HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2016
17. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

326. BGH 1 StR 435/15 - Urteil vom 2. Februar 2016 (LG Mannheim)

BGHSt; Betrug (Vermögenschaden: Vermögenswert der Entgeltforderung einer Prostituierten, Gesamtsaldierung, Bestimmtheitsgrundsatz, wirtschaftliche Betrachtungsweise, regelmäßige Relevanz der vereinbarten Gegenleistung, keine abschließende Bestimmung der für die tatrichterliche Beweiswürdigung relevanten Umstände).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 263 Abs. 1 StGB; § 1 Satz 1 ProstG; § 261 StPO

1. Die von einer Prostituierten aufgrund einer vorherigen Vereinbarung erbrachten sexuellen Handlungen und die dadurch begründete Forderung auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 Satz 1 ProstG) gehören zum strafrechtlich geschützten Vermögen (Anschluss an BGH NStZ 2011, 278 f.). (BGHSt)

2. Für die Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens bei § 263 StGB darf sich der Tatrichter zur Ermittlung des objektiven Wertes der in die Saldierung einzustellenden Vermögensbestandteile regelmäßig auf die Wertbestimmung anhand der Preisvereinbarung durch die Parteien stützen; eine solche wird sich bei funktionierenden Märkten typischerweise als mit der anhand eines davon unabhängigen Marktwertes äquivalent erweisen. (BGHSt)

3. Ein Vermögensschaden tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung; st. Rspr.). Welche Vermögenspositionen im Einzelnen in die Gesamtsaldierung einzustellen sind, bestimmt sich auch danach, auf welches unmittelbar vermögensmindernde Verhalten des im Irrtum befindlichen Täuschungsopfers (Vermögensverfügung) abgestellt wird. Hat das Opfer die von ihm aufgrund eines gegenseitigen Vertrages übernommene Verpflichtung erbracht, bestimmt sich der Eintritt des Vermögensschadens und dessen Höhe danach, ob und in welchem Umfang die versprochene Gegenleistung erlangt wird (Erfüllungsschaden; vgl. BGHSt 60, 1, 9 f. Rn. 31 mwN). (Bearbeiter)

4. Im Rahmen der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB ist angesichts der Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) vorgegeben, den Vermögensschaden vorrangig von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus zu verstehen (vgl. BVerfGE 130, 1, 47, 48). Unter Beachtung dessen nimmt die im Ausgangspunkt übereinstimmende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Bewertung des strafrechtlich geschützten Vermögens und dementsprechend des Vermögensschadens nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten vor (vgl. BGHSt 57, 95, 113, 114). Einseitige subjektive Werteinschätzungen durch den irrtumsbedingt Verfügenden sind für die Bestimmung des Wertes des strafrechtlichen geschützten Vermögens und damit auch für die Bemessung des Vermögensschadens ohne Bedeutung (st. Rspr.). Aus der nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmenden Schadensbestimmung folgt, den Wert der erbrachten Leistung und – soweit erfolgt – den der Gegenleistung nach ihrem Verkehrs- bzw. Marktwert zu bestimmen (vgl. BGHSt 57, 95, 115). (Bearbeiter)

5. Welche Umstände der Tatrichter der Bestimmung des Verkehrs- bzw. Marktwertes zugrunde zu legen hat, lässt sich allerdings schon wegen der Vielfalt der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nicht für sämtliche denkbaren Konstellationen eines betrugsrelevanten Vermögensschadens einheitlich festlegen. Angesichts der Notwendigkeit, den objektiven Wert eines Vermögensbestandteils zu bewerten, einerseits und der Vielfalt möglicher Lebenssachverhalte andererseits hat der Senat bereits entschieden, dass in Konstellationen der Festlegung des Werts einer Leistung, bei denen lediglich ein einziger Nachfrager auf dem relevanten Markt vorhanden ist, sich dieser dann nach dem von den Vertragsparteien vereinbarten Preis unter Berücksichtigung der für die Parteien des fraglichen Geschäfts maßgeblichen preisbildenden Faktoren bestimmt (vgl. BGH NStZ 2010, 700). Maßgeblich ist allerdings stets, dass der Tatrichter bei den im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) berücksichtigungsfähigen und berücksichtigten Umstände der Wertbestimmung der gebotenen vorrangig wirtschaftlichen Betrachtung hinreichend Rechnung trägt. (Bearbeiter)

