HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2010
11. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Festschreibung von Beweisergebnissen der tatgerichtlichen Hauptverhandlung für die strafprozessuale Revision - ein Mythos? *

Von Rechtsanwalt Klaus-Ulrich Ventzke, Hamburg

I. Einleitung

§ 261 StPO richtet sich seinem Wortlaut nach an den Tatrichter, ist aber gleichwohl für die Verteidigung in der Tatsacheninstanz die prozeßrechtliche Zentralnorm. [1] "Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung." Das Schicksal des Mandanten steht und fällt deshalb mit dem, was der Tatrichter in der Urteilsberatung als "Inbegriff der Verhandlung" ansieht. Die Hauptverhandlung besteht deshalb vorrangig im Ringen um diejenigen Beweisergebnisse, die der Tatrichter seiner Entscheidung zugrundelegen darf und muß. Die Stellung von Beweisanträgen, die Befragung von Zeugen und Sachverständigen, die Einlassung des Angeklagten, aber auch das Geltendmachen von Beweisverwertungsverboten - die Entscheidung für diese und andere prozessuale Aktivitäten der Verteidigung muß sich an diesem Ziel ausrichten. Insoweit ist das Bemühen um Festschreibung (dem Mandanten günstiger) Beweisergebnisse eine völlig unspektakuläre Aufgabe jeder Strafverteidigung in einer tatgerichtlichen Hauptverhandlung.

Wählt man freilich nicht § 261 StPO als Bezugspunkt der Betrachtungsweise, sondern nimmt das Revisionsverfahren in den Blick, so ändert sich das Bild:

Das Revisionsgericht darf - so eine hier nicht auf ihre Tragfähigkeit zu untersuchende Behauptung der Revisionsrechtsprechung [2] - die Hauptverhandlung vor dem Tatrichter nicht inhaltlich rekonstruieren. [3] Darauf zielende Verfahrensrügen sehen sich dem Verdikt der Unzulässigkeit ausgesetzt. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme können die Beteiligten des Revisionsverfahrens regelmäßig nur dem schriftlichen Urteil entnehmen. Derjenige, dessen Entscheidungsfindungsprozeß in der Revisionsinstanz auf Rechtsfehler untersucht werden soll, der Tatrichter, hat es mithin in der Hand, das dem Revisionsgericht für diese Überprüfung zugängliche Material nach seinen (nirgends zu offenbarenden) Kriterien zusammenzustellen. [4]

Der Leser eines Urteils, der Teilnehmer der Hauptverhandlung war, gerät deshalb gelegentlich ins Grübeln, ob dessen Verfasser in ihm wirklich über die gemeinsam erlebte Realität der Beweisaufnahme berichtet, und zwar auch dann, wenn er nicht von der Hybris befallen ist, die "wirkliche Wirklichkeit" zu kennen. [5]

II. Ein Beispielsfall

Hierzu ein Beispiel aus einem Verfahren, das vor über 14 Jahren bei dem Landgericht Itzehoe [6] anhängig war:

Dem Angeklagten, einem Sportlehrer und Vereinstrainer, wurde zur Last gelegt, mit einer Jugendlichen, die Schülerin und zudem Spielerin in einer von ihm betreuten Mannschaft war, einvernehmliche sexuelle Kontakte unterhalten zu haben. Der Angeklagte bestritt dies. Die Schilderungen der Zeugin waren wenig plastisch. Konstant berichtete sie freilich, niemals die Befürchtung gehabt zu haben, schwanger zu werden, da immer mittels Kondom verhütet worden sei. Während der Befragung in der Hauptverhandlung ergab sich, daß sie diese sexuellen Kontakte erstmals ihrem damaligen Freund offenbart hatte. Dieser war im Ermittlungsverfahren nicht vernommen worden. In der Hauptverhandlung schilderte er anschaulich die Situation, in der ihm die Zeugin von der Beziehung zu ihrem Lehrer und Trainer

erzählt hatte. Besonders war ihm ein von der Zeugin im gesamten Verfahren nur holzschnittartig beschriebener Vorfall in Erinnerung. Dies deshalb, weil seine Freundin ihm nämlich seinerzeit erklärt habe, sie sei in großer Sorge gewesen, schwanger geworden zu sein, da das Kondom in ihrer Scheide steckengeblieben sei. Der Zeuge schloß auf irritiertes Befragen des Gerichts aus, sich geirrt, etwas falsch verstanden oder verwechselt zu haben.

Einen solchen Tatablauf hatte die Zeugin zuvor nie erwähnt. Sie wurde deshalb von Amts wegen erneut geladen und vernommen. Dabei flüchtete sie sich weitgehend in die Erinnerungslosigkeit. Diese Wendung der Beweisaufnahme wurde in der Hauptverhandlung von allen Verfahrensbeteiligten, auch dem Gericht, intensiv u.a. mit der psychologischen Glaubhaftigkeitsgutachterin erörtert. Man hatte sich angewöhnt, schlagwortartig vom "Kondomunfall" zu sprechen.

Wie erschien dieser Teil der Beweisaufnahme In den schriftlichen Urteilsgründen? Der "Kondomunfall" wird in den Feststellungen zum Tatgeschehen und zur Entstehungsgeschichte der Aussage erwähnt. Das Urteil verhält sich aber nicht zu dem, was alle Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung beschäftigt hatte, nämlich zur Entwicklung des auf den "Kondomunfall" bezogenen Aussageverhaltens der Zeugin. Die Kammer berichtet dem Leser ihres Urteils nicht, daß die Zeugin außerhalb des Gesprächs mit ihrem damaligen Freund niemals - auch nicht in der Hauptverhandlung - von sich aus den "Kondomunfall" angesprochen hatte. Damit entzog sich das Tatgericht jedenfalls im Ergebnis elegant der beweisrechtlichen Notwendigkeit, bei der Prüfung der im übrigen von ihm bejahten Konstanz der Aussage diese Auffälligkeit ausdrücklich in den Blick zu nehmen.

Für die Revision bedeutete dies:

  • Sachlichrechtlich könnte ein Erörterungsdefizit nur geltend gemacht werden, wenn man dem Umstand, daß der "Kondomunfall" in den weiter im Urteil wiedergegebenen Aussagen der Zeugin nicht auftauchte, entnehmen wollte, er sei bei diesen Gelegenheiten von der Zeugin tatsächlich nicht erwähnt worden. Ob Revisionsgerichte für ein derartiges Verständnis der Urteilsgründe zu erwärmen sind, erscheint eher fraglich, versuchen sie doch gerade, Tatrichter davon abzuhalten, im Urteil den Gang der Beweisaufnahme protokollartig wiederzugeben. [7] Selbst der 1. Strafsenat des SchlHOLG [8] hat sich unlängst hierzu - gegenüber einer Kleinen Strafkammer des Landgerichts Lübeck recht ungnädig eingestellt - zu Wort gemeldet.
  • Gab es für die Verteidigung vor dem Landgericht verfahrensrechtlich tragende Möglichkeiten, diese Entwicklung des Aussageverhaltens "festzuschreiben", also revisionsrechtlich wirksam zu verhindern, daß sich das Tatgericht seiner Erörterungspflicht im Urteil entzieht?

III. Abhilfemöglichkeiten

Derartige Fragestellungen beschäftigen die Verteidigung in der Tatsacheninstanz seit jeher in unterschiedlichen beweisrechtlichen Zusammenhängen. Bezeichnenderweise war das Thema "Die Verteidigung in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht mit Blick auf die Revision" schon Gegenstand des im November 1986 stattgefundenen Strafverteidiger-Kolloquiums der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein. Zur Veranschaulichung einige der Vortragsthemen [9]:

  • "Die Zeugenvernehmung - Möglichkeiten der Festschreibung von Aussageinhalt und konkreter Aussagesituation" (Römer-Hahn);
  • "Vereidigung und Entlassung von Zeugen und Sachverständigen - Gefahren des generellen Verzichts auf die Vereidigung" (Strate);
  • "Möglichkeiten der Festschreibung des Sachverhalts in der Hauptverhandlung - Erklärungsrechte, sonstige Möglichkeiten" (Kempf).

1.

Geändert hat sich seitdem wenig. Übernimmt man die Revisionsverteidigung, so wird einem nicht selten - teils euphorisch, teils eher resignativ - folgendes aus der Hauptverhandlung berichtet:

  • Der Angeklagte habe sich durch eine von ihm selbst bzw. dem Verteidiger verlesene schriftliche Einlassung verteidigt und keinerlei Fragen mündlich beantwortet. Die Erklärung sei auch Protokollanlage geworden. Deshalb habe der Tatrichter keinerlei Manipulationsmöglichkeiten, stehe doch für das Revisionsgericht nunmehr bindend fest, was der Angeklagte zu seiner Verteidigung gesagt habe.
  • Durch ausführliche, verlesene Erklärungen gem. § 257 StPO sei sichergestellt, daß das Revisionsgericht von dem wirklichen Gang der Beweisaufnahme informiert werde.
  • In Beweisanträgen sei detailliert auf die Entwicklung der Beweisaufnahme eingegangen
  • worden; der Erfolg beweisantragsrechtlicher Rügen sei deshalb geradezu vorprogrammiert.
  • Das Gericht habe sich dem Ansinnen widersetzt, nach Vernehmung der Hauptbelastungszeugen zu erklären, ob es deren Aussage so verstanden habe, wie es die Verteidigung in ihren zu diesem Zweck zur Akte gereichten Mitschriften festgehalten habe; das vereinbare sich doch nicht mit Art. 6 Abs. 1 EMRK.
  • Es sei immer, wenn auch vergeblich, die Vereidigung von Zeugen beantragt worden.
  • Man habe eine Unzahl von Protokollierungsanträgen gestellt, denen das Gericht freilich nicht nachgegangen sei, und zudem habe man freilich vergeblich eine Tonbandaufzeichnung der Verhandlung zu bewirken versucht. Gleichwohl werde sich das Revisionsgericht durch den Inhalt der Anträge beeindrucken lassen
  • Der Tatrichter sei leider nicht davon abzubringen gewesen, eine Vielzahl von Urkunden - gar im Selbstleseverfahren - in die Beweisaufnahme einzuführen.
  • Es sei eine Vielzahl affirmativer (Hilfs-)Beweisanträge gestellt worden. Dadurch sei der Tatrichter bei der Beweiswürdigung definitiv eingemauert worden.
  • Der Tatrichter sei leider allen Anträgen nachgegangen.
  • Es seien keine Anträge gestellt worden, da die Beweislage eindeutig gewesen sei - und nun dies.

2.

Ich werde in einem ersten Schritt untersuchen, ob und in welcher Weise die geschilderten Verfahrensabläufe aus revisionsrechtlicher Perspektive geeignet sind, das erstrebte Ziel der Festschreibung dem Mandanten günstiger Beweisergebnisse zu erreichen (a)). Ich betone den von mir gewählten Blickwinkel, weil der etwaige Befund, die eingesetzten Mittel seien für das angestrebte Ziel revisionsrechtlich untauglich, rein gar nichts darüber besagte, ob ihr Einsatz in der Logik der tatgerichtlichen Hauptverhandlung - und sei es auch "nur" verfahrenspsychologisch - für die Durchsetzung des Mandanteninteresses geboten war. Kempf hatte entsprechend auf dem erwähnten Kolloquium zwischen formellen (revisionsrechtlich ausgerichteten) und informellen Festschreibemöglichkeiten unterschieden. [10] In einem zweiten Schritt werde ich das so gefundene Ergebnis auf den eingangs geschilderten Fall anwenden (b)).

a)

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Mehrzahl der geschilderten Verteidigungsmittel bzw. Verfahrensabläufe ist revisionsrechtlich unergiebig [11] . Mehr noch: Verteidiger müssen über ihren Schatten springen. Traditionell begreifen sie sich als Verfechter der Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit. Das, was ihnen deshalb vielfach ein Graus ist, nämlich die vernehmungsersetzende oder -ergänzende Verlesung von Urkunden, bietet die stärksten Anknüpfungspunkte für einschlägige verfahrensrechtliche Beanstandungen, nämlich für eine besondere Form der Inbegriffsrüge (§ 261 StPO).

Wichtig ist es zudem wegen der Struktur der Hauptverhandlung, den Tatrichter in ihr frühzeitig zum Sprechen zu bringen, ihn aus der Reserve zu locken. Nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Tatgericht ist bei normativer Betrachtungsweise Gegner von Angeklagtem und Verteidigung. [12] Die Beweishypothesen der Staatsanwaltschaft zu widerlegen, hilft ihnen allein nämlich fast nichts, da in den Grenzen der §§ 264, 265 StPO nur das (mit der staatsanwaltschaftlichen Sichtweise nicht notwendigerweise, wenn auch faktisch recht oft deckungsgleiche) Bild bedeutsam ist, das sich der Tatrichter von der Beweislage macht (§ 261 StPO) und von dem die Verfahrensbeteiligten - wie eingangs gezeigt - in revisionsrechtlich relevanter Weise erst durch das schriftliche Urteil unterrichtet werden.

Wie sind die von mir schlagwortartig beschriebenen Prozeßverläufe unter diesem Blickwinkel zu betrachten?

aa)

Die (insbesondere vom Verteidiger verlesene) schriftliche Einlassung des Angeklagten gehört in deutschen Gerichtssälen nicht nur bei Urteilsabsprachen zum Alltag. Schneider sieht sie gar als ein Element der "postmoderne(n) Modifikation des Strafverfahrens". [13] Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat es freilich binnen kurzem geschafft, diese Verteidigungsmethode gerade in dem uns interessierenden revisionsrechtlichen Zusammenhang zu entschärfen [14]:

  • Der Beweiswert derartiger Einlassungen wird als grundsätzlich gering veranschlagt. [15] Zu die
  • ser Argumentation müssen zudem auch Verteidiger zunehmend greifen, wenn ihr Mandant durch eine solchermaßen in die Hauptverhandlung eingeführte und gegen Nachfragen immunisierte Aussage eines sich zum Kronzeugen aufschwingenden Mitangeklagten belastet wird. [16]
  • Die Verpflichtung des Tatgerichts, derartige Erklärungen eines (gar schweigenden) Angeklagten im Wege der Verlesung in Erfüllung der Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) oder auf einen Beweisantrag (§§ 244 Abs. 3, 245 StPO) in die Beweisaufnahme einführen zu müssen, ist deutlich eingeschränkt worden. [17]
  • Vor allem aber: Die Verlesung einer schriftlichen Einlassung zur Sache, sei es durch den Angeklagten, sei es durch den Verteidiger, steht der strengbeweislichen Einführung einer Urkunde durch Verlesung im Sinne des § 249 Abs. 1 StPO, die durch den Vorsitzenden erfolgt, nicht gleich. Strafverfahrensrechtlich sattelfeste Vorsitzende haben deshalb seit jeher derartige Einlassungen zur Akte und nicht als Anlage zum Protokoll genommen. Die revisionsverfahrensrechtliche Folge liegt auf der Hand: Die Absicht, nach einer Verlesung der schriftlichen Einlassung im Revisionsverfahren ggfls. mit der Rüge einer Verletzung des § 261 StPO beanstanden zu können, das Urteil habe sich mit wesentlichem Entlastungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt [18], scheitert am revisionsrechtlichen Rekonstruktionsverbot. Daß diese Form der Verteidigung revisionsrechtlich unhelflich ist, hat der 3. Strafsenat des BGH unter Einsatz des gesamten revisionsrechtlichen Argumentationsinstrumentariums auf den Punkt gebracht:
"Die Rüge, die Strafkammer habe unter Verstoß gegen § 261 StPO ihrem Urteil ein Geständnis des Angeklagten auch in Bezug auf die Tat 1 zugrunde gelegt, das dieser nicht abgegeben hat, ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässig erhoben. Der Beschwerdeführer musste den Inhalt der Erklärung, die der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegeben hat und deren Abschrift sodann als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, nicht vortragen. Es handelt sich nicht um eine den behaupteten Mangel begründende Tatsache.
Wenn sich der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat (…). Der Text der Protokollanlage ist deshalb nicht geeignet darzulegen (oder gar zu beweisen), wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hat. Aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergibt sich deshalb nicht die Pflicht, ihn mit der Revision vorzutragen.
Die Rüge ist indes, wie der Generalbundesanwalt in seinen hilfsweise gemachten Erwägungen zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Die Behauptung, der Angeklagte habe sich anders eingelassen, als dies in den Urteilsgründen dokumentiert ist, könnte nur durch eine Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung bewiesen werden. Eine solche ist dem Revisionsverfahren insoweit fremd. Ein Freibeweis darüber, dass die Einlassung des Angeklagten einen anderen Inhalt hatte, als er im Urteil festgestellt wurde, ist nicht zulässig (…)." [19]
bb)

Es verwundert dann auch nicht, daß es revisionsrechtlich erst recht regelmäßig unbeachtlich ist, ob ausführliche schriftliche Erklärungen gem. § 257 StPO verlesen und zu Protokoll genommen werden. Sie eröffnen dem Revidenten nicht die Möglichkeit, dem Revisionsgericht seine Sicht des Ganges der Beweisaufnahme aufzuzwingen.

