HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2012
13. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

967. BGH 5 StR 363/12 - Beschluss vom 12. September 2012 (LG Hamburg)

BGHSt; Vorenthalten von Arbeitsentgelt (Voraussetzungen der Geltung des gesetzlichen Mindestlohnes im Gebäudereinigerhandwerk); Handeln für einen anderen (Anforderungen an die Feststellung einer Beauftragtenstellung).

§ 266a StGB; § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB

1. Zu den Anforderungen an eine ausdrückliche Beauftragung im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB. (BGHSt)

2. Eine Beauftragung i.S.d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 ist zwar formfrei möglich; sie muss jedoch zweifelsfrei erfolgen und ausreichend konkret sein, damit für den Beauftragten das Ausmaß der von ihm zu erfüllenden Pflichten eindeutig erkennbar ist. (Bearbeiter)

3. An das Vorliegen einer Beauftragtenstellung sind strenge Anforderungen zu stellen. Mit der Beauftragung wird eine persönliche Normadressatenstellung des Beauftragten begründet, die ihm (strafbewehrt) die Erfüllung betriebsbezogener Pflichten überbürdet. Die bloße Einräumung von Leitungsbefugnissen reicht hierfür ebenso wenig aus wie die Einbeziehung in eine unternehmerische Mitverantwortung. (Bearbeiter)

4. Entscheidend für die Annahme einer Beauftragtenstellung ist, dass gesetzliche Arbeitgeberpflichten in die eigenverantwortliche Entscheidungsgewalt des Beauftragten übergehen. Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB führt insoweit zu einer jedenfalls partiellen Verlagerung strafbewehrter Pflichten vom primär zuständigen Organ auf nachgeordnete Mitarbeiter. Deshalb darf auch nicht ohne weiteres von der Übertragung von Leitungsbefugnissen auf die Begründung einer Normadressatenstellung geschlossen werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob – wie etwa im Hinblick auf die betriebliche Struktur oder die Vorerfahrungen der handelnden Personen – eine sachliche Notwendigkeit für eine derart weitgehende Aufgabenübertragung bestanden haben könnte. Je weniger eine solche erkennbar ist, umso ferner liegt es, eine Übertragung genuiner Arbeitgeberpflichten anzunehmen. (Bearbeiter)


Entscheidung

982. BGH 1 StR 534/11 - Urteil vom 4. September 2012 (LG München II)

BGHSt; Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung (Herstellen eines neuen Medikamentes; Einordnung als Fertigarzneimittel; Tatmehrheit); Abgabe von Medikamenten ohne Verschreibung (Subsidiarität zu § 96 Nr. 5 AMG); Abrechnungsbetrug (Täuschung über die Erstattungsfähigkeit bzw. Verkehrsfähigkeit eines Medikaments; Schaden bei der Abrechnung von Medikamenten).

§ 96 Nr. 5 AMG; § 96 Nr. 13 AMG;§ 4 AMG; § 21 AMG; § 263 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB

1. Ein in Deutschland nicht zugelassenes Fertigarzneimittel wird durch Hinzugabe von Kochsalzlösung, um eine Injektion vornehmen zu können, nicht zu einem zulassungsfreien Rezepturarzneimittel. (BGHSt)

2. Bei natürlicher Betrachtung stellt sich ein Arzneimittel als das Ergebnis mehrerer aufeinanderfolgender Herstellungstätigkeiten i.S.v. § 4 Abs. 14 AMG dar. Wann - erstmalig oder aus einem bereits bestehenden Arzneimittel ein eigenständiges Arzneimittel entsteht, ist eine Frage des Einzelfalls. Nicht jeder denkbare Herstellungsschritt innerhalb eines mehrstufigen Herstellungsprozesses führt zur Entstehung eines neuen Arzneimittels. (Bearbeiter)

3. Der Begriff des „Herstellens“ in § 4 Abs. 1 AMG ist so auszulegen, dass bei arbeitsteiligen Produktionsprozessen das Arzneimittel dort „hergestellt“ ist, wo der Schwerpunkt der Herstellungstätigkeiten liegt. (Bearbeiter)

4. Wenn die im Einzelfall abgegebenen Arzneimittel aus größeren, im Voraus beschafften Arzneimittelvorräten stammen, die zudem zum Zwecke des Verkaufs vorrätig gehalten wurden, können die einzelnen Abgabehandlungen eine Bewertungseinheit mit der Folge bilden, dass jeweils nur ein einheitlicher Fall des unerlaubten Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung vorliegt (§ 4 Abs. 17 AMG; vgl. BGHSt 54, 243 ff.). (Bearbeiter)