6. Sollte sich im Einzelfall, gemessen an einem von der Parteivereinbarung unabhängigen Marktwert, ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ergeben, kommt eine an dem vereinbarten Preis orientierte Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens in aller Regel nicht in Betracht (vgl. BGHSt 16, 220, 224). Der im Ausgangspunkt wirtschaftlichen Betrachtungsweise könnte dann nicht mehr hinreichend Rechnung getragen werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

339. BGH 2 StR 148/15 - Urteil vom 13. Januar 2016 (LG Frankfurt a. M.)

BGHSt; Amtsträgerstellung (Voraussetzungen: selbstständige Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, Bestellungsakt, hier: Schulsekretär, der allein für das Bestell- und Zahlwesen der Schule zuständig ist).

§ 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB

1. Ein in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis stehender Schulsekretär, der nach der internen Aufgabenverteilung allein für das Bestell- und Zahlwesen einer Schule zuständig ist, ist auch dann Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, wenn er nicht nach außen als Entscheidungsträger auftritt, sondern nur faktisch die Entscheidung darüber trifft, welche Bestellungen realisiert, welche Zulieferer beauftragt und dass Zahlungen angewiesen werden. (BGHSt)

2. Die Amtsträgereigenschaft im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB setzt zunächst eine Bestellung durch eine zuständige Stelle voraus, d.h. die bloß faktische Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben ist nicht ausreichend. Dahinter steht der Gedanke, dass dem Bestellungsakt eine Warnfunktion für den Betroffenen zukommt, die ihm die gesteigerte Verantwortung in seiner Position vor Augen führt. Eines förmlichen, öffentlich-rechtlichen Bestellungsaktes bedarf es jedoch nicht; ausreichend ist insoweit entweder die Eingliederung in die Organisationsstruktur einer Behörde bzw. einer sonstigen Stelle oder aber eine über den Einzelauftrag hinausgehende längerfristige Tätigkeit bei oder für eine Behörde bzw. sonstige Stelle (vgl. BGHSt 43, 96, 105). (Bearbeiter)

3. Die Amtsträgereigenschaft setzt weiter voraus, dass der zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung Bestellte solche Aufgaben auch selbst wahrnehmen muss (vgl. BGH NJW 1980, 846, 847). Mit diesem Merkmal sind Begrenzungen der Reichweite des Amtsträgerbegriffs in zwei Richtungen verbunden: Zum einen kommt es auf die tatsächliche Ausübung der Verwaltungstätigkeit an, zu deren Ausführung die Person bestellt worden ist. Zum anderen führt - in Abgrenzung zu dem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB - nicht jede Tätigkeit bei einer Behörde, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt, eine Amtsträgereigenschaft der agierenden Person herbei. Erforderlich ist jedenfalls eine gewisse selbständige und eigenverantwortliche, wenngleich nicht unbedingt eine gehobene oder schwierige Tätigkeit. (Bearbeiter)

4. Liegt im Bereich der Daseinsvorsorge die Erfüllung von „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung” vor, so sind auch die sie ermöglichenden Tätigkeiten selbst öffentliche Verwaltung; d.h. auch das staatliche Auftreten auf der Nachfragerseite zum Zwecke der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge stellt eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung dar. (Bearbeiter)