"Auch im Revisionsverfahren sind Rügen ausgeschlossen, die eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzen würden (…). Der Grundsatz des § 261 StPO verbietet ausnahmslos, Aufzeichnungen, die ein Prozeßbeteiligter über die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung abweichend von den tatrichterlichen Feststellungen gemacht hat, zu deren Widerlegung im Revisionsverfahren heranzuziehen (…)." [20]

Gleiches gilt für Schilderungen des Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Begründung von Beweisanträgen. Die revisionsgerichtliche Rechtsprechung will zwar Angeklagte und Verteidiger etwa beweisantragsrechtlich durchaus in eine Art Dialog mit dem Tatgericht verwickeln. [21] Ausbaufähig im hier gemeinsten Sinn ist sie freilich nicht. Verfassungsgerichtlich abgesichert [22] hält gerade der diese Rechtsprechung prägende 5. Strafsenat des BGH an den von ihm entwickelten Grundsätzen von BGHSt 43, 212 unbeirrt fest:

"Das vorgetragene Verfahrensgeschehen begründet auch keine Behinderungsrüge (§ 338 Nr. 8 StPO; …). Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem von der Revision behaupteten Fairnessverstoß und dem Urteil besteht nicht. Einen solchen sieht die Revision in der mangelnden gerichtlichen Reaktion auf einen Vorspann (`dies vorausgeschickt´) in einem Beweisantrag
des Verteidigers. Darin wurde als Ergebnis einer Zeugenvernehmung der Nebenklägerin behauptet, diese habe drei ihr zugeschriebene Äußerungen im Internet-Chat mit dem Angeklagten bestätigt. Danach hätte das Gericht ohne ausdrücklichen Hinweis nicht von der Wahrscheinlichkeit einer Manipulation der Gesprächsprotokolle durch den Angeklagten ausgehen dürfen.
Dies trifft nicht zu. Das Gericht war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, seine Würdigung des Ergebnisses einer Beweiserhebung dem Angeklagten vor der Urteilsverkündung mitzuteilen (…). Die Verteidigung wurde auch nicht im Unklaren über das Verständnis des Gerichts betreffend die Grundlagen eines von ihr gestellten Antrags gehalten (…). Die Darlegungen im Vorspann des Antrags waren mit den unter anderem auf die Vernehmung von fünf Zeugen gerichteten Beweisanträgen inhaltlich keineswegs dergestalt verbunden, dass die Begründungen der Beweisanträge auch Beweisbehauptungen aus dem Vorspann umfasst hätten. Zudem gilt für ein nicht direkt antragsbezogenes bestimmtes Verständnis vom Ergebnis einer vorherigen Beweiserhebung Folgendes: Wenn einem Beweisantrag - wie hier - vollständig stattgegeben wird, macht dies schon im Blick auf die notwendigerweise fehlende Begründung einer solchen Entscheidung die Beweiserwägungen des Gerichts in keiner Hinsicht transparent. Hieraus lässt sich für den Antragsteller kein Vertrauenstatbestand herleiten." [23]

Eine tatrichterliche Erörterungspflicht besteht allein in beweisantragsrechtlichen Zusammenhängen, konkreter: im Rahmen von Beschlüssen gem. § 244 Abs. 6 StPO. Hier kann der Verteidiger in gewisser Weise unmittelbar oder mittelbar Sachverhalte festschreiben. Das gilt etwa für Beweisanträge auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen (§ 244 Abs. 4 StPO), wenn substantiiert Zweifel an der Sachkunde des ersten Sachverständigen geltend gemacht werden. [24]

Nicht nur die beweisantragsrechtlichen Ablehnungsgründe des Erwiesenseins und der Wahrunterstellung [25], auf die ich noch gesondert eingehen werde, sondern selbst der von Verteidigern gefürchtete, von Tatrichtern einerseits geliebte, andererseits lieblos gehandhabte Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit kann dem Verteidiger hilfreich sein. Er eröffnet immerhin mittelbar die Möglichkeit, Sachverhalte festzuschreiben. Wenn nämlich das Begründungsniveau des Beschlusses gem. § 244 Abs. 6 StPO inhaltlich der Indizienbeweisführung im Urteil entsprechen muß und der Tatrichter sich hierzu in seinem Urteil nicht in Widerspruch setzen darf [26], erlangt der Verteidiger immerhin durch die Begründung des Ablehnungsbeschlusses Aufschluß über die tatrichterliche Sichtweise auf das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme und kann seine Verteidigung hierauf einstellen.

Ein anschauliches Beispiel liefert eine neuere Entscheidung des 3. Strafsenat des BGH [27] : Der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Raubes lag die tatrichterliche Feststellung zugrunde, der Angeklagte habe den in Begleitung des Zeugen H. befindlichen Geschädigten gegen dessen Willen zum späteren (für Dritte nicht einsehbaren) Tatort gezogen. Diese Feststellung stützte der Tatrichter auf die Aussagen des Geschädigten, die ihm auch deshalb glaubhaft erschienen, weil der in der Hauptverhandlung nicht vernommene Zeuge H. nach den Angaben des kriminalpolizeilichen Vernehmungsbeamten derartiges auch im Ermittlungsverfahren berichtet hatte. Der Angeklagte hatte auf Vernehmung des Zeugen H. zum Beweis dafür angetragen, das Tatopfer sei dem Angeklagten freiwillig zum späteren Tatort gefolgt, ohne hierzu genötigt worden zu sein. Der Tatrichter hat dieses Vorbringen für bedeutungslos erachtet, weil nur das Geschehen am eigentlichen Tatort von Belang sei. Den nach dem Beweisvorbringen möglichen Schluß auf die Nichtanwendung von Gewalt bei Begehung der Tat wollte die Kammer nicht ziehen. Das war nach Auffassung des BGH fehlerhaft:

"Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache nur dann, wenn ein Zusammenhang zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Falle ihres Erwiesenseins nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen (…). Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, Indiztatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er einen möglichen Beweisschluss, den der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Er muss sich dann aber an seiner Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit festhalten lassen und darf sich im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen (…). Dies ist hier jedoch geschehen. Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Tatopfers hat das Landgericht auch aus den übereinstimmenden Angaben des Zeugen H.     und des Geschädigten zu dem Vortatgeschehen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers zur Tat II. 1 geschlossen. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es diesem Geschehen entgegen der im Ablehnungsbeschluss geäußerten Auffassung Bedeutung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen beigemessen hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO."

Daß der Beschluß gem. § 244 Abs. 6 StPO bei Anwendung des Ablehnungsgrundes der Bedeutungslosigkeit den bereits erwähnten strengen Begründungsanforderungen zu genügen hat, entspricht seit Jahrzehnten ein-

deutiger Rechtsprechung aller BGH-Strafsenate; in einer seiner letzten die Strafjustiz dieses Bundeslandes betreffenden Entscheidungen hat der 3. Strafsenat des BGH eine Strafkammer des Landgerichts Flensburg nachdrücklich hieran erinnert. [28]

Es ist deshalb kein Zufall oder Ausdruck bloßen Unvermögens, wenn Tatrichter trotzdem Antragsteller weiterhin mit nichtssagenden Beschlüssen abspeisen:

"Die in das Wissen des Zeugen W. gestellten Tatsachen sind für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Unterstellt, sie wären erwiesen, ergeben sich daraus nur mögliche, aber keine zwingenden Schlüsse, die das Gericht nicht zu ziehen beabsichtigt." [29]
So manifestiert sich der Unwillen von Tatrichtern, sich vor der Urteilsbegründung in die Karten blicken zu lassen. [30] Daß mit einem derartigen tatgerichtlichen Verhalten eine der wesentlichen Funktionen des Beweisantragsrechts unterlaufen wird, hat Max Alsberg schon 1926 herausgearbeitet. Er sah bereits damals im Beweisantragsrecht "eine Handhabe, um, wenn auch in begrenztem Maße, die Stellungnahme des Gerichts zur rechtlichen und tatsächlichen Bedeutung des Beweisergebnisses in einem Zeitpunkt erkennen zu können, in dem eine Abänderung dieser Stellungnahme durch weitere Anträge und Ausführungen noch angestrebt werden kann" [31].
cc)

