HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2009
10. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Methode als Waffe oder Methode als Werkzeug – Zum Waffenbegriff im StGB

Zugleich eine Besprechung von BVerfG[2. Kammer des 2. Senats], Beschl. v. 1. September 2008 – BvR 2238/07 = HRRS 2008 Nr. 830.

Von RA Bernd Hüpers, Rostock *

I. Einleitung

Was unterscheidet Waffen von Werkzeugen? Fragen wir unser Sprachgefühl, werden wir wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen, Waffen sind Mittel, mit denen man angreift oder eventuell verteidigt, jedenfalls für den Kampf oder den Krieg; Werkzeuge aber sind eher etwas Friedliches, damit stellt man her oder repariert. Im Strafrecht lassen sich die Begriffe nicht ganz so leicht trennen, schlägt sich der Gesetzgeber doch von vorneherein auf die "kriegerische" Seite, wenn er in den Vorschriften der §§ 224 Abs.1 Nr. 2, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB von "Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen" spricht: das Werk, an das der Gesetzgeber dachte und er zu sanktionieren gedachte, war die Kör-

perverletzung, also eigentlich gar kein "Werk" sondern eine "Tat". In die sprachlich verzerrte Welt des Strafrechts hat das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 1.9.2008 versucht, Klarheit zu bringen, indem es den Sprachgebrauch des Normalbürgers gegen Okkupationen des Bundesgerichtshofes verteidigte. Vielleicht ist es ihm gelungen, möglicherweise hat es aber nur die juristische Methodik umfunktioniert – vom Werkzeug zur Waffe.

II. Zur juristischen Methode

Was unterscheidet den handwerklichen vom "kriegerischen" Gebrauch der juristischen Methode? Der juristische Handwerker versucht, auf dem Boden des Grundgesetzes und der Gesetze die angemessenste Lösung für ein Rechtsproblem zu finden. Dafür sammelt er alle einschlägigen Vorschläge, untersucht sie sorgfältig und – damit er die beste und nicht die zweitbeste Lösung wählt – entfaltet er alle Antworten bestmöglich. Erst dann wird er vergleichen und hoffentlich den entscheidenden Vorzug der einen vor der anderen Meinung finden. Der "kriegerische" Gebrauch der Methode dagegen kümmert sich nicht um das beste Ergebnis, weil das beste Ergebnis für den Streiter immer schon ein bestimmtes Ergebnis ist. Anwälte bedienen sich der Methode in dieser Weise gelegentlich, wie man hört. Gerichte dagegen sind gehalten, handwerklich vorzugehen. Dafür genügt es aber nicht, die canones abzuarbeiten, das können auch die Advokaten und Verbandsvertreter "meisterhaft". Die handwerkliche Maxime lautet, keine Position vor ihrer Entfaltung zu verkürzen.

III. Zum Waffenbegriff

1. Die Ergebnisse von BVerfG und BGH

Das BVerfG hatte die Frage zu entscheiden, ob ein zu einem Abwehrmittel umfunktionierter Pkw eine Waffe im Sinne des § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist. Es verneinte dies und gelangte zu einem technischen Waffenbegriff, der Waffen dann und nur dann als Waffen gelten lässt, wenn "ihre primäre Zweckbestimmung darin liegt, im Wege des Angriffs oder der Verteidigung zur Bekämpfung anderer eingesetzt zu werden."[1] Es meint, die Lösung des BGH sei vom möglichen Wortsinn des Begriffs "Waffe" in § 113 Abs. 2 S. 2 Nr.1 StGB nicht mehr umfasst. Der BGH folgt einem weiten, untechnischen Waffenbegriff: Jeder Gegenstand, der zweckentfremdet als Mittel zur Verletzung von Menschen missbraucht wird, wird als Waffe angesehen.[2]

2. Die canones

Das BVerfG führt den Wortlaut für sein Ergebnis an, und zwar den allgemeinen und den gesetzgeberischen Sprachgebrauch, sowie historische und teleologische Argumente.

a) Der allgemeine Sprachgebrauch

Ein möglicher, wenn auch nicht der einzige Weg, den allgemeinen Sprachgebrauch zu erkunden, ist es, Wörterbücher zu konsultieren. Dies tut das BVerfG. Das Ergebnis fällt allerdings überraschend eindeutig zuungunsten des BVerfG aus. Es zitiert z.B. den Duden mit der Definition, Waffe sei ein "zum Angriff oder zur Verteidigung verwendetes Kampfmittel".[3] Hier wird offensichtlich auf die Verwendungsweise abgestellt und nicht auf die abstrakte Zweckbestimmung; ein Pkw, der als Kampfmittel verwendet würde, wäre demnach eine Waffe. Der Duden teilt somit nicht den Sprachgebrauch des BVerfG. Das BVerfG stützt sich auch auf das Grimmsche Wörterbuch, wonach Waffen zur "Ausrüstung des streitbaren Mannes, zum Zwecke des Angriffs oder der Verteidigung gehören." Aber: "Gelegentlich könne der Ausdruck ›Waffe‹ auch für Werkzeuge gebraucht werden, ›die nicht zur Ausrüstung des Kriegers gehören, aber doch im Kampfe Dienste leisteten, wie eine Keule, Stange, einen Stock und dergleichen."[4] Aus juristischer Handwerkersicht ist es irritierend, dass die Kammer die "gelegentliche" Bedeutung von "Waffe" zwar anführt, sie aber bei ihrer Zusammenfassung vergisst. Denn die Beispiele Stange und Stock machen deutlich, dass zur Waffe auch Gegenstände werden können, deren primäre Zwecksetzung nicht der Kampf ist. Noch deutlicher werden die Bearbeiter des Grimmschen Wörterbuchs an einer späteren Stelle ihres Artikels, den die Verfassungsrichter nicht mehr für mitteilenswert hielten: "der begriff kann im zusammenhang eine genaue bestimmung erfahren; er schwankt dann zwischen der allgemeinsten auffassung als ›verletzende gegenstände‹ und engerer begrenzung nach der jeweiligen bewaffnung."[5] Ähnlich: "4) in freierer verwendung bezeichnet waffe überhaupt ein mittel, dessen man sich zu schutz und trutz bedient."[6] Danach wäre der Pkw, mit dem der Täter nicht Personen befördert, sondern diese abwehren will, eine Waffe. Die Behauptung des BVerfG, der BGH habe den Begriff der Waffe eigenmächtig erweitert, geht somit fehl. Es ist gerade umgekehrt, am Maßstab des allgemeinen Sprachgebrauchs wäre es eine eigenmächtige Verengung, wollte man die Rede von einem Pkw, der als Waffe eingesetzt würde, verbieten, wie es der Kammer vorschwebt.

b) Der gesetzgeberische Sprachgebrauch

Das BVerfG versucht, den gesetzgeberischen Sinn von Waffe zunächst mit Hilfe des Waffengesetzes zu ermitteln.[7] Unklar bleibt, warum dies statthaft sein sollte. Stehen etwa beide Gesetze in einem systematischen Zusammenhang? Ist gar das Waffengesetz das Allgemeinere? Oder sind die Zwecke des Waffengesetzes mit denen des StGB gleichgerichtet? Eine Übernahme des waffengesetzlichen Waffenbegriffs in das StGB drängt

sich zumindest nicht auf. Doch selbst wenn man diesen Gedanken einmal mitgeht, kommt man nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis des BVerfG. Denn das Waffengesetz lässt - anders als das BVerfG meint – auch Gegenstände als Waffen gelten, die, "ohne dazu bestimmt zu sein, insbesondere wegen ihrer Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen herabzusetzen…" (§ 1 Abs. 2 WaffG). Danach könnte auch ein Pkw eine Waffe sein. Das BVerfG verweist allerdings noch auf den Zusatz im Waffengesetz, wonach diese unbestimmten Gegenstände im Waffengesetz ausdrücklich genannt sein müssen. Das kann man dem BVerfG einräumen, einen Waffenschein braucht man für Kraftfahrzeuge noch nicht: Pkws werden im Waffengesetz nicht genannt. Das gilt freilich für chemische und biologische Waffen auch, ebenso wie für Laserwaffen. Der Ausflug in das Waffengesetz ist damit für die Argumentation des BVerfG unergiebig, tendenziell spricht er sogar eher für einen weiteren gesetzgeberischen Anwendungsbereich als den der technischen Waffen. Sodann geht die Kammer noch auf eine Entscheidung des BGH ein, um damit den technischen Waffenbegriff abzustützen.[8] Es ist natürlich gewieft, den BGH mit dem BGH widerlegen zu wollen. Doch selbst wenn dies gelänge, wäre damit der gesetzgeberische Sprachgebrauch noch immer nicht erwiesen. Vor allem aber nimmt der BGH in den Passagen, die das BVerfG auswählt, nur auf den Sprachgebrauch der Vorschriften der §§ 224, 244 und 250 StGB Bezug, in denen aber "Waffe" und "gefährliche Werkzeuge" gerade nebeneinander stehen In der vorliegenden Problematik des § 113 Abs. 2 StGB ist dies aber genau anders. Hier haben wir nur die Erwähnung von "Waffen", nicht aber die von "gefährlichen Werkzeugen." Damit ist der zitierte Gedankengang des BGH nicht übertragbar.

c) Die Gesetzesmaterialien

Das BVerfG kommt hinsichtlich der Gesetzesmaterialien zu dem klaren Ergebnis: "Die Ansicht in Rechtsprechung und Lehre, nach welcher der Begriff der Waffe in § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB in einem ›nichttechnischen‹, gefährliche Werkzeuge und insbesondere bei entsprechender Verwendung auch Kraftfahrzeuge umfassenden Sinne zu verstehen sein soll, lässt sich mit dem im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang bringen."[9] Merkwürdig an diesem Befund ist, dass die Exkursion in die Gesetzesmaterialien diesen gar nicht trägt. Ebenso wie bei der Ermittlung des allgemeinen Sprachgebrauchs teilt das BVerfG zwar interessante und auch entgegenstehende Aussagen in den Materialien mit, ignoriert sie aber bei seiner Zusammenfassung. Nachdem der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform beschlossen hatte, im Rahmen des § 113 Abs. 2 StGB nur den Begriff "Waffe" aufzunehmen, nicht aber "gefährliche Werkzeuge", erklärten einige Teilnehmer: "der Waffenbegriff in der betreffenden Vorschrift sei ›nicht im technischen, sondern im allgemeinen Sinne zu verstehen‹ und vom ›heutigen Standpunkt aus müsse mit dem Begriff der Waffe zum Beispiel auch eine zum Zwecke der Gewaltanwendung geschleuderte Säureflasche erfasst werden.‹"[10] Das BVerfG meint nun, diese Aussagen ins Gegenteil verkehren zu können, weil sich die Ausschussmehrheit dazu nicht verhalten hat. Aber bedeutet Schweigen Ablehnung? Kann es nicht auch stille Zustimmung gewesen sein? Wie auch immer, den polemischen Pulverdampf, der über diesem Streit schwebt, erkennt man daran, dass das BVerfG nur ihm gewogene Gewährsmänner zitiert, Fischer bleibt bspw. unerwähnt.[11]

d) Zwischenbilanz

Wollte man die über die canones – mit Ausnahme der teleologischen Gesichtspunkte – gefundenen Argumente zusammenfassen, könnte man zu folgendem vorläufigen Ergebnis kommen: Der allgemeine Sprachgebrauch und die Gesetzesmaterialien tendieren eher zu einem weiten, untechnischen Waffenbegriff; der Wortgebrauch des Gesetzgebers in den Vorschriften der §§ 224, 244 und 250 StGB spricht eher für einen engen Waffenbegriff. Die Frage, ob es im Rahmen des StGB zwei unterschiedliche Waffenbegriffe geben darf oder ob ein einheitlicher Waffenbegriff vorzugswürdig ist, bedarf weiterer Erörterung.

e) Teleologische Argumente

Teleologische Argumente? Eine echte Pointe der Entscheidung ist, es gibt keine teleologischen Argumente. Es gibt keine, weil beide Wege zum selben Ergebnis führen. Das BVerfG verschleiert dies ein wenig, weil es seine Alternative nicht zu Ende denkt. Es entscheidet nur, dass das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S.2 Nr. 1 ("Waffe") StGB hier nicht vorliegt, aber gleichwohl ein unbenannter besonders schwerer Fall des § 113 Abs. 2 StGB vorliegen könnte. Das BVerfG drückt sich vorsichtig aus: "was vorliegend möglich erscheint."[12] Die Frage soll das OLG Dresden entscheiden. Viel Spielraum hat das OLG aber nicht. Das StGB differenziert in den §§ 224, 244 und 250 "Waffen" und "andere gefährliche Werkzeuge" begrifflich, stellt beide Alternativen jedoch auf eine Sanktionsstufe. Eine entsprechende begriffliche Differenzierung im Rahmen des § 113 Abs. 2 StGB könnte ebenfalls Sinn machen, nur eine unterschiedliche Bewertung beider Alternativen wird damit gerade nicht eröffnet.

IV. Ergebnis

Materiellrechtlich ist das Ergebnis des BVerfG gut vertretbar, freilich mit anderer Begründung als sie das BVerfG gegeben hat, denn das einzig belastbare Argument, das für seine Lösung spricht, ist die Einheit des strafgesetzlichen Sprachgebrauchs. Verfassungsrechtlich ist die Entscheidung überflüssig. In Zeiten, in denen – man muss schon sagen – unanständig viele Verfassungsbeschwerden an Substantiierungs- und Subsidiaritätsgründen scheitern, ärgert man sich – zumindest als Anwalt -, wenn man bei den vordergründig erfolgreichen Verfassungsbeschwerden in Wahrheit nur akademisches l’art pour l’art erkennt. Denn eines kann man sich gewiss sein, um die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rech-

te des Beschwerdeführers geht es nicht. Die Frage, die er zur verfassungsgerichtlichen Klärung gebracht hat, war in seinem Fall nicht entscheidungserheblich. Es dient nicht der Durchsetzung von grundrechtsgleichen Rechten aus Art.  103 Abs. 2 GG, wenn ein Täter nicht aufgrund eines Regelbeispiels, sondern wegen einer unbenannten Fallgruppe verurteilt wird. Das Verhältnis von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit, das seit jeher ein labiles ist, wird durch solch dogmatische Besserwisserei auch nicht besser. Die ernsthafteste Kritik muss aber am polemischen Gebrauch der juristischen Methodik geübt werden. Von weiteren "Waffengängen" in der Kammerrechtsprechung wird hoffentlich abgesehen.


* Lehrbeauftragter der Universität Rostock.

[1] BVerfG, Beschl. v. 1. September 2008 – BvR 2238/07 = HRRS 2008 Nr. 830, Rn. 17.

[2] Vgl. z.B. BGH NJW 1983, 1624, f. (Rn. 5).

[3] Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 5. Auflage (2003), 1766.

[4] BVerfG a.a.O. (Fn. 1), Rn. 16, mit Hinweis auf das Grimmsche Wörterbuch, Bd. 27, Sp. 254, 256.

[5] Grimmsche Wörterbuch a.a.O. Sp. 262; das Grimmsche Wörterbuch ist übrigens kostenlos im Internet über die Universität Trier verfügbar.

[6] Grimmsche Wörterbuch a.a.O. Sp. 280.

[7] BVerfG a.a.O. (Fn. 1), Rn. 19-23.

[8] BVerfG a.a.O. (Fn. 1), Rn. 25 mit Hinweis auf BGHSt 48, 197, 200.

[9] BVerfG a.a.O. (Fn. 1), Rn. 27.

[10] BVerfG a.a.O. (Fn. 1), Rn. 26.

[11] Fischer, StGB, 55. Aufl. (2008), § 113 Rn. 28.

[12] BVerfG, a.a.O. (o.Fn. 1), Rn. 27.