5. Erforderlich ist dafür, dass der Betroffene mit der selbstständigen Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betraut ist und er diese Aufgaben - wenn auch auf niedriger Ranghöhe - unmittelbar wahrnimmt. Anhalt für eine solche eigene unmittelbare Aufgabenwahrnehmung sind das Vorhandensein eines „gewissen Entscheidungsspielraums“ und die Vornahme von Verwaltungshandeln mit unmittelbarer Außenwirkung. (Bearbeiter)

6. Die Anforderungen an den „Entscheidungsspielraum” dürfen indes nicht hoch angesetzt werden, wenn und soweit es sich um Tätigkeiten handelt, die innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmenden Behörde liegen. Auch derjenige, der in sonstiger Weise unmittelbar an Verwaltungsentscheidungen mitwirkt, weil er gewisse Machtbefugnisse und Einflussmöglichkeiten besitzt und im Rahmen dessen zumindest vorbereitend oder unterstützend an der Entscheidung eines anderen mitwirkt, kann diese Voraussetzung erfüllen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn seine Tätigkeit ein „unentbehrliches Glied“ in der Kette von Verrichtungen darstellt, die letztlich zu einer bestimmten Verwaltungsentscheidung führt. Ob die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung nach außen als Verwaltungshandeln in Erscheinung tritt oder in der Öffentlichkeit als solche bemerkbar ist, ist unerheblich. (Bearbeiter)


Entscheidung

289. BGH 3 StR 247/15 - Urteil vom 26. November 2015 (LG Wuppertal)

Vermögensschaden der Bank bei Kreditvergabe an nicht kreditwürdige Personen (Bezifferbarkeit; Risikogeschäft; täuschungsbedingtes Risikoungleichgewicht; Minderwert des Rückzahlungsanspruchs; wirtschaftliche Betrachtung; normative Gesichtspunkte; Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes; Mängel der Schadensbezifferung betreffen allein Rechtsfolgenausspruch; keine generalisierende Schadensberechnung; Umstände des Einzelfalles; bankübliche Bewertungsverfahren; Sachverständige; Wirtschaftsprüfer; Bankmitarbeiter als Zeuge).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Die Beachtung der Grundsätze zur Feststellung und Bezifferung des Vermögensschadens – hier: durch Ausreichung von Krediten an Schuldner ohne ausreichende Bonität – zwingt die Tatgerichte nicht dazu, zur Bestimmung des Minderwerts eines auf einer Täuschung beruhenden Rückzahlungsanspruchs stets ein Sachverständigengutachten etwa eines Wirtschaftsprüfers einzuholen. Grundsätzlich in Betracht kommt vielmehr auch die Vernehmung von Bankmitarbeitern, jedenfalls dann, wenn diese nach Rückfrage bei den zuständigen Finanzcontrolling-Abteilungen ihrer Banken eine eigens für das Verfahren vorgenommene Bewertung des Ausfallrisikos vorlegen.

2. Entspricht es banküblichen Bewertungsverfahren, dass in bestimmten Geschäftsbereichen (hier: Vergabe von Konsumentenkrediten) etwaige Wertberichtigungen generalisierend durch Angabe des Wertes des Rückzahlungsanspruches mit einem bestimmten Prozentsatz bzw. des Minderwertes mit einem prozentualen Anteil vom Nominalwert des Darlehensbetrages erfolgen, so darf strafrechtlich nicht aus dem Blick geraten, dass der jeweilige Einzelfall besondere Umstände aufweisen kann, die eine abweichende, für den jeweiligen Angeklagten güns-

tigere Beurteilung zu rechtfertigen oder zumindest nahezulegen vermögen.

3. Sofern Kredite tatsächlich über einen längeren Zeitraum ordnungsgemäß bedient werden, spricht das regelmäßig dagegen, den Rückzahlungsanspruch erheblich (hier: 75 %) abzuwerten. Auch größere Kontobewegungen beim Darlehensnehmer können je nach ihrem Verhältnis zur Darlehenssumme auf eine ausreichende Bonität schließen lassen. Solche Umstände müssen daher regelmäßig vom Tatgericht im Rahmen der Schadensbezifferung jedenfalls erörtert werden.

