HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2013
14. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

393. BGH 1 StR 647/12 – Urteil vom 19. März 2013 (LG Kempten)

Bedarf zur Feststellung des Rücktrittshorizonts zur Prüfung des fehlgeschlagenen Versuchs und der Beendigung des Versuchs (Maßstäbe; natürliche Handlungseinheit; Freiwilligkeit; außertatbestandliches Handlungsziel: Vortäuschung eines Versicherungsfalles); Verklammerungswirkung bei Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung; Betrug.

§ 22 StGB; § 23 StGB; § 24 StGB; § 52 StGB; § 239 StGB; § 224 StGB; § 263 StGB

1. In einer Konstellation, in der ein Rücktritt angenommen wird oder zu erörtern ist, sind Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, der sogenannte Rücktrittshorizont, erforderlich. Bei Vorliegen einer Zäsur müssen zudem die Vorstellungen des Angeklagten jeweils nach der (vorläufig) letzten Ausführungshandlung dargetan werden.

2. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

3. Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser ändert (st. Rspr.).

4. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.). Für die Beurteilung einzelner Versuchshandlungen ist eine Gesamtbetrachtung nach Maßgabe der natürlichen Handlungseinheit vorzunehmen. Dabei begründet der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne Weiteres eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur.

5. Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des § 24 Abs. 1 StGB stets, in solchen des § 24 Abs. 2 StGB mittelbar dann von Bedeutung ist, wenn sich die (gemeinsame) Verhinderungsleistung von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann.

6. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um ein mehrstündiges und mehraktiges Tatgeschehen handelt und auch die Prüfung der Annahme nur einer Tat im Rechtssinne vorzunehmen ist.

7. Eine einfache Freiheitsberaubung verklammert nicht ohne weiteres eine während ihrer Verwirklichung begangene gefährliche Körperverletzung.


Entscheidung

445. BGH 3 StR 521/12 – Urteil vom 4. April 2013 (LG Berlin)

Anforderungen an das Vertrauen auf die Richtigkeit eines anwaltlichen Gutachtens als Grundlage eines un-

vermeidbaren Verbotsirrtums; Verbreitung von Propagandamitteln einer verfassungswidrigen Organisation; Beweiswürdigung.

§ 17 StGB; § 86 StGB; § 261 StPO

1. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

2. Hat sich der Angeklagte in der Vergangenheit bereits mehrfach an eine anwaltliche Auskunftsperson gewandt, die auf dem entsprechenden Gebiet (hier: Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz von rechtsextremen Liedtexten) häufig tätig ist, darf er auf einen entsprechenden Rat regelmäßig vertrauen. Das gilt vor allem dann, wenn die Auskunftsperson bereits Ansinnen des Angeklagten abgelehnt hat, gegen die eigene Überzeugung für den Auftraggeber günstige Rechtsmeinungen zu äußern und wenn sie häufig Änderungen an den ihr zur Prüfung unterbreiteten Liedtexten empfiehlt.


Entscheidung

460. BGH 5 StR 575/12 – Urteil vom 19. März 2013 (LG Kiel)

Vorsatz bei mittäterschaftlich begangenem besonders schweren Raub (Exzess; Vorsatzerweiterung; Prinzip der sukzessiven Mittäterschaft).

§ 250 Abs. 2 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 15 StGB

1. Jeder Täter haftet für das Handeln eines Mittäters nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes, ist also für den tatbestandlichen Erfolg nur so weit verantwortlich, wie sein Wille reicht; ein Exzess des anderen fällt ihm nicht zur Last. Allerdings werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war.

2. Zeigt sich während der Tatausführung, dass ein ursprünglicher gemeinsamer Tatplan nicht aufgeht – hier: Raubtat mit nur geringer Gewaltanwendung –, so kommt eine Vorsatzerweiterung nach dem Prinzip der sukzessiven Mittäterschaft in Betracht, wenn die Beteiligten die Tatausführung an die zuvor nicht vorhergesehenen Umstände anpassen.


Entscheidung

471. BGH 1 StR 613/12 – Beschluss vom 5. März 2013 (LG München I)

Wahlfeststellung (Umfang der angeklagten Tat; Zulässigkeit der Wahlfeststellung zwischen Betrug und Computerbetrug).