Die nicht seltenen Protokollierungsanträge oder gar Anträge auf Tonbandaufzeichnung der Beweisaufnahme sind revisionsrechtlich wiederum ohne jeden Belang. Anderes gilt nur dann, wenn die Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 StPO tatsächlich erfolgt ist. [32] Das setzt freilich voraus, den Tatrichter vom Vorliegen der gemeinhin restriktiv verstandenen Voraussetzungen dieser Norm [33] zu überzeugen. Allerdings gewinnt man allzu oft den Eindruck, bei manchem Gericht käme es nie auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder den Wortlaut einer Aussage oder Äußerung an.

dd)

Damit ist der Sache nach einer der m.E. erfolgversprechendsten Ansätze zur formellen Sachverhaltsfestschreibung erreicht, nämlich die verfahrensrechtlich verlängerte Darstellungsrüge [34] .

Ergibt sich aus dem Urteil selbst, daß der Tatrichter einen Umstand nicht nachvollziehbar in die Beweiswürdigung eingestellt hat, so kann dies mit der Sachrüge als Erörterungsmangel beanstandet werden. [35]

Nur ein (etwas skurril anmutendes) Beispiel aus der neueren Rechtsprechung des 5. Strafsenats des BGH:

"Nach den die Feststellungen tragenden Bekundungen der Nebenklägerin wurde das ohnehin eher ungewöhnliche Vergewaltigungsgeschehen noch weiter dadurch verkompliziert, dass der Mischlingshund der Ehefrau des Angeklagten, die zugleich Lebensgefährtin der Nebenklägerin war, nach dem Angeklagten schnappte, von diesem jedoch `weggetreten´ wurde. Dies geschah, während der zur Tatzeit knapp 56 Jahre alte, wegen Rückenbeschwerden berentete und erheblich alkoholisierte Angeklagte (…) den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin vollzog, wobei er diese zugleich auf die Tischplatte niederdrückte und sich ihrer Tritte zu erwehren hatte (…). Unter solchen Vorzeichen hätte sich das Urteil nicht auf eine eher bruchstückhafte Darstellung beschränken dürfen. Vielmehr waren eine Mitteilung der näheren Einzelheiten (u.a. Größe und Alter des Hundes; Art, Dauer und Begleitumstände der ´Bissattacken´) und deren Würdigung im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen unerlässlich." [36]

Der Rückgriff auf Urteilsfremdes ist dem Beschwerdeführer hierbei versperrt. Der verfahrensrechtlichen Rüge, die Feststellungen vereinbarten sich nicht mit dem Akteninhalt, stehen - so das herkömmliche Verständnis der "Ordnung des Revisionsverfahrens" - das Rekonstruktionsverbot, das Verbot der Rüge der Aktenwidrigkeit des

Urteils sowie die Unzulässigkeit der sog. Alternativrüge (§§ 244 Abs. 2, 261 StPO) [37] entgegen. [38]

Wird indes eine Urkunde in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verlesen, läßt sich eine mit deren Inhalt nicht zu vereinbarende tatrichterliche Beweiswürdigung mit der Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) verfahrensrechtlich durchaus beanstanden. [39] Insoweit besteht die Hoffnung, die "nachteiligen Konsequenzen des Mündlichkeitsprinzips" und die "Abhängigkeit von den Zufälligkeiten des Urteils", auf die Alsberg bereits 1913 [40] hingewiesen hatte, revisionsrechtlich abzufedern.

Hierzu ein anschauliches Beispiel, dem ein Berufungsurteil des Landgerichts Lübeck zugrunde liegt. [41] Das Tatgericht setzt sich bei der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Aussage der Hauptbelastungszeugin N. mit dem Inhalt der verlesenen Aussage der verstorbenen Zeugin E. auseinander:

"Auch die verlesene Zeugenaussage E., die in der Hauptverhandlung erster Instanz bekundete, daß die Zeugin N. zu keinem Zeitpunkt mit ihr über einen Mißbrauch gesprochen habe, insbesondere nicht während der Internatszeit, läßt die Zeugenaussage N. in der Hauptverhandlung nicht unglaubwürdig erscheinen. So schilderte auch die Zeugin E. übereinstimmend mit der Zeugin N., daß zunächst diese es war, die von ihrem sexuellen Mißbrauch erzählt habe. Das Gespräch sei aber nur kurz gewesen. Es ist aber insoweit nicht auszuschließen, daß die Zeugin E., die in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht schilderte, daß sie der eigene Mißbrauch - nicht durch (den Angeklagten - meine Ergänzung) - sehr beschäftigte, gar nicht mitbekommen hat, daß die Zeugin N. ihr von einem ähnlichen Vorkommnis berichtete. Die Zeugin N. hat sich auch in der Hauptverhandlung nicht immer ganz klar ausgedrückt und manchmal waren mehrere Nachfragen notwendig. Insoweit ist nicht auszuschließen, daß deshalb die Zeugin E. die Bekundungen der Zeugin N. auf dem Schulhof gar nicht richtig wahrgenommen hat."

Die auf Urteilsfremdes, nämlich die verlesenen Niederschriften, zurückgreifende Inbegriffsrüge, mit der verfahrensrechtlich beanstandet worden war, die verlesenen Niederschriften über die Vernehmung der verstorbenen Zeugin hätten für derartige Würdigungen keinerlei Anhaltspunkte geboten, hatte bei dem Revisionsgericht [42] Erfolg:

"Die Wahrnehmungen der Zeugin E. werden nämlich nur auf die verlesenen Teile der entsprechenden Urkunden gestützt. Hier findet sich über Missverständnisse oder Unaufmerksamkeiten aber nichts. Vielmehr ist die Zeugin sowohl vor der Polizei als auch vor dem Amtsgericht ausdrücklich die Frage gestellt worden, ob N. ihr während des gemeinsamen Aufenthaltes in einem Internat über den sexuellen Mißbrauch durch den Angeklagten berichtet habe. In beiden Fällen belegen die verlesenen Urkunden, daß die Zeugin dies ausdrücklich in Abrede genommen hat. Sie hat verneint, daß über sexuelle Übergriffe gesprochen worden sei. Auf dieser Tatsachengrundlage ergibt sich für die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, hier möge es sich um ein Missverständnis oder eine Unaufmerksamkeit handeln, keine Stütze."

Unter Beachtung der Grenzen des § 250 S. 2 StPO kann es deshalb vielfach sinnvoll sein, das Augenmerk darauf zu richten, die Verlesung von Urkunden zu bewirken, deren Inhalt für die Verteidigungsposition des Angeklagten von wesentlicher Bedeutung ist. Freilich ist die Erhebung einer hieran anknüpfenden Verfahrensrüge im Hinblick auf § 344 Abs. 2 S. 2 StPO manchmal nicht unproblematisch:

  • Klar und einfach zu beherzigen ist noch die Notwendigkeit, die verlesene Urkunde in der Revisionsrechtfertigung vollständig wiederzugeben.
  • Es muß ferner vorgetragen werden, daß und in welchem Umfang die Urkunde zu Beweiszwecken verlesen worden ist. Hier beginnen die Schwierigkeiten: Legt das Protokoll möglicherweise einen formfreien Vorhalt oder eine Verlesung gemäß § 251 Abs. 3 StPO nahe, muß die Rüge sich hierzu verhalten. Problematisch sind deshalb Protokolle, die Umfang und Zweck der Verlesung nicht präzise bezeichnen. [43]
  • Wenn der Verfasser der Urkunde als Zeuge vernommen oder sonst über den Inhalt der Urkunde - über deren urkundenbeweisliche Einführung hinausgehend - Beweis erhoben worden ist, wird sich die (dadurch wegen des Rekonstruktionsverbotes existenzgefährdete) Inbegriffsrüge wohl vorsorglich [44] zu der Frage verhalten müssen, ob die Relevanz des verlesenen Urkundeninhalts gleichwohl bis zum Ende der Beweisaufnahme für alle Verfahrensbeteiligten unzweifelhaft war. Zum besseren Verständnis dieses Problems ein Blick auf BGH 5 StR
  • 20/03 [45] . Der Tatrichter hatte die Entstehungsgeschichte der Aussage der Nebenklägerin rekonstruiert. Danach hatte der Freund der Nebenklägerin deren Mutter am 05.07.2001 von dem ihm berichteten Mißbrauch informiert. Auslöser sei ein an die Mutter weitergeleiteter gegnerischer Schriftsatz aus einem familiengerichtlichen Verfahren vom 02.07.2001 gewesen. Dieser Schriftsatz war in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verlesen worden und wies den Eingangsstempel des Anwaltes der Mutter vom 06.07.2001 aus. Diesen Widerspruch hat der Tatrichter in den Urteilsgründen nicht aufgelöst. Denkbar wäre aber beispielsweise, daß es zwei Schriftsätze vom 02.07.2001 gab, die an unterschiedlichen Tagen dem Anwalt zugegangen waren, und in der Hauptverhandlung der falsche Schriftsatz verlesen worden war. Diese Schwierigkeiten potenzieren sich bei der Ausführung dieser Verfahrensrüge, wenn die Urkunde in den Urteilsgründen überhaupt keine ausdrückliche Erwähnung findet. [46]
  • Völlig ungeklärt ist, wie zu verfahren ist, wenn - wie in unserem Beispielsfall - die Förmlichkeiten des § 251 Abs. 4 StPO z.T. nicht eingehalten worden sind. Reicht es aus, diesen Mangel ausdrücklich nicht mit der Revision anzugreifen, um den Erfolg der Inbegriffsrüge nicht zu gefährden, oder ist die Rüge deshalb unschlüssig?
  • Ein weiteres Beispiel wiederum aus der Rechtsprechung des Landgerichts Lübeck: In einem Milieuverfahren wurde den Angeklagten ein Verbrechen des § 250 Abs. 2 StGB zur Last gelegt. Sie sollen die Bordellwirtin K. zur Herausgabe von Geld genötigt haben, indem sie aus einem Raum des Bordells, in dem sich die Prostituierte O. befand, ein Bügeleisen an sich brachten, um es sodann als Drohmittel gegen K. einzusetzen. In der ausführlichen, von K. unterschriebenen Strafanzeige wurde zwar von der Suche eines Täters nach einem Bügeleisen im zweiten und dritten Obergeschoß berichtet, nichts aber vom Auffinden oder gar einem versuchten Einsatz dieses Werkzeuges gegen sie. Stattdessen war als Aussage K´s protokolliert, O. habe einem der Täter gesagt, sie hätten kein Bügeleisen. Später hatte K. ihre Aussage geändert und eindringlich davon berichtet, die Täter hätten sie mit dem solchermaßen erlangten Bügeleisen bedroht. Nach der Vernehmung der Geschädigten und der die Anzeige aufnehmenden Polizistin in der Hauptverhandlung wurde deutlich, daß die Kammer diesen Widerspruch mit der Erwägung wegerklären wollte, die (gerade nicht skizzenhafte) Strafanzeige habe nur in groben Zügen das Tatgeschehen erfaßt. Die Vernehmung der Zeuginnen hatte hierfür freilich nichts ergeben. Deshalb wurde die ergänzende Verlesung der Strafanzeige beantragt. Diesen Beweisantrag erledigte die Strafkammer, indem sie die Beweisbehauptung als erwiesen ansah, um in den Urteilsgründen wie folgt zu argumentieren:

    "Nichts anderes ergibt sich daraus, daß in der Strafanzeige eine solche Bedrohung nicht erwähnt ist, sondern die Zeugin K. danach nur die Suche nach einem Bügeleisen erwähnt hat, mit dem die Täter sie hätten verbrennen wollen. Zunächst steht aufgrund der Aussage der die Strafanzeige aufnehmenden Zeugin J. fest, daß es sich um eine erste knappe Vernehmung zur Feststellung des groben Tatgeschehens handelt und eine detaillierte Vernehmung erst später durch das zuständige Kommissariat erfolgen sollte und auch erfolgt ist. Im übrigen spricht die Erwähnung der Suche nach dem Bügeleisen dafür, daß die Zeugin schon bei der Anzeigenerstattung von dem Auffinden des Bügeleisens und der nachfolgenden Bedrohung berichtet hatte." [47]

    Diese tatrichterliche (und vom Revisionsgericht [48] im Ergebnis nicht beanstandete) Argumentation macht zugleich die Grenzen einer auf die Einführung von Urkunden setzenden Verteidigungsstrategie deutlich: Wird die Urkunde verlesen oder die Beweisbehauptung als wahr unterstellt bzw. erwiesen angesehen, kommt es letztlich darauf an, wie groß der argumentative Spielraum für den Tatrichter ist, die Bedeutung des Urkundeninhalts zu relativieren, indem auf Beweisergebnisse zurückgegriffen wird, deren revisionsrechtliche Überprüfung das Rekonstruktionsverbot entgegensteht.

    ee)

    Mit dem zuletzt genannten Beispiel ist zugleich eine weitere Möglichkeit benannt, relevante entlastende Verfahrensergebnisse festzuschreiben, nämlich die Stellung sog. affirmativer (Hilfs-) Beweisanträge [49] . Mit ihnen soll verhindert werden, daß es der Tatrichter in den Urteilsgründen revisionsrechtlich nicht beanstandbar unterlassen kann, für die Verteidigung wesentliche Beweisergebnisse zu erörtern oder auch nur mitzuteilen.

    Kommt es etwa auf die fehlende Konstanz des Aussageverhaltens eines Zeugen an, die sich bereits aus der Vernehmung der Vernehmungsbeamten in der Hauptverhandlung ergibt, so kann - gerade wenn nicht der Vernehmungsniederschrift zu entnehmende Umstände (z.B. Vernehmungsatmosphäre) bedeutsam sind - ggfls. der Antrag sinnvoll sein, den weiteren Vernehmungsbeamten hierzu zu hören. Ebenso kann unter Beweis gestellt werden, daß der Zeuge in früheren Vernehmungen erstmals in der Hauptverhandlung getätigte Aussagen nicht gemacht hatte.

    Diese Anträge erfüllen ihren Zweck freilich nur dann, wenn das Tatgericht ihnen nicht nachgeht, sei es, daß die in dem Antrag genannte Bedingung nicht eintritt, sei es, daß der Tatrichter das Beweisvorbringen als wahr unterstellt oder erwiesen ansieht.

    Ein Tatrichter, der allen (Beweis)Anträgen nachgeht und auf den Urkundenbeweis verzichtet, entzieht sich weitestgehend allen Bemühungen, den seinem Urteil zugrunde zu legenden Sachverhalt in revisionsrechtlich

    tragfähiger Art vorab festzuschreiben. Einem Tatrichter ausdrücklich mitzuteilen, derartige Anträge seien gerade in der Absicht gestellt worden, daß er sie in dieser Weise ablehnen möge, ist heikel. Mißtrauen gegen tatrichterliche Redlichkeit oder Professionalität anzudeuten, trägt nie zur Verbesserung der Verfahrensatmosphäre bei. Die Antizipation dieser Gefahr dürfte ursächlich sein, wenn in (vermeintlich) eindeutigen Fällen auf solche in ihrer Stoßrichtung inhaltlich nur schwer vermittelbare Anträge verzichtet wird. Zwangsläufig wird damit aber das Risiko eingegangen, erst durch die Urteilsbegründung von den Überlegungen des Tatrichters überrascht zu werden, die ihn bei seiner Beweisführung leiteten.

    Daß auch einen erfahrenen Strafverteidiger das Judiz in Stich lassen kann, läßt sich an einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Essen [50] demonstrieren. Nach den Feststellungen hatte der Nebenkläger unmittelbar nach der Tat sowohl seinem Lebensgefährten als auch seiner Mutter sowie Polizeibeamten "in Bruchstücken eine Geschichte (erzählt), nach der er in einem Taxi von mehreren Personen entführt worden sei, einen Sack über den Kopf bekommen habe und schließlich mehrfach vergewaltigt worden sei." Die Strafkammer hält dies für eine "erfundene Geschichte", deren Ursache der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht habe plausibel machen können, geht aber trotzdem davon aus, ein derartiges Aussageverhalten spreche eher für die Zuverlässigkeit der späteren Angaben des Zeugen. Beifällig zitiert sie die folgende Aussage des ermittelnden Polizeibeamten, wonach er in seiner 25jährigen Dienstzeit

    "schon oft die Erfahrung gemacht habe, daß Opfer von Sexualstraftaten zunächst eine abstruse Geschichte erzählten und erst nach Abflauen der ersten Gefühlswallung in der Lage seien, Einzelheiten des realen Tatgeschehens mitzuteilen. Seiner Erfahrung nach lägen den abenteuerlichen Geschichten entweder ein Sexualdelikt oder gar kein Delikt zugrunde. Aufgrund der heftigen Reaktion (des Zeugen) sei er aber davon ausgegangen, daß an ihm ein Sexualdelikt verübt worden sei und kein anderes Delikt und auch kein einvernehmlicher Geschlechtsverkehr, dessen er sich nun schämen müsse."

    Muß man als Verteidiger derartiges antizipieren?

    ff)

    Abschließend ein nur noch nostalgischer Rückblick auf eine einschlägige Verteidigungsmöglichkeit, die der Gesetzgeber beseitigt hat. Zu Zeiten der Regelvereidigung war der Verzicht auf die Vereidigung aus Verteidigersicht als "schädliche Unsitte" gegeißelt worden. [51] Seinerzeit konnte bereits durch das Unterlassen des Verzichts auf die Vereidigung (§ 61 Nr. 5 StPO a.F.) das Tatgericht veranlaßt werden, Farbe zu bekennen, ob z.B. gegen einen Zeugen ein Beteiligungsverdacht (§ 60 Nr. 2 StPO) bestand oder aber der Aussage keine Bedeutung (§ 61 Nr. 3 StPO a.F.) zukam. Mit der Neufassung des § 59 StPO ist diese auch revisionsrechtlich vielfach erfolgreiche Verteidigungsstrategie weitestgehend Geschichte.

    b)

    Die Möglichkeiten, inhaltliche Ergebnisse der tatgerichtlichen Beweisaufnahme revisionsrechtlich verbindlich (formal) festzuschreiben, sind mithin eher bescheiden. Sie hängen darüber hinaus von der Reaktionsweise des Tatgerichts ab, und ihre Nutzung kann sich zudem in der Instanz als gravierende Belastung erweisen.

    Hätte man im Ausgangsfall des "Kondomunfalls" dem Landgericht die Möglichkeit nehmen können, die diesbezügliche Entwicklung des Aussageverhaltens der Hauptbelastungszeugin unerwähnt und ungewürdigt zu lassen?

    • Soweit die Zeugin sich gegenüber Dritten, insbesondere in Vernehmungen zu diesem Sachverhalt nicht geäußert hatte, hätte hilfsweise die Vernehmung etwaiger weiterer, noch nicht vernommener Gesprächs-/Vernehmungsteilnehmer beantragt werden können.
    • Mit § 250 S. 2 StPO vereinbar wäre der Antrag gewesen, alle schriftlichen Dokumentationen der Äußerungen der Zeugin zum Nachweis der Tatsache zu verlesen, daß der "Kondomunfall" in ihnen nicht erwähnt wird.
    • Es bleibt das erwähnte Problem der Vermittelbarkeit: Einem Tatrichter, der irritiert fragt, warum diese bereits im Sinne des Antrages durch Vernehmungen abgearbeiteten und zudem ausführlich erörterten Beweisthemen wieder aufgegriffen würden, zu erklären, dies geschehe nur, um sicherzustellen, daß er diesen Umstand im Urteil erwähne, er möge deshalb das Vorbringen doch einfach als erwiesen behandeln, kann taktisch aus der Instanzperspektive unvertretbar sein. Kann man - unabhängig von dem Sonderproblem der beweisantragsrechtlichen Fristsetzung, das auch hier zum Tragen kommen könnte [52] - dem Tatrichter den mit dem Antrag verfolgten Zweck nicht offen benennen, so kann dies bei Zeugenbeweisanträgen zudem die Neigung des Gerichts verstärken, sicherheitshalber den Anträgen nachzugehen und damit den gewünschten Effekt zu vereiteln.
    • All dies ändert ohnehin nichts daran, daß die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht vorhersehbar oder gar in revisionsrechtlich relevanter Weise steuerbar ist: Die vermeintlich festgeschriebenen Beweisergebnisse kann der Tatrichter zumeist unter Nutzung dem Rekonstruktionsverbot unterliegender Beweisgewinnungsakte in Bewegung bringen.

    IV. Ergebnis

    Die eingangs gestellte Frage " Festschreibung von Beweisergebnissen der tatgerichtlichen Hauptverhandlung für die strafprozessuale Revision - ein Mythos?" ist deshalb weitgehend zu bejahen. Verteidigung mit Blick auf

    die Revisionsinstanz meint gegenwärtig eher banal und defensiv Anmutendes [53]:

    • Vorrangig die Vermeidung einer Prozeßsituation, in der das Schicksal des Mandanten vom Ausgang eines Revisionsverfahrens abhängt. [54]
    • Festschreibung von Verfahrenssituationen, indem insbesondere auf eine eindeutige Protokollierung von Verfahrensvorgängen (etwa Verlesungen; z.B. bei § 255 StPO) oder Begründung von Beschlüssen (z.B. § 154 StPO [55] ) hingewirkt wird. [56]
    • Sicherstellung der Anschlußfähigkeit von Verteidigungsvorbringen der Tatsacheninstanz für die Revisionsinstanz. Das wiederum bedeutet gerade für die Verteidigung im Zuständigkeitsbereich des 5. Strafsenats des BGH mehrerlei: Einerseits die penible Beachtung von Rüge- und Beanstandungsobliegenheiten [57] einschließlich der Vermeidung des Eindrucks selbstwidersprüchlichen Verteidigungsverhaltens [58], andererseits eine zu unserem Thema seltsam gegenläufige Notwendigkeit: Um einen § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Rügevortrag sicherzustellen, sind wesentliche Geschehensabläufe der Hauptverhandlung zuverlässig zu dokumentieren. Ich erinnere nur an die eigenwillige Rechtsprechung dieses Senats zum gesteigerten Sachvortrag zur Konnexität bei sog. fortgeschrittener Beweislage [59]. Danach muß der Antragsteller/Beschwerdeführer "das Gebot einer Konkretisierung der Wahrnehmungssituation (des benannten Zeugen - meine Ergänzung) unter Einbeziehung des Ergebnisses der bisher durchgeführten Beweisaufnahme" beachten. Schließen will ich mit derjenigen Entscheidung dieses Senats, in der sich für mich immer noch am schönsten die Beliebigkeit revisionsgerichtlichen Argumentierens widerspiegelt. Sie betrifft die aus § 344 Abs. 2 S. 2 StPO folgende Pflicht des Beschwerdeführers, dem Revisionsgericht - man zuckt nach dem bisher Gesagten unwillkürlich zurück [60] - den Gang der tatgerichtlichen Hauptverhandlung zu rekonstruieren [61]:
    • "Jedenfalls genügt das Revisionsvorbringen nicht dem Erfordernis vollständigen Tatsachenvortrags nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Wegen der besonderen Fallkonstellation des Teilfreispruchs hätte es weiteren Vortrags bedurft, um den Senat in die Lage zu versetzen, zu prüfen, ob § 338 Nr. 6 StPO deshalb unanwendbar ist, weil das Beruhen des Urteils auf dem Fehler denkgesetzlich ausgeschlossen ist (…). Die Revision hätte hierzu ausnahmsweise jedenfalls pauschal den Gegenstand der Aussage des Zeugen Ar. mitteilen müssen (…). Nur in dessen Kenntnis könnte in der Sache entschieden werden, ob die unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgte Zeugenvernehmung überhaupt zur Verurteilung des Angeklagten herangezogen worden ist und nicht etwa allein den der Freisprechung des Angeklagten anheim fallenden Tatkomplex betroffen hat (…). Das Verbot einer Rekonstruktion der Hauptverhandlung, das primär Verfahrensrügen grundlegend einschränkt, die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützt sind, wird durch die hier verlangte Vortragspflicht nicht berührt, zumal keine Wiedergabe des Inhalts der Zeugenaussage im Einzelnen verlangt wird, sondern eine eher pauschale Bezeichnung des Vernehmungsgegenstands ausreichen wird ."

      * Das Manuskript lag meinen Vorträgen auf der Fortbildungsveranstaltung zum fünfjährigen Bestehen der Schleswig-Holsteinischen Strafverteidigervereinigung am 17.09.2010 in Kiel sowie der Herbsttagung der ASS am 02.10.2010 in Berlin zugrunde. Der Vortragsstil wurde beibehalten.

      [1] Vgl. bereits Ventzke StV 1997, 543, 545.

      [2] Dazu: Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl., Rn. 255 ff., 277 ff..; Fezer, in: Schriftenreihe der AG Strafrecht des DAV, Band 9 (1992), S. 58 ff.; Wilhelm ZStW 2005, 343.

      [3] Vgl. zur aktuellen revisionsdogmatischen Diskussion mit unterschiedlicher Nuancierung nur Rieß, in: Festschrift für Fezer (2008), S. 455 ff.; Thomas Fischer, in: Festgabe für Paulus (2009), S. 53 ff.; Rosenau, in: Festschrift für Widmaier (2008), S. 521 ff.

      [4] Vgl. Eschelbach, in: Festschrift für Widmaier a.a.O. S. 127 ff.

      [5] Dazu: Hamm a.a.O. Rn. 1293.

      [6] LG Itzehoe 9 KLs 11/95 jug III (Urteil vom 22.04.1996); rechtskräftig seit dem 06.11.1996 (BGH 3 StR 479/96).

      [7] Z.B. BGH 5 StR 412/08 HRRS 2009 Nr. 107, Rn. 14: "Das Tatgericht ist nämlich zur umfassenden Dokumentation der Beweisaufnahme im Urteil nicht verpflichtet (vgl. BGHSt 15, 347, 348; BGH NStZ 2007, 720), sondern lediglich zur Darstellung seiner - wenn auch rational zu begründenden und tatsachengestützten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08 Rdn. 16) - Beweisführung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 12a)."

      [8] 1 Ss 92/09 vom 23.06.2009, S. 3 ff. Die Revision greife - so die bemerkenswerte Logik des Senats (a.a.O. S. 2) - "einen der wenigen Teile des Urteils (an), die revisionsrechtlich unbedenklich erscheinen." Vgl. zu dieser Entscheidung auch Eggers JurisPR-StrafR 12/2010 Anm. 3.

      [9] Die Vorträge wurden 1988 unter dem Tagungstitel in der damaligen Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaften des DAV veröffentlicht.

      [10] A.a.O. S. 63/64 f.

      [11] Ebenso Widmaier, im: MAH-Strafverteidigung (2008), § 9, Rn. 104 ff.

      [12] Vgl. eindringlich Joachim Schulz, Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, 2007, S. 14, 17 f., 19 ff.; 40, 43 ff.; 164, 180 ff.

      [13] In: KK, StPO, 6. Aufl., § 243, Rn. 48.

      [14] Vgl. hierzu umfassend Hartmut Schneider a.a.O. Rn. 44 - 51.

      [15] Leitentscheidung BGH 3 StR 181/02, Rn. 25 (HRRS): " Ihr steht die Einlassung des Angeklagten auch nicht in vollem Umfang entgegen. Er hat immerhin eingeräumt, Kokaingeschäfte mit Holger L. im Kilobereich getätigt zu haben. Es kommt hinzu, daß der Einlassung des Angeklagten K. auch deswegen geringeres Gewicht zukommt, weil es sich nicht um eine eigentliche, mündlich vor Gericht abgegebene Aussage, sondern um eine schriftliche Verteidigererklärung handelte, die erst im Laufe des zweiten Hauptverhandlungsdurchgangs in Kenntnis des wesentlichen Teils des Beweisergebnisses abgegeben worden ist und die sich der Angeklagte lediglich als Einlassung zu eigen machte (vgl. Eisenberg/Pincus JZ 2003, 397, 399, 403)." Vgl. dazu Dahs NStZ 2004, 451.

      [16] BGH 5 StR 578/08 HRRS 2009 Nr. 174, Rn. 10: "Deren Einlassungen beruhten nämlich auf einer in Kenntnis des gesamten Verfahrensstoffes gefertigten schriftlichen Verteidigererklärung von minderer Überzeugungskraft (vgl. BGH NJW 2003, 2692, 2694) und bargen als interessengelenkte Aussagen ein unerörtert gebliebenes Falschbelastungsrisiko (vgl. BGH StV 2004, 578, 579; Brause aaO S. 510). Die Einlassungen bezweckten die jeweils eigene Verurteilung wegen Beihilfe, was indes nahezu zwingend die Verurteilung des Revidenten wegen täterschaftlichen Handeltreibens vorausgesetzt hätte."

      [17] Vgl. BGH 3 StR 6/08 (HRRS 2008 Nr. 645, Rn. 14 ff.).

      [18] So bezogen auf die gerichtliche Verlesung die präzise Umschreibung des 3. Strafsenats a.a.O. Rn. 21.

      [19] 3 StR 516/08 HRRS 2009 Nr. 161.

      [20] BGH 2 StR 462/03 HRRS 2004 Nr. 259, Rn. 16.

      [21] Vgl. Ventzke StV 2009, 655, 657.

      [22] BVerfG 2 BvR 2025/07 HRRS 2009 Nr. 467, Rn. 17.

      [23] BGH 5 StR 412/08 a.a.O. Rn. 21 f.

      [24] BGH 1 StR 618/98, Rn. 60 (HRRS): "Hält ein Prozeßbeteiligter die wissenschaftlichen Anforderungen dagegen für nicht erfüllt, wird er noch in der Tatsacheninstanz auf die Bestellung eines weiteren Sachverständigen hinzuwirken haben. Will das Gericht einem dahingehenden Beweisantrag nicht entsprechen, bedarf es - wie dargelegt einer ausführlichen Begründung des Ablehnungsbeschlusses regelmäßig nur dann, wenn der Antragsteller einen Mangel des Erstgutachtens konkret vorgetragen hat. Ist dies geschehen, wird es aber vor einer Entscheidung über einen derartigen Antrag naheliegen, den Erstgutachter zu dem behaupteten Mangel zu hören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben."

      [25] Die Probleme liegen bei dem zuletzt genannten Ablehnungsgrund vor allem darin, daß mit der Wahrunterstellung nicht die bindende Zusage der Erheblichkeit der Beweisbehauptung einhergeht und es der Tatrichter bei der Absetzung des Urteils zudem in der Hand, darüber zu bestimmen, ob er sich mit dem Vorbringen auseinandersetzen muß (vgl. Fischer, in: KK a.a.O. § 244, Rn. 185 f., 192 f.).

      [26] Vgl. nur Fischer a.a.O. Rn. 144 - 146.

      [27] 3 StR 250/10 vom 20.07.2010 Rn. 3 - 10.

      [28] 3 StR 519/09 vom 12.01.2010, Rn. 7 (bei HRRS nicht erfaßt).

      [29] Vgl. hierzu die Revisionsentscheidung HansOLG Hamburg StV 2010, 122 f., die im Hinblick auf einen ähnlich "begründeten" Beschluß das Urteil aufhob.

      [30] Vgl. auch Rosenthal AnwBl. 2010, 561, 562.

      [31] Ausgewählte Schriften (1992), S. 277, 280; ausdrücklich a.A. Niemöller JR 2010, 332, 336 in Fn. 44.

      [32] Vgl. nur BGH 5 StR 412/08 a.a.O. Rn. 14: "Soweit mit den Aufklärungsrügen Nr. 4 und 5 vorgetragen wird, drei in der Hauptverhandlung vernommene Zeuginnen hätten bei sachgerechter Erhebung ihrer polizeilichen Aussagen für den Angeklagten Günstigeres bekundet, beruft sich die Revision auf eine unterbliebene vollständige Ausschöpfung erhobener Beweise (vgl. BGHSt 4, 125, 126). Solches kann indes nicht Gegenstand einer Aufklärungsrüge sein, weil sich das Revisionsgericht nicht über das Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinwegsetzen darf (vgl. BGHSt 43, 212, 214; BGH NJW 2003, 150, 152, insoweit in BGHSt 48, 34 nicht abgedruckt). Nur auf der Grundlage der Kenntnis der vollständigen Aussage der Zeuginnen in der Hauptverhandlung ließe sich beurteilen, ob das von der Revision als sachgerecht erachtete Aufklärungsbegehren erfüllt worden ist. Die Erlangung einer solchen Kenntnis ist indes nach den verfahrensrechtlichen Strukturprinzipien - jenseits von Protokollierungen gemäß § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO - ausgeschlossen. Das Tatgericht ist nämlich zur umfassenden Dokumentation der Beweisaufnahme im Urteil nicht verpflichtet (vgl. BGHSt 15, 347, 348; BGH NStZ 2007, 720), sondern lediglich zur Darstellung seiner - wenn auch rational zu begründenden und tatsachengestützten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08 Rdn. 16) - Beweisführung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 12a)."

