HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Jul./Aug. 2010
11. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Rückwirkende Sicherungsverwahrung – Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK als andere gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB

Zugleich Besprechung zu BGH HRRS 2010 Nr. 648, OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2010, 2 Ws 169/10, OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10, OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10 und OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10.

Von Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School, Hamburg

I. Ausgangspunkt: Divergierende Rechtsauffassungen zur Geltung des Rückwirkungsverbots für die Sicherungsverwahrung

Seit langem ist in Deutschland umstritten, ob Maßregeln wie die Sicherungsverwahrung dem strengen strafrecht-

lichen Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG und § 1 StGB unterfallen.[1] Daraus wäre auch ein striktes Rückwirkungsverbot abzuleiten. Der EGMR hat die Sicherungsverwahrung nun in einem mustergültigen Einzelfall rechtskräftig als Strafe im Sinne des Art. 7 I 2 EMRK eingeordnet und damit dem Schutz des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips unterstellt.[2] Folglich muss es als ausgemacht gelten, dass eine rückwirkende Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen ein europaweit anerkanntes Menschenrecht verstößt.[3]

Der deutsche Gesetzgeber hat eine solche Rückwirkung aber nicht kategorisch ausgeschlossen. Das zeigt sich für die Sicherungsverwahrung insbesondere an der – nun vor dem EGMR gescheiterten – rückwirkenden Aufhebung der früheren zehnjährigen Höchstfrist der Sicherungsverwahrung. Gleichermaßen ist der "Wille zur Rückwirkung" an der nachträglichen Sicherungsverwahrung abzulesen, die bislang – die weiteren Erfordernisse vorausgesetzt – gezielt auch auf Taten Anwendung fand, die vor ihrer Einführung oder Ausweitung begangen worden sind.[4] Ganz allgemein gibt der Gesetzgeber mit § 2 VI StGB zu erkennen, dass er Maßregeln und somit auch die Sicherungsverwahrung – gegen das heute wohl herrschende Schrifttum[5] – nicht als Strafen im Sinne des Art. 103 II GG ansieht. Entsprechend ging er davon aus, dass er auch das strenge Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG nicht zu beachten hatte, als er die Rückwirkung bei der Sicherungsverwahrung zuließ.[6] Gemäß § 2 VI StGB gilt das Rückwirkungsverbot bei Maßregeln deutschen Rechts (vgl. § 61 StGB) nur dann, wenn eine gesetzliche Regelung die Geltung des Tatzeitrechts bestimmt. Für die problematischen Fälle der "rückwirkenden Sicherungsverwahrung" hat der Gesetzgeber eine solche Regelung nicht speziell geschaffen. Die darin zum Ausdruck kommende verfassungsrechtliche Interpretation wird bislang auch vom BVerfG bestätigt. Nach seiner Ansicht verstößt die rückwirkende Anordnung der Sicherungsverwahrung weder gegen Art. 103 II GG noch gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot des Art. 20 III GG iVm Art. 2 II 2 GG, weil die Sicherungsverwahrung als Maßregel nicht dem Schuldausgleich dienen soll.[7]

Der Status quo ist damit: Die verfassungsrechtliche und die menschenrechtlich-völkerrechtliche Rechtslage divergieren. Allerdings ist die Entscheidung des EGMR im konkreten Einzelfall gemäß Art. 46 EMRK für Deutschland verbindlich.[8] Darüber hinaus dürfte heute jedenfalls in dem von BVerfGE 111, 307 ff. ("Fall Görgülü") gezogenen Rahmen anerkannt sein, dass die Rechtsprechung des EGMR auch in den Parallelfällen insbesondere der überschrittenen Höchstdauer der Sicherungsverwahrung eine vergleichbare, die deutschen Gerichte praktisch bindende Orientierungswirkung besitzt.[9] Art. 7 I 2 EMRK gilt über das Transformationsgesetz MRK in Deutschland unmittelbar als bindendes Recht im Rang einfachen Bundesrechts.[10] Zudem darf einfaches Recht in seinen Schutzwirkungen über das Verfassungsrecht prinzipiell hinausgehen.[11] So stellt sich insbesondere bei Entscheidungen, die Sicherungsverwahrte gemäß § 67e StGB nach Überschreitung der zehnjährigen Höchstfrist zur Erledigung ihrer Sicherungsverwahrung anstreben, die akute Frage, ob die Gerichte in diesen Fällen nicht im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung auf eine sofortige Freilassung erkennen müssen, um die fortdauernde Rückwirkung zu beenden.

II. Umsetzung der Entscheidung des EGMR de lege lata möglich?

Da der EMRK in Deutschland nicht der Rang höheren Rechts verliehen ist, stürzt der geschilderte Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsstand zur Sicherungsverwahrung die Praxis in ein Dilemma. Dieses Dilemma nimmt sich angesichts der – in den Problemfällen weiterhin prognostizierten – hochgradigen Gefährlichkeit der Inhaftierten und der oft mangelnden Vorbereitung auf die sofortige Entlassung besonders gravierend aus. Sollen die

Rechtsanwender in der Praxis dem scheinbar eindeutigen deutschen Recht der Sicherungsverwahrung zum Schutz potentieller Opfer Folge leisten und damit sehenden Auges an schwerwiegenden und flagranten Menschenrechtsverletzungen des deutschen Staates mitwirken? Soll die Praxis darauf vertrauen, dass das BVerfG die Entscheidung des EGMR unter Inanspruchnahme besseren deutschen verfassungsrechtlichen Wissens und nationalstaatlicher Souveränität zurückweisen wird, auch wenn es hierdurch systematische Brüche des Völkerrechts in Kauf nähme? Oder sollte die Praxis nicht besser die dem EGMR gemäß Art. 32 EMRK völkerrechtlich auch in Deutschland explizit zugestandene Kompetenz zur Letztentscheidung über die EMRK akzeptieren? Die Rechtsanwender müssten dann nach Möglichkeit einen Weg suchen, auf dem sie Menschenrechtsverletzungen, die schon infolge Art. 1 II GG[12] der deutschen Rechtspraxis wesensfremd sein müssen, vermeiden oder wenigstens zügig beenden können. Dieser Weg müsste angesichts der zugleich vorliegenden Verletzung von Art. 5 I EMRK[13] regelmäßig auf eine Entlassung hinauslaufen. Er könnte darin liegen, Art. 7 I 2 EMRK im Zuge einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung[14] als ein Gesetz im Sinne des § 2 VI StGB zu verstehen, das eine rückwirkende Anwendung des heutigen Rechts der Sicherungsverwahrung untersagt und damit die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts auch für die Sicherungsverwahrung wiederherstellt.[15] Soweit das Tatzeitrecht aber nur eine Sicherungsverwahrung von längstens zehn Jahren vorsah, wären die Inhaftierten jedenfalls aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen.[16]

1. Zurückhaltung gegenüber der Anwendung von § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK

Ob der Weg über § 2 VI StGB in Verbindung mit Art. 7 I 2 EMRK tragfähig ist, hierüber besteht derzeit ein gravierender Dissens, der bislang jedenfalls die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte spaltet. Zunächst hat der 1. Strafsenat des BGH in einer Entscheidung zur rückwirkenden Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 II Nr. 1 JGG im Ergebnis davon abgesehen, die Rückwirkung durch eine konventionskonforme Auslegung zu verhindern.[17] Für das Jugendstrafrecht meint der Senat mit einer nicht überzeugenden Begründung, dass Art. 7 I 2 EMRK in diesem Fall gar nicht verletzt sei.[18] Bei der Beurteilung der "Höchstfristfälle" zu § 67d StGB sind dann in der Folge zahlreiche Oberlandesgerichte der Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK entgegengetreten. Vor allem[19] wird geltend gemacht, die Anwendung sei mit dem "klaren Wortlaut" der Art. 1a III EGStGB aF[20] und des § 67d III StGB[21] unvereinbar. Hierin sei der eindeutige Wille des Gesetzgebers für eine zulässige Rückwirkung zum Schutz potentieller Opfer zum Ausdruck gekommen, der sich als unübersteigbare Grenze einer methodologisch zulässigen Auslegung darstelle.[22] Zudem wurde eingewandt, dass die sofortige Entlassung, die aus der Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK ohne Rücksicht auf eine fortbestehende Gefährdungsprognose folgen würde, die gebotene

Abwägung zwischen dem Schutz der Grundrechte potentieller Opfer und den verfassungsmäßigen Rechten des Täters verfehle:[23] Hierin läge eine vom BVerfG in der Görgülü-Entscheidung untersagte "schematische Vollstreckung" des Urteils des EGMR, da den Fachgerichten in Form des geltenden § 67d III StGB nach Ablauf der Zehnjahresfrist verfassungsrechtlich eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Sicherungsverwahrten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits aufgetragen sei. Das OLG Stuttgart sieht sich dazu auch deshalb verpflichtet, weil Grundrechtsträger, die am Verfahren vor dem EGMR unbeteiligt sind, ohne diese erneute – ganz offensichtlich nicht auf eine Freilassung verpflichtete – Abwägung entgegen dem Görgülü-Beschluss nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten.[24] Zudem scheint in den Entscheidungen durch, dass sich die Gerichte verpflichtet sehen, das Primat des Gesetzgebers zur Neuregelungen seines Schutzkonzepts zu bewahren.[25]