4. Um den einfachrechtlichen Anforderungen an die Schadensfeststellung - und damit letztlich auch den verfassungsgerichtlichen Vorgaben - zu genügen, bedarf es keines für jeden Darlehensnehmer vorzunehmenden Einzelvergleichs in dem Sinne, dass jeweils das Ausfallrisiko, das bestanden hätte, wenn die vorgetäuschten Einkommensverhältnisse zutreffend gewesen wären, mit demjenigen, das sich aufgrund der tatsächlich schlechteren, im Einzelnen zu ermittelnden Einkommensverhältnisse ergab, gegenüberzustellen wäre. Dies folgt schon daraus, dass das übliche, jeder Darlehenshingabe innewohnende Risiko regelmäßig in den Konditionen des jeweiligen Vertrages berücksichtigt wird; der Minderwert des ungesicherten Rückzahlungsanspruchs wird so durch den im jeweils vereinbarten Zinssatz enthaltenen Risikozuschlag ausgeglichen.

5. Ist aufgrund der Gesamtheit der getroffenen Feststellungen evident, dass dem Geschädigten schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein bezifferbarer Mindestschaden entstanden war, vermögen etwaige Mängel der Schadensbezifferung allein den Rechtsfolgenausspruch zu berühren (vgl. bereits BGH HRRS 2014 Nr. 375).


Entscheidung

381. BGH 4 StR 496/15 - Urteil vom 3. März 2016 (LG Bochum)

Computerbetrug (hier: Sportwettenbetrug: unbefugtes Verwenden von Daten bei Online-Wetten, Vermögensschaden).

§ 263a Abs. 1 StGB

1. Die für die Erfüllung der Tatmodalität des unbefugten Verwendens von Daten im Sinne des § 263a Abs. 1 StGB erforderliche Täuschungsäquivalenz (betrugsspezifische Auslegung ist bei Sportwetten, in denen die Wetten über das Internet automatisiert abgeschlossen werden, jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Datenverarbeitungsprogramme durch die Festlegung von Höchstgrenzen für Wetteinsätze den Willen der Wettanbieter dokumentieren, Wetten auf manipulierte Spiele gar nicht oder jedenfalls nicht zu den gegebenen Wettquoten zuzulassen. Daraus ergibt sich, dass der Wettanbieter Wetten auf manipulierte Spiele nicht angenommen hätte, und zwar selbst dann nicht, wenn tatsächlich kein Einfluss auf das Spielergebnis genommen werden kann.

2. Wenn der Wettanbieter den entsprechend der vereinbarten Quote berechneten Gewinn ausbezahlt und dadurch für sich einen Vermögensverlust in Höhe der Differenz zwischen Wetteinsatz und Wettgewinn herbeiführt, tritt ein Vermögensschaden in dieser Höhe ein (vgl. BGHSt 58, 102, 108 ff). Der Möglichkeit einer tatsächlichen Einflussnahme auf den Spielverlauf durch den Täter kommt dabei keine Bedeutung zu.


Entscheidung

319. BGH 1 StR 273/15 - Beschluss vom 1. Dezember 2015 (LG Augsburg)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Körperschaftsteuer: verdeckte Gewinnausschüttung); Begriff der prozessualen Tat.

§ 370 Abs. 1 AO; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG; § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; § 264 StPO

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist unter einer verdeckten Gewinnausschüttung im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Vermögensminderung (oder verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis (mit-)veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht; dabei muss die Unterschiedsbetragsminderung die objektive Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen.

2. Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter (oder einer diesem nahestehenden Person) einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.


Entscheidung

293. BGH 3 StR 357/15 - Beschluss vom 10. November 2015 (LG Wuppertal)

Bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln (Mitsichführen sonstiger zur Verletzung von Personen geeigneter und bestimmter Gegenstände; Baseballschläger; Beendigungszeitpunkt; tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel; Mitsichführen beim Besitz der Betäubungsmittel allein nicht ausreichend); Konkurrenzen beim gleichzeitigen Besitz unterschiedlicher Betäubungsmittelmengen; Doppelverwertungsverbot.