5. Der Tatbestand des § 96 Nr. 5 AMG entfällt nicht dadurch, dass das vom Angeklagten verwendete Medikament mit einem für Deutschland zugelassenen Alternativmedikament inhaltlich identisch ist. (Bearbeiter)

6. Wird vorgespiegelt, ein sozialversicherungsrechtlich erstattungsfähiges Medikament eingesetzt zu haben, kann in der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen ein (Abrechnungs-)Betrug liegen. (Bearbeiter)

7. Bei der betrügerischen Erschleichung nicht erstattungsfähiger Leistungen entfällt der Leistungsanspruch insgesamt; für die Bemessung des Schadens ist auf den gesamten zu Unrecht erlangten Betrag abzustellen. Gleiches gilt hinsichtlich der privat versicherten Patienten: In dem Umfang, in dem die Rechtsordnung einer Leistung die Abrechenbarkeit versagt, weil etwa die für die Abrechenbarkeit vorgesehenen Qualifikations- und Leistungsmerkmale nicht eingehalten sind, kann ihr kein für den tatbestandlichen Schaden i.S.v. § 263 StGB maßgeblicher wirtschaftlicher Wert zugesprochen werden. Führt die erbrachte Leistung mangels Abrechenbarkeit nicht zum Entstehen eines Zahlungsanspruchs, findet eine saldierende Kompensation nicht statt. Zahlt der in Anspruch Genommene irrtumsbedingt ein nicht geschuldetes Honorar, ist er in Höhe des zu Unrecht Gezahlten geschädigt. (Bearbeiter)

8. Eine im Einzelfall festzustellende erhebliche Reduzierung oder gar der Ausschluss einer tatsächlichen Gefährdung der Patienten durch die Verwendung eines nicht zugelassenen Medikaments kann im Bereich der Strafbemessung Berücksichtigung finden. (Bearbeiter)


Entscheidung

1009. BGH 1 StR 140/12 - Beschluss vom 6. September 2012 (LG München II)

BGHSt; Steuerhinterziehung (Zurechnung erworbener Geschäftsanteile bei formunwirksamer Treuhandvereinbarung; wirtschaftliche Betrachtungsweise; verdeckte Gewinnausschüttung durch unterlassene Vermögensmehrung und sonstige Bezüge; Hinterziehungsvorsatz: Steueranspruchstheorie; Tateinheit bei zeitgleicher Abgabe gleichermaßen unrichtiger Steuererklärungen).

§ 370 Abs. 1 AO; § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO; § 41 Abs. 1 Satz 1 AO; § 15 Abs. 4 GmbHG; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; § 15 StGB

1. Zur Zurechnung erworbener Geschäftsanteile bei formunwirksamer Treuhand-vereinbarung. (BGHSt)

2. Ein zivilrechtlich unwirksames Treuhandverhältnis führt nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO grundsätzlich nicht zur Zurechnung zum Treugeber. Darüber hinaus kommt aber eine abweichende Zurechnung von Wirtschaftsgütern auch nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO in Betracht. Diese Norm ist Ausdruck der das Steuerrecht beherrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Sie bringt zum Ausdruck, dass es für Zwecke der Besteuerung soweit und solange auf den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt und nicht auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der zugrunde liegenden Vereinbarung ankommt, wie die Beteiligten aus der anfänglichen oder späteren Unwirksamkeit keine Folgerungen ziehen. Ihre Grundsätze sind auch in gleicher Weise im Fall formunwirksamer Treuhandvereinbarungen anzuwenden. (Bearbeiter)

3. Da es für die Besteuerung nicht auf die äußere Rechtsform, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, sind auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formalrechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend. Der in § 41 Abs. 1 Satz 1 AO angeordneten Maßgeblichkeit des tatsächlichen Vollzugs eines formunwirksamen Vertrags ist auch bei der Konkretisierung des § 39 AO Rechnung zu tragen. (Bearbeiter)

4. Ein (verdecktes) Treuhandverhältnis kann grundsätzlich nur dann zu einer von § 39 Abs. 1 AO abweichenden Zurechnung führen, wenn es eindeutig vereinbart und nachweisbar ist. Zu fordern ist eine konsequente Durchführung der Treuhandabrede. Es muss zweifelsfrei erkennbar sein, dass der Treuhänder in dieser Eigenschaft - und nicht für eigene Rechnung - tätig geworden ist, der Treugeber muss das Treuhandverhältnis beherrschen. Die mit der formellen Eigentümerstellung verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis muss in tatsächlicher Hinsicht so eingeschränkt sein, dass das rechtliche Eigentum eine „leere Hülle“ bleibt. Auf einen auch rechtlich durchsetzbaren Übertragungsanspruch kommt es nicht an. (Bearbeiter)