2. Vermehrte Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK

Nunmehr entwickelt sich aber ein Gegentrend. Vor allem hat der 4. Strafsenat des BGH in einem Fall, in dem er eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB unter Inkaufnahme einer konventionswidrigen Rückwirkung hätte bestätigen müssen, eine konventionskonforme Leitentscheidung getroffen. Zum einen hat der Senat zustimmungswürdig entschieden, dass auch die Anwendung des § 66b III StGB auf Taten, die vor seinem Inkrafttreten begangen worden sind, Art. 7 I 2 EMRK verletzt. Er hat damit zu Recht begonnen, die gebotenen Schlüsse aus dem Urteil des EGMR auch für die nachträgliche Sicherungsverwahrung zu ziehen. Zum anderen hat der Senat von der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gerade abgesehen, indem er im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung in Art. 7 I 2 EMRK eine abweichende gesetzliche Regelung i.S. des § 2 VI StGB erkannt hat.[26] Er hat hierdurch auch für den Fall einer fortbestehenden prognostizierten Gefährlichkeit des Inhaftierten die prinzipielle[27] methodische Vertretbarkeit des Weges über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK höchstrichterlich bestätigt und die sofortige Freilassung des Inhaftierten verfügt. Mit Recht hat er betont, dass dem jedenfalls eine etwaige Bindungswirkung der bisherigen Entscheidungen des BVerfG zur rückwirkend angeordneten Sicherungsverwahrung nicht entgegensteht, da die Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK eine Frage des einfachen Rechts darstellt.[28]

Im Sinne des 4. Strafsenats haben in den "Höchstfristfällen" nun auch andere Oberlandesgerichte judiziert. Zum Teil haben sich die Oberlandesgerichte dem BGH angeschlossen,[29] zum Teil waren sie schon zuvor für die Vertretbarkeit des Lösungsweges über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK eingetreten.[30] Auch wenn sich die Rechtsprechung des 4. Strafsenats des BGH nicht auf § 67d StGB bezieht, dürfte ihr damit eine Signalwirkung beizumessen sein, zumal sich auch der 1. Strafsenat des BGH einer Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK nicht explizit verschlossen hat.[31]

3. Durch den Gesetzgeber bestätigter Klärungsbedarf

Auch nach der tendenziell zur Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK anhaltenden Entscheidung des 4. Strafsenats lehnen einige Oberlandesgerichte dieses Vorgehen zu § 67d StGB weiterhin ab.[32] Die Frage, wie mit rückwirkenden Anordnungen der Sicherungsverwahrung umzugehen ist, harrt damit in der Praxis der Gerichte einer weiteren Klärung. Auch der Gesetzgeber strebt die Klärung der fortbestehenden Divergenz der Oberlandesgerichte bei der Entscheidung über die etwaige Erledigung einer angeordneten Sicherungsverwahrung an. Zu diesem Zweck hat er das 4. Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes erlassen.[33] Dieses Gesetz führt – vor dem Hintergrund der bestehenden Divergenz zur Sicherungsverwahrung – in § 121 II Nr. 3 GVG eine Vorlagepflicht zum BGH für den Fall ein, dass ein Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Erledigung einer Maßregel von einer früheren Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen will. Die Regelung ist seit dem 30. Juli 2010 in Kraft. Sie soll erklärtermaßen auch eine baldige Entscheidung des BGH zur divergierend gehandhabten Berücksichtigung des Urteils des EGMR zur Sicherungsverwahrung in den "Höchstfristfällen" ermöglichen.[34] Bemerkenswerterwei-

se überlässt es der Gesetzgeber damit also den Gerichten, wie sie inhaltlich mit dieser Rechtsfrage verfahren wollen.[35] Die folgenden Ausführungen sollen zur Klärung dieser Rechtsfrage beitragen.

III. Sperrung oder Förderung der völkerrechtsfreundlichen Auslegung durch das Verfassungsrecht

1. Verfassungsrechtliche Schutzpflicht zur fortdauernden Inhaftierung

Auch wenn die völkerrechtsfreundliche Auslegung gemäß der EMRK eine eigene verfassungsrechtliche Wurzel aufweist,[36] beruht die Anwendung der EMRK nach ihrer herrschenden Deutung zunächst "nur" auf einfachem Bundesrecht. Infolgedessen muss ein aus der EMRK abgeleiteter Rechtssatz in der deutschen Rechtsordnung prinzipiell zurücktreten, wenn ihm Verfassungs- und damit höherrangiges Recht entgegensteht. In diese Richtung zielen die Argumentationen der Oberlandesgerichte, die zur rückwirkend übertretenen Höchstfrist der Sicherungsverwahrung gegen die Freilassung eintreten. Diese Gerichte sehen sich verpflichtet, die Freilassung nur nach einer Abwägung der staatlichen Schutzpflicht und der Freiheitsrechte des bislang Sicherungsverwahrten vorzunehmen, in der sie dem Schutz potentieller Opfer einen prinzipiellen Vorrang zukommen lassen. Im Sinne der für die Praxis[37] maßstabsetzenden Görgülü-Entscheidung könnte damit vorrangiges Recht der völkerrechtsfreundlichen Auslegung über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK entgegenstehen.

Diese Argumentation kann sich aber nur scheinbar auf Verfassungsrecht bzw. auf das BVerfG berufen. Die von den Oberlandesgerichten angenommene Befugnis, die Freilassung mit dem Verweis auf verfassungsgegründete Schutzpflichten zu verweigern, vermöchte nur dann zu überzeugen, wenn diese Schutzpflichten zur Aufrechterhaltung einer Sicherungsverwahrung bzw. einer Freiheitsentziehung über die frühere Höchstfrist von zehn Jahren hinaus zwingen würden.[38] Eine solche Ausdehnung der Schutzpflichtrechtsprechung, die in ihrer Konkretion und Eingriffstiefe auf Seiten des Verwahrten als judicial activism gänzlich neuer Qualität bezeichnet werden müsste, hat aber weder das BVerfG selbst vertreten, noch ist im Ansatz verfassungsrechtlich dargelegt worden,[39] weshalb eine solche verfassungsrechtliche Detailvorgabe begründet und seitens des BVerfG zu erwarten sein sollte. Das BVerfG hat sich allein auf den Standpunkt gestellt, dass der parlamentarische Gesetzgeber den Widerstreit zwischen Abwehrrechten und Schutzpflichten auch durch die rückwirkende Aufhebung der Höchstfrist für die Sicherungsverfahrung austarieren durfte.[40] Mitnichten hat das Gericht ausgesprochen, der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich gezwungen oder auch nur gehalten gewesen, die Sicherungsverwahrung auch unter Inkaufnahme von Rückwirkungen über zehn Jahre hinaus zu verlängern. Auch die gegen eine Freilassung streitenden Oberlandesgerichte selbst erkennen zum Teil, dass eine Rückkehr zum früheren Rechtszustand verfassungsrechtlich nicht unzulässig ist; sie ziehen aber daraus nicht stets die richtigen Schlüsse.[41] Ebenso teilt der Gesetzgeber als primärer Adressat der von einigen Oberlandesgerichten postulierten Schutzpflichtreichweite die hiesige Sicht des verfassungsrechtlichen Rechtsstandes. Indem er mit seiner jüngsten Gesetzgebung zur Sicherungsverwahrung einer möglichen (weiteren) Entscheidung durch den BGH zugunsten der Freilassung im Wege des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK nicht entgegentritt, sah er sich nicht in der Pflicht, die zum Teil schon durchgeführten Freilassungen zu verhindern.[42] Eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Untermaßverbotes[43] kann in der Freilassung, die immerhin in jedem Fall die Führungsaufsicht nach sich zöge,[44] vor diesem Hintergrund nicht

erblickt werden. Dies gilt auch deshalb, weil der EGMR – was bislang zu sehr untergeht – zukünftigen anderen präventiven Maßnahmen im Gegensatz zur Sicherungsverwahrung nicht zugleich die menschenrechtliche Legitimität abgesprochen hat.