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 52 StGB; § 53 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist zwar auch dann erfüllt, wenn der Täter die Waffe oder den sonstigen Gegenstand erst in der Schlussphase des Betäubungsmittelerwerbs vor dessen Beendigung mit sich führt, auch wenn das Grunddelikt bereits vollendet ist. Nach der rechtsgeschäftlichen Erlangung der eigenen tatsächlichen Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel durch einverständliches Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer ist das Delikt jedoch abgeschlossen. Das Mitsichführen eines Gegenstands i.S.d. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG während des Besitzes der Betäubungsmittel verwirklicht die Qualifikation dann nicht mehr.

2. Der gleichzeitige Besitz unterschiedlicher Betäubungsmittelmengen, auch wenn diese an verschiedenen Orten aufbewahrt werden, verletzt das Gesetz nur ein-

mal, wenn diese für den Eigenkonsum bestimmt sind. Sind getrennt gelagerte Betäubungsmittel, die nicht in einem Erwerbsakt erlangt wurden, dagegen zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt, begründet allein der gleichzeitige Besitz verschiedener Betäubungsmittel eine Bewertungseinheit für verschiedene Verkaufsgeschäfte nicht. Vielmehr liegt dann Tatmehrheit vor.


Entscheidung

290. BGH 3 StR 302/15 - Beschluss vom 10. November 2015 (LG Koblenz)

Anforderungen an das Handeltreiben im Betäubungsmittelstrafrecht (jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit; verbindliches Angebot; sondierende Gespräche über künftige Betäubungsmittelgeschäfte).

§ 29 BtMG

Der Begriff des Handeltreibens im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist zwar weit auszulegen. Danach ist Handeltreiben im Sinne dieser Vorschriften jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGHSt 50, 252, 256, 262). Ein vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegt damit bereits vor, wenn der Verkäufer dem Kaufinteressenten ein verbindliches und ernsthaftes Verkaufsangebot unterbreitet (BGH NStZ 2000, 207, 208; NStZ 2007, 100, 101). Allgemein sondierende Gespräche über die Möglichkeit und eventuelle Modalitäten künftiger Betäubungsmittelgeschäfte begründen dagegen noch kein vollendetes Handeltreiben; bei ihnen handelt es sich lediglich um straflose Vorbereitungshandlungen.


Entscheidung

350. BGH 2 StR 413/15 - Urteil vom 10. Februar 2016 (LG Darmstadt)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmittel (Begriff des Handeltreibens; Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts: Handlungsort des Handeltreibens).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 3 StGB; § 9 Abs. 1 StGB

1. Unter den Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln fällt jede eigennützige Bemühung, die darauf gerichtet ist, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern (vgl. BGHSt 50, 252, 256).

2. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist ein Tätigkeitsdelikt. Für die Frage, ob die Tat gemäß § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB im Inland begangen ist, ist deshalb allein auf den Handlungsort abzustellen (vgl. BGH NStZ 2003, 269). Gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 StGB ist der Täter dem deutschem Strafrecht unterworfen, wenn er im Inland eine zur Tatbestandsverwirklichung führende Tätigkeit vornimmt und sich dadurch in Widerspruch zur Rechtsordnung seines Aufenthaltsortes setzt. Demgemäß ist eine Tat als an jedem Ort begangen anzusehen, an dem der Täter eine auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tätigkeit entfaltet oder versucht hat. Beim Handeltreiben ist daher ein Handlungsort überall dort gegeben, wo ein Teilakt verwirklicht wird (vgl. BGH NStZ 2007, 287), mithin auch dort, wo Betäubungsmittel zum Zweck des Umsatzgeschäftes transportiert werden.


Entscheidung

299. BGH 3 StR 467/15 - Beschluss vom 12. Januar 2016 (LG Hildesheim)

Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Betätigungen beim Vertrieb einer in einem Akt erworbenen Betäubungsmittelmenge; unselbständige Teilakte; konkrete Anhaltspunkte; keine willkürliche Zusammenfassung; Zweifelssatz).

§ 29 BtMG; § 52 StGB; § 261 StPO

Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass mehrere Betäubungsmittelgeschäfte sich auf eine in einem Akt erworbene Betäubungsmittelmenge beziehen, muss sich der Tatrichter um Feststellungen zu Zahl und Frequenz der Einkäufe sowie die Zuordnung der einzelnen Verkäufe zu ihnen bemühen. Gegebenenfalls ist eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung anhand des Zweifelssatzes vorzunehmen. Eine lediglich willkürliche Zusammenfassung ohne ausreichende Tatsachengrundlage kommt hingegen nicht in Betracht, auch der Zweifelssatz gebietet in solchen Fällen nicht die Annahme einer einheitlichen Tat.


Entscheidung

389. BGH 4 StR 528/15 - Beschluss vom 20. Januar 2016 (LG Essen)

Bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff der Waffe: Schreckschuss- und Gaspistolen; Begriff des Sichverschaffens).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Gas- und Schreckschusswaffen sind nur dann Schusswaffen im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, wenn nach deren Bauart der Explosionsdruck beim Abfeuern der Munition nach vorne durch den Lauf austritt, wozu der Tatrichter regelmäßig besondere Feststellungen zu treffen hat, da diese technische Eigenschaft nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann (st. Rspr.).


Entscheidung

328. BGH 1 StR 578/15 - Beschluss vom 3. Februar 2016 (LG Stuttgart)

Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (vollstreckbare Anordnung: bloße Kenntnis des Angeklagten genügt nicht).

§ 4 Satz 1 GewSchG

Das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren Anordnung“ setzt voraus, dass diese entweder wirksam zugestellt (vgl. BGHSt 51, 257, 259 Rn. 10) oder die Vollstreckbarkeit der ergangenen einstweiligen Anordnung angeordnet worden ist (vgl. BGH NStZ 2013, 108, 109); bloße Kenntnis des Angeklagten vom Inhalt der Anordnung genügt nicht (vgl. BGHSt 51, 257, 261 Rn. 15).


Entscheidung

345. BGH 2 StR 378/15 - Urteil vom 20. Januar 2016 (LG Bonn)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (keine einheitliche Sanktionierung nach JGG bei späterer Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht).

§ 53 Abs. 1 StGB; § 55 StGB; § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG; § 32 JGG

1. Eine einheitliche nachträgliche Sanktionierung nach Jugendgerichtsgesetz scheidet von vorn herein aus, wenn davon auszugehen ist, dass der Angeklagte zunächst rechtskräftig nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde und später nach Erwachsenenstrafrecht bestraft wird.

2. Nach § 105 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG kann zwar dann einheitlich nach Jugendstrafrecht verfahren werden, wenn ein Heranwachsender zuerst nach Erwachsenenstrafrecht rechtskräftig verurteilt worden ist und anschließend auf eine Tat, die er wiederum als Heranwachsender begangen hat, Jugendstrafrecht angewendet wird. Ist aber im anhängigen Verfahren eine Erwachsenenstraftat abzuurteilen, scheidet die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB ebenso aus wie eine einheitliche Strafe nach Jugendstrafrecht (st. Rspr); auch in analoger Anwendung des § 32 JGG kann eine solche „Gesamtstrafenbildung” nicht erfolgen.


Entscheidung

380. BGH 4 StR 493/15 - Beschluss vom 4. Februar 2016 (LG Dortmund)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (gleichzeitige Verhängung von Jugendstrafe gegen einen Heranwachsenden).

§ 63 StGB; § 105 Abs. 1 JGG; § 17 Abs. 2 JGG

Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.).