§ 1 StGB; § 155 StPO; § 264 StPO; § 263 Abs. 1 StGB; § 263a Abs. 1 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage prozessual zulässig, wenn beide in Frage kommenden Tatalternativen von dem durch Anklage und Eröffnungsbeschluss umgrenzten Verfahrensgegenstand erfasst sind (vgl. BGH NStZ 1999, 363, 364). Soweit die Anklage nicht ohnehin bereits beide Tatvarianten aufführt, ist dafür maßgeblich, ob die alternierenden Handlungsvorgänge nach den allgemeinen, für die Beurteilung der prozessualen Tatidentität maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten wie insbesondere das Tatobjekt, den Tatort und die Tatzeit als von einem einheitlichen Lebensvorgang erfasst bewertet werden können.

2. Eine Wahlfeststellung zwischen § 263 StGB und § 263a StGB ist grundsätzlich zulässig (vgl. BGH NStZ 2008, 281, 282 Rn. 4).


Entscheidung

428. BGH 3 StR 37/13 – Urteil vom 4. April 2013 (LG Oldenburg)

Anforderungen an die Beweiswürdigung (Abgrenzung von Körperverletzungs- und Tötungseventualvorsatz; erforderliche Gesamtwürdigung; Bedeutung der objektiven Gefährlichkeit).

§ 15 StGB; § 16 StGB; § 212 StGB; § 223 StGB; § 261 StPO

1. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist zwar ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.

2. Bei ambivalenten Beweisanzeichen, also solchen, die dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen (z. B. der Alkoholeinfluss bei der Tatbegehung), ist eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen.


Entscheidung

489. BGH 4 StR 557/12 – Beschluss vom 13. Februar 2013 (LG Dessau-Roßlau)

Schuldunfähigkeit (Indizwirkung der Blutalkoholkonzentration).

§ 20 StGB

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es zwar keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist; Entsprechendes gilt für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (vgl. BGHSt 43, 66, 72 ff.). So ist es dem Tatrichter auch nicht verwehrt, die Alkoholgewöhnung des Täters bei der Bewertung der festgestellten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2000, 136). Gleichwohl hat diese insofern Bedeutung, als sie – unter Beachtung des Zweifelssatzes – Aufschluss über die Stärke der alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist.

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

458. BGH 5 StR 344/12 – Urteil vom 20. März 2013 (LG Berlin)

BGHSt: Betrug (Schadensermittlung beim Eingehungsbetrug; Gesamtsaldierung; konkrete Schadensberechnung; Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens; Maßgeblichkeit des von den Vertragsparteien festgesetzten Wertes; Unterschiede bei der Schadensbestimmung zwischen Betrug und Untreue).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Täuscht der Empfänger einer Sachleistung bei einem Eingehungsbetrug über seine Zahlungsbereitschaft, bedarf es für die Bemessung des Schadens regelmäßig keiner von dem ohne Wissens- und Willensmängel vereinbarten Preis abweichenden Bestimmung des Werts der Gegenleistung. (BGHSt)

2. Besteht ein Bestandteil des Kaufpreises für ein Grundstück darin, dass der Käufer bereits ab einem vertraglich festgesetzten Zeitpunkt vor dem eigentlichen Gefahr- und Lastenübergang die Lasten des Grundstücks tragen soll, und täuscht der Käufer von Anfang an über seine Bereitschaft zur Erfüllung dieser Pflicht, ist der objektive Verkehrswert des Grundstücks für die Schadensermittlung nicht von Bedeutung. In einem solchen Fall stellt der Betrag den Schaden dar, der an Betriebskosten und Lasten bei gewöhnlichem Verlauf bis zum Zeitpunkt des Übergangs von Nutzungen und Lasten angefallen wäre. (Bearbeiter)

3. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass es grundsätzlich bei betrügerischen Handlungen im Zusammenhang mit dem Abschluss von Austauschverträgen der Bestimmung des „objektiven Werts“ des Vertragsgegenstands bedürfe. Abgesehen davon, dass dies mit einem nicht hinzunehmenden Aufwand verbunden und für Fälle der gängigen Betrugskriminalität auch kriminalpolitisch fragwürdig wäre, ist eine solche verobjektivierte Feststellung auch im Regelfall nicht veranlasst, zumal solche Wertbestimmungen häufig nur scheingenau sind, weil sie ihrerseits auf Rückschlüssen aus den Marktgegebenheiten beruhen. Grundsätzlich legen in einem von Angebot und Nachfrage bestimmten marktwirtschaftlichen System die Vertragsparteien den Wert des Gegenstandes fest (intersubjektive Wertfestsetzung). (Bearbeiter)

4. Nicht beim Schadensbegriff, wohl aber bei der Schadensbestimmung liegt ein Unterschied zwischen den Straftatbeständen des Betruges (§ 263 StGB) und der Untreue (§ 266 StGB) vor. Bei der Untreue muss bewertet werden, ob und inwieweit die pflichtwidrige Einzelhandlung zu einem Nachteil für das betreute Vermögen geführt hat. Dies kann nur in der Form eines auf objektiven Kriterien beruhenden Gesamtvermögensvergleichs erfolgen. Dagegen liegt beim Eingehungsbetrug regelmäßig eine Bewertung des Vertragsgegenstandes durch die Vertragsparteien vor. Hieran kann die Schadensbestimmung grundsätzlich anknüpfen, indem nur noch bewertet wird, inwieweit infolge der Täuschung das vertragliche Synallagma verschoben worden ist. Die Feststellung eines vom vereinbarten Preis abweichenden „objektiven Werts“ des Vertragsgegenstands ist hiermit nicht verbunden. (Bearbeiter)

5. In Fällen des Eingehungsbetruges wird sich die bereits im Vertragsschluss angelegte Schädigung regelmäßig in der weiteren Entwicklung tatsächlich konkretisieren. Deshalb begegnet es auch keinen Bedenken, wenn der Tatrichter – soweit keine Besonderheiten in der Schadensentwicklung bestehen – auf den konkret eingetretenen Schaden abstellt. (Bearbeiter)


Entscheidung

470. BGH 1 StR 578/12 – Beschluss vom 6. März 2013 (LG München I)

Brandstiftung (Vorsatz; Versuch: unmittelbares Ansetzen); schwere Brandstiftung (Begriff der Zerstörung; zur Wohnung von Menschen dienendes Gebäude: gemischt genutzte Gebäude, Kellerräume; Gefahr der Gesundheitsschädigung); besonders schwere Brandstiftung (Erschweren des Löschens).

§ 306 Abs.1 Nr. 1 StGB; § 306a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB; § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB

1. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt bei einem gemischt, d.h. teils wohnlich, teils gewerblich genutzten Gebäude eine vollendete

Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Taterfolgsvariante der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung lediglich dann vor, wenn ein zum selbstständigen Gebrauch bestimmter, dem Wohnen dienender Teil eines einheitlichen Gebäudes durch die Brandlegung zum Wohnen nach den allgemeinen an die teilweise Zerstörung zu stellenden Anforderungen unbrauchbar geworden ist (vgl. BGH NJW 2011, 2148, 2149).

2. Nach Maßgabe der vorgenannten Kriterien liegt bei einer Brandlegung in einem sowohl Wohnzwecken als auch gewerblichen Zwecken dienenden Gebäude eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht vor, wenn die brandbedingte zeitweilige Unbenutzbarkeit lediglich solche Teile des Tatobjekts betrifft, die nicht selbst dem Wohnen dienen, sondern lediglich funktional auf die Wohnnutzung bezogen sind, wie dies bei Kellerräumen typischerweise der Fall ist (vgl. BGH NStZ 2007, 270).

