HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2015
16. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Ohne welchen freien Willen? – zur Frage einer präjudiziellen Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit nach den §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB für die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB

Anmerkung zu Meyer-Mews HRRS 2014, 487 ff.

Von Gunnar Spilgies, Hannover

I. Einführung

Die Frage einer präjudiziellen Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit nach den §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB für die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB verweist auf die Frage, ob diesen Vorschriften der gleiche Regelungsgehalt zugrunde liegt und insbesondere, ob diese Vorschriften von dem gleichen Freiheitsverständnis getragen sind. Diese Frage ist in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der von der Hirnforschung neu entflammten Debatte um die Willensfreiheit [1] des Öfteren im Schrifttum aufgeworfen und auf unterschiedliche Weise beantwortet worden: So finden sich einerseits Stimmen, die in den Regelungen der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit und der Schuldfähigkeit (de lege lata) kein einheitliches Freiheitskonzept erkennen und sich für eine Änderung der Schuldfähigkeitsregelung in § 20 StGB aussprechen.[2] Andererseits gibt es auch Stimmen, die den Regelungen der Geschäfts-, Delikts- und Schuldfähigkeit zwar ein einheitliches deterministisches[3] oder ein indeterministisches[4] Freiheitskonzept entnehmen, jedoch diese Feststellung zumeist nicht näher begründen[5] und auch insbesondere nicht mit der ausdrücklichen Forderung nach einer präjudiziellen Wirkung der Geschäfts- und Delikts­un­fähig­keit für die Schuldunfähigkeit verknüpfen. Insofern verdient der kürzlich von Hans Meyer-Mews in dieser Zeitschrift erschienene Aufsatz besondere Beachtung.[6] Denn darin verteidigt Meyer-Mews die These, dass jemand nicht einerseits zwar geschäfts- und/oder delikts­unfähig sein könne, ohne dass andererseits zugleich seine Schuldfähigkeit beeinträchtigt sei, und stützt sich zur Begründung dieser These neben der Gleichheit der Eingangsmerkmale in den Vorschriften der §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB, 20 StGB darauf, dass auch die "psychologischen" Voraussetzungen dieser Vorschriften, d.h. also die jeweiligen Freiheitsbegriffe, übereinstimmten.

Geschäftsunfähig ist nach § 104 Nr. 2 BGB, wer sich in einem dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, der die "freie Willensbestimmung" ausschließt. Nach dem BGH ist die freie Willensbestimmung ausgeschlossen, "wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln."[7] Meyer-Mews meint, der BGH stelle hier wie bei § 20 StGB auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen ab und diese Auslegung des § 104 Nr. 2 BGB entspreche der Konzeption des § 20 StGB, "wonach ohne Schuld handelt, wer aufgrund der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale nicht in[der]Lage ist, (1.) das Unrecht

der Tat einzusehen oder (2.) nach dieser Einsicht zu handeln."[8] Aufgrund der sich daraus ergebenden Gleichung § 104 BGB = § 827 BGB = § 20 StGB fragt Meyer-Mews mit Blick auf zwei Beispiele aus der Praxis, in denen Geschäftsunfähigkeit mit Schuldfähigkeit bzw. Schuldunfähigkeit mit Geschäftsfähigkeit einhergeht, im Titel seines Aufsatzes: "Ohne freien Willen – aber schuldfähig?" und beklagt am Ende die "rechtstatsächliche Paradoxie", dass die Gerichte trotz Geltung des strafrechtlichen Zweifelssatzes "in dubio pro reo" bei der Feststellung der Schuldunfähigkeit im Vergleich zur Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit zurückhaltender seien[9] .

Diese Ausführungen von Meyer-Mews geben Anlass, die Frage einer präjudiziellen Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit nach den §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB für die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB noch einmal genauer zu untersuchen. Denn zwar ist die Absicht von Meyer-Mews, auf eine ungleiche und damit willkürliche Anwendung der Vorschriften über die Geschäfts-, Delikts- und Schuldfähigkeit hinzuweisen, angesichts der damit verbundenen Rechts- und Freiheitsverletzungen für die Betroffenen berechtigt und lobenswert. Legt man jedoch die gegenwärtig herrschende Auslegung dieser Vorschriften zugrunde, so erweist sich der Vorhalt in der Sache als nicht begründet und es ergibt sich, dass die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB und die Deliktsunfähigkeit nach § 827 S. 1 BGB entgegen Meyer-Mews keine präjudizielle Wirkung für die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB haben. Meyer-Mews übersieht, dass im Rahmen der Auslegung für die Annahme der Geschäfts- und Delikts­unfähigkeit einerseits und der Schuldunfähigkeit andererseits jeweils unterschiedliche Anforderungen für den Ausschluss eines freien Willens gestellt werden, den jeweiligen Vorschriften also kein einheitliches Freiheitsverständnis zugrunde gelegt wird. So unterscheiden sich gemäß der herrschenden Auslegung die Geschäftsfähigkeit und Schuldfähigkeit nicht nur in ihren "psychologischen" Voraussetzungen der "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" hinsichtlich des zugrunde gelegten Freiheitsbegriffs (dazu III), sondern dieser drückt sich auch in dem Gegensatz zwischen der absoluten Zuschreibung der Geschäftsunfähigkeit und der nur relativen Zuschreibung der Schuldunfähigkeit aus (dazu IV). Im Hinblick auf die Deliktsfähigkeit folgt zudem aus der Vorschrift des § 828 Abs. 3 BGB der Gegensatz zu dem der Schuldfähigkeit nach herrschender Auslegung zugrunde liegenden Freiheitsverständnis (dazu V). Und letztlich trägt dieses sich so ergebende unterschiedliche Freiheitsverständnis auch zum Verstehen der Auflösung der von Meyer-Mews beklagten "rechtstatsächlichen Paradoxie" einer zurückhaltenden Feststellung der Schuldunfähigkeit Wesentliches bei (dazu VI). Um aus den für die "psychologischen" Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit und Schuldfähigkeit maßgeblichen Begriffen der "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" den jeweils zugrunde gelegten Freiheitsbegriff ableiten zu können, sind zunächst kurz einige begriffliche Vorklärungen bez. des Willensfreiheitsproblems in der philosophischen Diskussion vorzunehmen.

II. Begriffliche Vorklärungen bez. des Willensfreiheitsproblems

In der Philosophie werden die folgenden drei Merkmale als konstitutiv für jede Theorie der Willensfreiheit angesehen:[10]

(1) Alternativbedingung: Die Person muss eine Wahl zwischen Alternativen haben, d.h., sie muss anders entscheiden bzw. anders handeln können, als sie es tatsächlich tut.

(2) Kontrollbedingung: Die Person muss ihre Entscheidung und ihre Handlung insoweit kontrollieren, als es von ihren verständlichen Gründen abhängt, wie sie entscheidet bzw. handelt.

(3) Urheberschaftsbedingung: Die Person muss Urheber ihrer Entscheidung und Handlung sein, d.h., es muss von der Person selbst abhängen, wie sie entscheidet bzw. handelt.

Die verschiedenen Willensfreiheitsbegriffe beruhen also letztlich auf den unterschiedlichen Interpretationen dieser drei konstitutiven Merkmale der Willensfreiheit. Und sie unterscheiden sich lediglich in der Auswahl, Gewichtung und der unterschiedlichen Stärke ihrer Interpretation. Nach der jeweiligen Stellung zum Determinismus­problem lassen sich die Theorien zur Willensfreiheit dann einteilen in inkompatibilistische Freiheitslehren, welche die Merkmale in einem mit dem Determinismus nicht verträglichen und daher starken und anspruchsvolleren Sinne auslegen, und kompatibilistische Freiheitslehren, welche die Merkmale in einem mit dem Determinismus verträglichen und daher schwächeren und weniger anspruchsvollen Sinne auslegen. Und schließlich ist noch hinzuweisen auf die Unterscheidung zwischen "negativer" Freiheit, die eine Abwesenheit von äußeren und inneren Zwängen bezeichnet, und "positiver" Freiheit, die ein Vermögen zum Handeln bezeichnet.[11]

III. Willensfreiheit als Grundlage der Geschäftsfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) und der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB)

Betrachtet man die herrschende Auslegung der Regelungen der Geschäftsfähigkeit und der Schuldfähigkeit, so stellt man fest, dass die jeweils zugrunde liegende Freiheitsvorstellung unterschiedlich ist. Das folgt aus der Auslegung der "psychologischen" Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit und der Schuldfähigkeit, in deren Rahmen den Begriffen der "Einsichtsfähigkeit" und "Steu­erungsfähigkeit" ein unterschiedliches Freiheitskonzept zugeschrieben wird.

