HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2011
12. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

222. BGH 1 StR 540/10 – Beschluss vom 12. Januar 2011 (LG Augsburg)

Unmittelbares Ansetzen zum Versuch beim Betrug (unmittelbare Täuschungshandlung); Rücktritt vom Versuch; Konfrontationsrecht (ermittlungsrichterliche Vernehmung; staatliche Vereitelung des Fragerecht: gebrechliche Zeugin, Zurechenbarkeit).

§ 263 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB; Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK

1. Zwar trifft es zu, dass das unmittelbare Ansetzen regelmäßig bereits vorliegt, wenn ein Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht (BGHSt 37, 294, 296; BGH NStZ 2002, 433, 435). Jedoch muss das, was der Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens getan hat, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand und dessen beabsichtigter Verwirklichung in Beziehung gesetzt werden. Handelt es sich aber dabei um ein mehraktiges Geschehen, so ist erst diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Verfügungsverfügung bestimmen und den Vermögensschaden herbeiführen soll.

2. Dies gilt, wenn diese frühe Täuschung nicht ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte Vermögensverschiebung münden konnte, sondern diese nur vorbereiten sollte. So liegt es zum Beispiel, wenn es auch nach der Vorstellung des Angeklagten noch der Ausarbeitung eines entsprechenden schriftlichen Vertrages und zwingend (§ 311b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BGB) dessen notarieller Beurkundung bedurfte.

3. Maßgeblich für die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch ist der sog. Rücktrittshorizont, d.h. die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (BGHSt 35, 90, 93 f.).

4. Die Rüge, die Strafverfolgungsbehörden hätten es entgegen Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK unterlassen, im Ermittlungsverfahren eine ermittlungsrichterliche Vernehmung der Belastungszeugin durchzuführen, damit diese zumindest durch einen Verteidiger hätte „konfrontativ“ befragt werden können, kann nur erfolgreich sein, wenn das Unterlassen der Vernehmung der Justiz zuzurechnen ist (BGHSt 51, 150), die Durchführung der Vernehmung also geboten gewesen wäre. Dies ist aber nicht schon deshalb gegeben, weil die Zeugen im fraglichen Zeitpunkt 85 Jahre alt und infolge eines Sturzes „körperlich gebrechlich“ war.


Entscheidung

252. BGH 2 StR 536/10 – Urteil vom 8. Dezember 2010 (LG Kassel)

Anforderungen an den Rücktritt vom Versuch (Abgrenzung vom unbeendeten und beendeten Versuch; keine Vorstellung des möglichen Todeseintritts; besonders gefährliche Gewalthandlungen; Grenzen des Zweifelsgrundsatzes).

§ 24 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein strafbefreiender Rücktritt gegeben ist, darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227 f. mwN) oder sich – namentlich nach besonders gefährlichen Gewalt-

handlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304, 306).

2. Die Annahme eines unbeendeten Versuchs setzt darüber hinaus gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung seiner Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten. Es müssen zumindest nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe Umstände festgestellt sein, aus denen geschlossen werden kann, dass der Angeklagte nach seiner letzten Ausführungshandlung nicht mehr mit dessen tödlicher Folge gerechnet habe.

3. Es ist zwar auch bei der Prüfung des Rücktritts im Rahmen der Bewertung des Rücktrittshorizonts zulässig, auf den Zweifelssatz zurückzugreifen. Dies setzt aber zunächst eine Gesamtwürdigung der festgestellten Beweistatsachen voraus, die erst im Ergebnis eine eindeutige Wertung nicht ermöglicht.


Entscheidung

136. BGH 3 StR 78/10 – Urteil vom 20. Mai 2010 (LG Düsseldorf)

Rücktritt vom Versuch (beendeter Versuch; freiwillige Verhinderung des Erfolgs; freiwilliges Bemühen um Erfolgsverhinderung; neue Kausalkette; Hilfe Dritter); erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Urteilsgründe; Wiedergabe eines Sachverständigengutachtens); Totschlag.

§ 24 StGB; § 21 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 212 StGB

1. Ein strafbefreiender Rücktritt vom beendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB kommt zwar auch in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird.

2. Straffreiheit gem. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann. Allerdings sind, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht, insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Der Täter muss sich um die bestmögliche Maßnahme bemühen. Hilft er nicht selbst, so muss er sich zumindest vergewissern, ob die Hilfspersonen das Notwendige und Erforderliche veranlassen.

3. Wenn sich der Tatrichter darauf beschränkt, sich zur Frage der Schuldfähigkeit der Beurteilung eines Sachverständigen anzuschließen, so hat er dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist.


Entscheidung

251. BGH 2 StR 531/10 – Urteil vom 15. Dezember 2010 (LG Aachen)

Bedingter Tötungsvorsatz (Bedeutung der Hemmschwelle vor Tötungen für den Tötungsvorsatz; Einbeziehung der Motivlage: Rache; Gesamtwürdigung; dynamisches, unkontrollierbares Geschehen); Gefährliche Körperverletzung.

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB

1. Für die Verneinung des zumindest bedingten Tötungsvorsatzes genügt ein Hinweis auf die erhöhte Hemmschwelle bei Tötungsdelikten nicht. Vielmehr ist stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob ein Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzung rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt. Dies wird bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegen wenn das Ausbleiben des Todeserfolgs nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38; BGH NStZ 2007, 150 f). Erforderlich ist stets eine umfassende Würdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände, nämlich der konkreten Tatsituation und Angriffsweise, Lage und Abwehrmöglichkeit des Opfers, der psychischen Verfassung des Täters und seiner Motivation (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 39).

2. Ein dynamisches, von dem Angeklagten nicht mehr kontrollierbares Geschehen kann auch für einen bedingten Tötungsvorsatz sprechen.

3. Auch die einem Angriff zugrunde liegende Motivlage des Angeklagten ist einzubeziehen. So könnte zum Beispiel einem in seiner Ehre gekränkten, aus Wut- und Rachsucht die Auseinandersetzung um jeden Preis suchenden Angeklagten die in der konkreten Situation als möglich erkannte Tötung seines Opfers zumindest gleichgültig gewesen sein. Dass ihm dessen Tod möglicherweise unerwünscht war, steht der Annahme bedingten Vorsatzes nicht entgegen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 42, 51).


Entscheidung

131. BGH 3 StR 65/10 – Beschluss vom 18. März 2010 (LG Krefeld)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Aufklärungshilfe; Rückwirkungsverbot; intertemporales Strafrecht (Meistbegünstigungsprinzip).

§ 31 BtMG; § 46b Abs. 3 StGB; § 2 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 316d EGStGB; Art. 49 Abs. 1 Satz 3 EU-Grundrechtecharta

1. Art. 316d EGStGB bestimmt, dass § 46b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese Überleitungsvorschrift stellt eine Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei.

2. Die Regelung des Art. 316d EGStGB bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften – und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46b Abs. 3 StGB – ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten viel-

mehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).

3. Zu den vom Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straftatbestandes entscheiden, und damit auch die Vorschriften über die Strafzumessung wie etwa § 31 BtMG. Dass diese Norm tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft, ändert daran nichts, denn mit der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen.


Entscheidung

137. BGH 3 StR 79/10 – Beschluss vom 27. April 2010 (LG Kleve)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Aufklärungshilfe; Rückwirkungsverbot; intertemporales Strafrecht (Meistbegünstigungsprinzip).

§ 31 BtMG; § 46b Abs. 3 StGB; § 2 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 316d EGStGB

1. Art. 316d EGStGB bestimmt, dass § 46b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese Überleitungsvorschrift stellt eine Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei.

2. Die Regelung des Art. 316d EGStGB bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften – und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46b Abs. 3 StGB – ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).

3. Zu den vom Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straftatbestandes entscheiden, und damit auch die Vorschriften über die Strafzumessung wie etwa § § 31 BtMG. Dass diese Norm tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft, ändert daran nichts, denn mit der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen.


Entscheidung

184. BGH 5 StR 143/10 – Beschluss vom 18. Mai 2010 (LG Neuruppin)

Täterschaft (sukzessive Mittäterschaft); Beihilfe; Umfang der revisionsgerichtlichen Kontrolle.

§ 25 StGB; § 27 StGB

1. Zwar ist die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen von Täterschaft oder Teilnahme nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich. Der Tatrichter darf allerdings Mittäterschaft nur aufgrund rechtlich zutreffender Anknüpfungstatsachen annehmen.

2. Zur Annahme sukzessiver Mittäterschaft durch aktives Tun bedarf es der Feststellung eines Beitrags zu einer aktiven Tatbestandsverwirklichung.


Entscheidung

186. BGH 5 StR 171/10 – Beschluss vom 2. Juni 2010 (LG Bautzen)

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Schwachsinn); Steuerungsfähigkeit; psychiatrischer Sachverständiger; Überzeugungsbildung; eigene Sachkunde; Urteilsgründe.

§ 21 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 3 StPO

Zwar handelt es sich bei der Frage der Erheblichkeit der Verminderung der Schuldfähigkeit um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen unter Beachtung normativer Gesichtspunkte in eigener Verantwortung zu entscheiden hat. Gleichwohl darf der Tatrichter bei der Subsumtion nicht davon absehen, die gebotene fachwissenschaftliche Beurteilung der Auswirkungen einer Intelligenzminderung des Angeklagten auf die Steuerungsfähigkeit gerade hinsichtlich der ihm in der zugelassenen Anklage vorgeworfenen Delikte darzulegen. Diese anspruchsvolle Beurteilung darf er insbesondere nicht ausschließlich durch eigene Erwägungen ersetzen.


Entscheidung

249. BGH 2 StR 519/10 – Beschluss vom 24. November 2010 (LG Gera)

Konkurrenzen und Tenorierung bei mehrfachen Diebstahlshandlungen (Teilidentität der Ausführungshandlungen).

§ 242 StGB; § 243 StGB

1. Öffnen Mittäter in derselben Nacht an demselben Ort und auf dieselbe Weise die Personenkraftwagen von verschiedenen Eigentümern, um daraus Gegenstände zu entwenden, so liegt möglicherweise schon wegen dieses Zusammenhangs eine natürliche Handlungseinheit vor (vgl. BGH NStZ 1996, 493, 494). Jedenfalls der Umstand, dass die Täter auch durch das gewaltsame Eindringen in die Tiefgaragen zugleich mit dem Beginn des Versuchs des Diebstahls auch das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB für einen besonders schweren Fall des Diebstahls verwirklicht haben, verbindet die Einzelakte der Wegnahmehandlungen in derselben Tiefgarage zu einer tateinheitlichen Handlung, weil Teilidentität der Ausführungshandlung gegeben ist.

2. Es empfiehlt sich zwar bei gleichartiger Tateinheit, diese im Urteilsspruch kenntlich zu machen. Davon kann jedoch abgesehen werden, wenn dadurch der Tenor unübersichtlich würde (vgl. BGH NStZ 1996, 493, 494).

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

147. BGH 3 StR 179/10 – Urteil vom 28. Oktober 2010 (OLG Frankfurt am Main)

BGHSt; kriminelle Vereinigung; terroristische Vereinigung; Teilorganisation (organisatorische Selbständigkeit; eigene Willenbildung; eigenverantwortliche Entscheidungen); PKK; ausländisch; inländisch; Verfolgungsermächtigung; Kader; Funktionäre; Mitglieder;

§ 129 StGB; § 129a StGB; § 129b StGB

1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. (BGHSt)

2. Hieraus folgt, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen (Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht. (BGHSt)

3. Der Senat hält an der Rechtsprechung fest, wonach als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen ist, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. Das notwendige voluntative Element ist regelmäßig hinreichend belegt, wenn festgestellt ist, dass die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und hierbei – etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten – koordiniert zusammenwirken. (Bearbeiter)

4. Besteht eine ausländische kriminelle oder terroristische Vereinigung in diesem Sinne, so wird der vereinigungsspezifische Unrechtsgehalt der Tat bereits durch deren Ahndung nach § 129b StGB erfasst. Für eine zusätzliche – gegebenenfalls tateinheitlich neben den Schuldspruch nach § 129b StGB tretende – Verurteilung nach § 129 oder § 129a StGB ist daher kein Raum. Sie ist mit Blick auf die Betätigung für eine inländische Gruppierung nur dann gerechtfertigt, wenn diese eigenständig alle Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt und aus diesem Grunde die abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit erhöht. (Bearbeiter)

5. Das Erfordernis einer Verfolgungsermächtigung gem. § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB würde umgangen, würde man bei einer inländischen Teilorganisation einer ausländischen Gruppierung auf die für eine eigenständige Vereinigung konstitutiven Voraussetzungen auch nur teilweise verzichten. (Bearbeiter)

6. Eine Gruppierung kann sich auch in der Art organisieren und strukturieren, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht und beide Gruppierungen die Kriterien einer Vereinigung erfüllen. Einzelne Mitglieder können sich dann sowohl an der regionalen als auch an der Dach-Vereinigung und damit gegebenenfalls an zwei Vereinigungen beteiligen; eine Strafbarkeit gem. § 129 StGB und nach § 129b StGB steht dann ggf. in Tateinheit. (Bearbeiter)

7. Der Senat weist – nicht tragend – darauf hin, dass bezüglich der Mitgliedschaft in der PKK nicht zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre bzw. Kadern einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist. Denn es ist kein ausreichender Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört. Zwar mag danach der Kreis potentieller Beschuldigter unter Umständen deutlich größer werden; auch mögen sich Unrechtsgehalt und Verschulden stark unterscheiden. Diesen Umständen wird jedoch im Einzelfall angemessen Rechnung zu tragen sein, gegebenenfalls durch Anwendung der § 129 Abs. 5, § 129a Abs. 6 StGB, §§ 153b, 153c StPO. (Bearbeiter)


Entscheidung

262. BGH 4 StR 245/10 – Beschluss vom 28. September 2010 (LG Essen)

Gefährdung für fremde Sachen von bedeutendem Wert (drohender Schaden bedeutenden Umfangs; Wertgrenze von 750 €).

§ 315b Abs. 1 StGB; § 315c StGB; § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB; § 142 StGB

1. Eine Gefährdung für fremde Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB zur Tatbestandserfüllung reicht nur aus, wenn auch der konkret drohende

Schaden bedeutenden Umfangs war (vgl. hierzu BGH NStZ-RR 2008, 83 m.w.N.).

2. Die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert liegt nach der Rechtsprechung des Senats bei mindestens 750 € liegt (vgl. BGHSt 48, 119, 121; BGH NStZ-RR 2008, 289; BGH NZV 2010, 261).

3. Der Senat sieht entgegen anderer Ansätze keinen Grund, diesen Wert zu verändern. Eine Angleichung an die Wertgrenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nicht angezeigt, weil die Vorschriften unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen.

4. Bei der Wertgrenze handelt es sich zwar um eine veränderliche Größe, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsbestimmtheit, kommt eine Anhebung der Wertgrenze aber nur bei einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht.


Entscheidung

175. BGH 5 StR 114/10 – Beschluss vom 17. Juni 2010 (LG Wuppertal)

Strafvereitelung; Maßnahmevereitelung (Maßnahme; strafprozessuale Sicherungsmaßnahme; dinglicher Arrest); Verfall (erlangtes Etwas).

§ 258 StGB; § 111d StPO; § 73 StGB; § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB

1. Nach § 258 Abs. 1 Alt. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 8, §§ 73 ff. StGB ist nur strafbar, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer wegen einer rechtswidrigen Tat einer Maßnahme unterworfen wird; dies kann nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB auch der Verfall nach §§ 73 ff. StGB sein.

2. Die Vereitelung (lediglich) einer strafprozessualen Sicherungsmaßnahme erfüllt grundsätzlich nicht den Tatbestand des § 258 Abs. 1 StGB. Sie kann aber als Begehungsform der Maßnahmevereitelung nach § 258 Abs. 1 Alt. 2 StGB in Betracht kommen, wenn der Täter durch die Vereitelung der Sicherungsmaßnahme zugleich jedenfalls bedingt vorsätzlich die spätere Verfallsanordnung im Urteil verhindert hat. Namentlich gilt dies, sofern von einer Verfallsanordnung im Urteil gegen den Vortäter wegen zwischenzeitlich eingetretener Vermögenslosigkeit abgesehen worden ist (vgl. § 73c Abs. 1 StGB), obgleich bei Ausbleiben der Vereitelungshandlung durch eine vorläufige Sicherungsmaßnahme (§§ 111b ff. StPO) Vermögen gesichert worden wäre.

3. Eine Maßnahmevollstreckungsvereitelung nach § 258 Abs. 2 Alt. 2 StGB kann gegeben sein, wenn im Urteil gegen den Vortäter zwar der Verfall angeordnet wurde, dieser allerdings anschließend nicht durchsetzbar ist, weil eine vormals noch aussichtsreiche einstweilige Sicherung durch den Täter jedenfalls bedingt vorsätzlich auch mit Blick auf die dadurch gefährdete Durchsetzbarkeit des im Urteil zu titulierenden Anspruchs verhindert wurde und weiteres Vermögen in nennenswertem Umfang nicht (mehr) vorliegt.


Entscheidung

146. BGH 3 StR 168/10 – Urteil vom 7. Oktober 2010 (LG Verden)

Tötung auf Verlangen (Ernstlichkeit des Tötungsverlangens; Freiheit von Willensmängeln; depressive Augenblicksstimmung).

§ 216 StGB

1. Ein Tötungsverlangen ist von vornherein nur dann als ernstlich im Sinne des § 216 StGB anzuerkennen, wenn das Opfer die zureichende natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, um frei verantwortlich entscheiden sowie die Bedeutung und die Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig überblicken und abwägen zu können. Einem Todesbegehren kann die privilegierende Wirkung mangels Ernstlichkeit aber auch dann noch zu versagen sein, wenn es auf einem Entschluss des Opfers beruhte, der nach diesen Maßstäben frei von Willensmängeln war.

2. Der Senat lässt offen, welche darüber hinausgehenden weiteren Anforderungen an die Ernstlichkeit im Einzelnen zu stellen sind. Jedenfalls aber genügt ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung nicht, es sei denn, dass es von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen war.


Entscheidung

156. BGH 3 StR 442/09 – Beschluss vom 26. Januar 2010 (LG Oldenburg)

Brandstiftung (Inbrandsetzen eines Gebäudes, das der Wohnung von Menschen dient; Brandlegung und teilweises Zerstören bei gemischt genutzten Gebäuden); Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht der Stieftochter; Beruhen.

§ 306 StGB; § 306a StGB; § 52 StPO

1. Für ein vollendetes Inbrandsetzen nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB genügt es bereits, wenn in einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude nur solche Gebäudeteile selbständig brennen, die für die gewerbliche Nutzung wesentlich sind, aber nicht auszuschließen ist, dass das Feuer auf Gebäudeteile übergreift, die für das Wohnen wesentlich sind. Denn § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt ein Handeln unter Strafe, das typischerweise das Leben von Personen gefährdet, die sich in einem Gebäude aufhalten. Eine solche abstrakte Gefahr besteht aber bereits dann, wenn „das Gebäude“ brennt und der Brand sich ausweiten kann.

2. Besteht hingegen der durch die Brandlegung bewirkte Erfolg nicht darin, dass wesentliche Gebäudeteile der gewerblich genutzten Räume selbständig brennen, sondern allein in der ganzen oder teilweisen Zerstörung dieser Räume durch die Brandlegung, so führt dies auch dann nicht zu einer vollendeten schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB, wenn die Gefahr bestand, dass das Feuer auf den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes übergreift.


Entscheidung

157. BGH 3 StR 456/09 – Beschluss vom 1. April 2010 (LG Kiel)

Schwere Brandstiftung (andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient); Wohnmobil; Wohnge-

bäude (zusammengesetzte Gebäude; gemischt genutzte Gebäude).

§ 306a Abs. 1 StGB

1. Der Qualifikationstatbestand der schweren Brandstiftung (§ 306a StGB) ist beim Inbrandsetzen eines für sich nicht Wohnzwecken dienenden Gebäudeteils nur erfüllt, wenn dieser Teil mit einem Wohngebäude in einer solchen Weise verbunden ist, dass von einem einheitlichen, mehreren Zwecken dienenden Gebäude ausgegangen werden kann. In diesem Falle nämlich genügt es, wenn der Täter allein den nicht zum Wohnen dienenden Teil niederbrennen will. Demgegenüber genügt die Gefahr, dass ein Feuer von einem nicht Wohnzwecken dienenden Teil auf ein Wohngebäude hätte übergreifen können, für die Annahme eines einheitlichen Gebäudes alleine nicht.

2. Bei einem Wohnmobil handelt es sich um eine „andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient“ im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, sofern es zumindest vorübergehend als Mittelpunkt der privaten Lebensführung und damit zur Wohnung dient, weil es nicht nur zur Fortbewegung, sondern auch zum Aufenthalt untertags, zur Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten sowie zum Schlafen benutzt wird. Diese Eigenschaft verliert es nicht dadurch, dass es in der Regel nur für bestimmte Zeiträume als Wohnung genutzt und im Übrigen auch für längere Zeit abgestellt oder nur als Fortbewegungsmittel genutzt wird.

3. Der Senat lässt offen, ob auch lediglich zum Verkauf oder zur Vermietung bereitstehende, vom gegenwärtigen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft nicht einmal zeitweise zu Wohnzwecken genutzte Wohnmobile den Qualifikationstatbestand des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen.


Entscheidung

229. BGH 1 StR 580/10 – Beschluss vom 12. Januar 2011 (LG Landshut)

Schulderhöhende Bedeutung der Verwirklichung mehrerer Varianten der sexuellen Nötigung (hilflose Lage: eigenständige Bedeutung, Schutz Behinderter; Gewalt).

§ 177 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 StGB

1. Die Tatvarianten der § 177 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 StGB stehen gleichrangig nebeneinander. Ihrer Begehung kommt schulderhöhende Wirkung zu.

2. Der Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB kommt grundsätzlich ein eigener Unrechtsgehalt zu. Der Senat teilt insoweit die vom 2. Strafsenat (BGH NStZ 2009, 207 f.) geäußerten Bedenken nicht.

3. Für die Feststellung, das Tatopfer habe sich in einer schutzlosen Lage befunden, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an, die ergeben müssen, dass das Tatopfer Einwirkungen des Täters weder mit Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstand entgegensetzen, noch sich ihnen durch Flucht entziehen noch auf die Hilfe dritter Personen hoffen könnte (vgl. BGHSt 50, 359, 362).

4. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zielte auch darauf ab, den Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen, deren Widerstandsfähigkeit eingeschränkt ist, vor erzwungenen sexuellen Übergriffen zu verbessern. Gerade in den Fällen, in denen das Opfer zu alt ist, um von § 176a StGB geschützt zu werden, würde bei Nichtvorliegen einer weiteren Alternative des § 177 Abs. 1 StGB eine zu restriktive Auslegung der 3. Begehungsalternative des § 177 Abs. 1 StGB zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen.


Entscheidung

200. BGH 5 StR 256/10 – Beschluss vom 22. Juli 2010 (LG Flensburg)

Nachstellung (Tatfolgen; Feststellungen; sachverständige Beratung); kurze Freiheitsstrafe (unbestrafter Angeklagter); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Verhältnismäßigkeit; gravierende Störungen des Rechtsfriedens).

§ 238 Abs. 2 StGB; § 261 StPO; § 244 StPO; § 47 Abs. 1 StGB

1. Die gemäß § 238 Abs. 2 StGB qualifizierte Nachstellung setzt voraus, dass das Opfer oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Nachstellung in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird.

2. Als derartige Tatfolgen können psychosomatischen Beschwerden einhergehend mit depressiven Erschöpfungszuständen grundsätzlich zwar genügen, sie müssen dann jedoch hinreichend belegt sein, tunlichst aufgrund sachverständiger Beratung des Tatrichters bei der Feststellung der Tatfolgen. Eine von einem Zeugen lediglich empfundene Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit reicht jedenfalls nicht aus.

3. Wegen der Schwere des mit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) kann die Anordnung dieser Maßregel nur bei gravierenden Störungen des Rechtsfriedens gerechtfertigt sein, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen.


Entscheidung

270. BGH 4 StR 476/10 – Beschluss vom 2. Dezember 2010 (LG Rostock)

Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung (besonders schwerer Raub; Qualifikationen).

§ 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 250 StGB

Für die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten maßgebend (BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 4; BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 3; BGH NStZ 2006, 38).


Entscheidung

148. BGH 3 StR 180/10 – Beschluss vom 6. Juli 2010 (LG Hannover)

Räuberischer Diebstahl (taugliche Vortat); Wegnahme (handliche Gegenstände; tatsächliche Sachherrschaft); Gewahrsamsbruch; Unterschlagung; Nötigung.

§ 252 StGB; § 242 StGB; § 246 StGB; § 240 StGB

1. Räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB) setzt als Vortat eine von Zueignungsabsicht getragene vollendete Weg-

nahme – den Bruch fremden und die Begründung neuen eigenen Gewahrsams – voraus.

2. Der Täter bricht fremden und begründet neuen eigenen Gewahrsam, wenn er unter Ausschluss des Berechtigten die tatsächliche Sachherrschaft erlangt. Bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen genügt hierfür ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte.


Entscheidung

154. BGH 3 StR 428/10 – Beschluss vom 30. November 2010 (LG Krefeld)

Störung des öffentlichen Friedens (Eignung von Äußerungen; abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt).

§ 126 StGB

1. Der öffentliche Friede ist ein Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und das Bewusstsein der Bevölkerung davon.

2. Gestört ist der öffentliche Friede, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, mindestens aber einer nicht unerheblichen Personenzahl, etwa einem Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 StGB, eintritt.

3. Für den Tatbestand des § 126 StGB ist zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich. Die jeweilige Handlung muss aber bei genereller Betrachtung konkret zur Friedensstörung geeignet sein (abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt).


Entscheidung

271. BGH 4 StR 492/10 – Urteil vom 16. Dezember 2010 (LG Paderborn)

Untreue (Missbrauchsalternative; [Art-]Handlungsvollmacht; Konkurrenzen zum versuchten Betrug: natürliche Handlungseinheit); Provisionsvertreterbetrug.

§ 266 StGB; § 263 StGB; § 54 HGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Der Missbrauchstatbestand gemäß § 266 Abs. 1 1. Alt. StGB erfasst Rechtsbeziehungen, durch die einem Beteiligten rechtliches Können gewährt wird, das über das rechtliche Dürfen hinausgeht (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Missbrauch 2).

2. Der Handlungsbevollmächtigte gemäß § 54 HGB ist Befugnisinhaber im Sinne des § 266 Abs. 1 1. Alt. StGB. § 54 HGB regelt in Absatz 1 eine widerlegbare Vermutung für einen bestimmten typisierten Umfang der erteilten Handlungsvollmacht. Soweit die Auslegung der erteilten Vollmacht ergibt, dass eine der in Absatz 1 geregelten typisierten Formen vorliegt, ist auf die gesetzliche Vermutung zurückzugreifen.