HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2016
17. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

107. BGH 3 StR 407/15 – Beschluss vom 10. November 2015 (LG Mönchengladbach)

Anforderungen an die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Pädophilie (keine Aussagekraft der Diagnose als solcher; starker, mehr oder weniger unwiderstehlicher Zwang; eingeschliffene Verhaltensschablone; schizoide Persönlichkeitsstörung); unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Erforderlichkeit einer Einzelfallbeurteilung bei auf statistische Prognoseinstrumente gestützter Einschätzung des Sachverständigen).

§ 20 StGB; § 63 StGB

1. Die Diagnose einer Pädophilie hat für sich genommen kaum Aussagekraft für das Vorliegen des vierten Eingangsmerkmals der §§ 20, 21 StGB („schwere andere seelische Abartigkeit“) und erst recht nicht für die Überzeugung von einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit.

2. Steht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, sondern bei der Begehung der Sexualtaten aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus handelt. Die Steuerungsfähigkeit kann demzufolge etwa dann beeinträchtigt sein, wenn die abweichenden Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau von Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnet.

3. Bei der Prognose zukünftigen Verhaltens darf nicht einseitig das Ergebnis eines vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen werden, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen.


Entscheidung

140. BGH 1 ARs 31/14 – Beschluss vom 16. Dezember 2015 (BGH)

Bemessung von Schmerzensgeld (Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten); Anfrageverfahren.

§ 253 Abs. 2 BGB; § 132 GVG

Der 1. Strafsenat ist – entgegen der Ansicht des anfragenden Senats – nicht der Auffassung, dass weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers noch des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgelds zu berücksichtigen sind. An seiner diesbezüglichen Rechtsprechung hält der Senat mithin fest.


Entscheidung

132. BGH 1 StR 321/15 – Urteil vom 1. Dezember 2015 (LG Nürnberg-Fürth)

Verfall (Absehen von der Anordnung wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte: Voraussetzungen, revisionsrechtliche Überprüfbarkeit)

§ 73c Abs. 1 StGB

1. Zwar ist die Anwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB Sache des Tatrichters. Die Gewichtung der für das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 StGB maßgeblichen Umstände ist daher der inhaltlichen revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Mit der Revision kann jedoch eine rechtsfehlerhafte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „unbillige Härte“ beanstandet werden. Eine solche ist etwa gegeben, wenn die Bejahung dieses Merkmals auf Umstände gestützt wird, die bei seiner Prüfung nicht zum Tragen kommen können.

2. Eine unbillige Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann in Betracht, wenn die Anordnung des Verfalls schlechthin ungerecht wäre und das Übermaßverbot verletzen würde. Die Auswirkungen des Verfalls müssen mithin im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen. Es müssen besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann. Eine unbillige Härte liegt demnach nicht schon dann vor, wenn der Verfallsbetrag nicht beigetrieben werden kann oder der Betroffene vermögenslos geworden ist.

3. Das Nichtmehrvorhandensein des Wertes des Erlangten im Vermögen des Betroffenen kann jedenfalls für sich genommen keine unbillige Härte darstellen kann (vgl. BGH NStZ 2000, 589, 590).


Entscheidung

161. BGH 2 StR 399/15 – Beschluss vom 18. November 2015 (LG Wiesbaden)

Anordnung des Wertersatzverfalls (Vorliegen einer unbilligen Härte: Nichtmehrvorhandensein des Erlangten im Vermögen des Betroffenen, Darstellung im Urteil).

§ 73 StGB; § 73a StGB; § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB

Nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB kann eine Verfallsanordnung unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist. Es

ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüber zu stellen. Ist auch ein Gegenwert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden, kann der Tatrichter von einer Verfallsanordnung absehen (vgl. BGH StV 2013, 630).


Entscheidung

157. BGH 2 StR 350/15 – Beschluss vom 7. September 2015 (LG Darmstadt)

Strafmilderung bei verminderte Schuldfähigkeit (Ermessensentscheidung des Tatrichters: Gesamtbetrachtung, regelmäßige Verminderung des Schuldgehalts).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

1. Ob bei Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eine Strafmilderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. BGH StV 2006, 465, 466).

2. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Schuldgehalt der Tat bei einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit in aller Regel vermindert ist (vgl. BGHSt 7, 28, 30). Eine Strafrahmenverschiebung ist daher in der Regel vorzunehmen, wenn nicht andere, die Schuld des Täters erhöhende Umstände dem entgegenstehen oder der Täter die Begehung von Straftaten vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können, etwa, weil er aus früheren Erfahrungen weiß, dass er unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zur Begehung von Straftaten neigt (vgl. BGHSt 43, 66, 78).


Entscheidung

133. BGH 1 StR 379/15 – Beschluss vom 25. November 2015 (LG München I)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und begangener Tat: Beschaffungsdelikte); Nichtgewährung des letzten Wortes (Beruhen).

§ 64 StGB; § 258 Abs. 2, Abs. 3 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

Ein symptomatischer Zusammenhang i.S.d. § 64 StGB liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 75), auch wenn dies im Einzelfall dennoch auszuschließen sein mag (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 39).


Entscheidung

164. BGH 2 StR 469/15 – Beschluss vom 16. Dezember 2015 (LG Stralsund)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Gefährlichkeitsprognose: keine Prognose allein auf Grundlage statistischer Wahrscheinlichkeiten).

§ 64 Satz 1 StGB

Eine nur auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Entscheidung über die Gefährlichkeitsprognose reicht als Grundlage für die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung nicht aus (vgl. BVerfGE 109, 190, 242). Herkunft und Bedeutung von Angaben aufgrund eines statistischen Prognoseinstruments sind unklar und erlauben für sich genommen eine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Gefahrenprognose nicht. Stützt der Tatrichter seine Prognose auf ein von einem Sachverständigen verwendetes standardisiertes Prognoseinstrument, hat er darauf zu achten, dass es im Einzelfall tauglich ist. Selbst dann bedarf es zur individuellen Prognose über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus einer differenzierten Einzelfallanalyse.


Entscheidung

138. BGH 1 StR 564/15 – Beschluss vom 15. Dezember 2015 (LG Stuttgart)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Gefährlichkeitsprognose: Therapiebereitschaft des Angeklagten).

§ 64 StGB

Für die Gefährlichkeitsprognose i.S.d. § 64 StGB haben Möglichkeiten, Chancen und Maßnahmen einer therapeutischen Behandlung außer Betracht zu bleiben. Die Gefahr künftiger suchtbedingter Straftaten darf nicht deshalb verneint werden, weil der Angeklagte die Behandlungsbedürftigkeit seiner Sucht selbst einsieht und sich therapiewillig zeigt. Die Bereitschaft des Angeklagten, sich freiwillig einer stationären Therapie zu unterziehen, ist für sich genommen kein Grund, von der Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung abzusehen.