1. "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" im Rahmen der "psychologischen" Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit als Ausdruck eines negativen, kompatibilistischen Freiheitsbegriffs

Der in § 104 Nr. 2 BGB verwendete Begriff der "freien Willensbestimmung", der vom BGH definiert wird als die Fähigkeit, "seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln"[12], lässt sich ausgehend von dieser Definition näher mit den Begriffen der "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" bezeichnen.

a) Die "Einsichtsfähigkeit", d.h. die Fähigkeit, "seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden", bezieht sich auf die negative Freiheit der Willensbildung der Person von einer Geistesstörung. Der Wille soll sich frei von einer Geistesstörung bilden können. Eine nähere Beschreibung dieser im Rahmen der Einsichtsfähigkeit geforderten Freiheit gibt das Reichsgericht in dem von Meyer-Mews eingangs zitierten Urteil vom 19. Januar 1922 in RGZ 103, 399 ff., in dem es wörtlich heißt:

"Die freie Willensbestimmung setzt voraus, daß gegenüber den verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen und gegenüber den Einflüssen dritter Personen, die bestimmend auf den Willen wirken, eine vernünftige Überlegung und freie Selbstentschließung darüber stattfindet, was im gegebenen Falle als das Richtige zu tun ist; an der freien Willensbestimmung fehlt es, wenn infolge einer Störung der Geistestätigkeit bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen oder Einflüsse dritter Personen derart übermäßig den Willen beherrschen, daß eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist."[13]

Danach ist die Einsichtsfähigkeit also gegeben und der Wille frei, wenn die Person durch vernünftige Überlegungen selbst entscheidet, was richtig ist, und die Einsichtsfähigkeit und der freie Wille sind ausgeschlossen, wenn der Wille von einer Geistesstörung beherrscht wird. Der "innere Zwang" durch die Geistesstörung führt mit anderen Worten dazu, dass der Wille "falsch", d.h. nicht mehr durch das eigene Abwägen und Überlegen bedingt ist. Auch der BGH hat im Anschluss an das Reichsgericht schon früh auf die Bedeutung dieser Bedingtheit der Entscheidung durch die Deliberation für das Vorliegen der "freien Willensbestimmung" hingewiesen:

"Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung auf Grund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt, oder die Willenserklärung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird[…]"[14]

Letztlich wird also der von der Person gebildete Wille nach seiner jeweiligen Bedingtheit untersucht: Der Wille ist frei, wenn er durch eigenes vernünftiges Überlegen bedingt ist, der Wille ist unfrei, wenn er durch die Geistesstörung bedingt ist. Die Einsichtsfähigkeit i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB setzt damit, wie Knothe treffend betont, eine Willensbildung voraus, "die zwar determiniert ist[…], unter deren Determinanten aber nicht die Wirkungen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit den Ausschlag geben, sondern die maßgeblich von vernünftigen Überlegungen bestimmt ist."[15]

b) Die "Steuerungsfähigkeit", d.h. die Fähigkeit, "nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln", bezieht sich auf die negative Freiheit der Willensbetätigung der Person von einer Geistesstörung. Die Person soll gemäß ihrer Einsicht, "was im gegebenen Falle als das Richtige zu tun ist"[16], handeln können, ohne dass eine vorliegende Geistesstörung das verhindert. Die Person soll sich also gemäß ihrem frei gebildeten Willen steuern können.

c) Den Begriffen der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Rahmen der "psychologischen" Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit liegt damit ein negativer, kompatibilistischer Freiheitsbegriff zugrunde, der die "Kon­trollbedingung" und die "Urheberschaftsbedingung" in einer schwachen, deterministischen Deutung erfüllt. Indeterministische Willensfreiheit ist keine Voraussetzung der Geschäftsfähigkeit.[17] Ein solcher der Geschäftsfähigkeit zugrunde liegender kompatibilistischer Freiheitsbegriff ist mit neueren psychiatrischen und neurobiologischen Erkenntnissen verträglich[18] und in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion vorherrschend. So sind z.B. für Ansgar Beckermann in Anknüpfung an das Konzept von John Locke zwei Fähigkeiten für Willensfreiheit zentral: "die Fähigkeit, vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen, und die Fähigkeit, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu handeln."[19] Und auch Peter Bieris Freiheitsverständnis passt gut zu § 104 Nr. 2 BGB. Nach Bieri ist der Wille dann frei, wenn er sich unter dem Einfluss von Gründen, durch Überlegen und Urteilen bildet: "Unser Wille ist frei, wenn er sich unserem Urteil darüber fügt, was zu wollen in einer bestimmten Situation richtig ist. Und der Wille ist unfrei, wenn Urteil und Wille auseinander fallen – wenn der Wille mich in eine Richtung treibt, die ich für

falsch halte, und wenn ich den Willen nicht unter die Kontrolle meines Überlegens bringen kann."[20]

2. "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" im Rahmen der "psychologischen" Voraussetzungen der Schuldfähigkeit als Ausdruck eines positiven, inkompatibilistischen Freiheitsbegriffs

Nach § 20 StGB handelt ohne Schuld, wer bei Begehung der Tat wegen einer psychischen Störung "unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." Die heute ganz überwiegende Ansicht leitet daraus in einem Umkehrschluss ab, dass daher die Schuldfähigkeit die Fähigkeit voraussetze, "das Unrecht der Tat einzusehen" und "nach dieser Einsicht zu handeln": "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" bezeichneten somit die "psychologischen" Voraussetzungen der Schuldfähigkeit.[21]

a) Die "Einsichtsfähigkeit", welche die Schuldfähigkeit voraussetzt und die in § 20 StGB definiert wird als Fähigkeit, "das Unrecht der Tat einzusehen", wird von der Rechtsprechung[22] und der ganz überwiegenden Lehre[23] im Gegensatz zur Einsichtsfähigkeit i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB dagegen nicht auf die Willensbildung der Person bezogen, sondern auf ihre Unrechtskenntnis: Einsichtsfähigkeit i.S.v. § 20 StGB bedeute die positive Freiheit zur Unrechtseinsicht in dem Sinne, dass der Täter, dem bei Begehung der Tat die Verbotskenntnis fehle (Fall des Verbotsirrtums), die Fähigkeit habe, das Verbotensein seines Tuns zu erkennen, und so zur Verbotskenntnis zu gelangen (sog. potenzielles Unrechtsbewusstsein). Diese Einsichtsfähigkeit wird also rein intellektuell als "intellektuelles Schuldelement" verstanden und § 20 Alt. 1 StGB lediglich als ein spezieller Anwendungsfall der Verbotsirrtumsregelung in § 17 StGB.