3. Eine teilweise Zerstörung, bei der es sich um eine solche von Gewicht handeln muss, ist gegeben, wenn einzelne wesentliche Teile eines Objekts, die seiner tatbestandlich geschützten Zweckbestimmung entsprechen, unbrauchbar geworden sind oder eine von mehreren tatbestandlich geschützten Zweckbestimmungen brandbedingt aufgehoben ist (vgl. BGHSt 48, 14, 20). Für die Unbrauchbarkeit genügt grundsätzlich die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit für eine „nicht nur unerhebliche Zeit“ (vgl. BGH aaO.). Ob ein Zerstörungserfolg vorliegt, muss der Tatrichter nach den Umständen des einzelnen Falles unter Berücksichtigung der konkreten Nutzungszwecke bei wertender Betrachtung beurteilen (vgl. BGHSt 57, 50, 52 Rn. 8).

4. Zwar können erhebliche Verrußungen in einem Tatobjekt grundsätzlich genügen, um einen Taterfolg in Gestalt der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung anzunehmen (vgl. BGH StV 2002, 145). Dazu bedarf es aber bei gemischt genutzten Tatobjekten, die als eines nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB gewertet werden, nach der neueren Rechtsprechung eines auf (wenigstens) eine Wohneinheit selbst bezogenen Zerstörungserfolges.

5. Ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht, ist objektiv anhand des Maßstabs eines „verständigen Wohnungsinhabers“ zu beurteilen (vgl. BGHSt 48, 14, 20 f.). Die erhebliche Einschränkung oder Aufhebung der Nutzbarkeit für nur für wenige Stunden oder einen Tag genügt hierfür regelmäßig nicht (vgl. BGH NStZ 2008, 519).

6. Für die Tat gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Variante des teilweise Zerstörens an einem Gebäude genügen brandbedingte Schäden in Kellerräumen, wenn diese wegen der Beeinträchtigungen für einen gewissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können (vgl. BGHSt 56, 94, 97 Rn. 10 und 11).

7. Es ist zulässig, von der Höhe der Wahrscheinlichkeit des Inbrandsetzens des Tatobjekts aufgrund der relevanten objektiven Umstände der Tatbegehung auf das Vorliegen von Brandstiftungsvorsatz zu schließen (vgl. BGH NStZ 1995, 86).

8. Versuchsbeginn liegt bei einer Brandstiftung vor, wenn der Täter alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan hat, um den Brand – auch durch bloßes Hinzutreten eines als sicher vorausgesehenen weiteren Umstands, wie eines Kurzschlusses oder der sicheren Mitwirkung des Tatopfers zu bewirken (vgl. BGHSt 36, 221, 222). Vorbehaltlich der Maßgeblichkeit der jeweiligen konkreten Verhältnisse des Einzelfalls liegt bei der Verwendung von – vom Täter als taugliche bewerteten – Zeitzündern zur Auslösung eines Brandes der Versuch einer Brandstiftung regelmäßig dann vor, wenn der Täter nach dem Ingangsetzen der Zeitzündevorrichtung den Installationsort verlässt und damit dem weiteren Geschehensablauf seinen Lauf lässt.


Entscheidung

385. BGH 1 StR 108/13 – Beschluss vom 21. März 2013 (LG Amberg)

Schlaf als tiefgreifende Bewusstseinsstörung (sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen; Einordnung des Halbschlafs).

§ 179 StGB; § 20 StGB

1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass es sich bei dem Schlaf um eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne des § 179 StGB handelt (BGHSt 38, 68, 71). Daran hält der Senat fest. Dieser Rechtsprechung steht das Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2004 (2 StR 351/03, NStZ 2004, 440, 441) nicht entgegen.

2. Ob ein „Halbschlaf“ eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung darstellt, kann offen bleiben.


Entscheidung

436. BGH 3 StR 486/12 – Urteil vom 7. Februar 2013 (LG Neubrandenburg)

Verstoß gegen eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht; verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit der Weisung.

§ 145a Satz 1 StGB; § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB

Im Rahmen des § 145a Satz 1 StGB wird das strafbare Verhalten wesentlich durch den Inhalt der Weisung festgelegt. Dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb nur dann Genüge getan, wenn die betreffende Weisung eindeutig und so fest umrissen ist, wie dies von dem Tatbestand einer Strafnorm zu verlangen ist. Dem Betroffenen muss mit der Weisung unmittelbar verdeutlicht werden, welches Tun oder Unterlassen von ihm erwartet wird, so dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Eine Weisung „keinerlei Kontakt zu Kindern … aufzunehmen“ und „sich nicht an Orten, wo sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren befinden – Kinderspielplätze, Kindergärten, Schulen u.a. – aufzuhalten“ (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) genügt diesen Anforderungen.


