HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2016
17. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

595. BGH 2 StR 243/15 - Beschluss vom 31. März 2016 (LG Darmstadt)

Einziehung (Grundstück als zulässiger Einziehungsgegenstand; Voraussetzungen der Einziehung: Verhältnismäßigkeit, auch bei Sicherungseinziehung; Anforderungen an die Darstellung im Urteil).

§ 74 StGB; § 74b Abs. 1 StGB

1. Ein Grundstück ist als Tatmittel oder Tatwerkzeug im Sinne von § 74 Abs. 1 Var. 2 StGB grundsätzlich ein geeigneter Einziehungsgegenstand. Gegenstände, die zur Begehung der Tat oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (instrumenta sceleris), können eingezogen werden.

2. Die Einziehung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Die Urteilsgründe müssen deshalb nicht nur erkennen lassen, von welchem Einziehungszweck der Tatrichter ausgegangen ist; ihnen muss auch zu entnehmen sein, dass sich das Tatgericht bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und welche Gründe für die Ausübung des Ermessens gegeben waren.

3. Eine Einziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und ist damit Teil der Strafzumessung. Die Urteilsgründe müssen deshalb darlegen, dass das Gericht den Strafcharakter der Einziehung erkannt hat und ob die Einziehung nach den gesamten Umständen als Ergänzung der Hauptstrafe zur Sühne des

Unrechtsgehalts unter angemessener Berücksichtigung der übrigen Strafzwecke erforderlich ist (vgl. BGHSt 10, 337, 338).

4. Das Tatgericht hat nach § 74b Abs. 1 StGB weiter zu prüfen, ob eine Einziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB zur Bedeutung der Tat und zum Vorwurf, der den Täter, Teilnehmer oder Dritteigentümer trifft, außer Verhältnis steht. Die Urteilsgründe müssen jedenfalls bei Einziehungsobjekten von einigem Belang, darunter fällt auch ein Grundstück von nicht unerheblichem Wert, erkennen lassen, dass die Abwägung stattgefunden hat. Dabei sind insbesondere die wirtschaftlichen und sonstigen Auswirkungen der Einziehung, der Wert und ggf. der Umstand teilweiser Vermietung des Grundstücks, sowie Dauer und Umfang der illegalen Nutzung der Immobilie zu berücksichtigen.

5. In den Fällen der Sicherungseinziehung gilt § 74b Abs. 1 StGB zwar nicht ausdrücklich, doch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch hier zu beachten.

6. Auch wenn die Einziehung nicht unverhältnismäßig im Sinne des § 74b Abs. 1 StGB ist, wird nach § 74b Abs. 2 StGB eine weniger einschneidende Maßnahme angeordnet, wenn der Zweck der Einziehung auch durch sie erreicht werden kann. Als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Vorschrift zwingenden Charakter; ein Ermessen ist dem Tatrichter, der sich in den Urteilsgründen damit auseinander setzen muss, ob mildere Maßnahmen zur Zweckerreichung in Betracht kommen, nicht eröffnet (vgl. BGHSt 53, 69, 71).


Entscheidung

625. BGH 4 StR 474/15 - Beschluss vom 28. April 2016 (LG Essen)

Anordnung des Vorwegvollzugs (Anforderungen an die Begründung); Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (dem Nebenkläger zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten: Haftung des bevollmächtigten Anwalts für Kanzleipersonal, Anforderungen an die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags).

§ 67 Abs. 1 StGB; § 44 StPO; § 85 Abs. 2 ZPO; § 278 BGB

1. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, da dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muss es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig zu heilen und seine Persönlichkeitsstörung zu behandeln, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugsziels arbeiten kann (vgl. BGHSt 37, 160, 161 f). Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzugs bedarf daher eingehender Begründung. Steht zu besorgen, dass der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichtemachen könnte, so müssen dafür überzeugende Gründe vorliegen, die in den Urteilsgründen darzulegen sind.

2. Im Unterschied zum Angeklagten ist dem Nebenkläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der nach Versäumung der Revisionsbegründung Wiedereinsetzung beantragt, nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (st. Rspr.).

3. Für die Frage, ob der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt für ein Verschulden seines Kanzleipersonals haftet, kommt es darauf an, ob dieses sorgfältig ausgewählt und überwacht wird und ob eine zur Verhinderung von Fristüberschreitungen taugliche Büroorganisation vorhanden ist. Deshalb erfordert die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nicht nur eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist. Vorzutragen sind ferner diejenigen Tatsachen, die ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Bevollmächtigten ausschließen. Dies betrifft insbesondere die organisatorischen Vorkehrungen, durch die im Rahmen der Arbeitsabläufe in der Kanzlei sichergestellt werden soll, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig fertig gestellt wird, sondern auch innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht.


Entscheidung

535. BGH 3 StR 428/15 - Beschluss vom 5. April 2016 (LG Mönchengladbach)

Keine automatische strafschärfende Wirkung der Begehung in Mittäterschaft (Doppelverwertungsverbot); Aufklärungshilfe oder ernsthaftes Aufklärungsbemühen als bestimmender Strafmilderungsgrund.

§ 46 StGB; § 46b StGB; § 31 BtMG

Beteiligen sich mehrere Personen an einer Straftat, kann dies zwar unter Umständen eine erhöhte Strafwürdigkeit begründen. Gleichwohl besagt allein der Umstand mittäterschaftlichen Handelns noch nichts über das Maß der Tatschuld des einzelnen Beteiligten. Dass der Täter mit anderen Tatgenossen zusammengewirkt hat, kann im Einzelfall seinen Tatbeitrag sogar in einem milderen Licht erscheinen lassen. Die strafschärfende Berücksichtigung der mittäterschaftlichen Tatbeteiligung selbst, ohne die konkreten Umstände der Tatbeteiligung in den Blick zu nehmen, verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB.


Entscheidung

566. BGH 1 StR 47/16 - Beschluss vom 17. März 2016 (LG München I)

Vorliegen eines minderschweren Falls (Berücksichtigung gesetzlich vertypter Strafmilderungsgründe).

§ 50 StGB

Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weiteren Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrunds gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen.


Entscheidung

583. BGH 1 StR 662/15 - Beschluss vom 15. März 2016 (LG Hof)

Erweiterter Verfall (Subsidiarität zum regulären Verfall).

§ 73d Abs. 1 StGB; § 73 StGB

Im Verhältnis zur Verfallsanordnung nach § 73 StGB ist der erweiterte Verfall gemäß § 73d Abs. 1 StGB subsidiär. Die Anordnung des § 73d StGB setzt daher voraus, dass nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht festgestellt werden kann, dass die aus oder für rechtswidrige Taten erlangten Gegenstände aus solchen Taten herrühren, die Gegenstand der Verurteilung sind (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 312 f.).