Die Einsichtsfähigkeit in § 20 StGB wird also nicht an der Einsichtsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB orientiert in dem Sinne verstanden, dass der Täter die Fähigkeit hat, das Unrecht der Tat (die Verbotsnorm) als "richtig" zu erkennen und seinen Willen dieser so verstandenen "Unrechts-Einsicht" entsprechend zu bilden.[24] Diese Lesart wäre auch schief. Denn seinen Willen seiner Einsicht gemäß bilden zu können, bedeutet nicht zugleich, seinen Willen einer Unrechtseinsicht gemäß bilden zu können. Sich überhaupt seinen Einsichten oder Überzeugungen gemäß entscheiden zu können, ist nicht gleichbedeutend damit, sich einer ganz bestimmten Einsicht oder Überzeugung gemäß entscheiden zu können, nämlich der Einsicht, dass das Unrecht der Tat (das Verbot) richtig ist.[25]

b) Die "Steuerungsfähigkeit" i.S.v. § 20 StGB bedeutet die Fähigkeit, "nach dieser[Unrechts]Einsicht zu handeln". Nach gegenwärtig herrschender Auslegung soll der Täter bei Begehung der Tat somit auch fähig gewesen sein, sich seiner potenziellen Verbotskenntnis gemäß zu steuern. Hier fordere das Gesetz vom Täter also die positive Freiheit zum Rechtmäßighandeln. Nach dem BGH kommt es darauf an, ob der Täter seiner Triebhaftigkeit "selbst bei Aufbietung aller ihm eigenen Willenskräfte nicht ausreichend zu widerstehen vermag."[26] Entscheidend bei der Prüfung dieses "voluntativen Schuldelements" sei daher die Frage, "ob und inwieweit der Angeklagte zu Handlungsalternativen imstande gewesen war" und "zum Tatzeitpunkt noch in der Lage war, anders zu handeln."[27] Es geht also nicht – wie bei der Anwendung des § 104 Nr. 2 BGB – darum festzustellen, "wie" der Wille zur Tat bzw. die Tat bedingt war, ob der Täter den Willen zur Begehung der Tat frei, d.h. verständlich gebildet hat, oder ob eine Geistesstörung diesen Willen bestimmte, sondern darum, "ob" der Wille zur Tat bzw. die Tat überhaupt bedingt war, ob der Täter also frei war, den Willen zur Begehung der Tat auch nicht zu bilden oder ob eine Geistesstörung diesen Willen bestimmte.

c) Nach der gegenwärtig herrschenden Auslegung der Schuldfähigkeit in § 20 StGB ergibt sich damit Folgendes: Während sich die in § 20 StGB geforderte Einsichtsfähigkeit auf das indeterministisch verstandene Wissenkönnen der Verbotsnorm, auf das potenzielle Unrechtsbewusstsein bezieht, das der Frage nach der Willensfreiheit vorgelagert ist, liegt dem Merkmal der Steuerungsfähigkeit in § 20 StGB ein positiver, inkompatibilistischer Freiheitsbegriff zugrunde, der die "Alternativbedingung" für Willensfreiheit in einer starken, indeterministischen Deutung erfüllt.[28] Dieser indeterministische Willensfreiheitsbegriff

ist in den letzten Jahren von Seiten der Hirnforschung heftig angegriffen worden,[29] wird in der philosophischen Diskussion um die Willensfreiheit überwiegend für unplausibel gehalten[30] und findet unter Philosophen nur noch selten Anhänger[31]. Und obwohl auch der agnostische Standpunkt, der die Frage für nicht beantwortbar hält, ob der Täter die Fähigkeit hatte, entsprechend der Verbotseinsicht zu handeln, von forensischen Gutachtern und der Rechtslehre ganz überwiegend geteilt wird,[32] hat das bisher dennoch nicht zu einer Änderung der Schuldfähigkeitsregelung in § 20 StGB geführt.[33]

Legt man diese herrschende Auslegung der Schuldfähigkeit zugrunde, so bleibt damit festzuhalten, dass die Geschäftsfähigkeit und die Schuldfähigkeit letztlich von einem unterschiedlichen Freiheitsverständnis geprägt sind: Die Geschäftsfähigkeit verlangt (nur) das Bestehen eines negativen, kompatibilistischen freien Willens, der die für die Willensfreiheit konstitutiven Merkmale der "Kontrolle" und "Urheberschaft" in einer abgeschwächten, deterministischen Deutung erfüllt. Die Schuldfähigkeit verlangt dagegen das Bestehen eines positiven, inkompatibilistischen freien Willens, der das für die Willensfreiheit konstitutive Merkmal des "Andershandelnkönnens" in einer starken, indeterministischen Deutung erfüllt. Eine präjudizielle Wirkung der Geschäftsunfähigkeit für die Schuldunfähigkeit scheidet daher aus.

d) Das so beschriebene unterschiedliche Verständnis der Regelungen der Geschäftsfähigkeit einerseits und der Schuldfähigkeit andererseits war früher jedoch ein anderes. Denn die ursprüngliche Fassung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit in § 51 RStGB von 1871 setzte genau wie die Regelung der Geschäftsfähigkeit in § 104 Nr. 2 BGB einen die "freie Willensbestimmung" ausschließenden Zustand "krankhafter Störung der Geistestätigkeit" voraus. Erst im Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933[34] hat der Gesetzgeber den Begriff der "freien Willensbestimmung" in § 51 RStGB dann durch die Unfähigkeit, "das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln" ersetzt. Daher lässt sich anhand der zu § 51 RStGB ergangenen Rechtsprechung des Reichsgerichts der Wandel von einer kompatibilistischen zu einer indeterministischen Auslegung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit nachzeichnen, der dann spätestens mit dem Beschluss des BGH in BGHSt 2, 194 ff. seinen Abschluss fand. In dem Urteil vom 14. Februar 1929 in RGSt 63, 46 ff. legte das Reichsgericht den Begriff der "freien Willensbestimmung" noch in völliger Übereinstimmung mit der Absicht des Gesetzgebers[35] und der zivilgerichtlichen Rechtsprechung unter ausdrücklichem Verweis auf RGZ 103, 399, 401 kompatibilistisch aus:

"Es genügt nicht, daß der Angeklagte die von ihm entfaltete körperliche Betätigung ,gewollt‘ hat, sondern er mußte fähig sein, sie trotz der durch seine Trunkenheit beeinträchtigten Geistestätigkeit vernunftgemäß zu wollen, seine Entschließungen und sein Handeln also der ihm verbliebenen verstandesmäßigen Einsicht gemäß einzurichten (vgl. auch § 3 JugGerG). An der freien Willensbestimmung fehlt es, wenn infolge einer Störung der Geistestätigkeit bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen oder Einflüsse derart übermäßig den Willen beherrschen, daß eine Bestimmbarkeit des Willens durch

vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist (RGZ. Bd. 103 S. 399, 401). Sind sowohl Anreize zu einem bestimmten Handeln als auch Hemmungsvorstellungen vorhanden, so ist der Wille des Handelnden nur dann frei, wenn er fähig ist, beides gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluß zu bilden. Liegt ein krankhafter Anreiz vor, der so stark ist, daß ihm gegenüber etwaige Hemmungsvorstellungen, auch wenn sie vorhanden sind, nicht zur Geltung kommen können, so ist die Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen, und damit im Sinne von § 51 StGB. die ,freie‘ Willensbestimmung ausgeschlossen (RGSt. Bd. 57 S. 76 flg.[…]"[36]

Dabei zeigt der Hinweis auf "§ 3 JugGerG", dass sich das Reichsgericht offenbar gar nicht bewusst war, dass seine eigene Auslegung nicht mehr zu dieser Vorschrift passte. Denn § 3 des Jugendgerichtsgesetzes von 1923[37] enthielt ja den Begriff der "freien Willensbestimmung" gar nicht mehr, sondern schloss die Strafbarkeit eines Jugendlichen aus, "wenn er zur Zeit der Tat nach seiner geistigen oder sittlichen Entwicklung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen." Die Vorschrift enthielt also inhaltlich schon die Merkmale der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit wie sie dem später im Jahr 1933 neugefassten § 51 RStGB und den heutigen §§ 3 S. 1 JGG, 20 StGB zugrunde liegen. Dass das Reichsgericht diesen Widerspruch zwischen seiner bisherigen kompatibilistischen Auslegung des Begriffs der "freien Willensbestimmung" und dem Merkmal der Fähigkeit, "das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen", tatsächlich verkannte, bezeugt das Urteil vom 10. Oktober 1930 in RGSt 64, 349 ff. Darin nimmt das Reichsgericht zunächst an, der Begriff des Ausschlusses der "freien Willensbestimmung" könne durch den Begriff der "Unfähigkeit, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen" (§ 3 JGG), oder der "Unfähigkeit, das Unrechtmäßige der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln" (§ 13 des Entwurfs für ein Allgemeines Deutsches Strafgesetzbuch), ersetzt werden.[38] Im Folgenden schließt das Reichsgericht dann aus dem Vorliegen der kompatibilistisch verstandenen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unvermittelt auf die in § 3 JGG bzw. § 13 des Entwurfs für ein Allgemeines Deutsches Strafgesetzbuch bezeichneten "indeterministischen" Fähigkeiten:

"Es[das Berufungsgericht]hat aber darüber hinaus angenommen, daß der Angeklagte zu ‚einfachen Denkvorgängen, wie sie der subjektive Tatbestand der Bedrohung erfordert‘, imstande gewesen sei, daß er über eine ‚ausreichende Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit‘ verfügt habe; damit soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, daß er die Fähigkeit besessen habe, das Ungesetzliche (Unrechtmäßige) seiner Tat, soweit sie sich als Bedrohung darstellt, einzusehen. Es hat endlich daraus, daß er keineswegs unmotiviert, sondern dem erkennbaren Beweggrund gemäß handelte, den Schluß gezogen, daß er auch die Fähigkeit besessen habe, seiner Einsicht in das Ungesetzliche seiner Tat gemäß zu handeln. Damit ist ausreichend nachgewiesen, daß sich der Angeklagte zur Zeit der ihm zur Last gelegten Tat nicht in einem Zustand der Bewußtseinsstörung oder der krankhaften Störung der Geistestätigkeit befunden hat, durch den seine freie Willensbestimmung ‚ausgeschlossen‘ war."[39]

Einerseits markiert dieses Urteil des Reichsgerichts sozusagen die "indeterministische Wende" in seiner Auslegung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, weil es das Verhalten des Angeklagten unter die indeterministisch verstandene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit i.S.d. §§ 3 JGG, 51 n.F. RStGB subsumiert. Andererseits vollzieht sich der Wandel zu einer indeterministischen Auslegung des § 51 RStGB nur unterschwellig-sup­ple­men­tär, weil sich das Reichsgericht nicht im Widerspruch zu seiner bisherigen kompatibilistischen Auslegung des Begriffs der "freien Willensbestimmung" weiß. Was das bedeutet, zeigt das Urteil vom 28. Februar 1933 in RGSt 67, 149 f.: Zunächst betont das Reichsgericht, der Begriff der "freien Willensbestimmung" sei mit dem Begriff der "Unfähigkeit, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen", in § 3 JGG gleichbedeutend.[40] Dann verweist es für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die freie Willensbestimmung bei Trunkenheit ausgeschlossen ist, auf die Entscheidung in RGSt 63, 46,[41] das den Begriff der "freien Willensbestimmung" ja kompatibilistisch auslegt. Und am Ende des Urteils schließlich möchte das Gericht einen strengen Maßstab für den Ausschluss der freien Willensbestimmung anlegen, "da im Rausch ein höherer Grad von Selbstbeherrschung möglich ist und gefordert werden kann[…]"[42] Von welcher "freien Willensbestimmung" das Reichsgericht hier aber am Ende spricht – ob von einer kompatibilistischen oder einer indeterministischen –, lässt sich wegen der Widersprüchlichkeit der vorhergehenden Bezüge nicht sicher sagen.

Im Rückblick gilt es in Erinnerung zu behalten, dass das Reichsgericht die Schuldfähigkeit ehemals in Übereinstimmung mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zur Geschäftsfähigkeit kompatibilistisch ausgelegt hat, seinerzeit also eine präjudizielle Wirkung der Geschäftsunfähigkeit für die Schuldunfähigkeit durchaus begründet war. Doch scheint mittlerweile diese "kompatibilistische Phase" der Reichsgerichts-Rechtsprechung zur Schuldunfähigkeit vergessen. So werden gegenwärtig noch die zum Begriff der "freien Willensbestimmung" in § 51 RStGB ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts in RGSt 57, 76 f. und RGSt 63, 46 ff. für die Auslegung der Steuerungsfähigkeit in § 20 StGB herangezogen, ohne einen Hinweis darauf, dass das Reichsgericht darin gerade (noch) nicht danach fragte, ob der Täter sich gemäß der Unrechtseinsicht habe steuern können.[43] Und Schiemann ist sogar der Ansicht, das Reichsgericht habe § 51 RStGB

seit je indeterministisch ausgelegt und diese indeterministische Auslegung dann trotz der Neufassung des § 51 RStGB fortgeführt[44] – wie gezeigt, verhält es sich genau umgekehrt.

Überhaupt ist dieser Wandel der Rechtsprechung zu einer indeterministischen Auslegung der Schuldfähigkeit vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte auf den ersten Blick verwunderlich. Die Ersetzung des Begriffs der "freien Willensbestimmung" in § 51 RStGB durch die Unfähigkeit, "das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", geht u.a. zurück auf den "Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs" von 1911 (§ 13 Abs. 1), deren Mitarbeiter (Kahl, von Lilienthal, von Liszt, Goldschmidt) einen vermittelnden Standpunkt einnahmen und ein Bekenntnis des Gesetzes zur indeterministischen Willensfreiheit gerade vermeiden wollten.[45] Und weil auch in den Gesetzesmotiven zu § 51 RStGB n.F. noch einmal die gleiche Absicht ausdrücklich erklärt wird,[46] wäre eine deterministische Auslegung des § 51 RStGB n.F. wohlbegründet gewesen.[47] Doch gleichzeitig stößt sich diese deterministische Auslegung mit der Regelung der verminderten Zurechnungsfähigkeit in § 51 Abs. 2 RStGB n.F. (§ 21 StGB) und später mit der durch das Reichsjugendgerichtsgesetz von 1943[48] geänderten Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher in § 3 JGG, die beide die Unfähigkeit des Täters, "das Unerlaubte bzw. das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", gerade nicht als gegeben annehmen.[49] Und so hat sich letztlich die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers in der praktischen Rechtsanwendung in ihr Gegenteil verkehrt.

IV. Der Gegensatz zwischen absoluter Geschäftsunfähigkeit und relativer Schuldunfähigkeit

Das den Regelungen der Geschäftsfähigkeit und der Schuldfähigkeit nach herrschender Auslegung zugrunde liegende unterschiedliche Freiheitsverständnis findet auch in dem unterschiedlichen Umfang der Zuschreibung der jeweiligen Willensfreiheit in Bezug auf ihren Gegenstand seinen Ausdruck. Im Privatrecht gilt die Geschäftsunfähigkeit grundsätzlich absolut für alle Rechtsgeschäfte (Ausnahme: § 105a BGB) und eine relative, d.h. eine nur auf ein konkretes Rechtsgeschäft beschränkte Geschäftsunfähigkeit wird von der h.M. abgelehnt.[50] Möglich ist nur, dass sich die Geschäftsunfähigkeit auf einen bestimmten Kreis von Geschäften bezieht (partielle Geschäftsunfähigkeit).[51] Diese grundsätzlich absolute Zuschreibung von Willens(un)freiheit ist vor dem Hintergrund des der Geschäftsfähigkeit zugrunde liegenden negativen, kompatibilistischen Freiheitsbegriffs verständlich: Denn, wenn jemand durch eigenes Überlegen und Denken seinen Willen bilden und demgemäß handeln kann, wird ihm die für die Vornahme von Rechtsgeschäften erforderliche Willensfreiheit zugeschrieben. Entweder also man hat diese Willensbildungs- und -be­tä­tigungsfrei­heit oder man hat sie nicht. Die Ablehnung einer relativen Geschäfts(un)fähigkeit ist letztlich die Konsequenz aus dem zugrunde gelegten rein negativen Freiheitsverständnis. Dieses bekommt das einzelne Rechtsgeschäft gar nicht in den Blick, sondern berücksichtigt nur "innere" Zwänge der Person, so dass sich schon die Frage nach einer nur auf ein konkretes Rechtsgeschäft beschränkten Geschäftsfähigkeit gar nicht stellt.