Entscheidung

432. BGH 3 StR 372/12 – Beschluss vom 14. November 2012 (LG Hildesheim)

Beharrliche Zuwiderhandlung gegen eine Gewerbeuntersagung (Abgrenzung der Fortführung des untersagten Gewerbes von der Gründung eines neuen Ge-

werbes); Unterschlagung (keine Manifestation der Zueignung durch bloße Verweigerung der Rückgabe einer fremden Sache).

§ 148 Nr. 1 GewO; § 146 Abs. 1 Nr. 1a GewO; § 246 StGB

1. Der Straftatbestand des § 148 Nr. 1 GewO ist bei beharrlicher Wiederholung (u.a.) einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1a GewO erfüllt. Bei dieser Vorschrift, die die Zuwiderhandlung gegen eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO ahndet, handelt es sich um eine Dauerordnungswidrigkeit, deren Begehung (erst) mit der Einstellung des verbotenen Gewerbebetriebes endet. Daher liegt eine (realkonkurrierende) neue Dauerordnungswidrigkeit gem. § 146 Abs. 1 Nr. 1a GewO nur vor, wenn das ursprüngliche Gewerbe eingestellt und ein neues eröffnet wird, nicht aber bei einer verdeckten Fortführung des untersagten Gewerbes.

2. Das bloße Unterlassen der geschuldeten Rückgabe kann regelmäßig nicht als Manifestation des Zueignungswillens angesehen werden. Vielmehr bedarf es eines nach außen erkennbaren Verhaltens, das den sicheren Schluss zulässt, dass der Täter die Sache unter Ausschluss des wirklich Berechtigten seinem eigenen Vermögen einverleiben will. Zu der unterlassenen Herausgabe müssen folglich Umstände hinzutreten, die darauf schließen lassen, dass die Nichtherausgabe gerade Ausdruck der Zueignung ist. Derartige Umstände können zum Beispiel darin gesehen werden, dass die Sache durch ihren weiteren Gebrauch erheblich an Wert verliert oder der Gewahrsamsinhaber den Standort der Sache gegenüber dem Eigentümer verheimlicht oder ihren Besitz ableugnet.


Entscheidung

485. BGH 4 StR 544/12 – Beschluss vom 27. Februar 2013 (LG Essen)

Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (Vorsatz bezüglich fehlender Einwilligung des Opfers; Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben).

§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 StGB; § 15 StGB

1. Der subjektive Tatbestand im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus, dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht eingewilligt hat und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (vgl. BGH NStZ 2012, 268).

2. Auch frühere Drohungen können wie frühere Misshandlungen eine in die Tatgegenwart fortwirkende Drohwirkung entfalten, sodass im Einzelfall auch das Ausnutzen eines „Klimas der Gewalt“ ausreichen kann, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem sexuellen Übergriff hergestellt, dies vom Opfer als Drohung empfunden wird und der Täter dies zumindest billigt (vgl. BGH StV 2012, 534, Tz. 14).


Entscheidung

482. BGH 4 StR 6/13 – Beschluss vom 27. Februar 2013 (LG Essen)

Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (Tateinheit; Verhältnis zum Betrug).

§ 152a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB; § 152b Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 263 Abs. 1 StGB

1. Die Beschaffung einer gefälschten Zahlungskarte und deren anschließender Gebrauch bilden eine einzige Tat der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, wenn der Täter sie in der Absicht erwirbt, sie alsbald einzusetzen (vgl. BGH NStZ 2005, 329), und zwar auch bei mehrfacher absichtsgemäßer Verwendung. Ebenso stellt der gleichzeitige Erwerb mehrerer gefälschter Zahlungskarten in Gebrauchsabsicht nur eine einzige Tat im Rechtssinne dar.

2. Zur einheitlichen Tat des Fälschens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion steht der durch den Einsatz der Karte verwirklichte Betrug jeweils in Tateinheit.