      [33] Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273, Rn. 18 ff.

      [34] Vgl. bereits Ventzke StV 1992, 338, 341 m.w.N.

      [35] Vgl. nur Meyer-Goßner a.a.O. § 261, Rn. 38; § 337, Rn. 26 ff.

      [36] BGH 5 StR 194/10 vom 06.07.2010, Rn. 3 (meine Hervorhebung). Für das Thema des Vortrages erhellend (und die wirklichen Entscheidungsgründe beleuchtend) sind freilich die sich anschließenden Ausführungen (a.a.O. Rn. 4): "Der Senat weist in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass die Nebenklägerin - was ihm aus einer zulässigen Verfahrensrüge bekannt ist - das markante Detail der `Hundeattacke´ erst in der Hauptverhandlung, nicht aber in den vorausgegangenen beiden polizeilichen Vernehmungen mitgeteilt hat. Im Rahmen der durch die Strafkammer vorgenommenen Konstanzanalyse hätte sich das Urteil mit diesem das Kerngeschehen betreffenden Umstand auseinandersetzen müssen."

      [37] Vgl. aber BGH 5 StR 333/09 HRRS 2009 Nr. 2015, Rn. 2 (ohne Begründung als statthaft angesehen); 3 StR 57/09 (HRRS 2009 Nr. 519, Rn. 2: für Ausnahmefälle offen gelassen).

      [38] Vgl. nur Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 38a m.w.N.

      [39] Z.B. BGH 5 StR 192/10 vom 04.08.2010, Rn. 2; 4 StR 1/07 HRRS 2008 Nr. 42, Rn. 3 ff.; 1 StR 392/06 HRRS 2007 Nr. 33, Rn. 21 ff.; 1 StR 180/06 HRRS 2006 Nr. 944, Rn 49 ff.; 1 StR 211/01, Rn. 17 (HRRS); 1 StR 283/00 vom 03.08.2000, S. 6 ff.; HansOLG Hamburg StV 1994, 643; instruktiv dazu auch Widmaier, in: Lagodny (Hg.): Der Strafprozeß vor neuen Herausforderungen? (2000), S. 183 ff.

      [40] A.a.O. S. 58, 65 ff., 93.

      [41] 3 kl. Ns 32/08; S. 14 (meine Hervorhebung).

      [42] SchlHOLG 1 Ss 18/09 (56/09) vom 06.05.2009, S. 3 f.

      [43] Das SchlHOLG (a.a.O. S. 3) sieht in der ungenügenden Protokollierung des Verlesungsumfanges ("auszugsweise verlesen") einen eigenständigen Rechtsfehler, um irritiert festzustellen, er sei nicht beanstandet worden. Das ist ersichtlich falsch, da Mängel des Protokolls nie die Revision begründen. Viel problematischer war die Frage, ob und in welchem Umfang der Verfahrensfehler überhaupt beweisbar war, wenn das Protokoll nicht ausdrücklich belegte, daß die rügerelevanten Passagen der Urkunden tatsächlich verlesen worden waren. Hinzu kommt, daß ohnehin die Grenzen des (mit der Rügeverkümmerung einhergehenden) Protokollberichtigungsverfahren unklar sind (vgl. anschaulich BGH 2 StR 158/10 vom 14.07.2010, Rn. 9 f.).

      [44] Das Argument entstammt der Diskussion der sog. Alternativrüge (z.B. BGH 1 StR 182/92 NStZ 1992, 506).

      [45] Rn. 5 ff. (HRRS); dazu: Hebenstreit, in: Festschrift für Widmaier a.a.O. S. 267 ff.

      [46] Vgl. Hamm a.a.O. Rn. 929.

      [47] 3 KLs 7/09 vom 16.04.2008, S. 26 (meine Hervorhebung).

      [48] 3 StR 418/08 vom 27.11.2008.

      [49] Vgl. schon Kempf a.a.O. S. 68 f.; Schlothauer StV 1988, 542; 1992, 134; zur Begrifflichkeit Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl., Rn. 59 ff., 76.

      [50] 52 KLs 47/08 vom 03.03.2010, S. 8 ff. (rechtskräftig durch BGH 4 StR 326/10 vom 19.08.2010).

      [51] Strate StV 1984, 42 ff.

      [52] Vgl. Ventzke StV 2009, 655, 659 ff.

      [53] Ob und ggfls. welche Verteidigungsoptionen insoweit durch die gesetzliche Regelung der Urteilsabsprache - etwa durch eine Verständigung über die Ersetzung einer Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung durch die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift aus dem Ermittlungsverfahren (§ 257 c Abs. 2 S. 1 StPO) - eröffnet worden sind, muß hier ebenso offen bleiben wie die Gefahr, daß präklusionsfreundliche Revisionsgerichte - wie der 5. Strafsenat des BGH - hier Beanstandungsmöglichkeiten zu beseitigen versuchen; vgl. aber BGH 5 StR 23/10 HRRS 2009 Nr. 299, Rn. 3: " Die Verfahrensrüge, die auf dem - nicht verbeschiedenen - vor Eröffnung des Hauptverfahrens gestellten Antrag des Angeklagten auf Auswechselung des Pflichtverteidigers aufbaut, ist nach den Maßstäben von BGHR StPO § 218 Ladung 6 und § 24 Revision 1 unzulässig. Der hier vorliegende Fall, in dem der Angeklagte nach beantragtem Pflichtverteidigerwechsel in dem Hauptverhandlungstermin vom 14. September 2009 unter ausschließlicher Mitwirkung des bisherigen Pflichtverteidigers eine Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 2 StPO getroffen hat, und die Nichtverbescheidung seines Antrags aus dem Zwischenverfahren gleichwohl mit der Revision rügt, ist nicht anders zu behandeln als das Beharren auf einer Verletzung von § 218 Satz 1 StPO oder § 24 Abs. 1 StPO nach einer wirksamen Verständigung. Ob Rechtsprechung des 3. Strafsenats (StV 2009, 628, 629) dem entgegen stünde, bedarf keiner Vertiefung. Die Rüge ist nämlich auch unbegründet. Im Abschluss einer Verständigung unter Mitwirkung des allein tätig gewordenen Pflichtverteidigers liegt eine wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechselung des Pflichtverteidigers (vgl. BGHR StPO § 218 Ladung 6)." Goecke hat auf der Kieler Tagung in diesem Zusammenhang auf BGH 5 StR 159/10 (vom 31.08.2010, Rn 4) hingewiesen.

      [54] Vgl. Schlothauer/Weider, Verteidigung im Revisionsverfahren (2008), Rn. 1.

      [55] Vgl. Schaper, in: NJW-Festheft für Tepperwien (2010), S. 61 ff.

      [56] (Fehlgeschlagene) Absprachen scheinen insoweit erheblich risikobehaftet (vgl. zuletzt BGH 2 StR 205/10 vom 04.08.2010, Rn. 16 ff). Cirener hat auf der Berliner Veranstaltung mit Recht die Bedeutsamkeit von BGH 4 StR 620/09 (HRRS 2010 Nr. 394, Rn. 2) hervorgehoben.

      [57] Vgl. zuletzt BGH 4 StR 606/09 HRRS 2010 Nr. 457, Rn. 8 ff.

      [58] Vgl. zu diesem Problemkreis zuletzt umfassend Gaede wistra 2010, 210.

      [59] BGH 5 StR 38/08 HRRS 2008 Nr. 611, Rn. 15 ff. Verfehlt der Beweisantrag diese Anforderungen, muß eine Aufklärungsrüge dies nachholen (a.a.O. Rn. 24).

      [60] Vgl. auch Pauly, in: Festschrift für Hamm, 2008, S. 557, 571 ff.

      [61] BGH 5 StR 404/07 HRRS 2008 Nr. 130, Rn. 11 (meine Hervorhebung) mit Anm. Ventzke StV 2008, 123.