5. Eine verdeckte Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG kann auch in einer verhinderten Vermögensmehrung liegen. Allerdings dient § 8 Abs. 3 Satz 2 AO nur der Gewinnkorrektur und ist keine Einkünfte-Zurechnungsnorm; sie ist demzufolge keine Rechtsgrundlage, um jedes Tätigwerden des Gesellschafters auf eigene Rechnung im Geschäftsbereich seiner Kapitalgesellschaft dieser zuzurechnen. Es kommt auch nicht maßgeblich auf das Fehlen einer im Vorhinein getroffenen klaren und eindeutigen Aufgabenabgrenzung an oder einer Befreiung von einem (zivilrechtlich zu beurteilenden und hier nicht anzunehmenden) Wettbewerbsverbot. (Bearbeiter)

6. Auch bei Fehlen eines zivilrechtlichen Anspruchs auf Vorteilsherausgabe und/oder Schadensersatz kann eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen sein, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer Geschäftschancen, die der Kapitalgesellschaft zustehen, als Eigengeschäft wahrnimmt oder Kenntnisse der Gesellschaft über geschäftliche Möglichkeiten tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Art an sich zieht und für eigene Rechnung nutzt. Verfügt die Gesellschaft bei Wahrnehmung der Chance durch den Gesellschafter-Geschäftsführer gegen diesen nicht über einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch, kann dennoch eine nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu korrigierende Gewinnverlagerung anzunehmen sein, wenn jedenfalls ein fremder Dritter für die Überlassung der Geschäftschance ein Entgelt gezahlt hätte. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls und obliegt tatrichterlicher Würdigung. (Bearbeiter)

7. Für die Annahme eines Vermögenszuflusses genügt es, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahe stehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht.

Wenn die Zuwendung allein auf dem Näheverhältnis des Empfängers zum Gesellschafter beruht, ist sie so zu behandeln, als hätte der Gesellschafter selbst den Vorteil erhalten und diesen (als steuerlich unbeachtliche Einkommensverwendung) an die nahestehende Person weitergegeben. „Nahe stehend“ sind dabei nicht nur Angehörige i.S.v. § 15 AO; eine Beziehung, die auf die außerbetriebliche Zuwendung schließen lässt, kann auch gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder rein tatsächlicher Art sein. (Bearbeiter)

8. In Fällen verhinderter Vermögensmehrung ist auf den Betrag abzustellen, der nach objektiven Maßstäben dem Wert der entzogenen Gewinnchance entspricht. Waren aber zum Zeitpunkt der Vertragsgestaltung die Gewinnerwartungen bereits konkret gefasst und stand die Gewinnerzielung unmittelbar bevor, begegnet es keinen Bedenken, den gesamten Erlös aus dem dann abgewickelten Geschäft als den Vermögensvorteil anzusehen, den zu erlangen die Kapitalgesellschaft unterlassen hat. (Bearbeiter)


Entscheidung

1027. BGH 2 StR 496/11 - Beschluss vom 17. August 2012 (LG Gießen)

Aufrechterhaltung einer Verurteilung wegen Betruges trotz mangelnder Bezifferung des jeweiligen Gefährdungsschadens (Bestimmtheitsgrundsatz; Strafzumessung).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; § 46 StGB

Eine Verurteilung wegen Betruges kann auch dann aufrechterhalten bleiben, wenn das Tatgericht entgegen der jüngeren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, NJW 2010, 3209 ff.; BVerfGE 126, 70 = NJW 2012, 3209 ff.; NJW 2012, 907 ff.) die Höhe des jeweiligen Gefährdungsschadens im Einzelfall nicht näher beziffert hat, solange das Revisionsgericht ausschließen kann, dass das Tatgericht bei genügender Konkretisierung des jeweiligen Schadens zu milderen Strafen gelangt wäre.


Entscheidung

1011. BGH 1 StR 26/12 – Beschluss vom 21. August 2012 (LG Mannheim)

Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren (wiederholte Steuerhinterziehung; Strafklageverbrauch: Tat im prozessualen Sinne; Nemo tenetur-Grundsatz: Selbstbelastungsfreiheit und Selbstanzeige, Verwendungsverbot).

