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen (vgl. BGH wistra 2010, 148). Das bedeutet u.a., dass der Tatrichter die Schätzung der Höhe nach auf den Betrag zu begrenzen hat, der „mindestens“ hinterzogen worden ist).

4. Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze von vorneherein oder nach entsprechenden (darzulegenden) Berechnungsversuchen als nicht möglich und fehlerbehaftet, kann pauschal geschätzt werden, auch unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen (vgl. BGH wistra 2014, 276) oder z.B. unter Heranziehung von Erfahrungssätzen vergleichbarer Betriebe.


Entscheidung

634. BGH 1 StR 118/16 – Beschluss vom 11. Mai 2016 (LG Lübeck)

Einziehung (Voraussetzungen: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Einziehung von Beförderungsmitteln, die zur Steuerhinterziehung genutzt wurden; Einziehung des Wertersatzes: Berücksichtigung bei der Strafzumessung); Steuerhinterziehung (Gegenstand, auf den sich die hinterzogenen Steuer beziehen; nicht erlangtes Etwas; Möglichkeit der Einziehung).

§ 74 StGB; § 375 Abs. 2 AO; § 74a StGB; § 74b StGB; § 74c StGB; § 46 StGB; § 370 Abs. 1 AO; § 73 Abs. 1 StGB

1. § 375 Abs. 2 AO stellt eine besondere gesetzliche Vorschrift im Sinne von § 74 Abs. 4 StGB dar (vgl. BGH wistra 1995, 30). § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erlaubt die Einziehung der Beförderungsmittel, die zur Tat benutzt worden sind. Auch vorausfahrende oder nachfolgende Begleitfahrzeuge, die einen Transport unversteuerter Zigaretten lotsen oder absichern sollen, sind Beförderungsmittel im Sinne des § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. BGHSt 3, 355).

2. Die Verweisung in § 375 Abs. 2 Satz 2 AO auf § 74a StGB ermöglicht, dass Gegenstände auch dann eingezogen werden können, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören oder zustehen, wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung gewesen ist (§ 74a Nr. 1 StGB).

3. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens über die Anordnung einer Einziehung ist nach § 74b StGB insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Erforderlich ist insoweit eine Gesamtwürdigung aller Umstände; die Anknüpfung allein an den Hinterziehungsbetrag genügt nicht. Das Tatgericht hat sowohl die Bedeutung der Tat wie auch den persönlichen Schuldvorwurf des von der Einziehung Betroffenen zu würdigen und mit der Schwere des in der Einziehung des Gegenstands liegenden Eingriffs zu vergleichen. Die Schwere des Eingriffs ergibt sich dabei hauptsächlich aus dem objektiven Wert der Sache, deren Einziehung in Frage steht, den Umständen, unter denen der Betroffene sie erworben hat, und ihrer Bedeutung für seine Lebensgestaltung.

4. Die auf § 375 Abs. 2 AO gestützte Einziehung hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise eine ihm gehörende Sache von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen. Für die Einziehung des Wertersatzes gemäß § 74c StGB – ebenfalls eine Nebenstrafe – gilt nichts anderes.

5. Zwar ist beim Delikt der Steuerhinterziehung auch ein Betrag in Höhe der verkürzten Steuern erlangtes „etwas“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (vgl. BGH wistra 2015, 236). Die Waren, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuern bezieht, sind als solche jedoch nicht durch die Steuerhinterziehung erlangt. Sie unterliegen deshalb nicht dem Verfall gemäß § 73 StGB, können aber gemäß § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eingezogen werden.


Entscheidung

633. BGH 1 StR 114/16 – Beschluss vom 12. Mai 2016 (LG Nürnberg-Fürth)

Bankrott (Begriff des Verheimlichens von Vermögensbestandteilen; Begriff des Beiseiteschaffens).

§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Verheimlichen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jedes Verhalten, durch das ein Vermögensbestandteil oder dessen Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse der Kenntnis des Insolvenzverwalters oder der Gläubiger entzogen wird (vgl. BGH NJW 2016, 1525). Ein Verheimlichen kann nicht nur durch Verbergen einer Sache verwirklicht werden (vgl. hierzu etwa BGHSt 11, 145, 146), sondern auch durch die Behauptung eines den Gläubigerzugriff hindernden Rechts, durch falsche Auskunft gegenüber dem Insolvenzverwalter über die Voraussetzungen eines Anfechtungsrechts oder durch falsche

Angaben im Rahmen der Abgabe einer eidesstaatlichen Versicherung. Vollendet ist die Tat erst durch Eintritt eines zumindest vorübergehenden Täuschungserfolgs; das auf die Verheimlichung gerichtete Verhalten allein genügt nicht.

