HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2015
16. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

635. BGH 1 StR 405/14 - Beschluss vom 10. Februar 2015 (LG Frankfurt a.M.)

BGHSt; Schenkungsteuerhinterziehung durch unzutreffende oder gänzlich ausbleibende Angaben zu Vorschenkungen (unrichtige und unvollständige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen; nemo tenetur Grundsatz: Selbstbelastungsfreiheit, Selbstanzeige und Verwendungsverbot, Verwertungsverbot, Unzumutbarkeit; mitbestrafte Nachtat zur Unterlassung).

§ 52 StGB; § 78 StGB; § 370 Abs. 1 AO; § 169 AO; § 14 ErbStG; § 16 ErbStG; § 19 ErbStG; § 30 ErbStG; Art. 6 EMRK; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG

1. Die in einer Schenkungsteuererklärung enthaltene unzutreffende Angabe, vom Schenker keine Vorschenkungen erhalten zu haben, stellt sowohl für die Besteuerung der Schenkung, auf die sich die Erklärung bezieht, als auch für diejenige der Vorschenkungen eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. (BGHSt)

2. Eine hierdurch im Hinblick auf eine Vorschenkung begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist gegenüber einer zuvor durch Unterlassen für diese Schenkung begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mitbestrafte Nachtat, deren Straflosigkeit entfällt, wenn die Vortat nicht mehr verfolgbar ist. (BGHSt)

3. Wurde hinsichtlich vorheriger Schenkungen bereits eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) begangen, ist es dem Beschenkten nicht unzumutbar, die Vorschenkungen, auf die sich die Unterlassungstaten bezogen, im Rahmen der Anzeige und Erklärung zu folgenden Schenkungen zu offenbaren. Eine solche Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus dem verfassungsrechtlich verankerten Verbot eines Zwangs zur Selbstbelastung (sog. Nemo-tenetur-Grundsatz). (Bearbeiter)

4. Die unrichtige Angabe, vom Schenker keine Vorschenkungen erhalten zu haben, führt sowohl hinsichtlich der erklärten Schenkung als auch hinsichtlich der zuvor erhaltenen weiteren Schenkungen zu einer Steuerverkürzung. Der Auffassung, verkürzt sei nur die Steuer auf den neuerlichen Erwerb, sodass es nur für den Steuersatz und mögliche Freibeträge auf die Vorerwerbe ankomme, ist nicht zu folgen. Der Taterfolg hinsichtlich der zuerst empfangenen Schenkungen ist Folge einer neuen tatbestandlichen Handlung, die zu einem neuen Taterfolg führt und für die deshalb die Verfolgungsverjährung eigenständig zu prüfen ist. Die Tatbestandsmäßigkeit einer solchen neuen Tat scheidet lediglich dann aus, wenn für die Schenkungsteuer bereits die steuerliche Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO) eingetreten ist. (Bearbeiter)

5. Auch bei der Schenkungsteuerberechnung ist ein möglicher Steuerbefreiungstatbestand gemäß § 13 ErbStG in Betracht zu ziehen. Angemessen ist gemäß § 13 Abs. 2 ErbStG eine Zuwendung, die den Vermögensverhältnissen und der Lebensstellung des Bedachten entspricht; eine dieses Maß übersteigende Zuwendung ist in vollem Umfang steuerpflichtig (§ 13 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). (Bearbeiter)


Entscheidung

685. BGH 5 StR 547/14 - Urteil vom 20. Mai 2015 (LG Berlin)

Betrug (konkludente Täuschung; Forderung überhöhter Preise; Nichtmitteilung hoher Innenprovisionen beim Immobilienverkauf; „kick backs“).

§ 263 StGB

1. Die Forderung und Vereinbarung eines bestimmten, gegebenenfalls auch überhöhten Preises umfasst nicht ohne weiteres die konkludente Erklärung, die verkaufte Sache sei ihren Preis auch wert. Mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit ist grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit oder Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Käufers, abzuwägen und sich zu entscheiden, ob er die geforderte Vergütung aufwenden will.

2. Die Nichtmitteilung hoher Innenprovisionen („kick backs“) beim (Weiter-)Verkauf von Immobilien führt jedenfalls dann nicht zu einer konkludenten Täuschung i.S.d. § 263 StGB, wenn die Kaufpreishöhe auf einer unabhängigen Bewertung der finanzierenden Bank beruht und durch die Innenprovisionen nicht beeinflusst wird.

661. BGH 3 StR 86/15 - Beschluss vom 28. April 2015 (LG Düsseldorf)

Einschleusen von Ausländern (Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet; Schengener Durchführungsübereinkommen; Binnengrenze zwischen EU-Mitgliedsstaaten; Drittstaaten; Überschreiten der Grenze; Betreten des Bundesgebiets am Flughafen); rechtfehlerhafte Verneinung der günstigen Sozialprognose.

§ 13 AufenthG; ; Art. 2 SGK (Schengener Grenzkodex); § 56 Abs. 1 StGB

Der Begriff der Einreise bestimmt sich nach der Verordnung (EG) 562/2006 vom 15. März 2006 (Schengener Grenzkodex), die im Rahmen ihres Geltungsbereiches der nationalen Regelung in § 13 AufenthG vorgeht (vgl. BGH HRRS 2015 Nr. 378). Ein Ausländer ist daher an einer Binnengrenze bereits dann eingereist, wenn er die Grenzlinie (physisch) überschritten und das Hoheitsgebiet des Zielstaates betreten hat. Im Fall der Einreise mit einem Binnenflug findet eine Grenzkontrolle gleichfalls nicht statt; der Ausländer ist mithin nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG mit Überschreiten der Grenze eingereist. Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. b SGK gilt der Flughafen am Zielort als Binnengrenze, so dass die Einreise mit dem Betreten des Bundesgebietes am Flughafen vollendet ist.


Entscheidung

611. BGH 1 StR 209/14 - Beschluss vom 21. August 2014 (LG Nürnberg-Fürth)

Steuerhinterziehung (Berechnung des Steuerschadens: unberechtigter Vorsteuerabzug und unberechtigter Steuerausweis durch Scheingutschriften).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG

Der dem Fiskus durch die Erstellung und Verwendung von Scheingutschriften entstandene Steuerschaden geht in seiner Bedeutung für die Strafzumessung über die Höhe des unberechtigten Vorsteuerabzugs nicht hinaus; der für die Strafzumessung maßgebliche Steuerschaden ist nicht etwa deshalb doppelt so hoch, weil der gemäß § 14c UStG geschuldete Steuerbetrag, der der Möglichkeit eines unberechtigten Vorsteuerabzugs Rechnung tragen sollte, ebenfalls verkürzt wurde.


Entscheidung

612. BGH 1 StR 214/14 - Beschluss vom 6. Oktober 2014 (LG Halle)

Steuerhinterziehung (Ermittlung des Steuerschadens durch Schätzung: Anforderungen an die Darlegung im Urteil).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

Will das Tatgericht den entstandenen Steuerschaden durch eigene Schätzung ermitteln, muss es in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie es zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist. Dies erfordert eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Darstellung der Schätzungsgrundlagen in den Urteilsgründen auch für den Fall eines Geständnisses.