Im Strafrecht dagegen ist es umgekehrt: Die Schuldunfähigkeit des Täters muss stets relativ, d.h. in Bezug auf die konkrete Tat festgestellt werden; eine allgemeine absolute Schuldunfähigkeit gibt es gerade nicht.[52] Der Ausschluss der Willensfreiheit wird also nur tatbestandsbezogen zugeschrieben. Auch diese relative Zuschreibung ist wiederum vor dem Hintergrund des der Schuldfähigkeit nach herrschender Auslegung zugrunde liegenden positiven, inkompatibilistischen Freiheitsbegriffs verständlich: Denn durch das wesentliche Merkmal des "Andershandelnkönnens" lässt sich die Frage nach dem Bestehen dieser Willensfreiheit und Schuldfähigkeit bei jeder einzelnen Tat wieder aufs Neue stellen.[53] Der Bezug zur einzelnen Tat wird also über die positive Freiheit zum "Andershandelnkönnen" vermittelt. Der freie Wille des Täters kann daher, so die Annahme, bez. einer Tat vorliegen, der Täter bez. dieser Tat also schuldfähig sein, bez. einer anderen Tat kann der freie Wille dagegen ausgeschlossen und der Täter schuldunfähig sein. Es ist nach dem Gesagten nicht überraschend, dass diese relative

Zuschreibung der Schuldunfähigkeit aber erst durch die Neuinterpretation des § 51 RStGB im Lichte der Regelung des § 3 JGG von 1923 und durch die Neufassung des § 51 RStGB im Jahre 1933 möglich geworden ist.[54] Als die Vorschrift noch den Begriff der "freien Willensbestimmung" enthielt und das Reichsgericht diesen Begriff in einem kompatibilistischen Sinne deutete (siehe zuvor im Text unter III 2 d), kam zwar eine durch "einen Zustand von Bewusstlosigkeit", nicht aber von "krankhafter Störung der Geis­tes­thä­tigkeit" begründete relative (partielle) Schuldunfähigkeit in Betracht. In dem Urteil des Reichsgerichts vom 16. Januar 1882 in RGSt 5, 338 ff. heißt es dazu:

"denn diese[die Vorschrift § 51 RStGB] verlangt nicht einen Zustand von Bewußtlosigkeit, welcher jede freie Willensbestimmung ausschließt, sondern, wie die Geschichte derselben zeigt, sind die Worte des Entwurfes zu dem Paragraphen ,Willensbestimmung in Beziehung auf die That‘ nur aus dem Grunde nicht in das Gesetz aufgenommen, weil von medizinischem Standpunkte aus bezüglich der neben der der Bewußtlosigkeit genannten krankhaften Störung der Geistesthätigkeit die Möglichkeit einer nur in Beziehung auf eine bestimmte That ausgeschlossenen Willensfreiheit angezweifelt wurde (sogenannte partielle Geistesstörung) und jeder krankhaften Störung der Geistesthätigkeit, wenn überhaupt, dann für das ganze Gebiet des Strafrechts die Zurechenbarkeit versagt werden sollte."[55]

V. Willensfreiheit als Grundlage der Deliktsfähigkeit (§ 827 S. 1 BGB) – zur Bedeutung des § 828 Abs. 3 BGB

Der Gesetzgeber des BGB von 1900 hat die Regelungen der Deliktsunfähigkeit und der Geschäftsunfähigkeit in bewusster Parallele gestaltet. Dazu heißt es in den Motiven: "überdies erscheint es nicht rathsam, im bürgerlichen Gesetzbuche, soweit es sich um anomale geistige Zustände handelt, die Geschäftsunfähigkeit[…]von anderen Erfordernissen abhängig zu machen, als die Unfähigkeit, durch unerlaubte Handlungen verpflichtet zu werden."[56] Daher ist auch im Rahmen der Deliktsunfä-

higkeit nach § 827 S. 1 BGB der Begriff der "freien Willensbestimmung" im Sinne eines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs zu deuten und die Ausführungen zu § 104 Nr. 2 BGB gelten entsprechend. Das der Deliktsfähigkeit zugrunde liegende Freiheitsverständnis stimmt also ebenso wenig wie das der Geschäftsfähigkeit mit dem herrschenden inkompatibilistischen Freiheitsverständnis der Schuldfähigkeitsregelung überein.

Dieser Schluss ergibt sich aber überdies auch aus § 828 Abs. 3 BGB, der die beschränkte Deliktsfähigkeit Minderjähriger zwischen 7 und 18 Jahren regelt. Ein Minderjähriger ist danach nicht verantwortlich, "wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat." Abweichend von der Gesetzeslage im Strafrecht (§§ 3 S. 1 JGG, 20 StGB) regelt § 828 Abs. 3 BGB also nur die intellektuelle Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen, nach ganz h.M. jedoch nicht die Steuerungsfähigkeit in dem Sinne, dass der Minderjährige auch fähig ist, sich dieser Einsicht in seine Verantwortlichkeit gemäß zu verhalten.[57] Der BGH betont in seiner Begründung die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für unterschiedliche Voraussetzungen von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verantwortung:

"Diese Vorschrift war in bewußter Anlehnung an die damaligen §§ 56, 57 StGB geschaffen worden (vgl. Mot. II 733 und Prot. Bd. 2 S. 584/585). Die Entscheidung, ob ein Jugendlicher, der zwar seine Verantwortlichkeit einzusehen fähig ist, dem es aber noch an der Fähigkeit fehlt, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht nur von Strafe frei sein soll, sondern auch von zivilrechtlicher Verantwortung, muß der Gesetzgeber treffen. Es ist – auch aus rechtspolitischen Gründen – denkbar, daß Strafe und Er­satzpflicht von verschiedenen Voraussetzungen abhängig bleiben sollen."[58]

Und an welche "rechtspolitischen Gründe" der BGH denkt, die Strafe und Ersatzpflicht von verschiedenen Voraussetzungen abhängig zu machen und die Steuerungsfähigkeit daher im Rahmen der Deliktsfähigkeit Minderjähriger nicht zu berücksichtigen, führt er in einem späteren Urteil aus:

"Im Haftungsrecht besteht ein stärkeres Bedürfnis nach pauschalen Bewertungen, um eine Durchbrechung des nach § 276 BGB zu fordernden Standards verkehrserforderlicher Sorgfalt zu vermeiden. Darum können Persönlichkeitsdefizite bei der zivilrechtlichen Delikts-(Zurech­nungs-)fähigkeit nur beschränkte Berücksichtigung finden. Die Ersatzpflicht soll nicht davon abhängen, ob der Schädiger im Einzelfall den durchschnittlichen Erwartungen an verkehrsrichtiges Verhalten gewachsen ist. Insoweit soll nach dem Gesetzeszweck das Schadensrisiko dem Geschädigten abgenommen werden."[59]

Um dem Geschädigten sein Schadensrisiko abzunehmen, wegen seines Haftungsinteresses also, lehnt es der BGH somit ab, das Zurechnungsmerkmal der Steuerungsfähigkeit im Rahmen der Deliktsfähigkeit Minderjähriger zu berücksichtigen. Für die Deliktsfähigkeit Erwachsener nach § 827 S. 1 BGB folgt aus der Vorschrift des § 828 Abs. 3 BGB zweierlei: Erstens kann die intellektuelle Einsichtsfähigkeit keine Voraussetzung für die Deliktsfähigkeit Erwachsener sein, weil dieses Erfordernis nur Minderjährige haftungsrechtlich privilegieren soll. Und zweitens kann erst recht nicht die Steuerungsfähigkeit Voraussetzung für die Deliktsfähigkeit Erwachsener sein, weil diese sonst haftungsrechtlich gegenüber Minderjährigen privilegiert würden. Aus § 828 Abs. 3 BGB ergibt sich damit, dass sich der Regelungsgehalt der Deliktsfähigkeit nach § 827 S. 1 BGB von dem der Schuldfähigkeit nach § 20 StGB unterscheiden muss, und somit der Begriff der "freien Willensbestimmung" nur kompatibilistisch gedeutet werden kann.