Erst recht ist eine Abwägung, aus der die Befugnis zur fortdauernden Freiheitsentziehung erwachsen soll, nicht etwa deshalb verfassungsrechtlich geboten, weil in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen nur dadurch die im Verfahren vor dem EGMR eventuell unbeteiligten Begünstigten der Schutzpflichten als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Dies gilt selbst dann, wenn man die hiesige Abwägungslage prinzipiell als Fallgruppe der mehrpoligen Grundrechtsverhältnisse im Sinne der Görgülü-Entscheidung interpretieren wollte.[45] Die potentiellen Opfer können sinnvoll allein durch den ohne Weiteres in Straßburg und in den Verfahren zu § 67d StGB vertretenen Staat im Verfahren Gehör finden,[46] der sich allgemein und so auch hier "schützend und fördernd vor das Leben potenzieller Opfer zu stellen und deren Leben insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren hat".[47] Die Reichweite dieses Schutzes, und das ist das entscheidende, reicht aber verfassungsrechtlich – plädiert man nicht für seine elementare Neudimensionierung – nicht bis zu einer für die Position der Oberlandesgerichte konstitutiven verfassungsrechtlichen Vorgabe der fortdauernden Sicherungsverwahrung.

2. Nahe liegende Fortentwicklung des Verfassungsrechts im Sinne der Judikatur des EGMR

Langfristig dürfte seitens des Verfassungsrechts vielmehr mit einem Impuls zu rechnen sein, der für eine zeitnahe Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK spricht.[48] Nach einer erneuten Befassung des BVerfG dürfte sich die Verhinderung rückwirkender Sicherungsverwahrungen auch als verfassungsrechtliches Gebot darstellen. Zwar hat sich das BVerfG, dies ist nicht zu übersehen, mit Gründen und nach reiflicher Prüfung gegen die Geltung des Art. 103 II GG und für die Vereinbarkeit mit Art. 20 III und 2 II 2 GG entschieden.[49] Das BVerfG hat aber bereits bewiesen, dass es seine Rechtsprechung fortentwickeln und damit von einer früheren, durch neue Erkenntnisse als unzureichend erkannten Rechtsprechung abrücken kann.[50] Hierin läge in der Perspektive der Schutzpflichtrechtsprechung auch keine Verminderung des Grundrechtsschutzes,[51] da das BVerfG eine entsprechende Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz durch rückwirkende Sicherungsverwahrungen nie ausgesprochen hat. Es erklärt selbst in ständiger Rechtsprechung, dass die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR auch bei der Auslegung des Grundgesetzes ein Erkenntnismittel darstellen.[52] Eine hier vorliegende Fortentwicklung der europäischen Grundrechte, die auch auf einer europaweiten Faktenanalyse beruht,[53] kann das BVerfG zu einer Fortentwicklung auch des deutschen Grundrechtsstandards anhalten. Dies begründet das BVerfG hinsichtlich der EMRK nunmehr – bemerkenswerterweise – auch mit dem in der Verfassung prominent verorteten Art. 1 II GG.[54] Eine entsprechende Änderung seiner Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung könnte zum Beispiel dadurch geschehen, dass es zwar seine prinzipielle Ausgrenzung von Maßregeln aus dem Schutzbereich des Art. 103 II GG aufrechterhält, die Sicherungsverwahrung jedoch mit dem EGMR als eine

nicht hinreichend von klassischen Strafen verschiedene Maßregel wieder in den Schutz des Art. 103 II GG einbezieht. Ebenso könnte das BVerfG die europäische Beurteilung der Sicherungsverwahrung bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung in die Waagschale werfen,[55] die es im Rahmen des allgemeinen Rückwirkungsverbots und zu Art. 2 II 2 GG unternimmt. So könnte das Gericht zu einem Verstoß gegen Art. 20 III GG i.V.m Art. 2 II 2 GG gelangen.

Jener Rechtsprechungswandel würde auch im Hinblick auf das Unionsrecht von Weitblick zeugen, da sich zukünftige Konflikte mit der EU-GR-Charta auf diesem Wege von vornherein vermeiden ließen. Auch wenn der seit dem 1. Dezember 2009 geltende Art. 49 I 2 EU-GR-Charta infolge Art. 51 EU-GR-Charta auf die hiesigen Fälle nicht ohne Weiteres anwendbar sein dürfte, steht zu erwarten, dass auch das mit einem Anwendungsvorrang versehene Unionsrecht die Beurteilung des EGMR übernehmen und sich damit fortentwickeln dürfte.[56] Dies folgt schon daraus, dass die Auslegung der Grundrechtecharta gemäß Art. 52 III, 53 EU-GR-Charta erklärtermaßen das vom EGMR nach Art. 32 EMRK legitim bestimmte Schutzniveau der EMRK nicht unterschreiten will.

Nicht zuletzt bestehen auch sachliche, nicht nur auf internationalrechtliche Autoritäten basierende Gründe, die deutsche Rechtsprechung zu überdenken.[57] Sie liegen vor allem in der bislang vom BVerfG für die Sicherungsverwahrung[58] zu gering geschätzten Maxime, den Grund- und Menschenrechtsschutz stets konkret und wirksam nach den vorhandenen Rechtstatsachen und nicht nur formal zu entfalten.[59] Dies muss hier dazu führen, die vor allem im Vollzug offenkundigen Gemeinsamkeiten von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung als wesentlich anzuerkennen.[60] Schließlich ist der doch zu einseitige Rekurs des BVerfG auf die intendierte[61] ethische Missbilligung aufzugeben. Vielmehr ist der bislang dadurch vernachlässigte ureigene Schutzzweck des Art. 103 II GG, dem Bürger zur Wahrung seiner Freiheitsrechte auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einer anlassgebenden Straftat[62] Vorhersehbarkeit zu gewährleisten,[63] gerade bei der zur Abschreckung[64] geeigneten Sicherungsverwahrung wieder in sein Recht zu setzen.[65] Falls das BVerfG seine Auffassung in diesem Sinne fortentwickeln sollte, würde nicht nur das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, sondern auch das Gebot der verfassungskonformen Auslegung für die Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK streiten. Dies gilt im Wissen darum, dass auch diese Auslegungsmaxime nicht unbegrenzt ist.[66] Die über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK lediglich bewirkte Einschränkung des § 67d StGB n.F (und des § 66b StGB)[67] überdehnt aber jedenfalls die praktizierten Grenzen der verfassungskonformen Auslegung nicht.[68]

IV. Die Methodenfragen – Grenzen der völkerrechtskonformen Auslegung

1. Die Eindeutigkeit des entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers

Die Verfassung spricht also nicht gegen die vorgeschlagene völkerrechtsfreundliche Auslegung. Steht nun aber dem deutschen Rechtsanwender der Weg über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK überhaupt als eine methodologisch zulässige Auslegung offen? Darin liegt eine weitere Voraussetzung jeder völkerrechtsfreundlichen Auslegung.[69] Die Kritiker der Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK verweisen – wie oben gesehen (II. 1) – darauf, dass der Gesetzgeber ausweislich des Wortlautes der Normen Art. 1a III EGStGB a.F. und § 67d III, IV StGB zugunsten eines vermehrten Opferschutzes eine rückwirkende Anwendung der Aufhebung der Höchstdauer der Sicherungsverwahrung gewollt habe. Dies ist als Ausgangspunkt auch nicht zu bestreiten. Der historische Gesetzgeber wollte verhindern, dass Sicherungsverwahrte in die Freiheit entlassen werden, die fortwährend gefährlich sind. Jedenfalls der geltende § 67d III StGB bringt dies de lege lata noch zum Ausdruck.

Die allein darauf abhebenden Oberlandesgerichte verfehlen die Optionen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung dennoch schon im Ausgangspunkt, wenn sie dabei stehen bleiben und meinen, schon hieraus ergebe sich ein eindeutiger, praktisch unumstößlicher gesetzgeberischer Wille. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung gebietet den Gerichten in den Worten des BVerfG, "der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben ... solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind".[70] Dafür ist bei der Auslegung des gesamten geltenden deutschen Rechts gerade die Frage zu stellen, ob der Gesetzgeber ein bestimmtes Regelungsziel auch um den Preis einer Verletzung des Völkerrechts – zumal bei völkerrechtlichen Menschenrechten, vgl. Art. 1 II GG, – erzielen wollte.[71] Diese entscheidende Frage wird man indes nur mit "Nein" beantworten können. Der Gesetzgeber ging – wie das rechtskräftige Urteil des EGMR zeigt – implizit von einer irrigen Deutung der Menschenrechte des (regionalen) Völkerrechts aus. Er dachte, dass jedenfalls eine aus seiner Sicht vorliegende bloße rückwirkende Verlängerung der Dauer (und damit nicht der Anordnung) einer Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot und Art. 5 EMRK von vornherein nicht verletzen könne.[72] Mitnichten wollte er durch Art. 1a III EGStGB a.F. und § 67d StGB das Völkerrecht bewusst brechen,[73] dem er in Art. 7 I 2 und 5 EMRK für das deutsche Recht Geltung verschafft hat. Damit kann aber der von den ablehnenden Oberlandesgerichten unterstellte eindeutige Wille des Gesetzgebers, die Freilassung Sicherungsverwahrter auch gegen völkerrechtliche Menschenrechte verhindern zu wollen, nicht festgestellt werden. Folglich sind auch Argumentationen, die eine normübergreifende systematische Auslegung anhand des in Deutschland unmittelbar geltenden Art. 7 I 2 EMRK befürworten, mitnichten ausgeschlossen.

Wenn man heute im Sinne der objektiven Gesetzesauslegung untersucht, ob sich der infolge des gesetzgeberischen Irrtums drohende systematische Bruch des Völkerrechts mit Art. 7 I 2 EMRK und Art. 5 I EMRK vermeiden oder zumindest beenden lässt, argumentiert man auch nicht gegen den Gesetzgeber, von dem der Rechtsanwender im Anwendungsbereich des völkerrechtsfreundlichen Grundgesetzes auszugehen hat. Die gleichzeitige Existenz von § 67d StGB n.F. und Art. 7 I 2 EMRK führt in eine Konfliktlage zwischen diesen beiden Normen, die jeweils für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung sachlich Geltung beanspruchen, aber entgegengesetzte Ergebnisse präferieren. Bei der Auflösung dieses Konfliktes ist im Sinne des BVerfG mit der völkerrechtskonformen Auslegung davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Zweifel keine Völkerrechtsverletzung gewollt hat.[74] Deshalb muss § 67d StGB n.F. seinen Regelungsanspruch über die Brücke des § 2 VI StGB aufgeben. Der völkerrechtsfreundlichen Auslegung kommt in diesem Fall der Vorzug vor der historischen Auslegung zu, welche die ablehnenden Oberlandesgerichte letztlich überbetonen.[75] Verfährt man derart, liegt darin eine geltungszeitliche objektiv-teleologische Gesetzesauslegung, die den Standard der Rechtsanwendung in Deutschland beschreibt und nach dem objektiven, durch den Kontext der übrigen geltenden Normen mitbestimmten Sinn des Gesetzes fragt.[76]

Eine solche Auslegung entmachtet den Gesetzgeber auch nicht. Dem Gesetzgeber steht es – in den Grenzen des Grundgesetzes[77] – weiter frei, die deutschen Gerichte nach einer ihm missfallenden Völkerrechtsauslegung durch internationale Gerichte auf einen bewussten Bruch des Völkerrechts zu verpflichten. So kann er theoretisch auch vom menschenrechtlichen Standard der EMRK einmal abweichen und damit, dies sollte man sich klar vor Augen führen, unter einen Standard herabsinken, dessen Beachtung Deutschland heute etwa auch von Russland oder der Türkei ausnahmslos einfordert. Diesen Bruch von Völkerrecht hat der deutsche Gesetzgeber für die Sicherungsverwahrung aber auch nach dem rechtskräftigen Urteil des EGMR nicht angeordnet. Bezeichnenderweise hat es das Parlament mit § 121 II Nr. 3 GVG den Gerichten überlassen, den Streit über die völkerrechtsfreundliche Auslegung zu entscheiden, obschon ihm die im Einzelfall bereits praktizierte Freilassung über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK bekannt war. Der Ursprung der Regelung des § 121 II Nr. 3 GVG aus dem Streit über die Sicherungsverwahrung drückt sich immerhin mittelbar durch den bewusst gewählten Zeitpunkt 1.1.2010 auch im Gesetz aus. Der Gesetzgeber, der aus Sicht mancher Oberlandesgerichte ihres Schutzes bedarf, sieht also nach Kenntnisnahme von der Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH[78] selbst gar keinen Bedarf, sich der im Raum stehenden Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK entgegenzustellen. Dies kann auf die Beurteilung der Zulässigkeit einer konventionskonformen Auslegung nicht ohne Auswirkung bleiben. Die jüngste Gesetzgebung bestätigt vielmehr die methodologische Vertretbarkeit der Argumentation über § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK.[79]

2. Ist § 2 VI StGB von vornherein auf eine Strafe im Sinne des Art. 7 I 2 EMRK unanwendbar?

Im Raum steht aber noch ein weiterer Einwand, der sich speziell auf § 2 VI StGB bezieht. Es wird geltend gemacht, dass der Rückgriff auf § 2 VI StGB schon deshalb ausscheide, weil § 2 VI StGB eine Maßregel voraussetze, die doch – übernimmt man zugleich für Art. 7 I 2 EMRK die Einordnung der Sicherungsverwahrung als Strafe – hier gar nicht vorliegen könne.[80] Der EGMR, so liest man es beim OLG Koblenz, habe in seiner Entscheidung zur Sicherungsverwahrung schon inhaltlich keine Aussage zu § 2 VI StGB getroffen. Vielmehr sei der Wortlaut der Norm in jedem Fall übertreten, wenn man die Sicherungsverwahrung mit dem EGMR als Strafe einordne.

Eine Wortlautüberschreitung[81] und eine mangelnde Einschlägigkeit des Urteils des EGMR zeigt das OLG Koblenz, mit dem Peglau sympathisiert,[82] damit aber gerade nicht auf. Vielmehr wird das Gericht der Relativität der Rechtsbegriffe und mithin der methodologisch möglichen unterschiedlichen Bedeutung identischer Normwortlaute[83] nicht gerecht. Zunächst ist der Wortlaut nur dann überschritten, wenn ein Gericht ihm eine Deutung beimisst, die er nach keinem möglichen Wortsinn haben kann. Betrachtet man aber die Sicherungsverwahrung als Maßregel und damit als Fall des § 2 VI StGB, so ist dies für das deutsche StGB schon nach der Legaldefinition des § 61 StGB unschwer zulässig. Ihre Beurteilung unterfällt ohne weiteres § 2 VI StGB, weil das deutsche Recht einschließlich der Rechtsprechung des BVerfG die Strafen und Maßregeln im Kern nach dem (nicht) intendierten Schuldausgleich bzw. dem primären Gefahrenabwehrzweck abgrenzt und entsprechend seine Begriffe bildet.[84] Dass diese Begriffsbildung für das deutsche StGB allgemein aufgegeben werden müsste, hat der EGMR – insoweit das deutsche Recht auch schonend – mitnichten entschieden. Er hat lediglich aber immerhin entschieden, dass die Sicherungsverwahrung trotz ihrer Einstufung im deutschen Recht (!) im Rahmen der autonomen und im Kern nach dem effektiven Menschenrechtsschutz ausgerichteten Begriffsbildung eine Strafe i.S. des Art. 7 I 2 EMRK darstellt, der mithin auch für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot aufstellt.[85] Die unterschiedliche Einordnung der Sicherungsverwahrung erklärt sich unschwer, wenn man sich nur die methodologischen Zusammenhänge und die Spezifika des Völkerrechts vollständig vor Augen führt. Sie erklären, weshalb ein Phänomen in unterschiedlich geprägten Bundesgesetzen zwei verschiedenen Begriffen unterfallen kann.

Wenn diese beiden Begriffsbildungen über § 2 VI StGB durch eine konventionskonforme Auslegung nun in einem Fall zugleich zum Tragen kommen, indem die Sicherungsverwahrung einmal als Maßregel und einmal als Strafe anzusprechen ist, dann mag das eine seltene und bemerkenswerte Begebenheit sein. Hierin liegt aber ge-

rade kein unauflöslicher Widerspruch, der die Einheit der Rechtsordnung gefährdet, sondern eine Folge der tradiertermaßen autonomen völkerrechtlichen Auslegung im Rahmen der EMRK.[86] Sie sollte nach nunmehr über 30 Jahren zunehmender Einwirkung der EMRK auf das Strafverfahrensrecht nun wahrlich kein Oberlandesgericht mehr derart überraschen.[87] Die Behauptung, der EGMR habe inhaltlich gar nicht zum Anwendungsbereich des § 2 VI StGB, sondern zu § 2 I StGB entschieden, kann nach alledem nicht überzeugen. Wenn das OLG Koblenz diese Aussage ernsthaft vertreten wollte, hätte es sich zumindest dazu erklären müssen, warum es in diesem Fall das Tatzeitrecht nicht kurzerhand über § 2 I StGB hätte anwenden müssen.[88]

V. Keine Freilassung wegen anderer Befugnisse zur Freiheitsentziehung?

Wenn man sich – wie es hier geschehen ist – für die Anwendung des § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK ausspricht, dann ist damit zugleich gesagt, dass die weitere Haft der bislang auch unter Inkaufnahme von Rückwirkungen in der Sicherungsverwahrung Verwahrten nicht mehr auf das Recht der Sicherungsverwahrung gestützt werden darf. Prinzipiell kommt allerdings auch aus Sicht der EMRK in Betracht, Freiheitsentziehungen auf eine andere Grundlage als die Strafe zu gründen.[89] In den einschlägigen Fällen sind aber ganz offenbar keine derartigen Eingriffsgesetze vorhanden, die eine weitere Inhaftierung ohne Rekurs auf die Sicherungsverwahrung begründen könnten.[90] Keines der Oberlandesgerichte hat auf ein solches Gesetz verwiesen. Es wird lediglich mit der Option argumentiert, dass der Gesetzgeber in Zukunft vielleicht legitime Eingriffsgesetze schaffen wolle und eventuell auch erlassen werde.[91]

Hierzu bleibt aber nicht mehr zu sagen als das Folgende: Es muss im Grunde erschrecken, wenn sich im Ergebnis nunmehr auch Fachgerichte[92] wie selbstverständlich über das insbesondere von Art. 104 I GG begründete Erfordernis eines anwendbaren gültigen Parlamentsgesetzes hinwegsetzen, das der Haft eine Grundlage bieten muss.[93] Diese Sicht der Dinge, die wahlweise mit hypothetischen zukünftigen Eingriffsgesetzen oder einer (rückwirkend?!) neu gestalteten Sicherungsverwahrung argumentiert, auf die sie den Gesetzgeber unter der Hand festzulegen droht, wendet sich von der Achtung fundamentaler verfassungs- und konventionsrechtlichen Prinzipien in eklatanter Weise ab, die aus gutem Grund auch formal gehalten sind. Grundrechtseingriffe werden kurzerhand durch den Rekurs auf Schutzpflichten legitimiert, ohne dafür noch Eingriffsgesetze angeben zu müssen.[94] Eine solche Haltung führt aber unweigerlich in abermalige deutsche Menschenrechtsverletzungen mindestens des Art. 5 EMRK,[95] weil bei der hier vorliegenden Spekulation auf eine zukünftige (wie gestaltete?) Eingriffsermächtigung nicht einmal im Ansatz von einem i.S. der EMRK rechtmäßigen, vor Willkür geschützten Freiheitsentzug die Rede sein könnte.

VI. Zusammenfassung

Die Frage, ob eine rückwirkende Anordnung der Sicherungsverwahrung de lege lata zulässig ist, stellt den deutschen Gerichte die Gretchenfrage, wie sie es mit der EMRK halten, wenn diese zu ungeliebten Schlussfolgerungen zwingt. Eine große Anzahl der (Oberlandes‑)Gerichte wünscht sich offenbar – vor dem Hintergrund der Boulevardpresse[96] nachvollziehbar –, dass das BVerfG oder der Gesetzgeber die Verantwortung für die Freilassung rückfallgefährdeter Inhaftierter übernehmen. Entscheiden sollte aber schon jetzt das Recht, zu dem der Gesetzgeber auch die EMRK zählt. Dieses Recht hat auch hier die Aufgabe, die unparteilichen Gerichte über ihre Bindung an Recht, Gesetz und Methode von einer persönlichen Verantwortung für hypothetisch mögliche Folgen ihrer Entscheidungen freizustellen.[97] Danach ist es bereits de lege lata vorzugswürdig, der in Zukunft auch für Art. 49 I 2 EU-GR-Charta leitenden Auslegung des Art. 7 I 2

EMRK durch den EGMR zu folgen. Ohne Verletzung verfassungsrechtlicher Gebote kann die Anwendung von § 2 VI StGB i.V.m Art. 7 I 2 EMRK schon heute methodologisch zulässig die Achtung der Menschenrechte[98] sichern. Dies gilt mit dem 4. Strafsenat des BGH für die Entscheidungen über die rückwirkende Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrungen, und es gilt mit einer wachsenden Anzahl von Oberlandesgerichten sowie der impliziten Tolerierung durch den Gesetzgeber auch für die Freilassung Sicherungsverwahrter, die über die frühere Zehnjahresfrist hinaus inhaftiert sind. In diesem Sinne sollten sich die völlig verständlichen Anstrengungen, potentielle Opfer schützen zu wollen, auf andere Präventionsmaßnahmen wie die nach § 67d IV 2 StGB a.F. einsetzende Führungsaufsicht[99] und auf neue, tatsächlich rein präventive Schutzmechanismen konzentrieren. Je eher das Konzept der rückwirkenden Anordnung von Sicherungsverwahrung als gescheitert erkannt wird, desto eher wird sich eine neue, tragfähigere Sicherheitsarchitektur herausbilden können. Dazu gehört es, nicht länger bis zuletzt allein auf eine Aufrechterhaltung des Status quo zu setzen. Die Entlassung der Betroffenen muss – möglichst kooperativ mit den Inhaftierten – vorbereitet werden.


[1] Vgl. z.B. gegen die Anwendung mit zahlreichen Nachweisen LK-Dannecker, 12. Aufl. (2006), § 1 Rn. 407 ff., § 2 Rn. 135 ff.; für die Anwendung z.B. AnwK-StGB-Gaede, hrsg. von Tsambikakis/Zöller/Leipold (2010), § 2 Rn. 18; erstaunlicherweise nur eine geringe Relevanz erkennt – unter Verweis auf Art. 93 des 1. StrRG – SSW-Satzger, StGB (2009), § 2 Rn. 37.

[2] EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 117 ff., HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.; zur Endgültigkeit dieses Urteils nur BGH HRRS 2010 Nr. 648.

[3] Zust. z.B. Kinzig NStZ 2010, 233, 236 ff.; Müller StV 2010, 207 ff.; AnwK-StGB-Gaede (Fn. 1), § 2 Rn. 18. Auch die zurückhaltenden Oberlandesgerichte bestreiten dies nicht, vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10.

[4] Vgl. dazu z.B. BVerfG NJW 2006, 3483 ff. (HRRS 2006 Nr. 804); 2009, 980 ff. (HRRS 2008 Nr. 1148) m. abl. Bespr. Ullenbruch StraFo 2009, 52 ff. Siehe nun aber zutreffend übertragend BGH HRRS 2010 Nr. 648; zust. AnwK-StGB-Gaede (Fn. 2), § 2 Rn. 18.

[5] Vgl. z.B. Diefenbach, Die verfassungsrechtliche Problematik des § 2 IV StGB[aF](1966), S. 37 ff., 113 ff.; Jung, FS Wassermann, 875, 883 ff.; Ullenbruch NStZ 1998, 326, 329 f.; ders. NStZ 2007, 62, 64 f.; ders. StraFo 2009, 52 ff.; Kinzig StV 2000, 330, 333 ff.; ders. NJW 2004, 911 ff.; Best ZStW 114 (2002), 88, 99 ff.; NK-Hassemer/Kargl, 3. StGB (2010), § 2 Rn. 60 f.; MK-Schmitz, StGB, Bd. I (2003), § 2 Rn. 52 f.; Roxin AT/I, 4. Aufl. (2006), § 5 Rn. 55 f.; Köhler, Strafrecht AT (1997), S. 98; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. (1991), Rn. 4/56: erforderliche Objektivitätsgarantie; AnwK-StGB-Gaede (Fn. 2), § 2 Rn. 18.

[6] Vgl. zur entsprechenden Gesetzgebung z.B. BT-Drs. 13/9062, S. 7, 10 f., 12 und 15/2887, S. 19 f. (im Anschluss an BVerfGE 109, 133 ff. = HRRS 2004 Nr. 166); siehe auch schon zu § 2 VI StGB BT-Drs. 4/650, S. 108.

[7] BVerfGE 109, 133, 167 ff.; m.w.N. BVerfG NJW 2006, 3483 ff.; 2009, 980, 981 f.; 2010, 1514 ff. (HRRS 2009 Nr. 1031); BGHSt 52, 205 ff. (HRRS 2008 Nr. 430); BGH NJW 2010, 1539, 1542 f. (HRRS 2010 Nr. 454); OLG Frankfurt aM NStZ 2002, 90 f.

[8] Vgl. BVerfGE 111, 307, 319 ff. = HRRS 2004 Nr. 867 m. Anm. Gaede HRRS 2004, 387 ff.

[9] Zur Pflicht zur Umsetzung in Parallelfällen vgl. z.B. auch anerkennend OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10; OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; mustergültig insoweit OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 1.7.2010, 3 Ws 539/10; dazu auch Grabenwarter JZ 2010, August/September; Esser StV 2005, 348, 352 f.

[10] Vgl. statt vieler so wieder BGH HRRS 2010 Nr. 648.

[11] BGH HRRS 2010 Nr. 648; OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10; OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10; vgl. auch schon Grabenwarter JZ 2010, August/September.

[12] Vgl. BVerfGE 111, 307, 328 f. zu einem "Kernbestand an internationalen Menschenrechten".

[13] Vgl. EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 86 ff., HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.

[14] Zu diesem Gebot z.B. BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG HRRS 2010 Nr. 461; siehe auch schon m.w.N. Gaede wistra 2004, 166, 167.

[15] Dieser Weg wurde erstmals von dem österreichischen Verfassungsrichter und Konventionsrechtsexperten Prof. Dr. Dr. Christoph Grabenwarter in einem Rechtsgutachten zu den Rechtsfolgen der Mücke-Entscheidung des EGMR vorgeschlagen, das Grabenwarter für die Bundesregierung verfasst hat. Der Inhalt dieses Gutachtens lag dem Verfasser in Form eines auf dem Gutachten beruhenden JZ-Beitrages (JZ 2010, August/September) vor, den Prof. Grabenwarter dem Verfasser freundlicherweise vorab zur Verfügung gestellt hat. Zur Umsetzung stellt Grabenwarter – anders als es nunmehr eine Reihe von Oberlandesgerichten tun, vgl. z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10; OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 1.7.2010, 3 Ws 539/10 – nicht auf das Tatzeitrecht, sondern auf § 67d IV StGB n.F. ab, indem er Art. 7 I 2 EMRK und Art. 5 EMRK eine zehnjährige Höchstfrist entnimmt. Auch bei dieser Interpretation greift Grabenwarter aber mittelbar auf das alte Recht als Maßstab zurück. Ebenso vertretbar ist aber die Interpretation der Oberlandesgerichte, die zur Umsetzung explizit auf § 67d I StGB a.F. abheben. Über Art. 7 I 2 (Art. 5) EMRK iVm § 2 VI StGB kann für § 67d StGB im Wege der gebotenen konventionskonformen und geltungszeitlichen Interpretation gefolgert werden, dass die Neufassungen des § 67d StGB die Anwendung des § 67d I StGB a.F. auf Altfälle zulassen, so dass insoweit auch auf § 67d I, IV StGB a.F. abgestellt werden kann.

[16] Vgl. § 67d I und IV StGB in der Fassung vom 10. März 1987.

[17] BGH NJW 2010, 1539, 1544 m. abl. Bespr. Eisenberg NJW 2010, 1507, 1508 f. Siehe aber nun auch BGH 2 StR 171/10, Beschl. 12.5.2010 zu § 66b II StGB, der aber vor dem 4. Gesetz zur Änderung des GVG erging.

[18] BGH NJW 2010, 1539, 1544.

[19] Einige Oberlandesgerichte werfen dem EGMR in der Sache eine Fehlentscheidung zur EMRK vor, weil der EGMR die von ihm selbst anerkannten Schutzpflichten aus Art. 2 EMRK übersehen habe (!), so zB OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2010, 2 Ws 169/10 im Anschluss an EGMR GC, Mastromatteo v. Italien, NJW 2003, 3259 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10. Auch wenn es ganz richtig ist, dass Schutzpflichten z.B. aus Art. 2 EMRK resultieren, kommt in diesem Monitum doch letztlich allein eine flagrante Unkenntnis bzw. Abkehr von den betroffenen Konventionsrechten zum Ausdruck (vgl. dagegen auch schon OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09): Art. 7 I 2 EMRK ist – wie auch in Deutschland zu Art. 103 II GG – eine Abwägung mit (Rechtsguts‑)Schutzgesichtspunkten bzw. eine Einschränkung durch entgegenstehende öffentliche Interessen fremd. Zu Art. 5 EMRK ist es – anders als leider in BVerfGE 109, 190, 235 ff. = HRRS 2004 Nr. 169 von der Mehrheit für das deutsche Recht angenommen – im Rahmen der EMRK undenkbar, durch den direkten Rekurs auf Schutzpflichten die Mindestvoraussetzung eines gültigen Eingriffsrechts zu überspielen. Der EGMR hat eine solche Haltung, die auf jeden Willkürschutz durch Rechtsnormen verzichtete, im Fall Mücke zu Recht nicht einmal angesprochen. Siehe auch unten V.

[20] Der Wortlaut lautete: "§ 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung." Damit wurde der neue § 67d StGB, der keine Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung mehr vorsieht, auch rückwirkend für anwendbar erklärt. Die Argumentation mit Art. 1a III EGStGB wird dabei bedenklicherweise verfolgt, obschon Art. 1a III EGStGB mittlerweile gestrichen wurde, vgl. zust. aber Peglau jurisPR-StrafR 11/2010 Anm. 2, 13/2010 Anm. 3; gegen das Argument auch insoweit aber OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[21] § 67d StGB macht die Erledigung seit der Fassung vom 26.1.1998 nach den zehn Jahren Dauer der Sicherungsverwahrung davon abhängig, dass keine Gefahr besteht, der Untergebrachte werde infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

[22] Vgl. zu beidem OLG Celle, Beschl. v. 17.12.2009, 2 Ws 169/10; m.w.N. schon zu § 2 VI StGB OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10: Verstoß gegen den Schutzzweck der damaligen Gesetzgebung; OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10.

[23] Dafür z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; wohl auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.6.2010, 1 Ws 315/10; dagegen schon OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 1.7.2010, 3 Ws 539/10; vgl. allerdings zum Vollstreckungsverfahren bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 1.7.2010, 3 Ws 418/10: Wiederaufnahme erforderlich (gegen Kinzig NStZ 2010, 233, 239).

[24] OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10.

[25] Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10: Gesetzgeber hätte nach anderen Wegen gesucht; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10.

[26] BGH HRRS 2010 Nr. 648; so z.B. auch AnwK-StGB-Gaede (Fn. 1), § 2 Rn. 18; Kinzig NStZ 2010, 233, 239; Laue JR 2010, 198, 203; siehe aber auch BGH 2 StR 171/10, Beschl. 12.5.2010.

[27] Selbstverständlich hat der Senat aber nicht explizit zum Wortlaut des § 67d III StGB und Art. 1a III EG-StGB a.F. entschieden.

[28] Vgl. BGH HRRS 2010 Nr. 648; zust. z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10. Mit anderer Begründung auch Laue JR 2010, 198, 202.

[29] OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10; Beschl. v. 1.7.2010, 3 Ws 539/10; OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09; so ohne nähere Begründung auch Laue JR 2010, 198, 202; vgl. auch Kinzig NStZ 2010, 233, 238, der allerdings auf die Verhältnismäßigkeit abstellt.

[30] Siehe so im Ergebnis schon OLG Hamm, Beschl. v. 12.5.2010, 4 Ws 114/10.

[31] Vgl. auch abgrenzend und eine Divergenz der Senate verneinend BGH HRRS 2010 Nr. 648.

[32] OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10; OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.6.2010, 1 Ws 315/10; OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10.

[33] Vgl. BGBl. I 2010, S. 976.

[34] Siehe BT-Drs. 17/2350, S. 6 ff.; Peglau jurisPR-StrafR 13/2010 Anm. 3.

[35] Anders lässt sich BT-Drs. 17/2350, S. 6 ff. nicht interpretieren. Siehe auch überdeutlich bezüglich des Gesetz gewordenen Vorhabens der Bundesjustizministeriums OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10: "Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nicht tätig geworden. Soweit es den Äußerungen der Bundesjustizministerin zu entnehmen ist, soll die Verantwortung auf die Gerichte abgeschoben werden."

[36] Dazu vgl. für die Praxis grundlegend BVerfGE 111, 307 ff.

[37] Auf die im Schrifttum umstrittenen Fragen, ob das Gericht den deutschen Souveränitätsvorbehalt nicht zu weit bestimmt hat und die Berücksichtigung der EMRK nicht klar genug angemahnt hat, kann hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu etwa die Kritik bei Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl. (2006), Art. 46 Rn. 29b ff.; m.w.N. Esser StV 2005, 348, 350 ff.; Tomuschat GermanLawJournal 11 (2010), 513, 522 ff.

[38] Vgl. schon zutreffend OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10; siehe auch zu BVerfGE 109, 190, 235 ff. schon Laubenthal ZStW 116 (2004), 703, 744 ff. und BVerfGE 109, 190, 247 ff.

[39] Die Oberlandesgerichte verweisen insoweit kurzschlüssig auf das einfachgesetzliche Recht des § 67d StGB. Im Übrigen postulieren sie allein eine Ausdehnung des sog. Untermaßverbotes, die dringend einer eingehenden Begründung bedürfte und die zahlreiche, von der Oberlandesgerichten nicht im Ansatz in den Blick genommene Weiterungen in anderen Kontexten nach sich ziehen müsste.

[40] BVerfGE 109, 133, 186 f.; 109, 190, 236 f., allerdings mit S. 238 (woraus das BVerfG aber gerade nicht die Pflicht zur Schaffung einer nachträglich anwendbaren Sicherungsverwahrung gefolgert hat, vgl. schon S. 237: "Für den Fall, dass der Bundesgesetzgeber beschließt ..."); so wieder zu § 7 II Nr. 1 JGG BGH NJW 2010, 1539, 1544 f.

[41] Vgl. so vor allem mit falschen Schlussfolgerungen OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10; zutreffend dagegen OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[42] Natürlich bestimmt sich Verfassungsrecht auch hier nicht allein nach dem einfachen Recht, das durch den Gesetzgeber gesetzt wird. Die Position des Gesetzgebers muss aber in die Argumentation einfließen, auch weil ihm die gesamte zu beurteilende Gefährdungslage im Zweifel besser bekannt ist.

[43] Vgl. zu seiner beschränkten Reichweite wieder – die Stellung des Gesetzgebers bei der Austarierung des Schutzniveaus und der konkret gewählten Mittel betonend – BVerfGE 121, 317, 356 f. ("Passivrauchen"); m.w.N. zum Meinungsstand Sachs/Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. (2009), Vor Art. 1 Rn. 35 ff.; dort auch Sachs/Murswiek Art. 2 Rn. 30 ff.; Epping/Lenz/Leydecker, Grundrechte, 4. Aufl. (2009), Rn. 116 ff., 121 ff.: nur evidente Verfehlung der staatlichen Schutzpflicht seitens des BVerfG justiziabel.

[44] Vgl. etwa § 67d IV StGB a.F. in der Fassung vom 10. März 1987, § 67d III 2 StGB a.F. in der Fassung vom 26.1.1998, § 67d III 2 StGB a.F. in der Fassung vom 13.11.1998, § 67d III 2 StGB a.F. in der Fassung vom 23.7.2004, § 67d III 2 StGB a.F. in der Fassung vom 13.4.2007 usw. Vgl. schon BVerfGE 109, 190, 247 ff. Für die Anwendbarkeit über § 67d IV 3 StGB vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[45] Gegen die Einordnung als mehrpoliges Grundrechtsverhältnis mit guten Gründen Kinzig NStZ 2010, 233, 238; Esser StV 2005, 348, 351; zust. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09; gegen sie aber z.B. OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2010, 2 Ws 169/10; OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10. Da das BVerfG die mehrpoligen Grundrechtsverhältnisse aber offenbar nicht als abschließende Fallgruppe einstuft, in der besondere, verfassungsrechtliche Schranken der völkerrechtsfreundlichen Auslegung zu beachten sind, soll diese Frage hier in begrifflicher Hinsicht nicht weiter verfolgt werden.

[46] Wie hier schon OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10 gegen das OLG Stuttgart. Würde man dies weiter anders sehen wollen, stünde auch die Frage im Raum, ob denn eine solche Sichtweise für das hiesige Rechtsschutzverfahren nicht auf eine Art "Volksbeteiligung" hinauslaufen müsste. Wenn gerade die mangelnde bzw. aus Sicht des BVerfG mangelhafte Beteiligung in Verfahren vor dem EGMR zu Sondermaßstäben bei der deutschen Rechtsanwendung führen sollte, müsste dem Gedanken der unbeteiligten Gegenseite doch in deutschen Verfahren erst recht durch eine nicht nur materielle, sondern durch eine unmittelbare Verfahrensbeteiligung Rechnung getragen werden. Es könnten aber allenfalls bei Konstellationen, in denen die Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten gerade für bestimmte, ihm bekannte (Bezugs‑)Personen bejaht wird, konkreten Grundrechtsträgern verfassungsrechtliche Ansprüche auf rechtliches Gehör zugewiesen werden. Auch aus diesem rechtlichen Gehör könnte aber kein Anrecht auf einen staatlichen Schutz erwachsen, der zwingend in einer mehr als zehnjährigen rückwirkenden Sicherungsverwahrung bestehen muss.

[47] So zuletzt z.B. im Anschluss an das BVerfG im hiesigen Kontext auch m.w.N. BGH NJW 2010, 1539, 1544.

[48] Nur angemerkt sei hier, dass sich für die Fälle der nachträglichen Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich auch die Frage stellen wird, ob diese Sanktion – im Zuge einer Neudeutung des Strafbegriffes – nicht doch auch als Verletzung von ne bis in idem (Art. 103 III GG) zu sehen ist.

[49] Grundlegend BVerfGE 109, 133, 167 ff.; 109, 190, 217 f.; bestätigend BVerfG NJW 2006, 3483 ff.; 2009, 980, 981 f.; 2010, 1514 ff.

[50] Siehe für Beispiele nur BVerfGE 107, 395 ff. (Rechtsschutz gegen den Richter) m. zust. Bespr. Voßkuhle NJW 2003, 2193 ff.; BVerfGE 65, 1 ff. (Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung); zu Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz BVerfGE 120, 180, 201 ff. (Caroline von Monaco III); zum Sorgerecht lediger Väter vgl. nunmehr auch BVerfG 1 BvR 420/09 v. 21.7.2010.

[51] Vgl. zu dieser Schranke statt vieler m.w.N. BVerfGE 120, 180, 201.

[52] Dafür vgl. nur abermals m.w.N. BVerfGE 111, 307, 317, 329; BVerfG HRRS 2010 Nr. 461.

[53] Vgl. EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 69 ff., 76 ff., 126, HRRS 2010 Nr. 1/65; siehe auch die Ausführungen in BVerfG 1 BvR 420/09 v. 21.7.2010 zu (neuen) tatsächlichen, rechtsvergleichenden Erkenntnissen.

[54] BVerfGE 111, 307, 328 f.

[55] Vgl. auch schon die Aufforderung an die Fachgerichte in BVerfGE 111, 307, 324, 329.

[56] Vgl. aA noch Callies/Ruffert/Blanke, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. (2007), Art. 49 GRCh Rn. 1; siehe aber partiell erstreckend bereits Meyer/Eser, EU-GR-Charta, 2. Aufl. (2006), Art. 49 Rn. 32. Da zu Art. 7 I 2 EMRK eine Eingriffsrechtfertigung nicht in Betracht kommt, ist insoweit auch Art. 52 I EU-GR-Charta kein "Rettungsanker" für die Fortführung der vom BVerfG bislang verfolgten "deutschen Lösung" zur rückwirkend angeordneten Sicherungsverwahrung.

[57] Siehe auch Kinzig NStZ 2010, 233, 236 ff.; Müller StV 2010, 207 ff.

[58] Zu der prinzipiell auch vom BVerfG verfolgten Maxime, die Grundrechte (grundrechtsgleichen Rechte) zu einem optimalen, wirksamen Schutz hin zu entfalten, m.w.N. Best ZStW 114 (2002), 88, 97 ff.; für weitere Beispielen vgl. BVerfGE 56, 37, 51; 64, 135, 144.

[59] Vgl. EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 117 ff., HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.; Kinzig NStZ 2010, 233, 237: Vorwurf des Etikettenschwindels aufgegriffen; siehe zu der im Fall Mücke zugrunde gelegten wirksamkeitsorientierten Auslegung der Konventionsrechte m.w.N. umfassend bereits Gaede, Fairness als Teilhabe – Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2007), S. 89 ff., 103 ff., zu Art. 6 EMRK S. 410 ff.

[60] Vgl. z.B. schon Ullenbruch NStZ 1998, 326, 329 f.; EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 127, 130, HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.; BGE 134 IV 121, 128; Eisenberg NJW 2010, 1507, 1509. Siehe auch zum Gesichtspunkt des europaweit zu beobachtenden, zum Teil funktional parallelen Einsatzes von Freiheitsstrafe oder von Instituten wie der Sicherungsverwahrung, vgl. Kinzig NJW 2004, 911, 913 und EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 74 f., 126, HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.; vgl. zur Austauschbarkeit von Strafe und Maßregel auch bereits Jung, FS Wassermann, 875, 880 ff.

[61] Dazu, dass die gegenüber Schuldfähigen verhängte Sicherungsverwahrung schon infolge ihrer Wirkungsweise Art. 103 II GG unterzuordnen ist, vgl. m.w.N. Best ZStW 114 (2002), 88, 97 ff., 108 ff. und EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 128, 132, HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.

[62] Zum charakteristischen Anschluss an eine Straftat in einem strafrechtlichen Verfahren vgl. neben dem EGMR auch betonend BGE 134 IV 121, 128 f. und z.B. auch schon Diefenbach (Fn. 5), S. 43 ff. sowie BVerfGE 109, 190, 220 f.: vorausgehende Straftat als Legitimationsgrund!

[63] Zur stRspr. BVerfGE 113, 273, 308 (HRRS 2005 Nr. 550); 105, 135, 153 ff.; 64, 389, 393 f.: besonderes Willkürverbot; BVerfG NJW 2008, 3627 f. = HRRS 2008 Nr. 830; Fischer , StGB, 57. Aufl. (2010), § 1 Rn. 3; AnwKomm-Gaede (Fn. 1), § 1 Rn. 1 f. Dagegen verschlägt auch nicht das von LK-Dannecker (Fn. 1), § 2 Rn. 140 angeführte Argument, in der nachträglichen Sicherungsverwahrung liege keine nachträgliche Verschärfung der Unrechtsbewertung, da für jede Tat, die rückwirkend eine Sicherungsverwahrung rechtfertigen kann, das ihr beigemessene Sanktionsausmaß rapide steigt.

[64] Zu Recht hervorhebend EGMR, Mücke v. Deutschland, § 130, HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.

[65] Vgl. z.B. bereits Diefenbach (Fn. 5), 59 ff.; Jung, FS Wassermann, 875, 884 ff.; aus jüngerer Zeit etwa auch Best ZStW 114 (2002), 88, 102 ff.; Roxin AT/I (Fn. 5), § 5 Rn. 56.

[66] Krit. insoweit bereits m.w.N. OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2010, 2 Ws 169/10; OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10.

[67] Dazu, dass die Normen zur Abschaffung der Höchstfrist und der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht vollumfänglich verworfen wären, vgl. nur Peglau jurisPR-StrafR 1/2010 Anm. 2; ders. jurisPR-StrafR 13/2010 Anm. 3; Müller StV 2010, 207, 211.

[68] Siehe als Beispiel BVerfGE 118, 212, 234 ff. (dazu aber auch verfassungsrechtlich krit. Gaede GA 2008, 394 ff.) und schon BVerfGE 54, 277, 279 ff.; 49, 148, 157 ff.

[69] Vgl. etwa BVerfGE 111, 307, 329; BVerfG HRRS 2010 Nr. 461.

[70] BVerfGE 111, 307, 329; zur nun stRspr. BVerfG HRRS 2010 Nr. 461.

[71] BVerfGE 74, 358, 370; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09; Esser StV 2005, 348, 353 f.; siehe auch BVerfGE 111, 307, 318 und z.B. Meyer-Ladewig (Fn. 37), Art. 46 Rn. 17: Konflikt des Grundgesetzes und des übrigen staatlichen Rechts mit Völkerrecht nach Möglichkeit zu vermeiden.

[72] Vgl. treffend schon OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09; dazu siehe abermals BT-Drs. 13/9062, S. 12.

[73] Wie hier auch schon OLG Hamm, Beschl. v. 6.7.2010, 4 Ws 157/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[74] BVerfGE 74, 358, 370: "nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen wollte"; Esser StV 2005, 348, 353 f.; Epping/Lenz/Leydecker (Fn. 43), Rn. 1019.

[75] So schon OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09 mit zutr. Anschluss an BVerfGE 111, 307, 329.

[76] Beispielgebend m.w.N. BVerfGE 110, 226, 248: Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), S. 137 ff., 153 ff.; Zippelius, Jurist. Methodenlehre, 10. Aufl. (2006), S. 21 ff., 53 ff.; aus dem Strafrecht z.B. SSW-Satzger (Fn. 1), § 1 Rn. 43. Zur Kritik an der herkömmlichen, zumeist telelogisch gewendeten Auslegung vgl. aber z.B. – im Anschluss an NauckeKrahl Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (1986), S. 42 ff.; Herzberg JuS 2005, 1 ff.; NK-Hassemer/Kargl, 3. Aufl. (2010), § 1 Rn. 109, 114.

[77] Natürlich greifen diese Grenzen jedoch ein, wenn man die These teilt, dass sich der verfassungsrechtliche Schutzstandard dem menschenrechtlichen Standard der EMRK in Zukunft anpassen wird, vgl. erneut III. 2.

[78] BT-Drs. 17/2350, S. 7 f., mit einer allerdings falschen Datierung.

[79] Auch wenn an der Gesetzgebung teilhabende Gremien nicht partout "der Gesetzgeber" sind, lässt sich doch hier nicht mehr von einem unbewusst agierenden und schutzbedürftigen Gesetzgeber sprechen!

[80] So OLG Koblenz, Beschl. v. 7.6.2010, 1 Ws 108/10; OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10. Wie hier zB schon OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[81] Dabei begründet das OLG Koblenz durch seine Zitate auch Zweifel daran, ob ihm bekannt ist, dass die strenge Wortschranke des Strafrechts nur zulasten des Angeklagten gilt; zur Rechtslage insoweit nur SSW-Satzger (Fn. 1), § 1 Rn. 11; AnwKomm-Gaede (Fn. 1), § 1 Rn. 12 f.

[82] Peglau jurisPR-StrafR 11/2010 Anm. 2, 13/2010 Anm. 3, der die Auslegung aber wohl doch letztlich noch als "methodisch vertretbar" einstuft, im Argument des OLG Koblenz aber den "Knackpunkt" sieht.

[83] Zu dem besonders am Gewerbebegriff deutlich gewordenen Phänomen, dass Wortlaute in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen erlangen können, wenn die Regelungskontexte und die mit der Norm verfolgten Zielsetzungen dafür sprechen, vgl. z.B. m.w.N. Demko, Zur Relativität in strafrechtlichen Tatbeständen (2002); vgl. in anderem Kontext z.B. BGH NJW 1999, 299, 300; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. (2007), § 1 Rn. 7.

[84] Vgl. neben § 61 StGB erneut BVerfGE 109, 133, 167 ff.

[85] EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 117 ff., HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.

[86] Siehe schon OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09; m.w.N. Gaede, Fairness als Teilhabe (Fn. 59), S. 79 ff.; Evrigenis, FS Mosler (1983), S. 183, 195 ff.

[87] Siehe zur Übernahme des autonom bestimmten Zeugenbegriffs (vgl. nur EGMR, Kostovski vs. Niederlande, Serie A, § 40) im deutschen Recht auch für Mitangeklagte nach der StPO in einem Verfahren etwa BGH HRRS 2010 Nr. 552, 2009 Nr. 803 m. hinsichtlich der Rechtsfolgen abl. Bespr. Dehne-Niemann HRRS 2010, 189 ff.

[88] Zu diesem Einwand vgl. schon OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.

[89] Vgl. nur den Wortlaut des Art. 5 I ERMK.

[90] Ob dem im Einzelfall auch auf der Basis von Landesrecht so ist, muss freilich für jeden Fall geprüft werden.

[91] OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.6.2010, 1 Ws 57/10; OLG Köln, Beschl. v. 14.7.2010, 2 Ws 431/10.

[92] Hier macht ganz offenbar die bedauerliche, und nun vom EGMR zurückgewiesene Mehrheitsmeinung Schule, die in BVerfGE 109, 190, 235 ff. zum Ausdruck kam; vgl. auch BVerfG HRRS 2010 Nr. 6 und 464.

[93] Wenn die konventionskonforme Auslegung – wie gezeigt – die weitere Abstützung der Haft auf die aktuellen Vorschriften zur Sicherungsverwahrung verhindert, scheidet das aktuelle Recht zur Legitimation der Haft aus. Siehe auch schon die Minderheitsauffassung in BVerfGE 109, 190, 244 ff.

[94] An die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes erinnern m.w.N. für die Erfüllung (vermeintlicher) Schutzpflichten z.B. auch m.w.N. BVerfGE 109, 190, 244 ff.; Epping/Lenz/Leydecker (Fn. 43), Rn. 130.

[95] EGMR, Mücke v. Deutschland, §§ 86 ff., 90 ff., HRRS 2010 Nr. 1/65 = StV 2010, 181 ff.; schon Renzikowski JR 2004, 271 ff.; siehe nun auch Müller StV 2010, 207, 211 f.; Kinzig NStZ 2010, 233, 238 f.; allgemein zu dem stets für Art. 5 EMRK gebotenen Willkürschutz und den qualitativen Anforderungen an eine rechtmäßige Freiheitsentziehung Meyer-Ladewig (Fn. 37), Art. 5 Rn. 4 f. Siehe auch Esser StV 2005, 348, 350: bei grundloser Freiheitsentziehung klar gebotene Freilassung.

[96] Vgl. nur die Medienschilderung bei Kinzig NJW 2004, 911, 912 Fn. 8 und 16; Laubenthal ZStW 116 (2004), 703 f. Unvergessen sind auch die Attacken der Bildzeitung gegen die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009. Vgl. auch die aktuelle Photostrecke http://www.mopo.de/hamburg/panorama/galerie/index.php?GID=3056 . Zuletzt besucht am 3. August 2010.

[97] Vgl. anhand der Unparteilichkeit des entscheidenden Gerichts m.w.N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 4. Aufl. (1997), S. 134 f. und auch m.w.N. Pawlik Rechtstheorie 1992, 289, 305 ff. Nicht gemeint ist, dass die Gerichte keine Verantwortung für eine nach Recht, Gesetz und Methode erfolgende Sachentscheidung trügen.

[98] Dabei sei abermals daran erinnert, dass auch eine (fortdauernde) Verletzung des Art. 5 EMRK in Rede steht.

[99] Vgl. OLG Frankfurt aM, Beschl. v. 24.6.2010, 3 Ws 485/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.7.2010, 2 Ws 458/09.