2. Ein Beiseiteschaffen liegt vor, wenn ein zum Vermögen des Schuldners gehörender Vermögensgegenstand dem alsbaldigen Gläubigerzugriff entzogen oder der Zugriff zumindest wesentlich erschwert wird. Dies kann entweder durch eine Änderung der rechtlichen Zuordnung eines Vermögensgegenstandes oder eine Zugriffserschwerung aufgrund tatsächlicher Umstände geschehen (vgl. BGHSt 55, 107, 113).


Entscheidung

689. BGH 4 StR 170/16 – Beschluss vom 10. Mai 2016 (LG Dortmund)

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Betäubungsmittelrecht (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Mittäterschaft).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 375 mwN). Erschöpft sich die Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, besteht in der Regel auch dann keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit, wenn Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben, sodass von einer Beihilfe auszugehen ist. Anderes kann nur gelten, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten.


Entscheidung

701. BGH 3 StR 52/16 – Beschluss vom 19. April 2016 (LG Lüneburg)

Vermögensschaden bei Einreichung ungedeckter Schecks (Zugriffsmöglichkeit des Angeklagten nach vorläufiger Gutschrift; Gefährdung der Inkassobank; Schaden in Höhe des gesamten Scheckbetrags; Bezifferung).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Reicht der Täter ungedeckte Schecks bei der Inkassobank ein und schreibt diese die Scheckbeträge täuschungs- und irrtumsbedingt zunächst vorläufig gut, so tritt ein Vermögensschaden bereits zu diesem Zeitpunkt ein, wenn der Täter während des Zeitraums der vorläufigen Gutschrift der Scheckbeträge hierauf Zugriff genommen hat oder jedenfalls Zugriff hätte nehmen können und die Inkassobank nach den konkreten Umständen des Einzelfalles durch das ihr zustehende Rückbelastungsrecht nicht hinreichend gegen eine Vermögenseinbuße gesichert ist. Dies rechtfertigt es regelmäßig, von einem Schaden in Höhe der gesamten Scheckbeträge auszugehen. Eine weitere Bezifferung des Schadens ist dann auch mit Blick auf verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht erforderlich.


Entscheidung

639. BGH 1 StR 161/16 – Beschluss vom 2. Juni 2016 (LG Weiden)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Mittäterschaft).

§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

Entscheidender Bezugspunkt für eine Mittäterschaft ist bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln der Einfuhrvorgang selbst (vgl. BGH StV 2015, 633). Keine ausschlaggebende Bedeutung kann dabei indes dem Interesse eines mit der zu beschaffenden Betäubungsmittelmenge Handel Treibenden am Gelingen des Einfuhrvorgangs zukommen; in einem solchen Falle gewinnt insbesondere die Tatherrschaft bei der Einfuhr oder der Wille hierzu an Gewicht. Bloßes Veranlassen einer Beschaffungsfahrt ohne Einfluss auf deren Durchführung genügt nicht (vgl. BGH StV 2012, 410).


Entscheidung

645. BGH 2 StR 36/16 – Beschluss vom 31. März 2016 (LG Limburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (kein Ausschluss eines minderschwerer Falls bei Überschreitung der Untergrenze zur geringen Menge um das Dreifache).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG

Das Handeltreiben mit einem Dreifachen der nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln ist noch nicht als bestimmender Strafschärfungsgrund zu bewerten. Eine solche Überschreitung der Untergrenze schließt im Einzelfall die Annahme eines minder schweren Falls des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht aus.


Entscheidung

636. BGH 1 StR 43/16 – Beschluss vom 12. Mai 2016 (LG Mannheim)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Strafzumessung: Bedeutung der Wirkstoffkonzentration und -menge).

§ 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 46 StGB

Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr.). Stehen die Betäubungsmittel nicht für eine Untersuchung der Wirkstoffkonzentration zur Verfügung, ist diese – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festzulegen.