VI. Die Auflösung der "rechtstatsächlichen Paradoxie" einer zurückhaltenden Feststellung der Schuldunfähigkeit

Meyer-Mews beklagt im Rahmen seiner Ausführungen, dass die Gerichte trotz Geltung des strafrechtlichen Zweifelssatzes "in dubio pro reo" mit der Feststellung der Schuldunfähigkeit im Vergleich zur Feststellung der Geschäfts- oder Deliktsunfähigkeit zurückhaltender seien. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Annahme der Schuldunfähigkeit seien strenger als die Anforderungen an die Annahme der Geschäftsunfähigkeit.[60] Auch werde die Schuldunfähigkeit nicht wie zu erwarten eher attestiert als die Deliktsunfähigkeit.[61] Diese Zurückhaltung bei der Feststellung der Schuldunfähigkeit sei eine "rechtstatsächliche Paradoxie".[62]

In der soeben zitierten Begründung des BGH bez. der Nichtberücksichtigung der "Steuerungsfähigkeit" im Rahmen der Deliktsfähigkeit Minderjähriger nach § 828 Abs. 3 BGB liegt aber bereits der Schlüssel zur Auflösung dieser "rechtstatsächlichen Paradoxie" einer zurückhaltenden Feststellung der Schuldunfähigkeit durch die Gerichte. So wie der BGH in dieser Entscheidung dem Haftungsinteresse gegenüber dem Verschuldensinteresse den Vorzug gibt, so tun dies auch die Strafgerichte, wenn sie zum Zwecke der strafrechtlichen Haftung des Täters, seine Schuldunfähigkeit verneinen. Denn das Strafrecht ist wie das Zivilrecht von zwei widerstreitenden Prinzipien geprägt: dem Haftungsprinzip und dem Zurechnungsprinzip: Das Haftungsprinzip, das dem Interesse am Erhalt der Rechtsgüter dient (Rechtsgüterschutz) und auf Strafe bzw. Schadensersatz abzielt, kollidiert mit dem Zurechnungsprinzip, das dem Interesse der Bürger an ihrer Handlungsfreiheit dient (Freiheitsschutz) und darauf abzielt, nur bei Verschulden zu haften (Verschuldensgrundsatz).[63] Die Stärkung des einen Prinzips hat die Schwächung des anderen Prinzips zur Folge. Während im Strafrecht das Zurechnungsprinzip durch das am individuellen Andershandelnkönnen orientierte Schuldprinzip sozusagen auf die Spitze getrieben ist, ist der Verschuldensgedanke im Zivilrecht "durch eine gewisse Objektivierung und Typisierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes abgeschwächt."[64] Begründet wird dieser im Vergleich zum Strafrecht abgeschwächte Verschuldensmaßstab im Zivilrecht mit dem Haftungsinteresse des Geschädigten. Im Zivilrecht gehe es nicht um Strafe für die individuelle Schuld des Täters, "sondern um eine gerechte Schadensverteilung; hierfür reicht der streng individuelle Schuldmaßstab nicht aus."[65] Je stärker der Staat also das Zurechnungs- und Verschuldensprinzip betont, desto höher ist zwar auf der einen Seite der Grad der den Rechtssubjekten gewährten Handlungsfreiheit, gleichzeitig sinkt auf der anderen Seite jedoch der Rechtsgüterschutz. Um im Falle einer solchen starken Betonung des Zurechnungsprinzips, d.h. bei anspruchsvoll formulierten Voraussetzungen der subjektiven Zurechnung (also insbesondere im Fall der Annahme eines individuellen Vermeidenkönnens des Unrechts) dem Haftungsprinzip gerecht zu werden, werden daher an die Bejahung der Zurechnungsvoraussetzungen relativ geringe Anforderungen gestellt. Ein Beispiel hierfür ist die Auslegung der in § 828 Abs. 3 BGB vorausgesetzten intellektuellen Einsichtsfähigkeit des beschränkt deliktsfähigen Minderjährigen. Bei Larenz kann man hierzu lesen:

"Sie wird einmal, für § 828, individuell, das andere Mal, für die Fahrlässigkeit, nach den typischen Fähigkeiten der Altersgruppen geprüft. Daraus ergeben sich Widersprüche, denen die Rechtsprechung dadurch auszuweichen sucht, daß sie an die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht relativ geringe Anforderungen stellt und das Schwergewicht auf die Frage des Verschuldens verschiebt."[66]

Und dementsprechend verfahren auch die Strafgerichte hinsichtlich der Auslegung der Steuerungsfähigkeit des Täters im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung: Weil im Strafrecht in jedem Freispruch des Täters wegen Schuldunfähigkeit die kriminalpolitische Gefahr der Erosion der Strafrechtsnorm liegt, werden an die Voraussetzungen für die Bejahung der Steuerungsfähigkeit des Täters relativ geringe Anforderungen gestellt, so dass die Feststellung der Schuldunfähigkeit des Täters eine seltene Ausnahme ist.[67] Stratenwerth sieht in dieser Möglichkeit einer am Strafinteresse orientierten Auslegung ganz nüchtern gerade die besondere Bedeutung des Merkmals der Steuerungsfähigkeit:

"Andererseits sichert die ausdrückliche Nennung des Hemmungsvermögens[in § 20 StGB]dem Richter hinreichenden Spielraum für die normative Beurteilung der psychischen Störung: Gerade weil sich jenes Vermögen empirisch nicht hinreichend nachweisen lässt, kann die Feststellung, es sei aufgehoben, auf die schwereren Grade seiner Beeinträchtigung beschränkt werden. Hier vor allem also besteht in der Praxis die Möglichkeit, der kriminalpolitisch motivierten Besorgnis einer zu weitge-

henden Exkulpation psychisch gestörter Täter[…]entgegenzuwirken."[68]

Schon Ellscheid/Hassemer sahen eine solche Praxis dagegen kritischer: "Das kriminalpolitische Interesse, die Exkulpationsmöglichkeiten überschaubar zu gestalten und in Grenzen zu halten, trägt den Sieg über das Schuldprinzip davon."[69] Festzuhalten bleibt: Bei der von Meyer-Mews so bezeichneten "rechtstatsächlichen Paradoxie" einer zurückhaltenden Feststellung der Schuldunfähigkeit durch die Gerichte handelt es sich in Wahrheit um eine am Rechtsgüterschutz und Strafinteresse orientierte "Auslegung" der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 20 StGB.

VII. Fazit

Im Ganzen zeigt sich, dass Meyer-Mews es versäumt hat, für seine starke These der Gleichsetzung der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit mit der Schuldfähigkeit, deren "psychologische" Voraussetzungen genauer zu untersuchen. Der schlichte Hinweis auf die gleichen Begrifflichkeiten "Einsichtsfähigkeit" und "Steuerungsfähigkeit" genügt hier nicht. Die nähere Betrachtung der gegenwärtigen Auslegung dieser Begriffe unter dem Blickwinkel der zugrunde gelegten Willensfreiheit legt vielmehr ein unterschiedliches Freiheitsverständnis dieser Regelungen offen, so dass die von Meyer-Mews aufgestellte Gleichung § 104 BGB = § 827 BGB = § 20 StGB nicht aufgeht und eine präjudizielle Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit für die Schuldunfähigkeit nicht begründet ist. Mit Blick auf die historische Entwicklung lässt sich jedoch einschränkend sagen, nicht "mehr" aufgeht und nicht "mehr" begründet ist. Denn ursprünglich war die Gleichung § 104 BGB = § 827 BGB = § 51 RStGB von 1871 durchaus gültig. Erst die Neuschaffung des § 3 JGG im Jahre 1923 und die Neufassung des § 51 RStGB im Jahre 1933 leitete den Wandel der einst einheitlichen Regelungen der Geschäfts-, Delikts- und Schuldfähigkeit ein, beendete dadurch deren einheitliche kompatibilistische Auslegung und verbot damit eine präjudizielle Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit für die Schuldunfähigkeit.

Letztlich gilt es, dem Wunsch von Meyer-Mews nach einer widerspruchsfreien subjektiven Zurechnung im Recht auf andere Weise als durch Angleichung privatrechtlicher und strafrechtlicher Zurechnungsprinzipien gerecht zu werden, nämlich durch eine Kritik der auf der Annahme vermeidbarer Verbotsirrtümer und dem Postulat indeterministischer Willensfreiheit basierenden gegenwärtigen Schuldzuschreibung im Strafrecht. Aber das ist ein anderes Thema.[70]


[1] Vgl. exemplarisch die Beiträge in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit (2004), und in: Grün/Fried­man/Roth (Hrsg.), Entmoralisierung des Rechts (2008), sowie: Markowitsch/Siefer, Tatort Gehirn (2007); Prinz Psychologische Rundschau 2004, 198 ff.; Roth, Fühlen, Denken, Handeln (2003), S. 494 ff., 536 ff.; ders. DZPhil 2005, 691 ff.; Singer, Ein neues Menschenbild? (2003), S. 9 ff., 24 ff., 65; ders. DZPhil 2005, 707 ff.