§ 370 AO; Art. 103 Abs. 3 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK; § 393 AO; § 371 AO; § 218 AO; § 284 AO; § 264 StPO

1. Steuerhinterziehung kann auch im Beitreibungsverfahren begangen werden. Im Beitreibungsverfahren sind dabei steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs. 1 AO auch Umstände, die für die Entscheidung des Finanzamts, ob und welche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden sollen, von Bedeutung sind (BGH wistra 1992, 300, 302).

2. Der Umstand, dass auch das Beitreibungsverfahren (Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren) Teil des Besteuerungsverfahrens ist, führt nicht dazu, dass unrichtige Angaben in verschiedenen Verfahrensabschnitten zu einem einheitlichen Lebensvorgang im Sinne des § 264 StPO gehören würden und deshalb Teile derselben Tat im prozessualen Sinn wären. Nach der Rechtsprechung liegt zwar nur eine Tat im prozessualen Sinn vor, wenn nach Abgabe einer falschen Steuererklärung gegenüber der Veranlagungsstelle des Finanzamts im Festsetzungsverfahren das Ziel der Steuerverkürzung in der Folge im Rechtsmittelverfahren weiter verfolgt wird. Anderes gilt aber dann, wenn der Angeklagte mit unrichtigen Angaben im Vollstreckungsverfahren zu seinen Vermögensverhältnissen das Ziel verfolgt, die Vollstreckung wegen bereits festgestellter Steueransprüche in sein Vermögen zu verhindern. Eine rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren kann in diesem Fall im Hinblick auf eine Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren keinen Strafklageverbrauch auslösen.

3. Die Taten der Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren und im Beitreibungsverfahren stehen selbst dann materiell rechtlich in Tatmehrheit und nicht im Verhältnis der Tateinheit zueinander, wenn der Täter von Anfang an beabsichtigte, auch im Beitreibungsverfahren unrichtige Angaben zu machen.

4. Wurden die tatbestandsmäßigen Angaben im Wege einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO gemacht, unterliegen sie keinem Verwertungsverbot unter dem Gesichtspunkt des Nemo-tenetur-Grundsatzes. Die Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO gehört nicht zu den unzulässigen Zwangsmitteln zur Durchsetzung einer Mitwirkung i.S.v. § 393 Abs. 1 AO.

5. Der Nemo-tenetur-Grundsatz („nemo tenetur se ipsum accusare“) berechtigt nur zum Schweigen, nicht aber zur Begehung neuen Unrechts.

6. Während im gesamten Besteuerungsverfahren die gesetzlich normierten Mitwirkungspflichten auch während eines eingeleiteten Steuerstrafverfahrens fortbestehen, ergibt sich für das Strafverfahren aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz, dass die im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO gemachten wahrheitsgemäßen Angaben über die Vermögenssituation nicht in dem das Festsetzungsverfahren betreffenden Steuerstrafverfahren verwertet werden dürfen. Insoweit gilt für erzwungene Angaben im Beitreibungsverfahren gegenüber einem Strafverfahren wegen einer Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren nichts anderes als im Hinblick auf erzwungene Angaben im Steuerfestsetzungsverfahren, soweit es sich auf andere Veranlagungszeiträume und Steuerarten bezieht, als diejenigen, die von einem bereits eingeleiteten Steuerstrafverfahren erfasst werden.


Entscheidung

1019. BGH 1 StR 492/11 – Urteil vom 26. Juli 2012 (LG Landshut)

Steuerhinterziehung durch gesellschaftsrechtliche Konstruktionen bei Einkünften aus Patentrechten (Einkommensteuer: Zurechnung von Einkünften, Besteuerung bei Patenten und Erfindungen; Körperschaftsteuer: verdeckte Gewinnausschüttung und Verzicht auf Geschäftschancen; Gewerbesteuer; Umsatzsteuer: entgeltliche Überlassung der Patentrechte als

steuerbare sonstige Leistung); Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten und Scheingeschäfte (Umgehung eines Wettbewerbsverbotes); Hinweispflicht bei Änderung der (steuer-)rechtlichen Beurteilung; Einkünfte einer sog. Zwischengesellschaft bei der Hinzurechnungsbesteuerung.

§ 370 AO; § 41 AO; § 42 AO; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG; § 3 Abs. 9 UStG; § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; § 8 AStG; § 10 AStG; § 50a Abs. 4 EStG aF; § 265 StPO

1. Zur Zurechnung von „Transferzahlungen“ als verdeckte Gewinnausschüttungen und der Abgrenzung von Einkünften natürlicher Personen infolge von Scheingeschäften.

2. Geschäftschancen, die ein Gesellschafter „seiner“ Gesellschaft nimmt, können im Moment ihres Entzuges verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auslösen und im Moment ihres Gegenstand einer Steuerhinterziehung sein. Dies kann der Fall sein, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer Geschäftschancen, die der Kapitalgesellschaft gebühren, als Eigengeschäft wahrnimmt oder Kenntnisse der Gesellschaft über geschäftliche Möglichkeiten tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Art an sich zieht und für eigene Rechnung nutzt. Entzieht ein Gesellschafter aus gesellschaftsrechtlichen Gründen „seiner“ Gesellschaft eine Geschäftschance, so vollzieht sich die verdeckte Gewinnausschüttung regelmäßig in diesem einmaligen Akt. Dies gilt auch dann, wenn sich beim Gesellschafter der Vorteil später realisiert.

3. Eine verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht. Dabei muss die Minderung des Unterschiedsbetrags geeignet sein, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen. Zur Abgrenzung, ob Zuwendungen an einen Gesellschafter aus betrieblichen Gründen erfolgten oder mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis gewährt wurden, ist regelmäßig ein Fremdvergleich vorzunehmen. Hiernach ist dann eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis anzunehmen, wenn die Gesellschaft den zugewendeten Vermögensvorteil bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.

4. Die für den Leistungsaustausch gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erforderliche innere Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung liegt vor, wenn zwischen dem Unternehmer und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt begründet, so dass das Entgelt als Gegenwert für die Leistung anzusehen ist. Hieran kann es bei „Transferzahlungen“ zwischen zwei Gesellschaften fehlen, die zum Schein entrichtet werden.

5. Werden Entlohnungen natürlicher Personen durch „Transferzahlungen“ an eine zwischengeschaltete Gesellschaft verschleiert, ist es für die steuerstrafrechtliche Beurteilung unerheblich, ob diese der natürlichen Person in voller Höhe tatsächlich unmittelbar zugeflossen sind. Kann sich der Steuerpflichtige der Besteuerung in seiner Person schon durch zivilrechtlich wirksame Übertragung des Einkünfteanspruchs nicht entziehen, so ist die nicht ernstlich gewollte Verlagerung der Einkünfte erst recht steuerlich unbeachtlich.


Entscheidung

979. BGH 1 StR 317/12 - Beschluss vom 22. August 2012 (LG Koblenz)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Vollendung bei Veranlagungssteuern und Schätzung; erforderliche Berechnungsdarstellung); nemo-tenetur-Grundsatz; verminderte Schuldfähigkeit.

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK; § 21 StGB

1. Mit der Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens wegen Steuerhinterziehung entfällt mit Blick auf das verfassungsrechtlich verankerte Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur se ipsum accusare“) die strafbewehrte Pflicht, die entsprechenden Steuererklärungen für den betroffenen Veranlagungszeitraum noch abzugeben (vgl. BGH, NStZ-RR 2009, 340).

2. Sind bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen die Taten nicht bereits zuvor vollendet, so tritt mit der Bekanntgabe des Schätzungsbescheides, in dem die Steuer zu niedrig festgesetzt wird, Tatvollendung ein. Wird die Steuer in dem Schätzungsbescheid hingegen richtig oder zu hoch festgesetzt, so kann die Tat nicht mehr vollendet werden, da kein Verkürzungserfolg mehr eintritt.


Entscheidung

981. BGH 1 StR 423/12 - Beschluss vom 26. September 2012 (LG Münster)

Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung (Millionengrenze).

§ 370 Abs. 1 AO; § 46 StGB

Die Zumessung der schuldangemessenen Strafe richtet sich auch bei § 370 AO nach den Grundsätzen des § 46 StGB. Je nach den Umständen des Einzelfalls kommt auch bei Hinterziehungsbeträgen unterhalb der Millionengrenze eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren in Betracht.


Entscheidung

1022. BGH 2 StR 277/12 - Beschluss vom 21. August 2012 (LG Köln)

Voraussetzungen der Bewertungseinheit beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (sukzessive Auffüllung eines Drogenvorrats).

§ 29 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

Beim wiederholten Rauschgifterwerb zum Weiterverkauf in Kleinmengen sind die Handlungen des Käufers grundsätzlich nicht als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn die einzelnen Portionen von einem Lieferanten erworben werden, der sie seinerseits aus einem einheitlichen Vorrat entnommen hat. Alleine der gleichzeitige Besitz mehrerer Drogenmengen verbindet die hierauf bezogenen Handlungen nicht zu einer Tat des unerlaubten Handeltreibens. Auch das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats führt nicht zur Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit.