HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2009
10. Jahrgang
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Schrifttum

Christoph Burchard: Irren ist menschlich. Vorsatz und Tatbestandsirrtum im Lichte der Verantwortungsethik und der Emanzipation des angegriffenen Mitmenschen. Mohr Siebeck, XXXII, 529 Seiten, Ln. 104,- €, Tübingen 2008.

Burchard (zukünftig: ­B.) geht es um eine bereichsweise Entpsychologisierung der Regeln zur Behandlung des Irrtums im Strafrecht. Zwar hat der Täter das Recht, nur für eine Tat einstehen zu müssen, die sich als seine Tat darstellen lässt, aber das heißt nicht, er könne sich bei jeder Differenz zwischen Tatvorstellung und Tatverlauf vom gesamten Geschehen distanzieren. B. argumentiert, da Irren menschlich ist, müsse der Täter mit seiner Irrtumsanfälligkeit rechnen und könne sich, soweit er das pflichtwidrig unterlassen hat, nicht auf seine mangelnde Voraussicht des Geschehens berufen: "Vorsatz trotz Irrtum" (S. 318 ff.). Auch könne eine irrige Vorstellung des Täters immer noch eine "im Vorsatz personalisierte Straf-

begründungsschuld" produzieren, die "dem subjektiv zurechnungsbedürftigen Tatgeschehen entspricht": "Vorsatz kraft Irrtum" (S. 257 ff.). Der Ansatz von B. ist durchaus originell; denn er operiert nicht nach üblicher Art mit der - mehr oder manchmal auch weniger fiktionsfrei - rekonstruierten Täterpsyche sowie mit irgendwelchen Annahmen zu den hermeneutischen Dimensionen der Normen, sondern mit der sozialen Beziehung von Täter und Opfer sowie dem Recht der Sozialität selbst. Das Problem formuliert B. wie folgt: "Ist der Angegriffene als Schutzobjekt dem Joch des Täters unterworfen, der seine Vorsatztat in Eigenregie führt? Oder ist umgekehrt der Täter dem Joch des Angegriffenen unterworfen, der die Angriffsrichtung der Vorsatztat über den Kopf des Täters hinweg festlegt? Weniger polemisch formuliert: Geht die Schutzindividualität des zukünftig angegriffenen Mitmenschen der einer Handlung innewohnenden Vergegenwärtigung einer strafrechtlich missbilligten Zukunft durch den Täter vor? Oder aber geht der Schutz des Täters vor, dass über das Vehikel des Angegriffenen nicht eine Lebenswirklichkeit zu seiner gemacht wird, die im maßgeblichen Handlungszeitpunkt nicht seiner bewussten Zukunftsplanung entsprach?" (S. 198). B. liefert seine Antwort auf diese Fragen noch auf derselben Seite mit: Es gelte, den "angegriffenen Mitmensch(en) den psychologischen Klauen des Täters zu entreißen".

Wie die Argumentation von B. verläuft, soll zunächst am Beispiel der aberratio ictus bei objektiver Zurechenbarkeit der Abweichung vorgestellt werden: Das nun einmal eingetretene Tatgeschehen hat sich der Täter so nicht vergegenwärtigt, aber (bei Gleichwertigkeit) doch ein entsprechendes Geschehen, und deshalb - wie soeben berichtet:Vorsatz kraft Irrtum! - wäre es "nicht illegitim, dem Täter die Läsion am Zweitobjekt kraft seiner Entscheidung gegen die Integrität des tatbestandlich gleichwertigen Intentionsobjekts subjektiv zuzurechnen" (S. 295). Aber das ist nur der Argumentationsbeginn von B.; denn bei dieser "Vollendungslösung" wird der Erfolg gattungsmäßig bestimmt, und dagegen kann nach B. das beim Angriff auf Individualrechtsgüter ausgewählte Opfer einwenden, durch diese Bestimmung werde seine "Emanzipation ... gegenüber der Gemeinschaft" (S. 130 ff.), also seine Eigenständigkeit, marginalisiert (S. 436). Um wen es bei diesem eigenständigen Opfer geht, will B. allerdings nicht aus der Sicht des Täters festlegen (S. 433, 435, 438), vielmehr mittels einer objektiven Konkretisierung (i. e. mittels der objektiven Bestimmung des konkret Gefährdeten) aus dem Tatgeschehen erschließen (S. 439 ff.).

Die Bestimmung darf objektiv sein und bleiben, weil es nicht um Fahrlässigkeit geht: Bei dieser, so B., entscheide sich der Täter "nicht bewusst gegen das Recht" und hätte deshalb bei nur objektiver und subjektiv ausgeschlossener Zurechnung "für ein Sollen einzustehen ..., das er schlechterdings nicht erfüllen kann" (S. 383). Anders soll es sich bei gegebenem Vorsatz verhalten: Hier überfordere der nur-objektive Maßstab nicht; denn "wer sich zur Gewalt gegen seine Mitmenschen versteigt", müsse "es gegen sich gelten lassen, wenn ihm ein allgemein Menschen- oder Erfahrungsmögliches als sein Werk zugeschrieben wird" (S. 384, 494 f.). Auch wenn B. das nur auf Handlungsfolgen bezieht, die in entsprechender Art vom Vorsatz umfasst werden, fällt so die Vorsatzhaftung im Grenzfall strenger aus als diejenige für Fahrlässigkeit: So wird etwa Totschlagshaftung möglich (nur objektive Erfolgszurechnung), wo Körperverletzung mit Todesfolge ausscheidet (subjektive Erkennbarkeit erforderlich). B. würde dieses Ergebnis wohl damit erklären, dass der Totschlagstäter eben mit Tötungsvorsatz gehandelt hat.

Nach dem Referierten kann auch die Lösung von B. zu Fällen nach der Art von "Rose-Rosahl" nicht zweifelhaft sein: Es soll nicht darauf ankommen, welches Unheil der Anstifter vorausgesehen hat, sondern welches zu managen seine Aufgabe war; er kann also das Irrtumsrisiko nicht abwälzen, vielmehr hat er es zu tragen, solange keine "qualitative Abweichung" vorliegt (S. 495 ff., 498). Vulgo, Niemand kann die Individualisierung einer zu verletzenden Person einem anderen überlassen und dadurch rechtlich wirksam das Irrtumsrisiko übertragen. Nicht anders verhält es sich in den Fällen der Doppelindividualisierung (B. nennt sie "Fallenstellerfälle: Wer sich so und so verhält, gerät in eine tödliche Falle[erste Individualisierung], und das wird der X sein[zweite Inidivdualisierung].). "Liefert der Täter sich selbst und letztlich auch seine Mitmenschen dem Zufall aus, dass die Falle ... den ersten treffe, der sich ihr nähere, so dürfen auch jene im konkreten Einzelfall nicht ernsthaft voraussehbaren Kausalverläufe als Werk des Täters ausgewiesen werden, der seine eigene Irrtumsanfälligkeit und die eigene Finalohnmächtigkeit, die den Umgang mit den Mitmenschen prägt, vergessen oder übersehen hat" (S. 502). - Diese Lösung von B. vermag zu überzeugen - jedenfalls den Rezensenten -, wenn es um eine Unkenntnis aus Desinteresse am Fortgang geht. Anders mögen die Fälle eines Irrtums im engeren Sinn zu entscheiden sein, i. e. einer dem Täter selbst missliebigen Unkenntnis (entstanden aus Überlastung etc.); mit anderen Worten, es wäre noch zu prüfen, ob B. nicht "Verantwortung für Irrtum" sagt und dabei die Plausibilität seiner Argumente aus dem Bereich des dolus indirectus bezieht.

Diese Bespiele für die Argumentationsweise von B. sollen genügen, zumal ohnehin nicht die geringste Hoffnung besteht, an dieser Stelle den Inhalt der gedanken- und materialreichen, zudem sehr umfänglichen Arbeit (Text und Fn. füllen 500 S.!) auch nur skizzenhaft einigermaßen vollständig wiederzugeben. B. weicht im Tatbestandsbereich keiner Irrtumsform aus. Der Stand der Behandlung aller Formen wird eingangs gründlich dargestellt (bis S. 118). Sodann erfolgt die Vorbereitung der eigenen Lösung, und zwar nicht thesenartig, sondern in einer immer wieder vertieften Untersuchung zu den Beziehungen zwischen einem Angreifer, einem Angegriffenen und der - wie B. sie nennt: - "Gemeinschaft" (bis S. 198). Da B. anschließend die funktionalistische Sicht des Rezensenten schonungslos verwirft (bei einigen Verdunkelungen, "um das eigene Gewissen zu beruhigen", S. 217, werde "Autonomie als unverhohlene Camouflage vollkommener Heteronomie" vorgespiegelt, S. 218) darf von diesem gefragt werden, wie B. selbst die Geltung der Normen begründen will, die seiner normativierenden Betrachtung zugrunde liegen. Die "Individuen" (S. 199 ff.) oder auch "Mitmenschen" haben sie sich ja wohl kaum aus dem Nichts heraus ausgedacht und dadurch in Kraft gesetzt. Woher "kommen" sie dann? B. hat einen Weg gezeigt, auf dem sich die Irrtumslehre von der Um-

klammerung durch Psychologismen oder gar psychologisierende Fiktionen befreien lässt. An die Stelle dieser (fingierten) Naturalismen tritt bei ihm - etwas großartig gesprochen - Geist, aber der gewinnt nur als objektiver Geist eine Geltung, die zählt; ansonsten bleibt er bloße Meinung. Allerdings, wenn die Zeit für die Individuen spricht, mag es diesen leicht fallen, ihre "Emanzipation" (S. 130 ff.) sich selbst zuzuschreiben. - Wie dem auch sei, der Ansatz von B. frischt die Diskussion um die strafrechtliche Irrtumslehre durch seine Renormativierung auf, und zwar gründlich.

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Günther Jakobs, Bonn

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Frank H. Gerkau: Untreue und objektive Zurechnung - Eine Untersuchung zur Restriktion der Untreuestrafbarkeit auf der Ebene des objektiven Tatbestandes ; Verlag Dr. Kovač, ISBN 978-3-8300-3713-2, 273 Seiten, 88,00 EUR, Hamburg 2008.

I. Die zentrale Fragestellung der Dissertation Gerkaus ist in den letzten Jahren in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur so intensiv diskutiert worden wie kaum eine andere: Genügt der Straftatbestand des § 266 StGB - gerade vor dem Hintergrund seiner Auslegung durch die aktuelle Rechtsprechung - dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG? Auch nach der inhaltlichen Fertigstellung des Werkes - es berücksichtigt Rechtsprechung und Literatur bis Ende 2007 - hat der Bundesgerichtshof weitere spektakuläre Entscheidungen zur Untreue getroffen, wie beispielsweise die Entscheidung zur Einrichtung verdeckter Kassen bei Siemens (BGHSt 52, 323 = HRRS 2008 Nr. 1100), welche ein großes Echo und harsche Kritik in der Literatur hervorgerufen hat (vgl. Rönnau, StV 2009, 246; Knauer, NStZ 2009, 151 u.a.). Die praktische Relevanz der Untersuchungen Gerkaus wird nicht zuletzt durch den Umstand illustriert, dass erst im März des laufenden Jahres das Bundesverfassungsgericht über die hinreichende Bestimmtheit des § 266 StGB zu befinden hatte (BVerfG, Beschluss v. 10.03.2009 - 2 BvR 1980/07 = HRRS 2009 Nr. 558). Der 2. Senat hat die Verfassungsbeschwerde, der eine Entscheidung des BGH zur sogenannten "schadensgleichen Vermögensgefährdung" zugrunde lag (BGH wistra 2007, 422 = HRRS 2007 Nr. 937), nicht zur Entscheidung angenommen. Die Strafvorschrift des § 266 Abs. 1 StGB verstoße "jedenfalls nicht ohne weiteres" gegen das verfassungsrechtliche Bestimmt­heitsgebot. Das Tatbestandsmerkmal des Nachteils sei "noch hinreichend bestimmt"; die Rechtsprechung sei "bemüht, den sehr weiten Tatbestand der Untreue weiter einzugrenzen". "Eine Grundrechtswidrigkeit [liege](noch) nicht vor, wenn die Anwendungen einfachen Rechts durch den hierzu zuständigen Richter zu einem Ergebnis führt, über dessen "Richtigkeit" sich streiten [lasse]". Diese Ausführungen dürften wohl kaum geeignet sein, den Kritikern der Rechtsprechung des BGH - unter ihnen auch der Autor des vorliegenden Werkes - den Wind aus den Segeln zu nehmen.

II. In der Einleitung seines Werks stellt Gerkau fest, dass der aktuelle "Boom" der Untreue nicht auf eine erkennbare Steigerung der Zahl der Ermittlungsverfahren zurückzuführen ist, sondern auf die Vielzahl (scheinbar) neuer Fallkonstellationen, in denen Strafverfolgungsbehörden und Rechtsprechung den Straftatbestand für einschlägig erachten (S. 2). Die Frage nach der Bestimmtheit der Tatbestandstruktur stelle sich nicht nur bei der endgültigen Prüfung der Strafbarkeit in der Hauptverhandlung, sondern bereits im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Anfangverdachts im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO (S. 6). Die von Seier kritisch als "Allzweckwaffe" (Kohlmann/Nestler/Seier, Entwicklungen und Probleme des Strafrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, S. 105) bezeichnete Untreue werde häufig als "Einstiegsdelikt" genutzt, um Ermittlungen aufzunehmen, die dann im weiteren Verlauf häufig nur zu einen Tatverdacht hinsichtlich anderer Straftaten führten; ein Anfangsverdacht hinsichtlich § 266 StGB scheine allerdings nicht ausreichend justiziabel (S. 8).

Im Anschluss an diese Feststellungen stellt der Verfasser einleitend den Gang seiner Untersuchungen vor, und zeigt die strukturellen Parallelen und Unterschiede einiger von ihm in den Focus seiner Arbeit gestellten markanten Untreuefallgruppen auf.

III. Im ersten Teil des Werkes erfolgt eine Darstellung und Auseinandersetzung Ger­kaus mit den bisherigen Restriktionsversuchen und ihrer Wirkung (S. 40 - 66). Dabei konzentriert er sich - unter Hinweis auf die dogmatische "Unsauberkeit" von Versuchen der Vorsatzrestriktion zur Erreichung von Einzelfallgerechtigkeit (S. 45) - auf den objektiven Tatbestand der Untreue. Der Verfasser setzt sich in diesem Zusammenhang zunächst mit den von der Rechtsprechung entwickelten Ansätzen der Einschränkungen unter formellen Gesichtspunkten, dem - inzwischen durch die Entscheidung BGH NStZ 2006, 214 ( = HRRS 2006 Nr. 100) bereits wieder relativierten - Kriterium der "gravierenden" Pflichtverletzung sowie dem Merkmal des "Vermögensbezugs" des Pflichtverstoßes auseinander.

Seine Untersuchung zur Effektivität dieser Ansätze führt ihn zu der Einschätzung, die Restriktionen würden durch die allgemeinen Tatbestandsstrukturen "aufgezehrt" (S. 55) - insbesondere durch die Vorverlagerung des Schadens unter dem Gesichtspunkt einer konkreten Vermögensgefährdung, die Einbeziehung des "subjektiven Schadenseinschlags" sowie die Möglichkeit einer zeitlichen Vorverlagerung des Vorsatzes durch Einbeziehung des dolus eventualis. § 266 StGB werde durch die aktuelle Handhabung "von einem Verletzungsdelikt zu einem Risikodelikt" verändert (S. 62). Bei isolierter Feststellung von Pflichtverstoß und Vermögensnachteil sei eine greifbare Strafbarkeitsabschätzung für den Handelnden nicht möglich. Daher sei der - notwendigerweise zu fordernde - Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg bei der Untreue näher zu untersuchen (S. 66).

IV. Den zweiten Teil seines Werkes widmet der Verfasser der Tatbestandsanalyse des § 266 StGB sowie der Problematik der isolierten Übernahme von Merkmalen aus

spezifisch regulierten Delikten. Im Focus dieser Herangehensweise steht das Bestreben des Autors, der Ausweitung des Untreuetatbestandes auf tatbestandsfremde Felder entgegenzuwirken (S. 67 - 97).

Gerkau weist darauf hin, dass § 266 StGB wesentlich weniger - einschränkend wirkende - objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale voraussetzt als der Betrugstatbestand, aus dem das Merkmal des Vermögensnachteils übernommen wurde oder zumindest deckungsgleich zur Anwendung kommt. Zudem weise die Untreue als Sonderdelikt eine anders geartete Schutzrichtung auf. Da durch Rechtsprechung und Lehre regelmäßig eine Anpassung von Tatbestandsmerkmalen an die speziellen Bedürfnisse der Ursprungs-Tatbestandsstruktur vorgenommen werde, könne durch eine isolierte Übernahme einzelner Merkmale - ohne Kausalitäts-, Zurechnungs-, Unmittelbarkeits- und Stoffgleichheitskriterien - die erforderliche Feinabstimmung verloren gehen (S. 76).

Ohne das Erfordernis eines Zurechnungszusammenhangs sei - zu Unrecht - bereits bei isolierter Feststellung eines Schadens oder einer Pflichtwidrigkeit eine Strafbarkeit nach § 266 StGB indiziert, ein Anfangsverdacht kaum von der Hand zu weisen. Ausgehend von Gesetzeslage und Tatbestandsanalyse sei daher zu untersuchen, ob Merkmale der objektiven Zurechnung und der Unmittelbarkeit erforderlich seien, die als allgemeine strafrechtliche Regulative ein legitimes Mittel zur Herstellung und Kontrolle der erforderlichen dogmatischer Zusammenhänge bieten könnten.

V. Im dritten Teil, dem Hauptstück seines Werkes (S. 98 - 250), analysiert Gerkau die Verletzung von grundlegenden Strafbarkeits- und Strafrechtsgrundsätzen durch die aktuelle Rechtsprechung zu 266 StGB, und entwickelt im Anschluss daran die von ihm postulierten Erfordernisse der objektiven Zurechnung und des Zurechnungszusammenhangs.

1. Nach seiner Feststellung stehen die Lösungsansätze des BGH in keinerlei Zusammenhang mit der Natur des Pflichtverstoßes und der Zurechnung des Schadens. Der Verfasser wirft daher die Frage auf, ob durch spezifische Einschränkungsversuche der Blick auf allgemeine Zurechnungsregeln vernachlässigt wird (S. 118).

2. Gerkau untersucht, ob bei der Untreue das Bedürfnis besteht, einen "tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang" zu fordern, wie er beispielsweise beim Tatbestand des § 227 StGB allgemein anerkannt ist (umstritten insoweit ist allein der An­knüpfungspunkt). Ein solches Bedürfnis sieht er dann nicht gegeben, wenn auch das Kriterium des "allgemeinen" Zurechnungszusammenhangs geeignet ist, einer unzulässigen Ausweitung des Untreuetatbestandes auf tatbestandsfremde Felder entgegenzuwirken (S. 135).

3. Ausführlich setzt sich der Autor im Anschluss mit der allgemeinen Zurechnungslehre auseinander, wobei er zunächst mit einer Darlegung von inhaltlicher Bedeutung, Herkunft, Sinn und Zweck des Zurechnungszusammenhangs beginnt, und die dargelegten Grundsätze anschließend auf seine Untersuchungen zu § 266 StGB umsetzt. Dabei nimmt er zunächst eine allgemeine Analyse vor, bevor er sich im Anschluss mit den spezifischen Besonderheiten der im Focus seiner Untersuchung stehenden Unterfallgruppen der Gesellschafts-/Organuntreue (S. 166 ff), der Bankenuntreue (S. 176 ff), der Haushaltsuntreue (S. 193 ff) sowie Konstellationen der Ver­bandsgeldbuße und ähnlich gelagerten Fällen (S. 196 ff) befasst.

4. Eine noch größere Ungewissheit als im Bereich der objektiven Zurechnung sieht Gerkau derzeit im Hinblick auf die Frage nach dem Erfordernis eines Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden bei der Untreue (S. 213). In einem ersten Schritt befasst sich der Verfasser bei seinen Untersuchungen zu diesem Themenkomplex mit Fallgestaltungen, in denen die Schädigung nicht durch eine Verfügung über Vermögensgegenstände selbst erfolgt, sondern der Vermögenswert im Wege der Sanktion dem zu betreuenden Vermögen von dritter Seite entzogen wird. In einem zweiten Schritt wendet er die gewonnenen Erkenntnisse sodann auch auf "klassische" Untreuefelder an. Überzeugend illustriert der Autor am Beispiel von Risikoentscheidungen bei der Kreditvergabe - bei denen nach der Rechtsprechung eine sog. "konkrete Vermögensgefährdung" einen untreuerelevanten Schaden darstellt - die Notwendigkeit eines Unmittelbarkeits­kriteriums.

VI. Abschließend gelangt Gerkau zu der Einschätzung, dass die "Regulative des allgemeinen objektiven Zurechnungszusammenhangs[…]durchaus in der Lage sind, auch in der verzweigten Untreuekasuistik präzise Strafbarkeitskriterien zu gewährleisten" (S. 251). In Fällen von Bankenuntreue und Risikoentscheidungen sei nach den Grundsätzen des pflichtgemäßen Alternativverhaltens stets eine deliktsbezogene Verknüpfung von Pflichtverletzung und Schadenseintritt zu fordern. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm seien in Fällen der Banken- und Haushaltsuntreue sowie in Spendenfällen außertatbestandliche Pflichtennormen schon auf Ebene des objektiven Tatbestands auszuschließen. Auch Eingriffe Dritter in den Kausalverlauf seien zwingend zu berücksichtigen, um die Strafbarkeit nach § 266 StGB nicht von Zufälligkeiten abhängig zu machen. Nur das Erfordernis eines Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden könne zudem das Entstehen eines "Tatbestandsvakuums" verhindern (S. 252). Schließlich seien die Fallgruppen aus dem Anwendungsbereich der Untreue ganz herauszunehmen, in denen der Annahme eines Schadens ausschließlich ein "Sanktionscharakter" innewohne, wie beispielsweise in Fällen der Verbandsgeldbuße (S. 253).

VII. Die Arbeit Gerkaus überzeugt insbesondere durch ihre saubere dogmatische Herangehensweise, die bei der Restriktion des Untreuetatbestands auf allgemein anerkannte Rechtsprinzipien abstellt, und so eine von der Rechtsprechung geprägte Einzelfallkasuistik entbehrlich macht. Allein ein derart dogmatisch fundierter Ansatz scheint geeignet, dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit genügende Abgrenzungskriterien zu liefern, und somit die Vorhersehbarkeit der Strafbewehrung bestimmter Verhaltensweisen für den Normadressaten sicherzustellen.

In Zeiten der "Hochkonjunktur" der Untreue leistet der Autor einen rhetorisch überzeugenden und gut strukturierten Beitrag, von dem ohne Zweifel eine weitere Belebung und erhebliche Förderung der derzeit ohnehin sehr regen wissenschaftlichen Diskussion zu erwarten ist.

Rechtsanwalt Ulrich Leimenstoll, Köln

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Klaus Laubenthal, Strafvollzug, 5. Aufl., XX, 703 S., kart. EUR 32,95, Verlag Springer, Berlin, Heidelberg, 2008.

13 Jahre nach Erscheinen der ersten und nur ein Jahr nach dem Erscheinen der vierten Auflage legt der Würzbürger Ordinarius Laubenthal eine aktualisierte Auflage seines Lehrbuches zum Strafvollzug vor. Die gegenüber der Vorauflage aus 2007 zeitnahe Neuerscheinung war u.a. deswegen erforderlich, weil mittlerweile einige Bundesländer von ihrer Gesetz­gebungs­kompetenz für den Erwachsenenstrafvollzug Gebrauch gemacht haben sowie in allen Bundesländern spätestens zum 1. Januar 2008 Jugendstrafvollzugsgesetze in Kraft getreten sind. Das Lehrbuch berücksichtigt insoweit die ausbildungsrelevante und praxisbedeutsame Rechtsprechung und Literatur bis Juli 2008.

Als Zielgruppe sind im Vorwort des Buches ausdrücklich Studierende und Referendare angesprochen, die sich mit dem Schwer­punkt­bereich "Strafvollzug" befassen. Darüber hinaus wendet sich das Werk aber auch ausdrücklich an die in diesem Bereich tätigen Praktiker.

Inhaltlich gliedert Laubenthal seine Darstellung in eine Einleitung und insgesamt zehn Teile, wobei insbesondere der Teil zum Jugendstrafvollzug (9.1) grundlegend neu überarbeitet wurde. Das Werk erklärt das Erwachsenstrafvollzugsrecht auf der Grundlage des Bundesstrafvollzugsgesetzes, bezieht die neuen landesrechtlichen Regelungen zum Erwachsenenstrafvollzug jedoch immer mit ein. Hier soll aufgrund der Fülle des Stoffes nur auf die wichtigsten Neuerungen des Buches eingegangen werden bzw. auf die Stellen, die die neuen landesrechtlichen Regelungen besonders betonen.

Im zweiten Teil, der inhaltlich der historischen Entwicklung des Strafvollzugs gewidmet ist, schildert Laubenthal kurz und prägnant die Föderalismusreform in deren Zuge die Aufgabe des Strafvollzugs der Kompetenz der Landesgesetzgebung zugeordnet wurde.

Im dritten Teil, der Vollzugsaufgaben und Gestaltungsprinzipien zum Gegenstand hat, werden die landesgesetzlichen Regelungen zur Resozialisierung als Vollzugsziel (Rn. 151) und zur Vollzugsaufgabe der Sicherung (Rn. 173) gesondert dargestellt. Besonders lesenswert im dritten Teil - wenn auch nicht von den Neuerungen betroffen - sind die Ausführungen zu den allgemeinen Strafzwecken als mögliche Gestaltungskriterien des Strafvollzugs, insbesondere ihre Beachtung im Rahmen der Gewährung von Vollzugslockerungen oder Urlaub aus der Haft. (Rn. 175 - 195). Mit erfreulicher Deutlichkeit weist der Verf. insbesondere die Berücksichtigung Schuldschwere bei Gestaltungs­entscheidungen der Vollzugsbehörden zurück.

Im fünften Teil, der den Vollzugsablauf behandelt, geht der Autor recht ausführlich auf die abweichenden landesrechtlichen Regelungen zur Verlegung und Überstellung ein (Rn. 366). Dies gilt auch für die Regelungen zur Unterbringung während der Ruhezeit (Rn. 381) sowie die Vorschriften zum Paketempfang (Rn. 503) bzw. der Telekommunikation (Rn. 506).

Im siebten Teil hebt der Verf. die landesrechtlichen Unterschiede bei den Vorschriften zu den erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Rn. 711) hervor. Der neunte Teil widmet sich den besonderen Vollzugsformen. Hier ist das Unterkapitel 9.1 zum Jugendvollzug grundlegend überarbeitet worden. Zunächst gewährt der Verf. einen zahlenmäßigen Überblick über die Gefangenenpopulation im Jugendstrafvollzug. Sodann werden die Reformversuche der letzten 40 Jahre nachgezeichnet, bevor die Verfassungsgerichtsentscheidung aus dem Jahr 2006 besprochen wird, die eine eigenständige gesetzliche Regelung des Jugendstrafvollzugs anmahnte und dem Gesetzgeber eine Frist bis zum Ablauf des Jahres 2007 setzte (Rn. 860). Nachdem der Verf. die wenigen bundesgesetzlichen Vorschriften aus dem JGG zum Jugendstrafvollzug sowie die Landes-Jugendstrafvollzugsgesetze vorgestellt hat, widmet es sich ausführlich den Vollzugsgrundsätzen und der Vollzugsorganisation im Jugendstrafvollzug (Rn. 863 - 867), wobei er die in manchen Landes-Jugendstrafvollzugsgesetzen normierte Aufgabe des Schutzes der Allgemeinheit zu Recht kritisiert (Rn. 863). Weiter beanstandet Laubenthal zu Recht, dass in einigen Bundesländern die Trennung der Jugendstrafgefangenen von erwachsenen Inhaftierten nicht strikt und ausnahmslos kodifiziert ist (Rn. 865).

Im Anschluss daran behandelt er den Vollzugsablauf, wobei hier auf die Unterschiede zum Erwachsenenvollzug hingewiesen wird. Dies gilt auch für die Darstellung der Sicherheit und Ordnung (Rn. 877 - 882) sowie den Rechtsschutz (Rn. 883 - 886) im Jugendstrafvollzug.

Die übersichtliche Struktur sowie der leserfreundliche Sprachstil des Autors verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden. Darüber hinaus verfügt das Buch über ein lernfreundliches Format. So werden die abstrakten Ausführungen durch optisch eingerückte Beispiele der höchstrichterlichen Rechtsprechung anschaulich illustriert und die Argumentationszusammenhänge prüfungsrelevant verdeutlicht. Das Lehrbuch ist damit ein echtes "Lernbuch", das sich zur Vorbereitung auf Prüfungen sehr gut eignet. Inhalts- und Tabellenverzeichnis sowie das ausführliche Literatur- und Sachverzeichnis erlauben aber darüber hinaus eine gute Orientierung und ein schnelles Nachschlagen ausgewählter Probleme. Aufgrund der dargestellten Vorzüge kann das Lehrbuch unein­geschränkt empfohlen werden.

Wiss. Ass. Dr. Janique Brüning, Bucerius Law School, Hamburg

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Kerstin Schlecht: Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers ; Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 99, 270 Seiten, 84.- Euro, Mohr Siebeck 2006.

I. Das Thema "Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers" erscheint nicht sonderlich praxisrelevant. Ist es nicht so, wie das Bundesverfassungsgericht (E 60, 253, 299f.) einmal entschied, dass ein Verschulden des Verteidigers dem Beschuldigten - angesichts der besonderen Belastungen eines Strafverfahrens und einer strafgerichtlichen Verurteilung - nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann? Fehlt es im Strafverfahren nicht etwa an einer dem § 85 Abs. 2 ZPO entsprechenden Norm, wonach sich der Mandant ein Organisationsverschulden, namentlich Fristversäumnisse seines Anwalts, zurechnen lassen muss? Und schließlich: Staatsanwaltschaften und Gerichte haben den Sachverhalt nach §§ 160 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO ohnehin von Amts wegen aufzuklären. Kann es da noch Platz für eine haftungsmäßige Zurechnung eines Verteidigerverschuldens geben?

Doch: So einfach ist es nicht! Der unterbliebene oder nicht rechtzeitig geltend gemachte Widerspruch gegen die Verwertung bemakelten Beweisstoffes führt endgültig zum Rügeverlust. Selbst nach einer erfolgreichen Revision und Aufhebung und Zurückverweisung der Sache soll das Widerspruchsrecht nicht revitalisiert werden können (BGHSt 50, 272 mit abl. Anm. Schlothauer StV 2006, 397; a. A. auch schon Neuhaus ZAP 2001, 981, 983 f. = F. 22, 339, 341 f.). Wird der Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO gegen (mutmaßlich) rechtswidrige sachleitende Anordnungen des Vorsitzenden nicht ergriffen, führt auch dies zum Rügeverlust. Und trägt der Verteidiger in der Revisionsbegründung entgegen § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nicht alle den Mangel enthaltenden Tatsachen vor, so kann er dies nach Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr reparieren. Der Mandant muss erleben, wie die sonst vielleicht erfolgreiche Revision scheitert. Rien ne vas plus - nichts geht mehr.

Es ist also keineswegs so, dass Versäumnisse und Fehler des Verteidigers niemals dem Beschuldigten zugerechnet werden könnten. Wenn das aber so ist, dann muss man die Frage stellen, warum der Verteidiger nicht auch haften können sollte. Und so ist es in der Tat. Rechtsprechung und Literatur nehmen den Strafverteidiger nicht aus der zivilrechtlichen Haftung aus. Was nicht wenige Verteidiger annehmen lässt, sie säßen auf einer "Insel der Glückseligen", die aus einem haftungsrechtlichen Freiraum besteht, ist vor allem der Umstand, dass beim Klientel, also den Beschuldigten, offenbar nur sehr wenig Bewusstsein dafür entwickelt worden ist, dass man Schäden u. U. auf den Verteidiger abwälzen kann. Das mag mit der geringen Anzahl bislang veröffentlichter Entscheidungen zusammenhängen. Die wachsende Bedeutung des Themas wird aber nicht zuletzt daran deutlich, dass es unlängst erstmals in einem Praxishandbuch für Strafverteidiger angesprochen und erläutert wurde (Barton, in: Widmaier[Hrsg.], Münchener Handbuch Strafverteidigung, 2006, § 57) und mit der hier zu besprechenden Arbeit innerhalb von nur zwei Jahren eine zweite Dissertation zum Thema vorgelegt wurde (vgl. sonst Anja Müller-Gerteis, Die zivilrechtliche Haftungssituation des Strafverteidigers, 2005).

II. 1. Im ersten Kapitel geht Kerstin Schlecht der Frage nach, welche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist dabei, dass der Verteidiger i. d. R. nicht einen bestimmten Erfolg schuldet, sondern "nur" eine fachgerechte Verteidigung (S. 4 f.). Infolgedessen kommt zwischen dem Beschuldigten und seinem Wahlverteidiger regelmäßig kein Werkvertrag zustande, sondern ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. An diesem Standard richtet die Autorin ihre Untersuchung aus und lässt den Werkvertrag als Haftungsgrundlage außer Acht. Das ist schade, denn die praktisch durchaus bedeutsame Frage, ob und ggf. nach welchen Regeln der Revisionsverteidiger dafür haftet, dass die Revisionsbegründung wenigstens zulässig ist, harrt nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform noch einer endgültigen Klärung, mag auch viel dafür sprechen, die zum alten Recht entwickelten Überlegungen (vgl. Barton StV 1991, 332) auf die Neuregelung zu übertragen.

Kerstin Schlecht sieht zutreffend in §§ 611, 675, 280 Abs. 1 BGB die regelmäßig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage, denn es wird so gut wie immer um Schlechterfüllung des Dienstvertrages gehen. Nur in seltenen Fällen, nämlich dann, wenn der Verteidiger überhaupt nicht tätig wird und es deshalb zu einem Schaden kommt, sind die §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB einschlägig (S. 13 f.). Die Haftung des Pflichtverteidigers richtet sich nach Ansicht der Autorin nach denselben Vorschriften, gleichviel, ob man der Vertragstheorie in ihren unterschiedlichen Facetten folge (S. 16 ff.) oder von einem gesetzlichen Schuldverhältnis ausgehe (S. 21 ff.). Dem wird man beizupflichten haben, denn es gibt keinen sachlichen Grund, denjenigen, der sich keinen Wahlverteidiger zu leisten vermag, haftungsrechtlich etwa dadurch schlechter zu stellen, dass man ihn auf eine analoge Anwendung des § 1833 BGB verweist (so aber: Schäfer, in: Wahle[Hrsg.], Mandant und Verteidiger - Symposium zum 60. Geburtstag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Egon Müller, 2000, S. 63, 68).

2. Im knapp 100 Seiten umfassenden zweiten Kapitel (S. 40 ff.) befasst sich Kerstin Schlecht mit den Pflichten, die den Verteidiger allgemein treffen, welche Pflichten also verletzt werden können. Dabei stellt sie ihren Ausführungen die abstrakte Untersuchung voran, ob das Pflichtenprogramm durch Weisungen des Beschuldigten beeinflusst werden kann. Nach sorgfältiger Darstellung und Analyse des Streitstandes zur Frage, ob eine Bindung des Verteidigers an Weisungen des Mandanten besteht (S. 42 ff.), gelangt die Autorin zu dem Ergebnis, dass eine Weisung weder als Einverständnis oder Einwilligung noch als Angebot auf Vereinbarung eines Haftungsausschlusses gewertet werden kann (S. 73). Zwar habe der Verteidiger die subjektiven Interessen seines Mandanten stets in seine Überlegungen einzubeziehen (S. 52). Doch trage allein der Verteidiger die uneingeschränkte Verantwortung für sein konzeptionelles, strategisches und rechtliches Tun oder Unterlassen im Verfahren. Auch unter

Zurechnungsgesichtspunkten könne eine Weisung den Verteidiger nicht entlasten (S. 74). Im Anschluss an diese Weichenstellung erfolgt die Darlegung, welche haftungsbewehrten allgemeinen Pflichten des Verteidigers im Verhältnis zum Mandanten bestehen (S. 75 ff.). Kerstin Schlecht überträgt und modifiziert hier die in Rechtsprechung und Literatur für den zivilrechtlich tätigen Anwalt entwickelten Grundpflichten. Die nachfolgende Übersicht ist notgedrungen unvollständig:

a. Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (S. 84 ff.): Der Amtsermittlungsgrundsatz stehe nicht entgehen (S. 78 f., 88). Der Verteidiger habe die Pflicht, sich so schnell wie möglich Akteneinsicht zu verschaffen und müsse sie zumindest nach Abschluss der Ermittlungen nochmals einsehen (S. 91). An richterlichen Vernehmungen gem. § 168c StPO habe er teilzunehmen (S. 93). Eigene Ermittlungen müsse er nur höchst ausnahmsweise durchführen, denn grds. dürfe er den Angaben seines Mandanten glauben (S. 95 f.).

b. Rechtliche Prüfung (S. 96 ff.): Es bestehe die Pflicht, die Amtliche Sammlung und die NJW auf relevante Entscheidungen und/oder Publikationen durchzusehen (S. 103). Fachanwälte treffe eine intensivere Pflicht zur rechtlichen Durchdringung in Form von zusätzlicher Hinzuziehung einschlägiger Kommentare und Durchsicht von Fachzeitschriften (S. 106).

c. Pflicht zur Beratung des Mandanten (S. 108 ff.): Sie bestehe trotz fehlender Bindung an Weisungen (S. 114 f.).

d. Beschreiten des sichersten Weges (S. 119 ff.): Dieser Grundsatz gelte auch für den Verteidiger, was sich darin ausdrücke, dass i. d. R. ein "ordentlicher" Beweisantrag zu stellen sei und kein Hilfsbeweisantrag, über den das Gericht bekanntlich erst in den Urteilsgründen befinden darf (S. 122). Doch sei es dem Verteidiger nicht zumutbar, sich in Grenzfragen der Gefahr der Strafverfolgung wegen Strafvereitelung auszusetzen. Werde z. B. der "sichere Weg" von auch nur einer vereinzelt gebliebenen Literaturstimme für unzulässig gehalten, so verletze der Verteidiger nicht seine Pflichten, wenn er diesen "sicheren Weg" gerade nicht wähle (S. 128 ff.).

e. Fehlerverhütung (S. 132 ff.): Dem Verteidiger komme keine allgemeine Überwachungspflicht gegenüber dem Gericht zu (S. 133). Dennoch habe er von Amts wegen zu beachtende Umstände, namentlich Verjährung, selbst zu prüfen und ggf. in das Verfahren einzubringen (S. 135).

Wurde einer der beschriebenen Pflichten verletzt, dann, so legt die Autorin dar, sind auch Rechtswidrigkeit und Verschulden so gut wie immer zu bejahen (S. 137 f., 141 ff.).

3. Im folgenden Kapitel geht es um die Fragen von Schaden und Kausalität (S. 160 ff.), die wohl schwierigsten Probleme der Verteidigerhaftung. Mit akribischer und überzeugender Argumentation widerlegt Kerstin Schlecht zunächst all die in Rechtsprechung und Schrifttum vorgebrachten Argumente, die die Ersatzfähigkeit von Strafen vor allem mit Blick auf ihre Sühnefunktion oder ihren höchstpersönlichen Charakter in Frage stellen (S. 170 ff.). Es spreche nichts dagegen, die Belastung mit einer Geldstrafe oder sonstige aus strafrechtlichen Sanktionen resultierende materielle Nachteile an wirtschaftlichen Kriterien zu messen. Was den Hinweis auf mögliche Wertungswidersprüche im Verhältnis von Geld- und Freiheitsstrafe betreffe, so sei die Situation mit Neufassung des allgemeinen Schadenrechts eine andere geworden. Denn § 253 Abs. 2 BGB lasse auch bei vertraglichen Ansprüchen den Ersatz immaterieller, u. a. in Folge einer Verletzung der Freiheit eingetretener Schäden zu, und zwar unabhängig davon, ob der Schuldner eine Haupt- oder Nebenpflicht verletzt habe. Folglich bestehe die Möglichkeit, dem durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe erlittenen Übel mittels Gewährung von Schmerzensgeld Rechnung zu tragen (S. 180 f.). Ob der Mandant die ihm zur Last gelegte Tat auch wirklich begangen hat, also schuldig ist oder nicht, ist in diesem Zusammenhang, wie Kerstin Schlecht überzeugend ausführt, bedeutungslos (S. 183 ff.), denn für die Frage nach dem Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens kommt es nur darauf an, welches Urteil ohne Verteidigerfehler ergangen wäre. Als ersatzfähige Vermögensschäden kommen etwa in Betracht (S. 223 ff.): Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der Beamtenstellung oder der Versorgungsbezüge, entgangener Gewinn sowie die Schäden, die dem Mandanten infolge der Verhängung eines Fahrverbots entstehen. Auch die im Zuge einer Verfahrensbeendigung nach § 153a StPO gezahlte Geldauflage könne ein Schaden sein (S. 228); des Weiteren sei auch in den Verfahrenskosten ein ersatzfähiger Schaden zu sehen. Außerdem habe der Fehler des Verteidigers auch Auswirkungen auf dessen Honoraranspruch. Bei den immateriellen Schäden sei an ein Schmerzensgeld für zu Unrecht erlittene Haft zu denken. Eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 StrEG (11,00 €/Tag) lehnt sie ab (S. 225).

Die Autorin wendet sich dann der Thematik des hypothetischen Kausalverlaufs zu: Wie wäre das Strafverfahren ohne Verteidigerfehler verlaufen? Kerstin Schlecht arbeitet treffend heraus, dass es insoweit nicht auf die hypothetische Entscheidung des Strafgerichts ankommt (S. 214 ff.), sondern auf die nach Ansicht des Regressgerichts richtige Entscheidung, und zwar auch in Bezug auf Beweiswürdigung (S. 219 ff.) und Strafzumessung (S. 203 ff.). Dabei trägt der Ex-Mandant die Beweislast für den ihn günstigeren Ausgang des Strafverfahrens. Kerstin Schlecht legt überzeugend dar, dass eine Beweislastumkehr, wie sie von der Rechtsprechung im Bereich der Arzthaftung bei groben Behandlungsfehlern entwickelt wurde (BGHZ 72, 132, 139; 107, 222, 228) für den Regressprozess gegen den Verteidiger nicht in Betracht kommt (S. 240 ff.): Es seien nämlich wegen der Anwendbarkeit des § 287 ZPO keine außergewöhnlichen Beweisprobleme feststellbar. Außerdem könne auch nicht von einem typischerweise mit einer Vertragsverletzung des Verteidigers verbundenen Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs die Rede sein (S. 244; a. A. OLG Nürnberg StV 1997, 481, 483 mit zutr. abl. Anm. Barton StV 1998, 606).

III. Die Arbeit überzeugt in Aufbau, Diktion, Klarheit der Gedankenführung und wegen ihrer ausgewogenen Ergebnisse. In Fällen, in denen es um die zivilrechtliche

Haftung des Strafverteidigers geht, wird an ihr nicht vorbeizukommen sein.

Dr. Ralf Neuhaus, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht, Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld

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