[2] Siehe Cording/Roth NJW 2015, 26 ff.; Lindemann, in: Krüper (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 2. Aufl. (2013), § 13 Rn. 19 ff.; G. Merkel Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde 35 (2014), 13, 17 ff. ; vgl. auch noch Schmidt-Aßmann, in: Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Zur Freiheit des Willens (2004), S. 71 ff. , der jedoch keinen Änderungsbedarf sieht.

[3] So Burkhardt, in: Tröger (Hrsg.), Wie frei ist unser Wille? (2007), S. 89 ff.

[4] So Hillenkamp, in: ders. (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht? (2006), S. 95; Jäger GA 2013, 3, 10; Laufs MedR 2011, 1, 3 ff.; Mosbacher JR 2005, 61 f.; H.-L. Schreiber Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 10 (2005), 23, 24.

[5] Symptomatisch die Äußerung von Hillenkamp (Fn.  4 ), S. 95: "Ich kann das nicht weiter verfolgen. Ich beschränke mich auf mein Fach[…]". Siehe aber Burkhardt (Fn.  3 ), S. 91 f., der sich explizit auch mit der Frage befasst, was unter "freier Willensbestimmung" i.S.d. §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB zu verstehen ist.

[6] Siehe Meyer-Mews HRRS 2014, 487 ff.

[7] BGH NJW 1996, 918 m.w.N.; siehe auch BAG NJW 2011, 272.

[8] Meyer-Mews HRRS 2014, 487, 488 .

[9] Siehe Meyer-Mews HRRS 2014, 487, 492 .

[10] Vgl. Beckermann, in: Schmidinger/Sedmak (Hrsg.), Der Mensch – ein freies Wesen? (2005), S. 112 ; ders., http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit ; Guckes, Ist Freiheit eine Illusion? (2003), S. 11; Walter, Neurophilosophie der Willensfreiheit (1998), S. 23 f.

[11] Vgl. R. Merkel, Willensfreiheit und rechtliche Schuld (2008), S. 12 ff.

[12] BGH NJW 1996, 918.

[13] RGZ 103, 399, 401; im gleichen Sinne auch RGZ 130, 69, 71.

[14] BGH NJW 1953, 1342.

[15] Knothe, in: Staudinger-BGB, Neubearb. (2012), § 104 Rn. 10; vgl. auch Habermeyer, in: Kröber/Döl­ling/Ley­graf/Saß (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Bd. 5 (2009), S. 57 f.

[16] RGZ 103, 399, 401.

[17] So auch Burkhardt (Fn.  3 ), S. 91 f.; Cording/Roth NJW 2015, 26, 27; Knothe, in: Staudinger-BGB (Fn.  15 ), § 104 Rn. 10; Lindemann (Fn.  2 ), § 13 Rn. 20; G. Merkel Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde 35 (2014), 13, 17 .

[18] Siehe Cording/Roth NJW 2015, 26, 27 ff.

[19] Beckermann, in: Barton (Hrsg.), "… weil er für die Allgemeinheit gefährlich ist!" (2006), S. 304 ; ders., http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit .

[20] Bieri, in: Gestrich/Wabel (Hrsg.), Freier oder unfreier Wille? (2005), S. 27 (Hervorhebung im Original); vgl. ders. Spiegel online v. 11. Januar 2005 ; ders., Das Handwerk der Freiheit (2001), S. 29 ff., 80, 165 f.

[21] Zu abweichenden Ansichten siehe unten Fn.  28 .

[22] Grundlegend die Entscheidungen BGHSt 21, 27, 28; BGH MDR 1968, 854 f.

[23] Siehe nur Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 20 Rn. 4; Rönnau, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2006), Vor § 32 Rn. 317–319; Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Bd. 1, 4. Aufl. (2006), § 20 Rn. 29 jeweils m.w.N.

[24] Das ist, soweit ich sehe, im Strafrecht allgemeine Meinung. Im Übrigen würde diese Auslegung dazu führen, dass ein Überzeugungstäter, dem diese Fähigkeit ja gerade fehlt, einsichtsunfähig wäre (so auch Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements"[1993], S. 199 f.).

[25] Das übersehen die Philosophen Beckermann (Fn.  19 ), S. 304, und Willaschek, in: Gethmann (Hrsg.), Lebenswelt und Wissenschaft (2011), S. 1196 f. , die meinen, die Vorschrift des § 20 StGB sei tatsächlich so zu lesen und vertrage sich daher mit ihrem kompatibilistischen Willensfreiheitsbegriff. Insofern irrt R. Merkel (Fn.  11 ), S. 112, wenn er meint, Beckermann verstehe die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in § 20 StGB als dispositionelle Fähigkeiten.

[26] BGHSt 14, 30, 32; 23, 176, 190.

[27] BGH HRRS 2014 Nr. 136 Rn. 6; siehe aus der aktuellen Rechtsprechung noch BGH HRRS 2012 Nr. 431 Rn. 5; BGH NStZ-RR 2013, 239 = HRRS 2013 Nr. 512 Rn. 5; BGH HRRS 2014 Nr. 1096 Rn. 7; vgl. Haddenbrock MschrKrim 1994, 44 ff.; Spilgies ZIS 2007, 155, 157 jeweils m.w.N.

[28] Für ein abweichendes Verständnis der Schuldfähigkeit auf der Grundlage einer an der vorpositiven Bedeutung der Zurechnungsfähigkeit orientierten Auslegung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in bewusster Parallele zu den nicht-strafrechtlichen Willensbildungsfähigkeiten, also gerade auch zur Geschäftsfähigkeit, aber Frister (Fn.  24 ), S. 118 ff., 199 ff., 203 ff.; ders., in: Festschrift für Frisch (2013), S. 546 ff., 551 f., sowie auf der Grundlage einer deter­mi­nis­tischen Charakterschuldlehre neuerdings Herzberg, Willensunfreiheit und Schuldvorwurf (2010); ders. ZStW 124 (2012), 12, 23 ff. Beide Vorschläge müssen sich jedoch der straftheoretischen Konsequenz stellen, dass die Annahme einer wie auch immer definierten Schuld(fä­hig­keit) nur sinnvoll ist und nicht ins Leere läuft, wenn sie zugleich auch eine exklusive Schuldstrafe begründet. Zu beklagen ist freilich, dass diese Konsequenz schon jetzt ignoriert wird. Denn seit sich das Strafrecht vom reinen Vergeltungsgedanken verabschiedet hat, ergibt sich, "dass der Zweck von Strafe und Maßregel sich im Wesentlichen nicht unterscheidet" (Roxin[Fn.  23 ], § 3 Rn. 65), und dennoch ist die starre Herrschaft der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit nicht gefallen, wie Franz von Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 2 (1905), S. 229, einst prophezeite. In einem deterministischen Strafrecht bedurfte aber selbst die Legitimation einer Vergeltungsstrafe nicht notwendig der Annahme einer Schuld(fähigkeit), wie Frister, Festschrift, S. 553 f., und Herzberg, Willensunfreiheit, S. 71 ff.; ders., in: Festschrift für Achenbach (2011), S. 161, meinen, stattdessen bildeten die Vergeltungsbedürfnisse der Bevölkerung eine hinreichende Legitimation (vgl. Walter ZIS 2011, 636 ff. ). Das räumt auch Herzberg, Festschrift, S. 161, sich damit selbst widersprechend ein und auch Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts (1988), S. 21 f., hielt früher mit Rekurs auf die Vergeltungsvorstellungen eine positiv-generalpräventive Vergeltungsstrafe (zumindest insoweit) nicht an die Voraussetzung der Schuld gebunden.

[29] Siehe die Nachw. in Fn.  1 .

[30] Vgl. z.B. Bieri, Handwerk (Fn.  20 ), S. 165 ff.; R. Merkel (Fn.  11 ), S. 36 ff; Honderich, Wie frei sind wir? (1995).

[31] Siehe aber Kane, The significance of free will (1998); Keil, Willensfreiheit (2007); Nida-Rümelin, Über menschliche Freiheit (2005).

[32] Grundlegend K. Schneider, Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit (1953), S. 23; vgl. Streng, in: MüKo-StGB, 2. Aufl. (2011), § 20 Rn. 53 m.w.N.

[33] Zu Recht irritiert hierüber zeigt sich Frister, Festschrift (Fn.  28 ), S. 534, der der Rechtspraxis vorhält, das Gesetz nicht als Entscheidungsregel, sondern als "bloße Begründungskonvention" zu handhaben: "Nicht die Subsumtion unter den Begriff der Steuerungsfähigkeit entscheidet darüber, ob der Betroffene als schuldfähig angesehen wird. Vielmehr bestimmt die anhand eines intuitiven Vorverständnisses getroffene Entscheidung über die Schuldfähigkeit, ob der Betroffene als steuerungsfähig definiert wird" (Frister JuS 2013, 1057, 1062); zustimmend R. Merkel, in: Festschrift für Roxin (2011), S. 759 f.

[34] RGBl. I, S. 998.

[35] In den Motiven zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (1870), S. 56 , gründet der Gesetzgeber zwar das "Recht des Staates, gegen den Verbrecher nicht blos Sicherheitsmaßregeln zu ergreifen, sondern ihn zu strafen", darauf, "daß der gereifte und geistig gesunde Mensch ausreichende Willenskraft habe, um die Antriebe zu strafbaren Handlungen niederzuhalten und dem allgemeinen Rechtsbewußtsein gemäß zu handeln", d.h., der Gesetzgeber hält Strafen in rechtsphilosophischer Sicht nur bei Annahme von Willensfreiheit des Täters für legitim. Bezüglich der Verwendung des Begriffs der "freien Willensbestimmung" in der Vorschrift über die Zurechnungsfähigkeit weist er dann jedoch die Befürchtung zurück, "daß dadurch die verschiedenen metaphysischen Auffassungen über die Freiheit des Willens im philosophischen Sinne in die Kriminalverhandlungen gezogen werden, denn es ist damit klar ausgesprochen, daß im einzelnen Falle nur untersucht werden soll, ob derjenige normale Zustand geistiger Gesundheit vorhanden sei, dem die Rechtsanschauung des Volkes die strafrechtliche Verantwortlichkeit thatsächlich zuschreibt[…]"

[36] RGSt 63, 46, 48 f. (Hervorhebung im Original).

[37] RGBl. I, S. 135.

[38] Siehe RGSt 64, 349, 353 f.

[39] RGSt 64, 349, 354.

[40] Siehe RGSt 67, 149.

[41] Siehe RGSt 67, 149, 150.

[42] RGSt 67, 149, 150.

[43] Siehe z.B. Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder (Fn.  23 ), § 20 Rn. 29; Schöch, in: Kröber/Döl­­ling/Ley­­graf/Saß (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Bd. 1 (2007), S. 133; Frister (Fn.  24 ), S. 104 Fn. 18; ders., Festschrift (Fn.  28 ), S. 536 Fn. 9.

[44] Siehe Schiemann, Unbestimmte Schuldfähigkeitsfeststellungen (2012), S. 121 f.; dies. ZJS 2012, 774 f.

[45] Vgl. Schild, in: NK-StGB, 1. Aufl. (2001), § 20 Rn. 10; E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. (1965), § 329.

[46] Siehe Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung. Veröff. auf Anordnung des Reichsjustizministeriums (1925), Begründung zu § 17, S. 17.

[47] So plädierte denn auch nur ein Jahr nach der Neufassung des § 51 RStGB Herzbruch, Die Zumutbarkeit der Verbotsbefolgung als Bedingung der Strafbarkeit (1934), S. 20 f., für eine solche deterministische Auslegung und auch in der Folgezeit wurde die Schuldfähigkeitsregelung immer mal wieder deterministisch gedeutet (siehe Sarstedt Die Justiz 1962, 110, 115; Tiemeyer ZStW 100[1988], 527, 543 ff., 553 ff.; Eser/Burkhardt, Strafrecht I. Schwerpunkt Allgemeine Verbrechenslehre, 4. Aufl.[1992], Nr. 14, A 22, 26 ; Geisler, Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip[1998], S. 95 ff., 101 f.) bevor Herzberg (siehe die Nachw. in Fn.  28 ) diese deterministische Auslegung der Schuldfähigkeitsregelung in der Gegenwart wiederbelebte (zustimmend auch Schiemann ZJS 2012, 774, 776 ; Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf [2013], S. 72).

[48] RGBl. I, S. 639.

[49] Zutreffende Kritik auch von Frister, Festschrift (Fn.  28 ), S. 539.

[50] Siehe BGH NJW 1953, 1342; a.A.: OLG Köln NJW 1960, 1389.

[51] Siehe BGH NJW 2000, 289, 290; BayObLG NJW 1992, 2100, 2101.

[52] Siehe BGHSt 14, 114, 116; BGH NStZ 1998, 106; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder (Fn. 23 ), § 20 Rn. 31; Roxin (Fn.  23 ), § 20 Rn. 31.

[53] Dazu, dass die Frage jedoch nicht sinnvoll gestellt werden kann, siehe bereits oben im Text unter III 2 c, Fn.  33 .

[54] Den Wandel in dieser Hinsicht markiert wiederum RGSt 64, 349, 353; vgl. auch RGSt 67, 251, 252.

[55] RGSt 5, 338, 339 f. (Hervorhebung im Original).

[56] Motive II, S. 732.

[57] Siehe BGH NJW 1970, 1038 f.; BGH NJW 1984, 1958; BGHZ 161, 181, 187 = NJW 2005, 354; Oechsler, in: Staudinger-BGB, Neubearb. (2014), § 828 Rn. 24; Wagner, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. (2013), § 828 Rn. 10; Fuchs/Pauker, Delikts- und Schadensersatzrecht (2012), S. 86.

[58] BGH NJW 1970, 1038, 1039.

[59] BGH NJW 1984, 1958.

[60] Siehe für die Fälle der Schizophrenie und der Debilität m.w.N. Meyer-Mews HRRS 2014, 487, 488 .

[61] Siehe Meyer-Mews HRRS 2014, 487, 489 .

[62] Siehe Meyer-Mews HRRS 2014, 487, 492 .

[63] Vgl. für das Deliktsrecht Fuchs/Pauker (Fn.  57 ), S. 1 f.; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht. Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld, 5. Aufl. (2009), Rn. 6. Im Strafrecht firmiert dieser Widerstreit unter "Prävention" versus "Schuldprinzip", d.h. der Frage, ob und inwieweit spezial- und generalpräventive Strafbedürfnisse die Ausgestaltung und Auslegung der Schuldvoraussetzungen beeinflussen, vgl. dazu schon Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips (1977), S. 12 ff. In äußerster Konsequenz beantwortet hat diese Frage Jakobs, Schuld und Prävention (1976), S. 9: "Schuld wird durch Generalprävention[…]begründet und nach dieser Prävention bemessen."

[64] Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts. Bd. 1. Allgemeiner Teil, 14. Aufl. (1987), S. 276 (Hervorhebung im Original).

[65] Larenz (Fn.  64 ), S. 286.

[66] Larenz (Fn.  64 ), S. 295 mit Verweis auf BGH VersR 1964, 1023; BGH VersR 1967, 158; gegen diese Rechtsprechung aber z.B.: Wagner, in: MüKo-BGB (Fn.  57 ), § 828 Rn. 13.

[67] Die Exkulpationsrate liegt regelmäßig unter 0,1 % pro Jahr, vgl. Schöch (Fn.  43 ), S. 103 ff.

[68] Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2011), § 10 Rn. 38 (Hervorhebung im Original); vgl. auch Streng, in: MüKo-StGB (Fn.  32 ), § 20 Rn. 66.

[69] Ellscheid/Hassemer, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten II. Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität. Bd. 1. Strafgesetzgebung und Strafrechtsdogmatik (1975), S. 275.

[70] Näher dazu Spilgies, Die Bedeutung des Determinismus-In­de­ter­minismus-Streits für das Strafrecht (2004); ders. HRRS 2005, 43 ff. ; ders. ZIS 2010, 490 ff.