HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2014
15. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

473. BGH 1 StR 612/13 - Beschluss vom 9. April 2014 (LG München I)

Mitteilungspflichten über Erörterungsgespräche zur Möglichkeit einer Verständigung (Umfang; Beruhen des Urteils auf fehlender Mitteilung).

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Das Gesetz will durch die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 2 erreichen, dass Erörterungen über die Möglichkeit einer Verständigung stets in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13 mwN). Die Bestimmung des § 243 Abs. 4 StPO verlangt deshalb, dass in der Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt erfolgter Erörterungen zu informieren ist. Hierzu gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist, jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten Die Mitteilungspflicht erstreckt sich auch darauf, welcher Verfahrensbeteiligte jeweils welchen Verständigungsvorschlag gemacht hat.

2. Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht; lediglich in Ausnahmefällen ist Abweichendes vertretbar. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. März 2013 im Einzelnen dargelegt hat, hält der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der umfassenden Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig, weshalb das gesetzliche Regelungskonzept eine untrennbare Einheit aus Zulassung und Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten darstellt (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1066). Die Mitteilung des Inhalts sämtlicher auf eine Verständigung abzielender Gespräche dient dabei nicht nur der notwendigen Information der Öffentlichkeit, sondern auch der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung in der Regel nicht anwesend ist. Für die Willensbildung im Rahmen einer Verständigung ist für den Angeklagten auch von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor und außerhalb der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten Verständigungsgespräche informiert wird.


Entscheidung

506. BGH 3 StR 353/13 - Beschluss vom 20. März 2014 (LG Stralsund)

Rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung (unzulässige nachteilige Schlüssen aus der anfänglichen Zeugnisverweigerung der Eltern des Angeklagten); Tatobjekt der Brandstiftung (Begriff des „Wasserfahrzeugs“; Verlust der Eigenschaft als Betriebsstätte); Abgrenzung der beiden Tatvarianten bei der Sachbeschädigung; Mittäterschaft bei paralleler Verwirklichung gleichartiger Taten; Revisionsentscheidung bei fehlendem Strafantrag; Friedensstörung durch Androhung von Straftaten.

§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 261 StPO; § 306 StGB; § 303 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 354 StPO; § 206a Abs. 1 StPO; § 126 StGB

1. Die Eltern eines Angeklagten sind zur Aussage nicht verpflichtet, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der verweigerungsberechtigte Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur anfänglichen Zeugnisverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden. Einer Würdigung zugänglich ist allein das nur teilweise Schweigen des Zeugen zur Sache.

2. Bei einem Fischkutter, der ausschließlich als ortsfester Verkaufsstand dient, handelt es sich nicht um ein Wasserfahrzeug im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dieses Tatbestandsmerkmal ist zwar gesetzlich nicht definiert. Jedoch erschließt sich aus der Regelung des § 1 Abs. 2 StVG zum Kraftfahrzeug, dass das Wesen eines (jeden) Fahrzeugs in seiner generellen Bestimmung und Eignung zur Fortbewegung liegt.

3. Der Begriff der Betriebsstätte im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordert nicht, dass es sich um einen technischen Betrieb handelt. Eine entsprechende Differenzierung ist weder vom Wortlaut noch der Systematik her zwingend und erwiese sich nach Sinn und Zweck der Vorschrift als willkürlich. Allerdings verliert ein Objekt die Eigenschaft als Betriebsstätte in diesem Sinne, wenn es für einen erheblichen Zeitraum seiner eigentlichen Verwendung entzogen (hier: über zwei Jahre aufgrund von Reparaturarbeiten).

4. Die Täuschung über das Bevorstehen einer Katalogtat i.S.d. § 126 Abs. 2 StGB kann sich auf eine eigene Tat desjenigen beziehen, der über das Bevorstehen täuscht. Voraussetzung ist in diesem Fall lediglich, dass der Täter zugleich vorspiegelt, dass die Tatvollendung nicht mehr von ihm beeinflussbar sei.


Entscheidung

489. BGH 1 StR 82/14 - Beschluss vom 5. Mai 2014 (LG Nürnberg-Fürth)

Unbegründete Anhörungsrüge; Begründungspflicht für letztinstanzliche Entscheidungen.

Art. 6 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG; § 356a StPO

Eine weitere Begründungspflicht für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen besteht nicht. Das gilt auch dann, wenn in der Gegenerklärung die Sachrüge weiter ausgeführt worden ist (BGH NStZ-RR 05, 14; BGH NStZ 03, 103). Auch eine Mitteilung des Gerichts, warum es die nachgeschobene Beanstandung für unbegründet erachtet, ist nicht erforderlich (BGH NStZ 09, 52; NStZ-RR 08, 385; 09, 119).


Entscheidung

481. BGH 4 StR 23/14 - Beschluss vom 29. April 2014 (LG Verden)

Absehen des Revisionsgerichts von der Aufhebung des Urteils wegen Rechtsfehlern bei der Strafzumessung (Angemessenheit der verhängten Strafe).

§ 354 Abs. 1a StPO

Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen.