HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2013
14. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

463. BGH 5 StR 597/12, Urteil vom 6. März 2013 (LG Göttingen)

BGHSt; Anforderungen an die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Spielsucht.

§ 63 StGB

1. Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei „Spielsucht“. (BGHSt)

2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt bei Spielsucht i.d.R. nur in Betracht, wenn sich die Abhängigkeit bereits in schwersten Persönlichkeitsveränderungen manifestiert hat. (Bearbeiter)

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt Spielsucht zwar für sich genommen keine krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar, welche die Schuldfähigkeit erheblich einschränken oder ausschließen kann Indes können in schweren Fällen psychische Defekte und Persönlichkeitsveränderungen auftreten, die eine ähnliche Struktur und Schwere wie bei den stoffgebundenen Suchterkrankungen aufweisen, und es kann zu schweren Entzugserscheinungen kommen. Wie bei der Substanzabhängigkeit kann deshalb auch bei Spielsucht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen werden, wenn diese zu schwersten Persönlichkeitsverän-

derungen geführt oder der Täter bei den Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat. (Bearbeiter)

4. Eine Neigung zum Alkoholmissbrauch, eine Alkoholabhängigkeit und selbst chronischer Alkoholismus als Folge jahrelangen Alkoholmissbrauchs sind für sich allein nicht als hinreichende Gründe für eine Unterbringung nach § 63 StGB anerkannt worden. Die Voraussetzungen können auch aus Gründen der verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeit bei Spielsucht nicht weniger streng sein als bei stoffgebundenen Süchten. Die unbefristete Unterbringung gemäß § 63 StGB stellt einen überaus gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Das gilt hier umso mehr, als der Maßregelvollzug nach § 63 StGB auf die Behandlung Spielsüchtiger ersichtlich nicht ausgerichtet ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

484. BGH 4 StR 467/12 – Urteil vom 28. März 2013 (LG Berlin)

Strafzumessung (Überprüfung durch das Revisionsgericht; Bildung einer Gesamtstrafe: enger zeitlicher, sachlicher oder situativer Zusammenhang zwischen den Taten; Berücksichtigung von Untersuchungshaft als Strafmilderungsgrund).

§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 337 Abs. 1 StPO; § 54 StGB

1. Die für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Gesamteindruck gegeneinander abzuwägen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. In dessen Strafzumessung kann das Revisionsgericht daher nur dann eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil sie einseitig, widersprüchlich oder unvollständig ist, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder – unter Berücksichtigung des weiten tatrichterlichen Ermessens – nicht mehr als gerechter Schuldausgleich angesehen werden kann. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.).

2. Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die Strafzumessung des Tatrichters regelmäßig hinzunehmen (vgl. BGHSt 29, 319, 320). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle der tatrichterlichen Strafzumessung im Revisionsverfahren ist danach ausgeschlossen. Das Revisionsgericht kann insbesondere nicht mit der Erwägung, ein strafzumessungserheblicher Umstand sei nicht genügend berücksichtigt worden, seine Bewertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen.

3. Da die Schuld des Täters in Bezug auf die Einzeltaten durch eine Mehrheit von Taten erhöht werden kann, ist dieser Umstand vielmehr auch bei der Bemessung der Einzelstrafe und schon bei der Erwägung mit in Betracht zu ziehen, ob jeweils ein minder schwerer Fall bejaht werden kann (vgl. BGHSt 24, 268, 271).

4. Bei der Bildung einer Gesamtstrafe kann strafmildernd ins Gewicht fallen, dass zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht. Es richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, ob der genannte enge Zusammenhang bei der Gesamtstrafenbildung als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO maßgeblich zu Gunsten des Täters zu werten und daher ausdrücklich zu erwägen ist oder nicht.

5. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund, es sei denn, mit ihrem Vollzug wären ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden (vgl. BGH NStZ 2012, 147). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. BGH NJW 2006, 2645).


Entscheidung

474. BGH 2 StR 392/12 – Urteil vom 13. März 2013 (LG Darmstadt)

Anordnung der Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung (einzelfallabhängige Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte).

§ 66 StGB

1. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel.

2. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 141). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen.